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LÄNDERBERICHT/073: Lateinamerika - Nach dem Preissturz für Recycling-Ware Suche nach neuen Nischen


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2010

Perspektiven unterm Schirm
Nach dem Preissturz für Recycling-Ware: Suche nach neuen Nischen

Von Peter Strack


Dramatisch gesunken war in der Krise die chinesische Nachfrage nach Recycling-Plastik und damit auch der Weltmarktpreis. So verloren die PET-Flaschensammler im Tukuy Ninchis-Projekt im bolivianischen La Paz ihre Einkommensquelle. Zehn der ehemaligen Straßenkinder fanden eine Arbeit in einer Deckenfabrik, die nun das wenige Plastik aufkauft, das Nachbarn eigenständig zur Schredderanlage bringen. Für die übrigen mussten andere Nischen gefunden werden. Manche wurden zu »Zebras«, die in tierischer Verkleidung an Schulen und belebten Straßenübergängen im Auftrag der Stadtverwaltung Verkehrserziehung leisten. Andere fanden einen Platz in einem vom Projektträger, der Stiftung La Paz, neu eröffneten Kultur- und Restaurantbetrieb, oder bei der Herstellung von Kunsthandwerk für Touristen und wieder andere versuchten die Durststrecke mit einem Schnellkurs für die Arbeit als Kindermädchen zu überbrücken - bislang eine Marktlücke.


Besser vorbereitet: »Barfußärzte« und Gemüseanbau in einem Stadtviertel in Cali

Die Krise hat auch in Kolumbien die Ernährungslage verschärft und zu Einsparungen im Gesundheitswesen geführt. Da ist es gut, dass Bernarda Pabón schon vor Jahren mit den Familien aus den Hüttensiedlungen an den Hängen der Stadt Cali begonnen hat, einen eigenen Basisgesundheitsdienst und eine Kleintier- und Gemüseproduktion aufzubauen. Inzwischen steht sie auch im regen Austausch mit Bauern initiativen vom Land. Denn selbst versorgen können sich die Menschen im Stadtviertel von Cali noch nicht, zumal der Zustrom von Familien anhält, die von ihrem Land vertrieben werden. Aber Bernarda und ihre Mitstreiter waren besser als andere auf die Krise vorbereitet und dadurch besser geschützt. Sie hatten zum Beispiel gelernt, mit Wenigem nahrhafter zu kochen. Und durch gemeinschaftliches Kochen in der Nachbarschaft bekommen auch die Kinder der Ärmsten die Teller gefüllt.


Wirtschaftliche Belebung nicht auf Kosten der Armen

Auch Sozialprogramme für Kinder und Jugendliche in Kolumbien sind von der Krise betroffen, berichtet Reinel García vom Projekt »Creciendo Unidos« für arbeitende und Straßenkinder. Die staatlichen Angebote werden nämlich über eine Pflichtabgabe auf Unternehmensgewinne finanziert und mit sinkenden Gewinnen schrumpften auch die Abgaben. Creciendo Unidos spürt die Folgen in seiner Arbeit, kann in seinen Zentren aber auch nicht all die Kinder aufnehmen, die vom Staat nicht mehr betreut werden. Als die Regierung dann plante, zur wirtschaftlichen Belebung die Unternehmen von dieser Abgabe zu entlasten, protestierten die Beschäftigten der staatlichen Sozialeinrichtungen. Mit Erfolg! So können die Programme, wenn auch in geringerem Umfang, weitergeführt werden.


Nicht bei den falschen sparen: Politische Einmischung in Ilo

Von gut acht Millionen Euro 2009 auf nur noch gut 3,7 Millionen Euro ist der städtische Haushalt in der südperuanischen Hafenstadt Ilo gesunken. Ganz genau lässt sich nicht sagen, wie viel davon auf die krisenbedingt gesunkenen Einnahmen aus den nahen Bergwerken, wie viel auf allgemeine wirtschaftliche Probleme zurückzuführen ist. Klar ist jedoch, dass die Politik der peruanischen Regierung, mit niedrigen Steuern und auf Kosten von Umwelt und bäuerlicher Landwirtschaft Bergbaukonzerne ins Land zu holen, die Menschen von Ilo besonders anfällig für Krisen gemacht hat. Roxana Estrada von der terre des hommes-Partnerorganisation LABOR hat dazu beigetragen, dass nicht vor allem die Ärmsten die Folgen zu tragen haben. Seit einigen Jahren bildet sie Gemeindevertreter, seit jüngerer Zeit auch Kinder und Jugendliche dafür aus, ihre Interessen in der Kommunalpolitik besser zu vertreten. Gemeinsam mit ihnen haben sie nun durchgesetzt, dass im neuen Haushalt Schulgebäuden und Gesundheitsstationen Vorrang gegeben wurde. Andere Bildungsmaßnahmen wären trotzdem dem Rotstift zum Opfer gefallen, bedauert die Aktivistin. Aber damit die bewilligten Gelder nun nicht versanden, habe man sich bereits an die Finanzaufsichtsbehörde gewandt. Mit Erfolg: Der bisherige Bürgermeister wurde wegen Korruption beurlaubt.


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2010, S. 4
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2010