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FLUCHT/009: Wiener Asyl - Ratschläge (SB)


Wohlmeinende Ratschläge gegen die Fortsetzung des Hungerstreiks

Jean Ziegler, Globalisierungskritiker und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter, zu Besuch in der Votivkirche


Jean Ziegler in der Votivkirche, umringt von strahlenden Flüchtlingen - Foto: © by Daniel Weber

Endlich ein Besucher, der ihnen Verständnis entgegenbringt - Jean Ziegler bei den Protestierenden der Wiener Votivkirche
Foto: © by Daniel Weber

Nachdem es in Öffentlichkeit und Medien um die Aktionen geflohener und um ein menschenwürdiges Leben aller Flüchtlinge in Österreich kämpfender Menschen in der Wiener Votivkirche recht still geworden war, brachte der Besuch des international renommierten Globalisierungskritikers und ehemaligen Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, des 78jährigen Schweizer Soziologen Jean Ziegler, in der Wiener Votivkirche diese Proteste am Sonntag augenblicklich in die Schlagzeilen zurück. Ziegler äußerte sich bei seinem einstündigen Aufenthalt laut und deutlich und bekundete seine Sympathie und Solidarisierung mit den protestierenden Menschen.

Wie Klaus Schwertner, Sprecher der Caritas Wien, anschließend berichtete, habe Ziegler während seines Besuchs die Artikel 13 und 14 der UN-Menschenrechtscharta verlesen, denen zufolge jeder Mensch das Recht habe, sein Land zu verlassen und "in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen" [1]. Auch habe Ziegler sich "begeistert" gezeigt über die Solidarität der Zivilgesellschaft mit den Asylbewerbern, die seit dem 18. Dezember in der Kirche campieren.

Daß die gesellschaftlichen Kräfte Österreichs, auch wenn es eine breite, von der katholischen Kirche, kirchlichen Hilfsorganisationen wie der Caritas und den Johannitern bis hin zu nichtkirchlichen Gruppen und Organisationen reichende, wenn auch in sich höchst inhomogene Unterstützungsbewegung gibt, alles andere als geschlossen solidarisch gegenüber den Flüchtlingen und ihrem Protest positioniert sind, hätte den Enthusiasmus Zieglers ein wenig ernüchtern können, zumal das grundlegende Problem und Anliegen, nämlich eine fundamentale Verbesserung des Asylwesens Österreichs zu erreichen, noch völlig ungelöst ist. Ziegler ergriff für die Protestierenden Partei und bescheinigte ihnen, mit ihren Forderungen im Recht zu sein [2]:

Jetzt sagen viele europäische Regierungen: "Aber das sind weder politisch noch rassistisch noch religiös verfolgte Menschen, die kommen ja nur aus wirtschaftlichen Gründen." Aber da hat der Haager UN-Gerichtshof eine Jurisprudenz entwickelt, das ist absolut klar: Wenn menschenwürdiges Leben nicht mehr möglich ist, sind die Asylgründe gegeben.

Ziegler soll den rund 40 Menschen, die sich in der Votivkirche noch immer im Hungerstreik befinden, um diesen Forderungen öffentliches Gehör und politischen Nachdruck zu verschaffen, Schwertner zufolge allerdings auch geraten haben, ihre Gesundheit nicht zu gefährden, damit sie weiterhin für ihre Anliegen eintreten könnten. Auch habe er erklärt, daß Veränderungen im Asylwesen nur durch "zivilgesellschaftliches Engagement und öffentlichen Druck" erwirkt werden könnten [1]. Mit dieser freundlich formulierten Aufforderung, den Hungerstreik abzubrechen, weiß Ziegler sich sicherlich einig mit der Caritas, die in Zusammenarbeit mit den Johannitern die Betreuung der Hungerstreikenden übernommen hat.

Am vergangenen Freitag hieß es in einer Mitteilung der Caritas, daß der Gesundheitszustand der rund 40 Asylbewerber, die sich seit fast einem Monat in der Kirche aufhalten, trotz des anhaltenden Hungerstreiks "stabil" sei [4]. "Wir würden uns wünschen, dass der Hungerstreik so schnell wie möglich beendet wird, sind aber gleichzeitig froh, dass jetzt alle - laut Auskunft der Ärzte - ausreichend trinken", hieß es desweiteren bei der katholischen Hilfsorganisation [4]. Jean Ziegler hat unterdessen bei seinem Besuch am Sonntag angekündigt, Antonio Guterres, den Leiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats, über seinen Besuch und die Forderungen der Flüchtlinge nach einem Bleiberecht und einem Recht auf legale Arbeit zu informieren [1].

So wünschenswert eine Beendigung des Hungerstreiks unter allen Umständen wäre, um weitere Gefährdungen und Schädigungen von Gesundheit und Leben der Betroffenen zu verhindern, steht doch zu bedenken, daß es das zivilgesellschaftliche Engagement in Sachen Flüchtlingspolitik in Österreich schon lange vor dem Hungerstreik und dem Aufenthalt der Protestierenden vor und in der Wiener Kirche gegeben hat, ohne daß auch nur im entferntesten so etwas wie "öffentlicher Druck" entstanden wäre. Haben nicht gerade Erfahrungen wie diese die Hungerstreikenden dazu veranlaßt, zu diesem, aus ihrer Sicht letzten Mittel zu greifen?


Weitere Informationen siehe in der Wiener Tagespresse und bei http://refugeecampvienna.noblogs.org/


Fußnoten:
[1] Jean Ziegler besuchte Asylwerber in Votivkirche. ORF, 14.01.2013
http://wien.orf.at/news/stories/2566982/

[2] Video: Jean Ziegler besucht Flüchtlinge in der Votivkirche. Refugee Protest Vienna Web, 14.01.2013
http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/01/14/jean-ziegler-bei-den-fluchtlingen-in-der-votivkirche-wien/

[3] Asyl: Weiter Hungerstreik in Votivkirche. ORF, 11.01.2013 http://wien.orf.at/news/stories/2566668/

14. Januar 2013