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FLUCHT/018: Wiener Asyl - Begegnung der dritten Art (SB)


Flüchtlingsproteste in Wien - 11. Februar 2013

Rechte Provokation fehlgeschlagen


Einige Polizisten stehen an der Kirchentür, im Vordergrund Medienvertreter - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Sonntag, 10. Februar 2013 - Polizisten und Medienvertreter am Eingang der Wiener Votivkirche
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Schon seit Wochen wird am rechten Rand des Parteienspektrums Österreichs, aber auch in der sogenannten politischen Mitte - mal offen, mal eher verhalten - gegen die in der Wiener Votivkirche gegen das Asylsystem des Landes protestierenden Flüchtlinge polemisiert und agitiert. Die "Freiheitlichen" fordern Schubhaft und Abschiebung, sie wollen die Asylsuchenden außer Landes geschafft sehen und bedienen nach Kräften fremdenfeindliche Ressentiments durch Unterstellungen, Bezichtigungen und Beschimpfungen, die dem Klischee "Stammtischparolen" sehr wohl gerecht zu werden imstande sind. Am gestrigen Sonntag nun nahm die rechte Hetze gegen Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind und sich nichts anderes wünschen, als in Österreich leben und arbeiten zu können wie alle anderen auch, konkrete Formen an in Gestalt von neun jungen Männern, von denen vermutet wird, daß sie einer rechtsradikalen Organisation angehören.

Die Gruppe drang während der Sonntagsmesse in die Votivkirche, in der sich seit Dezember zwischen 40 und 50 protestierende Geflohene aufhalten, von denen viele in einem Hungerstreik stehen, ein und tat kund, die Kirche erst wieder verlassen zu wollen, wenn auch die Flüchtlinge draußen wären. Nach Angaben des Flüchtlingsprotestblogs refugeecampvienna.noblogs.org hätten die Rechten zunächst versucht, mit Stammtischparolen "die prekäre Situation der Flüchtlinge in Österreich absichtlich falsch darzustellen". [1] Nach Darstellung des "Freiheitlichen Parlamentsclubs" der früheren Haider-Partei FPÖ habe es sich bei dieser Aktion in der Votivkirche um eine "Gegenbesetzung" gehandelt bzw. eine "Besetzung der Besetzung", von der sich der Bundesobmann des "Rings Freiheitlicher Studenten" (RFS), Alexander Schierhuber, "schockiert" gezeigt habe, weil die neun "identitären Aktivisten", so seine Bezeichnung der Rechten, wegen der Gewaltbereitschaft "Linksextremer" von einer Sondereinheit der Polizei, der "Wiener Einsatz Gruppe Alarm" (WEGA), aus der Kirche herauseskortiert werden mußten. [2]

Rund hundert Menschen haben sich auf dem Vorplatz der Votivkirche versammelt - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Rund einhundert Unterstützerinnen und Unterstützer versammeln sich auf dem Kirchenvorplatz
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Doch was geschah tatsächlich in und vor der Kirche, nachdem die neun jungen Männer eingedrungen waren? Ist es, wie zu befürchten stand, zu einer Eskalation zwischen den beiden sich dort aufhaltenden und in ihren Auffassungen und Absichten so konträren Gruppen gekommen? Nach allem, was bislang in Erfahrung zu bringen ist, konnte eine Zuspitzung der mit Sicherheit angespannten Situation verhindert werden. Bislang hat niemand davon berichtet, daß es innerhalb der Kirche zwischen den antagonistischen Gruppen zu massiven Pöbeleien oder gar Handgreiflichkeiten gekommen wäre. Möglicherweise ist der tatsächliche Verlauf auch von dem abgewichen, was die Angehörigen der rechten Gruppe sich ursprünglich vorgestellt haben mögen. Alexander Pollak, Sprecher der Flüchtlingshilfsorganisation "SOS Mitmensch", beschrieb die Situation folgendermaßen:

Zu Beginn ihrer Anti-Flüchtlings-Aktion hatten die rechten Provokateure noch vollmundig angekündigt, so lange in der Votivkirche bleiben zu wollen, bis auch die Flüchtlinge wieder verschwunden sind. Doch ausgehalten haben es die jungen Männer in der kalten und dunklen Kirche nur wenige Stunden. Spätestens jetzt muss allen klar sein, wie dramatisch die Situation für die Flüchtlinge sein muss, dass sie es schon bald 2 Monate in der Kirche aushalten. [3]

