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FRAGEN/001: Interview mit der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic (frauensolidarität)


TERRE DES FEMMES in der frauensolidarität - Nr. 113, 3/10

Auf dem Weg
Interview mit Jasmila Zbanic

Von Irene Jung


Die bosnische Regisseurin Jasmila Zbanic (Esmas Geheimnis, 2007) zeigte auf der Berlinale 2010 den Film "Na Putu" (On the Path). Er handelt von Luna, einer modernen jungen Frau im heutigen Sarajevo, deren arbeitslos gewordener Mann sich der fundamentalistischen islamischen Gruppierung der Wahabiten zuwendet. Dies setzt ihre Beziehung unter enormen Stress und stellt Luna vor einschneidende Entscheidungen, darunter auch, ob sie tatsächlich Mutter werden will. "Na Putu" wird bei FrauenWelten 2010 im November in Tübingen zu sehen sein. Filmfestleiterin Irene Jung sprach mit Jasmila Zbanic in Berlin.


IRENE JUNG: Jasmila, Ihr letzter Film "Grbaviza" war für uns ein ganz besonderes Erlebnis, da Luna Mijovic die Situation der Kinder vergewaltigter Mütter in Bosnien uns beim Festival FrauenWelten so eindrücklich nahe bringen konnte. Bevor wir über Ihren neuesten Film "Na Putu" sprechen, möchte ich noch die Situation dieser Mütter und Kinder heute ansprechen. Sie haben ja mit Ihrem Film und der Kampagne danach einen entscheidenden Anteil daran gehabt, dass sich deren Situation in Bosnien zum Besseren wenden konnte. Wie geht es ihnen heute?

JASMILA ZBANIC: Wir konnten tatsächlich das Gesetz durchbringen, nach dem diese vergewaltigten Frauen und Mütter als zivile Kriegsopfer anerkannt wurden, und so erhielten sie dann eine kleine Rente vom Staat. Das war äußerst wichtig für die Frauen, auch aus Gründen der psychischen Gesundheit: Sie erlangten ihre Würde zurück. Und das gab ihnen auch die Kraft, viele eigene Projekte voranzutreiben. Ich bin immer noch in Verbindung mit einigen dieser Frauen, wenn ich meine Film-Recherchen durchführe. Dabei musste ich jedoch auch erkennen, dass eine wirkliche Gesundung für sie sehr, sehr schwierig ist, fast unmöglich.

IRENE JUNG: Wie sieht es inzwischen mit der politischen Teilhabe der Frauen in Bosnien aus, mit ihrem politischen Kampf für Menschenrechte von Frauen?

JASMILA ZBANIC: Ich meine, Frauen sind auf der politischen Bühne im Vormarsch, sie sind sichtbarer geworden, eloquenter und auch lauter, meiner Meinung jedoch noch nicht genug. Und dann besteht auch das Problem, dass Frauen, wenn sie in die Politik gehen, sich oft verhalten wie die Männer.

IRENE JUNG: Wie sehen Sie denn die aktuelle Situation am Internationalen Gerichtshof für Ex-Jugoslawien in Den Haag, wo gerade der Prozess gegen den als Kriegsverbrecher angeklagten Serben Karadzic wieder in eine aktive Phase getreten ist?

JASMILA ZBANIC: Für mich laufen diese Prozesse zu langsam ab, und Mladic ist immer noch nicht gefasst. Die EU schützt ihn de facto dadurch, dass sie ihn nicht fasst und verhaftet. Der Prozess gegen Karadzic verläuft viel zu langsam, und ich habe Sorge, dass es in seinem Fall wie bei Milosevic läuft, da wurde der Prozess so lange verzögert, bis er nicht mehr möglich war.

IRENE JUNG: In Ihrem neuen Film "Na Putu" - "On the Path" sprechen Sie den religiösen Fundamentalismus an, der die Frauen in Rollen der Unterwerfung zurückwirft. Ist dieser Prozess, den Sie "Repatriarchalisierung" genannt haben, auch allgemein in der bosnischen Gesellschaft zu spüren, nicht nur in den kleinen Segmenten von extremistischen Gruppen wie den Wahabi? Gibt es auch andere fundamentalistische religiöse Gruppen, die auf dem Vormarsch sind?

JASMILA ZBANIC: In der Tat haben sich viele Leute nach den Konflikten, die wir durchgemacht haben, verschiedenen Religionen zugewandt, sowohl islamischen als auch christlichen, darunter auch evangelikalen. Jedoch denke ich nicht, dass diese Art von Patriarchat tatsächlich wiederkommen kann. Die Frauen haben mehr Selbstbewusstsein, sie arbeiten. Aber eine Gefahr zeichnet sich ab: die Armut. Sie bewirkt, dass die Frauen weniger studieren, besonders auf dem Land.

Die Wahabis sind eine kleine Gruppe in unserem Land, sie haben keine Macht und sie wachsen auch nicht sehr. Aber ich finde es doch enorm aufschlussreich, eine Sekte darzustellen, so wie jegliche religiöse fundamentalistische Gruppierung.

IRENE JUNG: Wie sind Sie zu dieser Geschichte gekommen?

