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INTERVIEW/171: Klimagegengipfel - zum Schutz verpflichtet ...     Imam Saffet Abid Catovic im Gespräch (SB)


Zerstörungen an einem Haus durch den Sturm 'Sandy', aufgenommen von einem Mitglied der Marines, 8th Engineer Support Battalion, das an den Aufräumarbeiten beteiligt war. - Foto: 2012 by Lance Cpl. Scott Whiting, gemeinfrei via DVIDS

1. Juli 2012 Breezy Point, NY - ein Vorgeschmack künftiger Zustände?
Die Auswirkungen des Klimawandels dezimieren Ressourcen und bedrohen die körperliche und geistige Gesundheit der Betroffenen ...
Foto: 2012 by Lance Cpl. Scott Whiting, gemeinfrei via DVIDS



In die Siedlung hat der Sturm eine Schneise der Zerstörung geschlagen. Ganze Häuser sind verschwunden. - Foto: by NYCOEM via NOAA/NWS

Nach Sandy - Breezy Point aus der Vogelperspektive.
Foto: by NYCOEM via NOAA/NWS

Im Rahmen des letztjährigen People's Climate Summit trafen sich am 7. November 2017 Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Religionsgemeinschaften mit den Pacific Climate Warriors, um darüber zu sprechen, daß Kirchen und Glaubensgemeinschaften aufgrund ihres Selbstverständnisses einen moralischen Auftrag haben, politisch für Klimagerechtigkeit einzutreten. Lusia Taloafulu Feagaiga von den "Warriors" und Jugendleiter in der Methodistenkirche Neuseelands nannte eingangs die interreligiöse "Pray for Our Pacific"-Kampagne als gelungenes Beispiel dafür, Gläubige anzusprechen und auf die bereits akute Klimakrise im Pazifik aufmerksam zu machen. Allerdings wunderten sich die Warriors über die anhaltende Ignoranz der westlichen Länder gegenüber dem bereits akuten Klimawandelgeschehen im Pazifik. Eine Diskussion darüber, was man konkret tun könnte, um die Menschen im Pazifik bei ihrem Kampf ums Überleben zu unterstützen, fände hierzulande nicht statt. Daß dieser Vorwurf durchaus berechtigt war, zeigte sich auch im weiteren Verlauf des "interreligiösen Dialogs über Klimagerechtigkeit und über Divestment" im Haus der Ermekeil-Initiative, in dem vor allem positive Beispiele wie die "Fossil Free Divestment Bewegung" Erwähnung fanden und der gemeinsame Konsens, schon auf dem richtigen Weg zu sein, eine angenehme und freundschafltiche Atmosphäre schuf.


Eine Delegation der Pacific Warriors mit Lusia Taloafulu Feagaiga (Mitte) und Kathy Jetnil-Kijiner (links davon) in den Räumen der Ermekeil-Initiative. - Foto: © 2017 by Schattenblick

'Medien sprechen über die Auswirkungen des Klimawandels in der Zukunft, so als wären sie nicht bereits Realität für uns.' (Lusia Taloafulu Feagaiga)
Foto: © 2017 by Schattenblick

Einig war man sich in der Runde vor allem darüber, daß Glaubensgemeinschaften und Kirchen weitere Aufklärungsarbeit leisten und selbst aktiv Stellung nehmen sollten, und daß auf diese Weise in den Gemeinden bereits die Grundlagen geschaffen werden könnten, das bestehende ungerechte Gesellschaftssystem durch ein umwelt- und klimagerechteres zu ersetzen.

Der Einfluß der Glaubensgemeinschaften, vor allem auch jener der muslimischen Gemeinschaft in Amerika, die nur drei Prozent der US-Bevölkerung ausmache, sei in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen, meinte Imam Saffet Catovic, der als Gründungsmitglied der Green Muslims of New Jersey und Chefberater von Green Faith von 350.org als Referent eingeladen worden war. So wollten heute 72 Prozent der amerikanischen Muslime erklärtermaßen in Zukunft einen umwelt- und klimabewußten Lebensstil führen. Spätestens seit Hurrikan "Sandy" 2012 große Teile von New Jersey zerstörte, sei vielen Amerikanern bewußt geworden, daß sich Begleiterscheinungen von Klimakatastrophen, d.h. Notlagen wie Stromausfall, Wassermangel, sanitäre Probleme, Evakuierung, Flucht oder Vertreibung, schädigend auf die körperliche und geistige Gesundheit der Betroffenen auswirken könnte.

