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HINTERGRUND/127: Lebenselexier Wasser


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2007

Lebenselexier Wasser
Rohstoff zwischen Ware und Kulturgut

Von Peter Strack


Als Sukenti klein war, war der Wald um ihr Dorf Dalu im Norden Sumatras ein Spielplatz ohne Grenzen. Mit Dingen aus der Natur stellte das Mädchen Puppen und Spielzeug her. Die Vielfalt der Früchte auf den Bäumen verwöhnte Sukenti. Doch drei Jahrzehnte später bleiben von dieser Kindheit keine Spuren mehr.


"Der Fluss, in dem inzwischen die Abfälle einer Fabrik landen, ist trüb. Die Bäume sind gefällt", berichtet Aditya Dipta Anindita aus Indonesien. Der Dorfplatz sei zubetoniert. Fußball könnten die Kinder deshalb nur noch auf dem Bildschirm einer Playstation spielen, die sie stundenweise mieten müssten.

Wo die Natur die menschlichen Bedürfnisse nicht befriedigt, kommt der Markt. Mit Hilfe des Geldes, der Medien und der Transportmittel verbindet er die Menschen weltweit, sagt Anindita. In der terre des hommes-Arbeitsgruppe für biologische Vielfalt in Südostasien engagiert er sich für Alternativen zum westlichen Entwicklungsmodell. Denn derzeit leben die, die genug Geld haben, auf Kosten der Mehrheit der armen Bevölkerung und auf Kosten der Natur. Gesucht sind Formen "guten Lebens", die bedrohte Kulturen und Gemeinden schützen, und den Reichtum kultureller und biologischer Vielfalt für künftige Generationen erhalten.

Etwa, indem sie Alternativen zu einem Staudamm-Bau zur Energiegewinnung im Süden Chiles entwickeln, bei dem Wissenschaftler das Verschwinden von 300 Tier- und Pflanzenarten erwarten. Einige davon sind wichtig für die indianische Medizin. Und da der chilenische Staat gleich den ganzen Fluss mit seinen Zuläufen an den spanischen Investor ENDESA verkauft hat, dürfen die Bauern auch nicht mehr das Wasser der Bäche zur Bewässerung ihrer Felder kostenlos nutzen.

Flüsse sind aber nicht nur Wasser- und Nahrungsmittelreservoirs oder Transportwege, sondern auch Wiegen von Kulturen. Um sie herum ranken sich Erinnerung und Mythen. Als vor zehn Jahren kolumbianische Kleinbauern vom unteren Flusslauf des Atrato mit Waffengewalt vertrieben wurden, vermissten die Kinder in den Flüchtlingslagern nicht nur den Fisch beim Essen. Auf den Bildern, die sie malten, war immer wieder der Fluss zu sehen, in dem sie gespielt hatten, und dessen Geist "Moan" ihnen nun so fern war. Heute werden auf dem geraubten Land neben Koka auch Bananen für Del Monte und Ölpalmen für Agrokraftstoffe angebaut. Die Wälder sind weitflächig abgeholzt. Die Pflanzenvielfalt verschwindet, die Böden erodieren. Auch Sukentis Heimat ist von solchen Abholzungen für Ölpalmenplantagen betroffen. "Warum wurden Fabriken in dem Wald gebaut, in dem Sukenti einst gespielt hat? Warum wird der Müll im Fluss abgeladen?", fragt Anindita. "Die Fabriken wurden gebaut und die Flüsse verschmutzt, bevor diese Fragen beantwortet wurden. Manchmal nehmen wir den Wandel um uns herum nicht wahr. Vielleicht weil die Veränderungen so verborgen zu uns kommen, uns lähmen und schleichend verändern." So wie der lange ignorierte Klimawandel. Dabei hat er im Laufe der Jahre Probleme von Trockenheit ebenso verschärft, wie Überschwemmungskatastrophen. So Mitte dieses Jahres in Bihar und anderen nordöstlichen Bundesstaaten Indiens, wo zu den extrem hohen Regenmengen noch ungewöhnlich viel Schmelzwasser der Himalaya-Gletscher hinzukam.

Über Nothilfe hinaus, klärt terre des hommes deshalb auch über menschengemachte Ursachen von Not auf und unterstützt Aktivisten wie Anandita bei Maßnahmen zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Damit Wasser Lebenselixier bleibt.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2007, S. 1
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2007