JASMILA ZBANIC: Mein Land befindet sich in einer Übergangssituation - die Individuen verändern sich, die Gesellschaft verändert sich, die Frauen ebenfalls, und es ist bei uns ein Thema, ob Frauen sich für oder gegen Mutterschaft entscheiden. Auch gibt es eine Bewegung hin zu Religionen, mehr und mehr Leute werden religiös.

Jedoch war der Moment des Anstoßes für diesen Film, dass ich bei Freunden zu Gast war, und da war ein Mann, der mir zur Begrüßung nicht die Hand geben wollte. Er sagte, er gäbe keiner Frau die Hand. Das machte mich wütend. Und so wollte ich herausfinden, warum dieser Mann das nicht wollte, und auch, warum ich selbst so wütend darauf reagierte. So begann ich, diese Gruppe zu erforschen, die Wahabiten.

Ich war dann doch erstaunt herauszufinden, dass die meisten von ihnen ehemalige Punks waren, einige ehemalige Drogenabhängige, aber auch viele normale Jugendliche aus ex-kommunistischen Familien. Die meisten hatten sehr unterschiedliche Motive, warum sie sich dem Wahabismus zugewandt hatten: eine Suche nach Sinn und Sicherheit in einer Welt, die am Zerfallen ist, das Bedürfnis, akzeptiert zu werden, eine Suche nach Identität, nach "Beruhigungsmitteln", nach einer Alternative ...

Für Luna stellt sich nun in dieser Geschichte die Frage, sich zwischen den alltäglichen und den orthodoxen Muslimen zu entscheiden. Luna ist eine westlich eingestellte junge Frau, und sie muss sich auch fragen, ob sie für die ersehnte Mutterschaft nicht einen zu hohen Preis bezahlt. Sie möchte leidenschaftlich gerne Mutter werden, aber sie fragt sich, zu welchem Preis. Das ist dann eine Entscheidung, die sie ganz alleine fällen muss.

Jedoch ist es eher zufällig, dass ich den Islam als Religion darstelle, einfach deshalb, weil ich mich damit am meisten auskenne. Allgemein wird gesagt, dass die westliche Zivilisation nicht nur immer religiöser wird, sondern auch immer puritanischer und rechtslastiger. Ich habe das auch so beobachtet: Immer mehr Leute meines Alters oder Jüngere sehen ihr Wohl in einer Religion. Ich wollte jedoch keinen Film über Religionen machen, sondern darüber, wie diese religiöse Verwandlung von Amer seine Beziehung zu Luna beeinträchtigt. "Na Putu" hätte also ebenso ein Film über ein Paar sein können, bei dem ein Partner orthodoxer Jude wird, fundamentalistischer Christ oder sogar ein Hare Krishna.

IRENE JUNG: Wie haben Sie denn diese sicher schwierigen Recherchen angestellt und wie haben Sie die SchauspielerInnen auf ihre Rollen vorbereitet?

JASMILA ZBANIC: Zuerst musste ich meine Angst überwinden, die in mir durch die Bilder in den Medien entstanden war. Ich musste lange daran arbeiten, mich ihnen zu öffnen.

So sprach ich mit vielen Leuten, die "Wahabiten" geworden waren, mit ihren Lebensgefährtinnen, mit Anthropologen und Theologen, erforschte, wie sie fühlten und wie sie dachten. Die SchauspielerInnen Mirjana Karanovic, Jasna Zálica und Luna Mijovic haben viele verschleierte Frauen kennen gelernt, begleiteten sie in die Moscheen, und diese Frauen öffneten sich und sprachen offen mit ihnen. Einige von ihnen spielen sogar im Film als Statistinnen mit. Auch das gesamte restliche Team tat dasselbe: Sie holten den Rat der Wahabiten ein für die richtigen Kleider und Schleier. Die Maskenbildner fertigten die Bärte nach ihren Vorgaben und das Wahabiten-Camp wurde mit ihrer Hilfe originalgetreu nachgebaut, wobei sich ironischerweise herausstellte, dass die Originalzelte Zelte der US-Armee waren ...

Ich erkannte im Prozess der Vorbereitung auf den Film, dass ich mein Leben völlig anders lebe als sie, dass mich das jedoch nicht daran hindern muss, sie als menschliche Individuen zu begreifen und nicht als eine kriminelle Gruppe. Natürlich handelt der Film auch von Selbstsuche und Selbstverwirklichung - in diesem Falle versuche ich sowohl die Zeit, in der ich lebe, zu verstehen, als auch Fragen zu stellen nach meiner eigenen Identität und woran ich glaube. Insgesamt wollte ich eher Fragen aufwerfen als Antworten finden, auch die Frage: Wann verlieren wir uns, wenn wir unseren Weg suchen, deshalb der Titel "On the Path - auf dem Weg".


Zur Autorin:

Irene Jung ist Organisatorin des TERRE DES FEMMES-Filmfests FrauenWelten, das 2010 zum 10. Mal in Tübingen stattfinden wird. Sie lebt in Tübingen


TERRE DES FEMMES
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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 113, 3/2010, S. 22-23
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2010