Darüber hinaus lasse sich ein gläubiges Leben nach den Grundsätzen der Scharia nicht vom Umweltgedanken trennen. Mindestens vier von fünf in der Scharia enthaltenen Grundrechte, die jeder Gläubige zu schützen verpflichtet sei, wären von den Folgen des Klimawandels bedroht. Das wären der Schutz des menschlichen Lebens, der Schutz des Verstandes, der Schutz des Vermögens und der Ressourcen und der Schutz der Nachkommenschaft.

Ein kausaler Zusammenhang zwischen fossiler Energie und Klimawandel würde in verschiedenen Kontexten in den muslimischen Gemeinschaften diskutiert. Nun stammten viele Gelder, die für gemeinnützige Arbeit aber auch für die Bildungs- und Glaubensarbeit in den muslimischen Gemeinden zur Verfügung gestellt werden, aus der Erdöl- und der fossilen Rohstoffindustrie. Deshalb sei der Einfluß des Petrodollars auf die muslimische Welt traditionell sehr groß, was Catovic mit den Symptomen einer Sucht nach Öl verglich. Er erinnerte daran, daß alle Religionen, im besonderen der Islam, wirkungsvolle Methoden hätten, mit Suchtproblemen umzugehen. Sie seien geradezu prädestiniert dafür, den Betreffenden, in diesem Fall der Gesellschaft, auch aus der Abhängigkeit von Öl herauszuhelfen.

Einen Erfolg hätten die Green Muslims bereits auf dem COP 22 2016 in Marokko erzielt, denn die Regierung in Rabat habe entschieden, daß alle 600 Gebetshäuser bis zum Frühjahr 2019 komplett auf erneuerbare Energie umgerüstet werden. [1] Im Anschluß an die Diskussionsrunde war Imam Catovic bereit, seine Vorstellungen näher zu erläutern.


Imam Saffet Abid Catovic, Gründungsmitglied der Green Muslims of New Jersey und Chefberater von Green Faith - Foto: © 2017 by Schattenblick

Saffet Abid Catovic.
Ein gläubiger Muslim, der nach der Scharia lebt, hat die moralische Pflicht zum Schutz des Klimas beizutragen.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könnten Sie das spezielle Öl-Entzugsprogramm, von dem Sie sprachen, für unsere Leser etwas genauer beschreiben und auch, an welche Zielgruppe es sich richtet? Sollen auch die "Dealer", also die Ölkonzerne, in das Programm integriert werden? Und welche Produkte müßte eine Öl-Entzugstherapie schlußendlich erfassen. Viele Verbraucher wissen gar nicht, wie viele Gegenstände des alltäglichen Lebens aus Rohöl hergestellt werden.

Saffet Abid Catovic (SAC): Ich wollte eigentlich nur verdeutlichen, daß die Abhängigkeit von Öl eine Frage der Einstellung ist. Gerade in der westlichen Welt ist diese eng mit unserem Konsumverhalten und der Funktionsweise des kapitalistischen Systems verbunden. Die Ölindustrie ist nicht die Triebfeder dieses Systems. Tatsächlich sind es die Verbraucher selbst. Sie haben in dem kapitalistischen Modell großen Einfluß. Daher habe ich in meinem Vortrag die mehrschrittigen Entwöhnungs-Programme erwähnt. Einige davon haben einen sehr traditionell religiösen Hintergrund. Doch bei dem einfachen Drei-Schritte-Programm kann wirklich jeder mitmachen. Am Freitag, den 8. November 2017 werden wir mit einer Delegation von Vertretern verschiedener protestantischer, katholischer, evangelikaler, jüdischer, hinduistischer, muslimischer, buddhistischer, interreligiöser und unitarischer Organisationen per Fahrrad ein Interfaith-Statement an die UN-Klimakonferenz überreichen. Darin verpflichten wir uns, mit drei Konsumbereichen, Transport, Ernährung und dem privaten Energieverbrauch, bewußter und nachhaltiger umzugehen. Zudem fordern wir unsere Anhänger, andere Individuen, gläubige Menschen, Gemeinden und politische Entscheidungsträger dazu auf, uns auf diesem Weg zu folgen.

