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INTERVIEW/195: Kreuzfahrtschiffe - und wer denkt an die anderen ...    Amelie im Gespräch (SB)



Zu Pfingsten kam es in Kiel zu einer spektakulären Protestaktion gegen die Kreuzfahrtindustrie. Die "Zuiderdam" wurde fast sechs Stunden am Auslaufen gehindert, was der Diskussion um die klimaschädlichen Auswirkungen dieses boomenden Zweiges der internationalen Tourismusindustrie nicht nur in der von vielen Kreuzfahrtschiffen frequentierten Stadt an der Ostsee weiteren Auftrieb gab. Am Rande einer Lesung, bei der der Kölner Journalist Wolfgang Meyer-Hentrich seine kritische, unter dem Titel "Wahnsinn Kreuzfahrt" veröffentlichte Abrechnung mit der Branche präsentierte [1], beantwortete die Aktivistin Amelie dem Schattenblick aus ihrer Sicht einige Fragen zur klimapolitischen Ausrichtung der Gruppe, in der sie organisiert ist.

Schattenblick (SB): Amelie, wie seid ihr auf den interessanten Namen TKKG - TurboKlimaKampfGruppe gekommen?

Amelie: Dabei handelt es sich eher um einen Witz, weil das Wortspiel an sich ja schon bekannt ist. Im Prinzip hat der Name keine tiefergehende Bedeutung. Die Kinderserie TKKG ist ja auch nicht in allen Punkten unbedingt positiv. Gerade was Sexismus und Rassismus angeht, gibt es viel Kritik, von daher würden wir uns auch von dieser Kinderserie distanzieren.

SB: Auf eurer Webseite sieht man Leute, die sich bei Anti-Kohle-Aktionen engagieren. Ist das für euch ein Schwerpunkt?

Amelie: Auf jeden Fall, der Schwerpunkt liegt ganz klar auf der Thematik Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit. Es sind ja ganz verschiedene Aspekte, sei es die Kohle, auch Steinkohle zum Beispiel, selbst wenn diese in Deutschland nicht mehr produziert wird, sowie Kreuzfahrtschiffe, Liquid Natural Gas (LNG), also ganz unterschiedliche Aktionsfelder.

SB: Habt ihr eine explizite Position zum Thema Klimagerechtigkeit im Sinne der Nord-Süd-Problematik?

Amelie: Auf jeden Fall muß man das global betrachten. Es ist ja Fakt, daß Länder des globalen Nordens viel mehr Ressourcen verbrauchen, die vor allem für den Klimawandel verantwortlich sind, gerade was das Konsumverhalten angeht, wie beispielsweise die USA, China und Deutschland. Die Folgen des Klimawandels werden hauptsächlich von denen getragen, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben und auch nicht Hauptverursacher sind, Indonesien beispielsweise oder Bangladesh, das durch den Meeresspiegelanstieg akut bedroht ist. Wesentlich reichere Länder wie Deutschland haben umfassendere Möglichkeiten, gegen die Folgen des Klimawandels anzugehen. Ganz klar, Klimagerechtigkeit hat viel mit sozialen Fragen zu tun. Wir wollen ein globales Verständnis für diese Probleme wecken, um nicht nur auf unser eigenes Land zu gucken, sondern auf die weit entfernt lebenden Menschen, die unmittelbar betroffen sind.

SB: Habt ihr eine Position zu der momentanen Debatte um die Bepreisung von CO2, also die Dekarbonisierung über den Markt und die damit einhergehende Beibehaltung des kapitalistischen Verwertungsprinzipes?

Amelie: Es gibt keinen Gruppenkonsens, gerade was politische Initiativen angeht. Von daher findet das eher in Form von Einzelmeinungen statt. Natürlich kann das kapitalistische System, das auf Wachstum beruht und auf einer Effizienz, die sich am Profit bemißt, jedenfalls in der heutigen Form nicht zusammen mit Nachhaltigkeit funktionieren. Für mich persönlich ist Nachhaltigkeit nicht mit einem kapitalistischen System vereinbar. Wenn wir in Deutschland darauf schauen, was konkret anwendbar ist, finde ich Schritte wie beispielsweise die Besteuerung bestimmter Dinge oder eine CO2-Steuer, die deutlich höher angesetzt werden sollte als die 20 Euro, die jetzt im Gespräch sind, schon sinnvoll und einen Schritt in die richtige Richtung. Dabei geht es auch darum zu versuchen, das sozialverträglich zu gestalten.

SB: Hat die Blockade des Kreuzfahrtschiffes am 9. Juni hier in Kiel für die AktivistInnen strafrechtliche Folgen oder drohen Gerichtsverfahren?

Amelie: Viele der AktivistInnen haben die Angabe ihrer Personalien verweigert. Das kann ein Schutz vor strafrechtlichen Repressionen sein. Von einigen AktivistInnen sind Personalien festgestellt worden und auf sie kommen Gerichtsprozesse zu, zum Beispiel mit dem Vorwurf Nötigung. Außerdem sind unsere Boote von der Polizei beschlagnahmt worden. Weil es Jahre dauern kann, bis wir die Boote wieder bekommen, vielleicht aber auch nie, haben wir dadurch schon jetzt hohe Kosten.

SB: Wie wir im Vortrag gehört haben, handelt es sich bei Kreuzfahrten um eine Art schwimmenden Unterhaltungsbetrieb und nicht eine Form des Transports von hier nach dort. Was könnte Menschen dazu bewegen, sich auf ein Kreuzfahrtfahrtschiff zu begeben, anstatt sich einfach an Land zu amüsieren?

