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PROJEKT/193: Bolivien - "Das Leben jenseits von Aids"


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2008

"Das Leben jenseits von Aids"
Bolivien: Kreativ zur Vorbeugung motivieren

Von Peter Strack


"Nimm schon", drängt die junge Eva in verführerische Pose den einen Kopf größeren, dennoch schüchtern wirkenden Adam mit Dreadlocks. Das Stück, für das 15 gut gelaunte Jugendliche an einem Mittwochabend im Theater "Hecho a Mano" in Cochabamba proben, heißt "Das Leben jenseits von Aids". Doch zumindest in dieser Szene geht es nicht um die Verteilung von Kondomen, sondern um den Paradiesapfel, der am biblischen Anfang einer langen Geschichte von Geschlechterbeziehungen und Krankheiten steht. Und die wird hier mit Spaß, Hingabe und viel eingestreuter Sachinformation bis in die Moderne erzählt. In einem Land wie Bolivien ist die Auseinandersetzung mit der Sexualmoral der katholischen Kirche dabei zentral. "Wo seid ihr mit euren Gedanken?", poltert plötzlich der Regisseur, Bernardo Franck los, nachdem die Laienschauspieler beim Einüben des Stücks gerade bei Pest und Kreuzzügen im Mittelalter angekommen sind. "Ihr habt nicht zum Publikum geredet und den Einsatz verpasst. Wenn die Szene in einer halben Stunde nicht steht, sagen wir die Premiere ab", schimpft Franck und lässt die Jugendlichen alleine weiterüben. Die einen vergewissern sich im Text, andere proben Einzelheiten. Mal übernimmt die eine, mal der andere die Initiative. Doch alle haben Stress.


Wer Freude hat, lernt das Leben zu schätzen

"Ich gebe nur Anregungen. Die Jugendlichen entwickeln die Szenen selbst", erklärt Franck das Konzept der "kollektiven Kreation". Franck war als Freiwilliger zum "IDH", dem "Institut für menschliche Entwicklung" gekommen. Das hat sich auf Aids-Vorbeugung und Arbeit mit Selbsthilfegruppen von HIV-Infizierten spezialisiert und arbeitet auch eng mit den Medien, Schulen und Gesundheitseinrichtungen zusammen. Bei einer jährlich vom IDH organisierten Ausstellung mit Filmen, Theater, Spielen und Workshops vor allem für Schülerinnen und Schüler hatte der deutschstämmige Theatermann seine Kreativität unter Beweis gestellt. Aids-Prävention muss Freude machen, sind die Mitarbeiter des IDH überzeugt. Wer Freude hat, lernt das Leben zu schätzen, und ist auch motiviert, sich und andere gegen das HI-Virus zu schützen. Die Erfolge des IDH bei der Eindämmung des HIV und beim Engagement der Freiwilligen sprechen für diese Arbeitsphilosophie.


Tanz, Alkohol, Anonymität - eine riskante Mischung

Und so steht auch der Informatikstudent Gonzalo, der den Adam gespielt hatte, gleich am nächsten Morgen wieder neben Bernardo und 40 weiteren Freiwilligen auf der Hauptstraße der nahegelegenen Stadt Quillacollo. Inmitten von Obst-, Getränke- und Unterwäscheständen, begleitet von Rufen der Eisverkäufer, Trillerpfeifen der Polizei und Mariengesängen warten sie darauf, dass das Gesundheitsministerium Flugblätter und Kondome anliefert. Die sollen sie unter die Zehntausende von Zuschauern des Folkloreumzugs zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria bringen. Bei dieser Großveranstaltung wird ausgiebig getanzt, getrunken und häufig mit Unbekannten weiter gefeiert. Am Ende kann die Infektion mit dem HI-Virus stehen.

Nach drei Stunden sind die Materialien endlich da. Auch ein T-Shirt bekommt jeder. "Das Virus macht keine Unterschiede - Unterhaltung mit Verantwortung" steht auf dem Karnevals-T-Shirt. Es trifft nicht unbedingt Gonzalos Geschmack. "Verteilt ja keine Kondome ohne Information", werden die Freiwilligen ermahnt, als sie alles fertig gepackt haben. "Die meisten Menschen warten, dass andere etwas tun. Aber wer wird etwas tun, wenn nicht wir selbst?", fragt Gonzalo. Und dann steckt er sich ein Kondom in die eigene Hosentasche und stürzt sich mit dem restlichen Material in das Menschengewühl.


terre des hommes fördert das IDH gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in diesem Jahr mit 75.000 Euro.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2008, S. 7
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2009