Unser Engagement für die aktive Reduktion des eigenen Kohlenstoff-Fußabdrucks soll Menschen auf allen Ebenen der religiösen Gemeinschaften erreichen. Mit diesen drei Punkten kann jeder sofort etwas anfangen und schon bei der nächsten Entscheidung heute, mit welchem Fahrzeug er zum darauffolgenden Termin fährt, wo er heute zu Mittag ißt und was dann auf den Teller kommt, etwas für das Klima tun. Bereits der kleine Schritt vom unverbesserlichen "Fleisch-Typ" zu etwas mehr pflanzenbasierter Nahrung ist nicht nur viel gesünder und klimaneutraler, sondern harmoniert auch besser mit unseren muslimischen Traditionen. Ich werde mich selbst sicher nicht ausschließlich für Pflanzenkost entscheiden, aber es gibt definitiv einen größeren Anteil Gemüse auf meinem Teller als sonst. Ähnliche kleine nachhaltige Veränderungen des eigenen Verhaltens sind auch bei der privaten Nutzung von Energie möglich. Es muß ja nicht gleich die Anschaffung eines sehr teuren Solarpaneels sein. Es geht vor allem um die Reduktion oder Anpassung persönlicher Verhaltensweisen im eigenen Haushalt, von denen nach jüngsten Erkenntnissen der Wissenschaft in vielen Ländern der größte Beitrag an Treibhausgasemissionen ausgeht. Das sind zwar vergleichsweise relativ kleine Einsparungen, die wie viele kleine Hammerschläge auf das konventionelle Energiesystem treffen und letztlich zu seiner Erschütterung führen. Wenn Sie sich die Geschichte des Römischen Reiches ansehen, das hat sich auch nicht plötzlich in einer großen Explosion in Rauch aufgelöst. Aber durch das Wirken einiger Individuen, wie Jesus und Mohammed, wurde es allmählich zum Einsturz gebracht. Viele Jahre später durchquerte ein einzelner Mensch das Land Indien zu Fuß - eine wirklich nachhaltige Form der Fortbewegung - und trug damit dazu bei, daß ein anderes großes Imperium seinen Einfluß auf dieses Land verlor. Der Name dieses Mannes war Ghandi.

Beispielen wie diesen wollen wir am Freitag mit unserem interreligiösen Statement folgen. Mit der Fahrrad-Aktion starten wir eine neue internationale, multireligiöse Initiative für nachhaltige Lebensweisen. In den kommenden Monaten werden dann hoffentlich die verschiedenen religiösen Gruppen mit spezifischen Checklisten herauskommen, wie und auf welche Weise sie diese Vorschläge umsetzen wollen.

SB: Sie haben unlängst die Organisation "Green Muslims of New Jersey" gegründet, die für die Umweltarbeit der islamischen Gesellschaft Nordamerikas (ISNA) ein richtungsweisendes Programm geworden ist. Wie sehen die nächsten Schritte auf der "Checkliste" Ihrer Organisation aus?

SAC: Zum einen wollen wir unsere Initiative, individuelle und persönliche Verpflichtungen zur Reduktion von Treibhausemissionen einzugehen, auf allen Ebenen religiöser Einrichtungen vorantreiben. Wir sprechen daher weltweit sowohl die Oberhäupter großer religiöser Institutionen an, aber auch Laienführer und alle gläubigen Menschen. Denn von der persönlichen Verpflichtung, das eigene Verhalten im Alltag auf nachhaltige Weise zu verändern und das mindestens ein Jahr lang durchzuhalten, versprechen wir uns einen großen Effekt. Umwelt ist nicht etwas, daß irgendwo da draußen existiert. Sie beginnt in uns selbst.