Möglicherweise hat die Kälte, aber auch die irgendwie doch beeindruckende Atmosphäre innerhalb des großen Kirchenschiffs dazu geführt, daß die Wut der rechten Heißsporne sich schneller abkühlte, als ihnen lieb sein konnte. Gegen 14.45 Uhr wurde auf einem weiteren Unterstützer-Blog (no-racism.net) vermeldet, daß sich die neun Männer ihr Schlafsacklager rechts neben den Flüchtlingen eingerichtet hätten. Nach Einschätzung von no-racism.net hätten die "Identitären" genau gewußt, was sie aus rechtlichen Gründen tun dürfen und was nicht. Angemerkt wurde allerdings auch, daß seitens der Caritas und den Securities, die ansonsten die offenbar nur auf die Unterstützerinnen und Unterstützer gemünzte "Nur-fünf-Besucher-auf-einmal"-Regelung durchsetzen, keinerlei Anstalten unternommen wurden, um diese neun Besucher - oder auch nur einige von ihnen - aus der Kirche zu verweisen.

Aufschlußreich sind allerdings auch die Reaktionen der hungerstreikenden Flüchtlinge, die Grund und Anlaß genug gehabt hätten, sich in dieser Situation bedroht zu fühlen. Sie gingen offensiv-freundlich mit den unangekündigten Besuchern um, hießen sie willkommen und boten ihnen heißen Tee und Decken an. Die Gruppe sei ein wenig schüchtern, "aber wir versuchen, mit ihnen in Kontakt zu kommen", sollte einer der Flüchtlinge später erklären. Und: In der Kirche zu frieren sei ein "starkes Zeichen der Solidarität". Den Protestierenden sei selbstverständlich klar gewesen, daß die Neuankömmlinge ihnen keineswegs wohlgesonnen sind, doch sie stellten klar, daß sie ihr Bestes tun wollten, um Österreichern zu helfen. Dies gelte auch dann, wenn sie ihnen gegenüber rassistisch eingestellt seien. [1] Offenbar ist diese Haltung nicht ohne Wirkung geblieben.

Auf dem Blog no-racism.net war in dieser ungewissen Situation dazu aufgerufen worden, zur Kirche zu kommen, um die Flüchtlinge zu unterstützen, Kameras mitzubringen und die Presse zu informieren. Gegen 15.00 Uhr, als die ersten Unterstützerinnen und Unterstützer bereits vor der Kirche eingetroffen waren, wurde ausdrücklich davor gewarnt, sich in irgendeiner Weise provozieren zu lassen. Befürchtet wurde, daß die Rechtsradikalen mit ihrer Aktion einen Polizeieinsatz provozieren wollten, durch den dann auch die Flüchtlinge aus der Kirche geräumt werden würden: "Deshalb: höchste Vorsicht und dieser Provokation auf keinen Fall nachgeben. Jede Eskalation kann für die Refugees fatal sein!" [4] Gegen 15.40 Uhr wurde auf diesem Blog vermeldet, die Situation vor Ort sei befriedet, die Caritas (die die Flüchtlinge seit Beginn der Proteste in der Kirche betreut) stünde mit der Polizei im Kontakt, würde diese allerdings nur "im Falle von Gewaltausübung" rufen. Gegen 16.50 Uhr verließen dann, wie desweiteren auf dem spontan eingerichteten Ticker vermeldet wurde, die ersten drei Angehörigen der rechten Gruppe die Kirche. [4]

Drei Polizeibeamte gehen zu ihrem Transportfahrzeug - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Polizeieinsatz am Wiener Votivpark beendet, die Einsatzkräfte rücken ab
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Wenig später war der ganze Spuk, wenn es denn überhaupt einer war, endgültig vorbei. Gegen 17.20 Uhr wurden die Rechten unter Polizeischutz, wie es hieß, aus der Kirche herauseskortiert. Zurück blieben die schon seit so vielen Wochen in der Kirche bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ausharrenden Geflohenen, die ungeachtet aller Widrigkeiten ihren Protest auch nach diesem Vorfall fortsetzen. Wie "SOS Mitmensch" anläßlich der Ereignisse berichtete, wachse die Verzweiflung der Flüchtlinge immer weiter an. Ihrer Presseaussendung ist auch zu entnehmen, wie sehr die Annahmen der Rechten an der tatsächlichen Situation der vermeintlich so verhaßten "Fremden" doch vorbeigegangen sein könnten. Der jüngste Flüchtling in der Wiener Votivkirche, so berichtete die Hilfsorganisation, sei gerade erst 18 Jahre alt. Von ihm hieß es:

