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INTERVIEW/194: Fleischprodukte - Gewerkschaftsgruß und Schulterschluß ...    Sven Vaith im Gespräch (SB)


Gespräch am 13. September 2019 in Hamburg-Niendorf


Die 2014 auf Initiative der Publizisten Werner Rügemer und Elmar Wigand gegründete aktion ./. arbeitsunrecht exponiert jedes Jahr Unternehmen, die durch besonders üble Praktiken im Umgang mit Lohnabhängigen hervorstechen. Dazu finden jeweils an einem symbolträchtigen Freitag, den 13., bundesweite Kundgebungen und Demonstrationen statt, um der Öffentlichkeit diesen Mißstand vor Augen zu führen. So wurde am Freitag, den 13. September 2019, an 35 Orten in der Bundesrepublik gegen die Ausbeutung durch Arbeit in der Fleischindustrie im allgemeinen und die dieses System im besonderen repräsentierende Tönnies Holding protestiert.

Auch in Hamburg wurden an mehreren Orten Protestaktionen durchgeführt. Eine von ihnen fand vor einer Filiale der Supermarktkette REWE im Stadtteil Niendorf statt, die Produkte von Tönnies in ihrem Angebot hat. Dazu aufgerufen hatte unter anderem Sven Vaith, der beim Autobauer Daimler in Hamburg beschäftigt, in der IG Metall organisiert und seit Frühjahr 2018 Betriebsrat ist. Vor Ort beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Mit Aktionsflugblatt 'Tönnies stoppen!' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Sven Vaith
Foto: © 2019 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Worum geht es bei dieser Aktion, die hier vor einer REWE-Filiale in Niendorf stattfindet?

Sven Vaith (SV): Wir wollen die Leute, die hier einkaufen gehen, über die bei der Firma Tönnies vorherrschenden Arbeitsbedingungen informieren. Dort werden die Arbeitskräfte nicht nur zum Mindestlohn beschäftigt, sie sind auch in Werkswohnungen untergebracht, deren Miete noch von ihrem Lohn abgezogen wird. Verlieren sie ihren Arbeitsplatz, sind sie gleichzeitig auch noch wohnungslos. Das sind absolut katastrophale Bedingungen.

SB: Und ihr steht hier vor REWE, weil dieser Supermarkt Produkte von Tönnies im Angebot hat?

SV: Genau richtig, das sind beispielsweise die Firmen Böklunder und Gutfried, deren Erzeugnisse Fleisch von Tönnies enthalten.

SB: Der Name Tönnies ist in jüngerer Zeit häufig durch die Presse gegangen, allerdings nicht aufgrund der Arbeitsbedingungen, sondern seiner rassistischen Ausfälle. Wie verhält sich denn diese skandalisierte Geschichte zu den Mißständen in den Tönnies-Betrieben?

SV: Er profitiert durch die Ausbeutung unserer ausländischen Mitbürger. Insofern paßt das genau mit diesem Menschenbild zusammen.

SB: Was kann man den Konsumentinnen und Konsumenten, die hier vorbeikommen, an Argumenten mitgeben, wenn sie sagen, ich kann doch kaufen, was ich will, und möchte auch Fleisch essen, wie ich will?

SV: Daß diese Massentierhaltung einfach für sie selber ungesund ist, weil die Tiere Streßenzyme bei dieser Art der Schlachtung ausscheiden, und diese ißt man dann beim Fleisch mit.

SB: Also kann man sie im Grunde bei ihren eigenen Interessen erreichen?

SV: So ist es.

SB: Wie ist bislang die Resonanz auf eure Aktion gewesen?

SV: Es ging anfangs erst etwas schwierig los, aber mit der Zeit, als wir dann zu mehreren hier waren, lief das immer besser. Wir haben viele sehr gute Gespräche geführt.

SB: Ist das die erste Aktion dieser Art, die ihr hier macht, oder steht sie in einer Kette von mehreren?

SV: Es gab schon etliche Aktionen dazu, aber hier in Niendorf ist es, soweit ich weiß, das erste Mal.

SB: Es finden am heutigen Freitag, den 13., bundesweit zahlreiche Aktionen statt. Wie ist es dazu gekommen, daß diesmal die Wahl auf Tönnies fiel?

SV: Es gab online eine Abstimmung, bei der sich die meisten Leute dafür ausgesprochen haben, sich bei den Aktionen auf Tönnies und die dort herrschenden extrem schlechten Bedingungen zu konzentrieren. Etliche Firmen waren in der Diskussion, aber die meisten haben eben für Tönnies votiert.

SB: Wie organisieren sich die verschiedenen Initiativen, die beteiligt sind? Gibt es häufiger gemeinsame Treffen oder läuft das vor allem über das Internet?

SV: Viel läuft übers Internet im Rahmen der Aktion von Arbeitsunrecht, die sehr viel dazu gemacht hat. Ich selbst komme vom Daimler-Betriebsrat, und hier vor Ort ist auch die Hamburger Gewerkschaftslinke beteiligt.

SB: Ist das ein Thema, das in der Gewerkschaft auf der Agenda steht, oder handelt es sich eher um eine Problematik, die noch in die Gewerkschaften hineingetragen werden muß?

SV: Das muß man eher noch reintragen, weil die Gewerkschaft das bisher noch nicht auf angemessene Weise zum Thema genommen hat.

SB: Sie hat es also bislang noch nicht so recht wahrgenommen?

SV: Na ja, ein bißchen schon. Die IG Metall hat durchaus die sehr schlecht bezahlte Arbeit und die Arbeitsbedingungen thematisiert. Das macht die IG Metall schon, aber nicht in dem notwendigen Umfang, der gerade für die fleischverarbeitende Industrie mit den dort besonderen herrschenden Bedingungen angebracht wäre. In der Pflege und in anderen Bereichen sind die Bedingungen oftmals ähnlich katastrophal.

SB: Wie lange werdet ihr eure Aktion hier noch fortsetzen?

SV: Ich habe mir da keinen Zeitrahmen gesetzt, mal schauen, bis es abflacht vielleicht.

SB: Sven, vielen Dank für das Gespräch.


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20. September 2019


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