Wenn Sie an die zurückliegende Gesprächsrunde denken, dann ist es doch so: Uns allen, die sich hier versammelt haben, liegt die Umwelt am Herzen. Wir alle arbeiten auf unterschiedliche Art und Weise für den Umweltschutz und für den Glauben. Und was den Klimawandel angeht, sind wir uns über den Ernst der Lage bewußt. Doch allein durch den Umstand, daß dieses Treffen an einem unnatürlichen Ort stattfindet, einem künstlich beheizten Raum mit synthetischem Licht, der voller toter Dinge ist, die nichts mit der Natur zu tun haben, wird unsere Verbindung zur Umwelt, von der wir aber die ganze Zeit sprechen, gebrochen. Unter diesen Voraussetzungen ist es eine große Herausforderung, normalen Menschen überall auf der Welt ein Umweltbewußtsein für den nachhaltigen und umsichtigen Umgang mit der Natur zu vermitteln. Denn der beginnt bereits, wenn ich in den Supermarkt gehe oder wenn ich zur Arbeit fahre. Bei allen gewöhnlichen Ritualen unseres Alltagslebens, die ich normalerweise unbewußt mache, kann ich etwas verändern, das sich auf die gesamte Umwelt auswirkt. Sollte sich das kollektiv durchsetzen, würde es das System verändern. Denn wenn sich die Bewegung, nur nachhaltige Produkte zu konsumieren, fortsetzt und weiterentwickelt - was ich mir sehr wünsche - könnte ich mir vorstellen, daß sich Ölkonzerne, Industriemagnaten und andere führende Köpfe von Unternehmen sich gegenseitig darin überbieten werden, Milliarden von Dollar auszugeben, um ihren ökologischen Fußabdruck klein zu halten.

Eigentlich geht es darum, unsere Kultur zu verändern. Und wenn Religionsgemeinschaften von sich behaupten, daß sie eine grundlegende Transformation schaffen wollen, dann beginnt sie bei jedem einzelnen. Daran arbeiten wir im Augenblick. Alle anderen Ansätze, wie der Protest gegen Kohle oder Öl, bleiben nur an der Oberfläche. Die Energieunternehmen wechseln dann bekanntlich nur von einem Brennstoff zu einem anderen und das auch noch mit der Begründung, daß der Umstieg weniger klimaschädlich sei.

Auf dem Weg nach Bonn kam ich an einer elektronischen Plakatwand vorbei, auf der stand: "Exxon Mobile hat sich der Reduktion von CO2-Emissionen verpflichtet." Der nächste Satz lautete dann: "Deshalb fördern wir die Karbonat-Brennstoffzellentechnologie zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid". Ich muß zugeben, ich kenne diese Technologie nicht. Doch kann ich nicht glauben, daß es eine technologische Lösung für das Problem geben kann. Nur eine grundlegende Transformation der Einstellung der Menschen kann etwas bewirken. Das dauert natürlich etwas länger, doch sobald sie sich im alltäglichen Leben etabliert hat, pflanzt sie sich fort und wird die Sicht auf die Dinge ändern. Genau das wäre unsere nächste Aufgabe.

Praktisch werden wir auch weiterhin unsere Aktivitäten, die in der Politik oder in Form von Lobbyarbeit stattfinden, fortführen. Wir werden weiter protestieren, demonstrieren und andere Formen des zivilen Widerstands leisten, die nötig sind, um auf bevorstehende Krisen aufmerksam zu machen. Aber diese innere Transformation ist etwas, das jeder Mensch für sich selbst entscheiden und durchführen muß.

SB: Was werden Sie tun, um das innere Umdenken bei anderen in Gang zu setzen? Gibt es bereits eine konkretere Strategie?

