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FLUCHT/044: Getretene Würde - zum Beispiel (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Pressemitteilung vom 28. April 2013

Abgeschobener Flüchtling aus Niedersachsen seit vier Wochen in Sakristei in Venedig

Evangelische Gemeinde sorgt sich um den Musiker Arnoud Touvoli



Venedig, einst als Flüchtlingsstadt auf schwer zugänglichen Inseln gegründet, hat keinen Platz für einen politischen Flüchtling. Arnoud Touvoli, 25jähriger Musiker von der Elfenbeinbeinküste und in seinem Heimatland bedroht, ist vor vier Wochen aus Niedersachsen abgeschoben worden und seitdem obdachlos in der Lagunenstadt. Besonders tragisch: Der Ivorer war mit seiner Trommelgruppe Trokiwa für den niedersächsischen Integrationspreis "Zuflucht Niedersachsen" vorgeschlagen und hatte eine Einladung zur Preisverleihung am 23. Juni nach Hannover.

Kurz nach der nächtlichen Abschiebung am 31. April erreichte die evangelische Kirchengemeinde Venedig eine Bitte um Hilfe vom Walsroder Pastor Hans Gerd Paulus. Er und seine Frau waren für Arnould Touvoli, der seit vielen Jahren Waise ist, wie Eltern. Zunächst nahm der ehemalige Hannoveraner Pastor Bernd Prigge den Musiker in seiner Wohnung auf, dann zog er in die Sakristei. Seitdem bemüht sich die nur 100 Mitglieder zählende Gemeinde täglich um eine andere Lösung. Doch sowohl in Venedig als auch in der Provinz Padua gibt es keine Aussichten auf einen Platz im Flüchtlingsheim. Die Unterkünfte sind restlos überfüllt und die Schaffung weiterer Unterbringungen hat angesichts der Krise in Italien keine Priorität. Pastor Prigge kritisiert "Laut Gesetzeslage dürfen Flüchtlinge nur in Länder abgeschoben werden, in den die systemischen Voraussetzungen für die Versorgung und für ein faires Asylverfahren gegeben ist. Zwar ist Italien nach dem Dublin III-Abkommen auch für Arnoud zuständig, weil er über Rom europäischen Boden betreten hat, doch Italien hat keine ausreichende Struktur zur Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden, wie es Bedingung zur Abschiebung ist. Das mussten wir nun selbst erfahren." Die Lage in Italien sei sehr ernst und die wirtschaftliche Lage triebe viele, selbst junge Menschen, in den Selbstmord. Davon berichten die Zeitungen täglich. So haben Flüchtlinge zurzeit keine Lobby, im Gegenteil. Italien, das selbst stets nur Auswanderungsland war, erlebe eine Einwanderungswelle und kann damit nur schwerlich umgehen. Selbst in Venedig, täglich von 60.000 Touristen aufgesucht, ist es befremdlich, wenn sich ein Afrikaner an der Kirchentür zu schaffen macht, um in die Sakristei zu kommen. Prompt wurde er von Polizisten mitgenommen...

Im gestrigen Gottesdienst besuchte die Pfarrfrau Eva Paulus die Gemeinde und bedankte sich für ihr Engagement und unterstrich, dass Arnoud Touvoli nicht nur Flüchtling sei, sondern ein begabter Musiker mit einer vielversprechenden Zukunft, wenn man ihn denn ließe. Sie zeigte sich enttäuscht von der niedersächsischen Kampagne "Zuflucht Niedersachsen" unter der Schirmherrschaft von Doris Schröder-Köpf, die nicht das praktiziert, was sie vorgibt.

Derweil wird die Lage für den 25jährigen Ivorer immer ernster. Er ist nur mit einem kleinen Rucksack ohne genügend Kleidung angekommen. Die Unterbringung in der Sakristei ist nur ein Provisorium. Doch anderweitige Übernachtungen sind nur schwerlich möglich: Ohne Pass bekommt er kein Zimmer, doch auch ohne Bleibe keine Aufenthaltsgenehmigung.

Die kleine evangelische Gemeinde in Venedig sorgt sich um ihren Gast in der Sakristei. Sie weiß auch selbst um ihre Wurzeln: Sie wird vor allen Dingen getragen von Mitgliedern, die selbst einst nach Italien immigrierten.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 28. April 2014
Flüchtlingsrat Niedersachsen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2014