Amelie: Ich glaube, ein Punkt ist, daß Kreuzfahrten früher nur Menschen zugänglich waren, die sehr viel Geld hatten. Kreuzfahrten kosten heute deutlich weniger als früher und sind einfach in, viele Menschen können sich heute solche Fahrten finanziell leisten. Hinzu kommt noch die enorme Werbung, die spielt eine große Rolle, man sieht sie auch überall hier in Kiel, da wird sehr viel Geld investiert, um Kreuzfahrten publik zu machen. Man weckt Sehnsüchte nach der Ferne, und das wird dann mit all inclusive beworben, an Bord muß man sich um nichts kümmern. Man wird im Prinzip wie ein Kleinkind rund um die Uhr betreut und muß sich um nichts Gedanken machen. Ich glaube, daran liegt es auch, daß die PassagierInnen nicht über die Folgen ihres Tuns nachdenken - oder es zwar wissen, aber nicht die Konsequenz daraus ziehen, auf Kreuzfahrten zu verzichten.

SB: Wenn man sich ernsthaft mit den Prognosen der Klimawissenschaften beschäftigt, dann ist die vom Klimawandel ausgehende Bedrohung dermaßen groß, daß die relative Gelassenheit oder gar Ignoranz, mit der damit umgegangen wird, eigentlich kaum zu verstehen ist. Was tut ihr als AktivistInnen, um daran etwas zu ändern?

Amelie: Hauptsächlich weisen wir mit Aktionen auf Themen hin, auch im Rahmen des zivilen Ungehorsams. Wir zeigen, okay, wir haben da ein Problem, und es ist wirklich wichtig, daß das angegangen wird, indem Menschen aus ihrer Komfortzone geholt werden, wenn jetzt zum Beispiel ein Kreuzfahrtschiff für sechs Stunden blockiert wird. Dadurch verschaffen wir den Menschen auf dem Schiff sechs Stunden Zeit, sich wirklich darüber Gedanken zu machen, warum sie eigentlich eine Kreuzfahrt unternehmen. Sie könnten sich auch fragen, warum solche Aktionen so wichtig sind, daß die AktivistInnen dafür eventuell rechtliche Konsequenzen und Repressionen auf sich nehmen, um auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Wenn die Medien darüber berichten, wird das ja auch diskutiert. Wir versuchen auch, die Menschen in Kiel oder auch die Politik ganz direkt zu erreichen, indem wir die Probleme auf den Tisch legen: Das ist Fakt, wie gehen wir damit um? Das darf nicht ständig unter den Teppich gekehrt werden, sondern die damit zusammenhängenden Fragen sollen auch im Alltag präsent sein.

SB: Seit einiger Zeit werden in den Bundesländern neue Polizeigesetze verabschiedet, mit denen teilweise schon als Widerstand gegen die Staatsgewalt auslegt werden kann, wenn man sich beim Wegtragen nicht völlig passiv verhält, sondern etwa den Arm wegzieht. Wie wirkt sich das auf die Zukunft eines Aktivismus aus, der auch auf zivilen Ungehorsam setzt?

Amelie: Ich finde die Befugnisse, die der Polizei zur Zeit gegeben werden, ziemlich unverhältnismäßig und nicht demokratisch. Ich denke, der Aktivismus wird dadurch nicht weniger werden, weil die Dringlichkeit des Themas immer mehr Leuten bewußt wird. Wie mit vermehrter Repression umzugehen ist, müssen wir dann sehen. Ich denke, daß die Politik verstärkt versucht, Polizeigewalt anzuwenden, um sich manchen Problemen nicht stellen zu müssen.

SB: Zur Zeit haben die Grünen bei Wahlen viel Erfolg, die großen Umweltorganisationen haben viel Zulauf, zugleich gibt es etwas radikalere Initiativen, die zum Teil auch antikapitalistisch aufgestellt sind. Könntest du etwas zu dem Verhältnis zwischen einer eher in der Mitte der Gesellschaft angesiedelten Klimapolitik und einem Aktivismus, der sich nicht mit Scheinlösungen zufrieden geben will, sagen? Besteht nicht eine gewisse Gefahr, daß mehr zu symbolischen Lösungen als tatsächlich wirksamen Maßnahmen gegriffen wird?

Amelie: Ich sehe schon eine Gefahr darin, daß etwa die Grünen nur durch ihr grünes Image populärer werden, während tatsächlich sehr wenig oder zumindest nicht genug getan wird. Prinzipiell finde ich sehr positiv, daß die Klimabewegung so breit aufgestellt ist, so daß es die Möglichkeit gibt, im Rahmen der Gesetze Initiative zu ergreifen und gleichzeitig ergänzend dazu einen Schritt weiterzugehen, um konkreter auf Dinge hinzuweisen und so vielleicht mehr Druck aufzubauen. Ich denke, es ist wichtig, daß auch Kritik innerhalb der eigenen Bewegung möglich ist und man sagen kann, okay, wir haben zwar unterschiedliche Meinungen, doch es ist gut, sich an einen Tisch zu setzen. Wir wollen vielleicht ähnliches, aber wir müssen wirklich sehr genau hinschauen, daß es nicht zum Greenwashing kommt.

SB: Amelie, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0130.html

27. Oktober 2019


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