SAC: Die Strategie besteht darin, daß wir sofort bei uns selbst beginnen und damit ein Beispiel setzen. Das heißt, wir haben uns als religiöse Oberhäupter zur Aufgabe gemacht, nicht nur über den Klimawandel und andere Umweltthemen zu sprechen, sondern durch unsere eigenen Entscheidungen und Verhaltensänderungen zu beweisen, daß man Lebensgewohnheiten ändern kann. Wenn wir miteinander oder mit anderen sprechen, messen wir die Worte immer an den Taten. Dazu fragen wir dann auch ganz direkt nach, was derjenige selbst dagegen tut.

Wenn ich zu einer Umweltkonferenz reise, die für mich wichtig ist, und dabei zum Verbrauch von Jet-Fuel oder Kerosin beitrage, kompensiere ich den CO2-Fußabdruck meiner Reise mit irgendeiner Art Kohlenstoffgutschrift oder einem entsprechenden Klimaschutzbeitrag. Ich kümmere mich darum, welche Energiemenge ich verbraucht habe und zahle dafür, daß die gleiche Menge an CO2-Emissionen anderswo verhindert werden kann und meine Reise klimaneutral verläuft. [2]

SB: Warum halten Sie es persönlich für wichtig, daß sich Kirchen oder religiöse Gemeinschaften für die Sache des Klimaschutzes engagieren? Und gibt es bereits Erfolge oder Beispiele, die Sie Ihrer Arbeit zurechnen würden?

SAC: Allein daß sich religiöse Führer für den Wandel aussprechen, ist schon ein Riesenerfolg unseres Engagements. Und es wird sich hoffentlich auch darauf auswirken, daß die Arbeit in den Kirchen, Moscheen, Synagogen, Tempeln und anderen Gotteshäusern oder sakralen Einrichtungen grundsätzlich in Bezug auf ihre Klima- und Umweltrelevanz hinterfragt und verändert wird. In den Staaten haben wir vorgeschlagen, zumindest im Monat Ramadan, umweltfreundlichere Praktiken anzuwenden. Dazu gehört zum Beispiel der Austausch der Glühbirnen gegen energiesparende CFL [Kompaktleuchtstoff]- oder LED-Lampen.

Ein anderes Beispiel wären die Essensspenden, von denen wir schon sprachen. Wir geben sehr viele unserer überzähligen Lebensmittel als Teil von wohltätigen Spenden in klima- und umweltschädlichen Styroporbehältern außer Haus. Man könnte diese aber ganz einfach mit anderen, kompostierbaren Behältern ersetzen, oder wenn wir regelmäßig so etwas wie Tafeln einrichten, könnten wir statt Einweg-Geschirr auch ganz normale Teller verwenden und sie anschließend abwaschen. Auch das könnte unseren ökologischen Fußabdruck erheblich reduzieren. Es gibt also unzählige Möglichkeiten, etwas zu tun. Und ich fühle mich als Mensch und religiöser Lehrer dazu verpflichtet, darauf aufmerksam zu machen.

Wir müssen die Vorstellungen, der Klimawandel beträfe vor allem ferne Orte oder nur die armen Eisbären am Pol, in einen vorstellbareren Kontext bringen, der jeden etwas angeht. Klimaschutz fängt bereits in der Küche an. Mehr Gemüse statt Fleisch zu essen oder Essensreste zu nutzen, statt sie wegzuwerfen, sind kleine Dinge, aus denen aber insgesamt etwas Großes werden kann. Natürlich kann man auch angesichts des unübersehbar großen Ausmaßes an Einschränkungen und Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt und dem Wenigen, das man dagegen tun kann, in Depressionen verfallen. Es gibt keine Hoffnung. Aber eigentlich, wenn wir uns auf die kleinen Dinge konzentrieren, die innerhalb unserer Reichweite liegen, könnten sie zu mächtigen Schwertern werden.

