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REZEPTION/014: Poetik des Lachens in den Romanen des Mittelalters (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 5/Oktober 2008

Ein schlechter Reiter als "Running Gag" der höfischen Gesellschaft
Poetik des Lachens in den Romanen des Mittelalters

Von Eva Opitz


Lachen hat zurzeit Konjunktur. So genannte Comedians und politische Kabarettisten haben ihren festen Platz in den Abendprogrammen. Sie füllen Konzertsäle und Musikhallen. Worüber die Menschen heute lachen, ist schnell gesagt. Wenn es um das Lachen in vergangenen Zeiten geht, wird es schwierig. Wie haben die höfischen Dichter im Mittelalter die Menschen zum Lachen gebracht? Welche Rolle spielte das Lachen in der Dichtung? Der Mediävist Dr. Stefan Seeber ist in seinen Arbeiten der Spur einer Poetik des Lachens in mittelalterlichen Romanen zum Ende des 12. und Beginn des 13. Jahrhunderts nachgegangen.


Für jeden Wissenschaftler, der eine zeitlich weit entfernte Epoche betrachtet, stellt sich die Frage des theoretischen Vorgehens. Für Seeber war es ausgeschlossen, mit einer modernen Theorie des Lachens, wie sie unter anderem Sigmund Freud formuliert hat, Witz und Komik in den Artusromanen zu untersuchen. "Die heutigen Theorien sind für die Moderne gemacht und nicht fürs Mittelalter", sagt Seeber. Was damals komisch war, darüber würde heute vermutlich niemand mehr lachen. Bei der Analyse des komischen Potenzials der höfischen Romane wie "Lanzelet" oder "Parzival" muss zudem bedacht werden, dass die Geschichten mündlich überliefert wurden und aus dem Vortrag lebten. "Aufgeschrieben wurden sie frühestens 20 bis 30 Jahre später." Die Vortragenden konnten sich auf keine mittelalterliche Rhetorik stützen, die ihnen Hinweise gegeben hätte, wie Lachen als Mittel der Komik funktioniert und wirkungsvoll eingesetzt werden kann. "Dennoch wurde in den Romanen viel zusammen gelacht und ausgelacht", so Seeber.


Im Diesseits soll nicht gelacht werden

Sicher kannten die Autoren Grundzüge der antiken rhetorischen Schriften von Cicero und Quintilian, die im 13. Jahrhundert durch arabische Schriften wieder zugänglich wurden. Verpönt waren demnach allzu stark ins Derbe reichende Entgleisungen wie explizite Obszönitäten oder Späße. "Das von Aristoteles bis hinzu Cicero vorgegebene Harmlosigkeitspostulat darf nicht verletzt werden", erklärt Seeber. Was zu bemitleiden oder zu bestrafen ist, soll nicht verspottet werden. Von der Lachfeindlichkeit der Kirche, die himmlisches Lachen als Lohn für die Lachenthaltung auf Erden versprach, konnten die Dichter keine Unterstützung erwarten. "Der Mensch sollte Jesus nacheifern, von dem kein Lachen überliefert ist." Das Diesseits bedeutete nicht Lebenserfüllung, sondern Vorbereitung auf das Jenseits. "Komik hatte da keinen Platz." In den Artusromanen wird aller theologischen Dominanz zum Trotz gelacht. "Die Poetik des Lachens ist den Texten selbst eingeschrieben", sagt Seeber. Es sei eine Poetik der Aktion, die sich nur als Phänomen der Darbietung begreifen lasse.


Lachen offenbart soziale Stellung

Neben einem Fundus an Obszönitäten und Belanglosigkeiten wird belacht und verlacht, wer oder was gesellschaftlich versagt, sich als zwiespältige Beziehung zwischen Menschen ausweist, sich als unvollkommen zeigt oder einfach als ein schlechter Reiter zum "running gag" wird wie "Lanzelet" in der Dichtung Ulrichs von Zatzikhoven oder als Dummkopf auffällt wie Parzival. Im Parzival-Roman von Wolfram von Eschenbach hat Seeber an die 40 Lachbelege in den knapp 25000 Versen gefunden als Nachweis einer strukturierten Verwendung des Lachens auf einem höheren poetologischen Niveau, als es vergleichbare Romane bieten. Das soziale Lachen wird multifunktional eingesetzt und regt zum sinnstiftenden Nachdenken an. "Es ist auch eine Poetik des Lächerlichen, um zum Lachen anzuregen", sagt Seeber. "Die Dichtungen leben zwischen schriftlicher Fixierung und mündlichem Vortrag." So lacht das Publikum, wenn sich der Frauenheld Gawan zum Deppen seiner von ihm angebeteten Minnedame macht, die die Lacher auf ihrer Seite hat, bis sie sich wieder in das übliche Rollenschema einfügen muss. Belacht wird auch Parzival, der zu Beginn aufgrund seiner "tumpheit" nicht der höfischen Etikette genügt. Anhand des Lachens beziehungsweise seiner Abwesenheit sind die sozialen Aufstellungen der Figuren abzuschätzen. Wenn der junge Parzival die Welt mit den Ratschlägen seiner Mutter erkundet, Ritterrüstungen bestaunt und den Ritter Artus nicht erkennt, macht er sich lächerlich. Das Lachen wirkt als Katalysator für eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Inhalten der Romanhandlung. Die Autoren der Artusromane führen Neuerungen ein, modifizieren Überkommenes und schaffen einen Diskurs über das Lachen. "Sie erproben eine aus den Texten abstrahierbare Poetik des Lachens gleichsam als Performancekünstler des Mittelalters." In ihr breche sich eine neue Sicht auf das Lachen Bahn, die antike Traditionen wieder aufleben lasse. "Mit dem Artusroman rückt der Anfang der selbstbewussten Nutzung des Lachens in den volkssprachlichen Dichtungen als Element einer vormodernen Poetik in den Blick."


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Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 5/Oktober 2008, Seite 9
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2008