Wie die anderen Flüchtlinge auch, blickt er auf eine dramatische Lebensgeschichte und eine tausende Kilometer lange Flucht zurück. Während die rechten Provokateure die Flüchtlinge als "Islamisten" bezeichnen, ist er vor dem fundamentalistischen Terror der Taliban geflohen. Er hat alles auf eine Karte gesetzt, um in Europa ein normales Leben in Frieden und Sicherheit führen zu können. Und nun steht er vor dem Abgrund einer Politik, die sich auf die Abwehr von Menschen spezialisiert hat. [3]
Menschenansammlung, darunter auch Medienvertreter und ein paar Polizisten - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Öffentliche Diskussionen um einen Provokationsversuch gegen protestierende Flüchtlinge
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Im Anschluß an die recht spektakulären gestrigen Ereignisse haben die Flüchtlinge in einer gegen 18.00 Uhr veröffentlichten Erklärung ihren Standpunkt noch einmal deutlich gemacht. Sie wären demokratisch gesonnene Menschen, weshalb sie ihre Gäste willkommen geheißen, ihnen Tee und Kaffee, warme Kleidung und Decken angeboten hätten. Sie hätten ihnen klarmachen wollen, weshalb sie nach Österreich gekommen sind und welche Probleme sie in ihren Ländern hätten. Mit den Worten "wir sind alle menschliche Wesen", machten die Flüchtlinge nicht nur ihre Position deutlich, sondern auch nachvollziehbar, warum sie in den unangekündigten Besuchern dieses denkwürdigen Sonntags nicht ihre Feinde sehen. Den "refugees", wie die zumeist auf englisch kommunizierenden Geflohenen vielfach genannt werden, ist es ganz offensichtlich gelungen, sich nicht provozieren zu lassen und den gesellschaftlichen Kräften, die womöglich an einem solchen Vorwand interessiert sind, weil sie mit repressiven Maßnahmen gegen die Flüchtlinge vorgehen wollen, diese Angriffsfläche nicht zu bieten.

Ihnen rein taktische Beweggründe für ihr besonnenes Verhalten zu unterstellen, könnte sich allerdings als Projektion eigener Annahmen herausstellen, und so liegt die Vermutung nicht allzu ferne, daß die Verantwortlichen in Wien dieses Problem gern bald aus der Welt geschafft sähen, weil ihnen nichts unangenehmer ist als eine Haltung von Menschen, die selbst unter widrigsten Umständen nicht bereit sind, sich gegeneinander aufbringen und ausspielen zu lassen. Die neun augenscheinlich dem rechten Lager zuzuordnenden Österreicher, die an diesem Tag - mit welchen Absichten auch immer - in die Kirche gekommen waren, könnten, so darf spekuliert werden, ins Nachdenken darüber gekommen sein, ob denn wohl tatsächlich eine Handvoll Menschen, die "nicht von hier sind", die von ihnen beklagte Misere ihrer verarmten Landsleute monokausal verursacht haben.

Rund 20 Flüchtlinge im Vordergrund, hinter ihnen ist das Kirchenschiff zu sehen - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Nach überstandenem Schrecken - Gruppenbild der Geflohenen in der Votivkirche
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir


Fußnoten:

[1] http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/02/10/votivkirche-aktuell-gefluchtete-gehen-nicht-auf-rassistische-provokation-ein/

[2] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130210_OTS0048/identitaere-aktivisten-mussten-von-polizei-spezialeinheit-aus-votivkirche-eskortiert-werden

[3] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130211_OTS0026/sos-mitmensch-provokateure-zeigen-unfreiwillig-dramatik-der-situation-in-votivkirche-auf

[4] http://no-racism.net/article/4397/

11. Februar 2013