Sie kennen doch sicher die Geschichte, mit dem kleinen Jungen, der jeden Morgen auf dem Weg zur Schule einen kleinen Seestern, der an den Strand gespült worden ist, ins Meer zurückwirft. Das sieht ein Passant und fragt ihn: 'Warum machst Du Dir die Mühe? Da liegen Millionen von Seesternen herum, die mit den Wellen ans Land treiben. Sie sterben. Die Sonne trocknet sie aus oder die Vögel fressen sie. Ob du einen davon ins Meer wirfst oder nicht, macht keinen Unterschied.' Und der Junge nimmt noch einen Seestern, wirft ihn zurück ins Meer und sagt: 'Doch für diesen einen schon!'

Also, wenn ich mich auf die Dinge konzentriere, die in meiner Hand liegen und die ich tun kann, verändere ich etwas damit.


Ein Haufen Seesterne unterschiedlicher Arten in flachem Wasser - Foto: 2006 by Dr. Jim Clary/Marine Photobank

Seesterne und Seeigel sind eine der ersten Opfer des Klimawandels
Seesterne spielen eine Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Sie speichern CO2 in ihren Kalkskeletten, reagieren aber sensibel auf die Ozeanversauerung.
Foto: 2006 by Dr. Jim Clary/Marine Photobank

Die Vielfalt der Religionen in unserer Organisation führt zu bisher nie dagewesenen Kooperationen. Man denke nur, gerade eben sind Sie Zeuge davon geworden, wie ein Muslim, ein Episkopale und ein Buddhist wohlwollend darüber diskutiert haben, daß sich der Papst in seiner sogenannten "Umwelt"-Enzyklika (Laudatio Si) für den Kohleausstieg und für den Ausbau von Erneuerbaren ausspricht. Darüber hinaus waren sie sich einig, daß sein Engagement für die Bewahrung der Naturressourcen Wald und Meer und seine Forderung nach ausreichender Trinkwasserversorgung für alle Menschen nachahmenswert ist. Der Krieg zwischen den unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften gehört wirklich der Vergangenheit an. Als Muslim kann ich da nur sagen: Hey, gute Arbeit, Papst! Wir werden sie in Deinem Sinne fortführen.


Imam Saffet Abid Catovic (Muslim) neben Reverend Fletcher Harper (Evangelikale und Leiter von Green Faith). - Foto: © 2017 by Schattenblick

Im interreligiösen Dialog:
Ein Muslim, ein Episkopale loben das Umweltengagement des Papstes.
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Werden Sie auch selbst als Vertreter von Green Faith und der Green Muslims of New Jersey auf dem UN-Klimagipfel sprechen?

SAC: Es gibt verschiedene Programme, an denen ich teilnehme. Aber ich werde keine direkten Gespräche mit Regierungsdelegationen führen. Wir haben verschiedene Sitzungen mit Vertretern von NGOs geplant, doch das sind Treffen, die anders strukturiert sind, als die, in denen die großen Entscheidungen getroffen werden.

Zum Beispiel hat Indonesien eine interreligiöse Sitzung in ihrem Pavillon geplant, an der wir teilnehmen. Die Stimmen der interreligiösen Glaubensführer sind lauter geworden, aber sie werden an den wichtigen Stellen noch nicht genug wahrgenommen. Als vor drei Jahren ein Klimamarsch in New York City unter anderem von Green Faith organisiert wurde, übrigens war das gerade die Zeit, als Papst Franziskus mit seiner Enzyklika herauskam, gab es eine enorme Beteiligung unter den religiösen Gemeinschaften aus verschiedenen Glaubenstraditionen. Es waren nicht nur Oberhäupter des jüdischen, christlichen, muslimischen Glaubens und die der traditionellen hinduistischen und buddhistischen Religionen dabei, sondern auch Heiden, genauer gesagt Paganisten [3]. Alle marschierten sie unter ihren diversen Zeichen und Symbolen und forderten die Welt geschlossen dazu auf, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Das war ein unglaublicher Anblick. Meines Erachtens haben die Religionen und Glaubensgemeinschaften dort erstmals wortstark Stellung zur Klima- und Umweltproblematik bezogen und erkannt, daß ihr Beitrag dazu notwendig geworden ist.

