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HINTERGRUND/153: Geschlossene Gesellschaft? - EU diskutiert Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2009

Geschlossene Gesellschaft?
Die EU diskutiert den Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen

Von Andreas Meißner


Jahr für Jahr kommen Tausende Kinder und Jugendliche ohne Begleitung ihrer Eltern nach Europa. Manche fliehen, weil in ihren Herkunftsländern Krieg herrscht. Andere werden von ihren Verwandten geschickt, die hoffen, dass die Kinder hier eine bessere Lebensperspektive finden und zur Ernährung der zurückgebliebenen Familie beitragen können. Wieder andere wurden Opfer sexuellen Missbrauchs und suchen in Europa Schutz vor ihren Peinigern. Insgesamt beantragten 2008 in den europäischen Mitgliedstaaten 13.100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Asyl. Etwas weniger als die Hälfte dieser Kinder wurde auch tatsächlich als schutzbedürftig anerkannt, erhielt eine befristete Aufenthaltserlaubnis und ähnliche Rechte wie einheimische Kinder. Bleiben etwa 7.000 Kinder, die - wenn sie nicht abgeschoben werden können - in sozial und rechtlich äußerst prekären Verhältnissen leben. Rechnet man noch die Kinder hinzu, die kein Asyl, sondern eine Duldung beantragen oder sich illegal in Europa aufhalten, dürfte die Zahl der unbegleiteten Flüchtlingskinder noch um ein Vielfaches höher sein. Diese Minderjährigen haben, wenn überhaupt, nur eingeschränkten Zugang zu Bildungsangeboten und Gesundheitsversorgung, sie werden in Lagern ohne kindgerechte Infrastruktur untergebracht oder in Abschiebehaft genommen. Ihnen allen werden somit in Europa internationale Kinderrechte, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt sind, vorenthalten. Da mit dieser Situation niemand zufrieden ist, soll nun gehandelt werden. Wie allerdings, darüber wird heftig gestritten. Sollen die verstärkte Verankerung von Kinderrechten in der europäischen Asylgesetzgebung und die Verbesserung der Aufnahmebedingungen im Vordergrund stehen? Oder muss mehr für den Grenzschutz und ein möglichst restriktives Asylrecht getan werden, um Flüchtlinge fernzuhalten?

Derzeit läuft eine Debatte um eine "Harmonisierung" des Asylrechts und der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge in Europa. Diese soll im Jahr 2010 in die Verabschiedung neuer Asylrichtlinien münden. Daher steht das Thema "Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" nun ganz oben auf der Agenda. Die EU-Kommission hat in den letzten Monaten Gesetzesvorschläge gemacht, die den Forderungen von Menschenrechtsorganisationen in vielen Punkten sehr nahe kommen. Das konservativ dominierte EU-Parlament und die Innenministerien der Mitgliedsstaaten werden darauf reagieren müssen. Hardliner unterstützen die Linie Silvio Berlusconis, dessen Behörden auch minderjährige Flüchtlinge ohne Prüfung ihres Schutzbegehrens gleich wieder nach Afrika zurückschicken. Doch es mehren sich auch Stimmen, die den Vorschlägen von Organisationen wie terre des hommes folgen, die internationalen Kinderrechte zum Maßstab für den Umgang mit Flüchtlingskindern zu machen. Das Ergebnis ist noch offen.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2009, S. 2
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2009