Der Papst, die muslimischen Religionsführer und andere religiöse Oberhäupter haben vorher nie über umweltrelevante Themen gesprochen. Das waren Diskurse, die bei den Linken, den Liberalen und den Naturschützern geführt wurden. Glaubensstimmen gehörten nicht dazu. Es zeigt sich aber, daß sie eine neue Dimension in die Diskussion bringen, weil ihre Meinung bei den politischen Führern ein großes Gewicht haben. Ich weiß nicht, wie es hier in Europa aussieht, aber bei uns in Amerika muß sogar Donald Trump an einem Sonntag in die Kirche gehen und so tun, als ob er sich zu dem bekennt, woran er vorgibt zu glauben. Ich denke zwar nicht, daß er überhaupt an irgendetwas anderes glaubt, als an sich selbst. Doch zumindest muß er dort erscheinen und sich damit auseinandersetzen, daß ihm gesagt wird: "Wenn Du nicht das Klima schützt, wird Gott dich nicht mehr lieben." Auch wenn er sich dagegen verwehren wird, daß man ihm so etwas sagt, könnte ihn das zumindest zum Nachdenken bringen. Und deshalb verspreche ich mir eine größere Dynamik von dem Einfluß der Glaubensstimmen auf die Politik.

SB: Imam Catovic, vielen Dank für das Gespräch.


Vertreter der Pacific Climate Warriors, von Green Faith, vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend, vom Global Catholic Climate Movement, vom Liberation Theology Network, von 350.org und andere Interessierte im Gespräch. - Foto: © 2017 by Schattenblick

Religionsführer unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften diskutieren über ihre Rolle beim Klimaschutz
Interrelligiöser Dialog im Haus der Ermekeil-Initiative, Bonn
Foto: © 2017 by Schattenblick


Anmerkungen:


[1] http://www.taz.de/!5337562/

[2] ein Beispiel, wie das funktioniert:
https://www.atmosfair.de/de/kompensieren/flug

[3] Anhänger unterschiedlicher heidnischer Religionen, die sich unter dem Begriff Paganismus organisisert haben. Mehr darüber finden Sie hier:
http://de.paganfederation.org/


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)
BERICHT/104: Klimagegengipfel - Kohleabbautrend in Australien ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimagegengipfel - Selbstverteidigung ...     Tetet Lauron im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimagegengipfel - gestutzte Sozial- und Umweltrechte ...     Dr. Roberto Ferdinand im Gespräch (SB)
INTERVIEW/156: Klimagegengipfel - milch- und fleischemittierte Heimlichkeit ...     Shefali Sharma im Gespräch (SB)
INTERVIEW/157: Klimagegengipfel - Kolonie der Finalstrategien ...     Jesús Vásquez im Gespräch (SB)
INTERVIEW/158: Klimagegengipfel - auf der eigenen Scholle stehen ...     Aktivist Flip im Gespräch (SB)
INTERVIEW/159: Klimagegengipfel - zwei Beine für jeden Schritt ...     Lydinyda Nacpil im Gespräch (SB)
INTERVIEW/160: Klimagegengipfel - Fraß und Öde vor die Tür gekehrt ...     Peter Donatus im Gespräch (SB)
INTERVIEW/161: Klimagegengipfel - schöpfen mit Bedacht ...     Tom Goldtooth im Gespräch (SB)
INTERVIEW/162: Klimagegengipfel - Der Rechtsweg zur Not ...     Carroll Muffett im Gespräch (SB)
INTERVIEW/163: Klimagegengipfel - zum Leben und zum Kämpfen Zeit ...     Stephan Krull im Gespräch (SB)
INTERVIEW/164: Klimagegengipfel - es liegt auf der Strecke ...     "SustainaClaus" Philip McMaster im Gespräch (SB)
INTERVIEW/165: Klimagegengipfel - Stauseesubventionen und wenig Chancen ...     Theiva Lingam im Gespräch (SB)
INTERVIEW/166: Klimagegengipfel - Kraftwerksschmutz killt Mangrovenwaldschutz ...     Prof. Anu Muhammad im Gespräch (SB)


4. Juni 2018


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