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INTERVIEW/161: Klimagegengipfel - schöpfen mit Bedacht ...     Tom Goldtooth im Gespräch (SB)


Seit mehreren Jahrzehnten ist Tom Goldtooth in der indigenen Umweltbewegung Nordamerikas aktiv. 1996 hat er die Leitung des sechs Jahre zuvor gegründeten Indigenous Environmental Network - IEN - (Indigenes Umweltnetzwerk) in Bemidji, US-Bundesstaat Minnesota, übernommen. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluß von rund 250 indigenen Gemeinschaften, die sich mit gesellschaftlichen Streitthemen wie Rohstoffabbau, Gewässerschutz, Schutz heiliger Stätten, Gesundheitsfragen, Umweltschadstoffen, etc. befassen - jeweils vor dem Hintergrund der seit Jahrhunderten unterdrückten indigenen Gemeinschaften und des Bemühens, ihre Kultur zu bewahren. Unter Goldtooth hat sich das IEN erst national, dann international und schließlich global vernetzt.

Goldtooth' Mutter, Norma Bell Lee, war die erste Frau der Navajo Nation und möglicherweise auch aller Ureinwohnerinnen ganz Nordamerikas, die einen Studienabschluß (Bachelor) in Mikrobiologie gemacht hat. Er selbst war an der Arizona State University eingeschrieben. Goldtooth ist Co-Produzent des preisgekrönten Dokumentarfilms "Drumbeat for Mother Earth" (2000), in dem geschildert wird, wie sich bioakkumulative chemische Substanzen auf indigene Gemeinschaften auswirken. Im Jahr 2010 wurde Goldtooth von der Umweltschutzorganisation Sierra Club und der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP als "Green Hero of Color" geehrt, 2015 erhielt er den Gandhi Peace Award. Der 1953 geborene, indigene Umweltaktivist hat sich in den letzten Jahren auch den Protesten gegen den Bau der Erdölpipelines Keystone XL und Dakota Access Pipeline angeschlossen, ebenso sein Sohn Dallas Goldtooth.


Sitzend, mit Mikrophon in der Hand - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tom Goldtooth beim Podiumsgespräch zur sozialökologischen Transformation der Gesellschaft
Foto: © 2017 by Schattenblick

Anfang November war Tom Goldtooth in Deutschland und hat in Bonn an drei Veranstaltungen teilgenommen, dem People's Climate Summit (PCS), dem International Rights of Nature Tribunal und der UN-Klimakonferenz COP 23. Im Anschluß an ein Podiumsgespräch auf dem Klimagegengipfel PCS ergab sich die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit Goldtooth, der dort als Referent geladen war.

Schattenblick (SB): Betrachten Sie den Wechsel von einer auf fossile Energieträger gestützten Gesellschaft zu einer mit sogenannten grünen Technologien als eine Chance der First Nations, ihre traditionellen Werte zu bewahren?

Tom Goldtooth (TG): Für mich weist die Art, wie die grüne Ökonomie durch die moderne Welt und die industrialisierten Länder mit ihrem kapitalistischen System definiert wird, viele Widersprüche auf. Die Indigenen, mit denen wir zusammenarbeiten, betrachten das Konzept der grünen Ökonomie daher mit großer Sorge. Denn darin eingewoben ist das, was ich bei der heutigen Veranstaltung beschrieben habe, nämlich daß die Bewahrung von Natur und Biodiversität - unsere Bäume, die Böden, das Plankton im Meer - zu einer Ware innerhalb eines Marktsystems werden. Bei der Finanzialisierung der Natur wird die Natur als Kapital betrachtet. Daraus entsteht dann beispielsweise ein Handelssystem mit Emissionszertifikaten als Antwort auf den Klimawandel, wobei die Emissionen nicht wirklich reduziert, sondern immer weiter produziert werden.

Ich bin der Meinung, wir müßten darüber sprechen, was man unter "grüner Ökonomie" versteht. Die indigenen Völker in den USA debattieren jedenfalls darüber, was das von einem indigenen Standpunkt aus sein könnte. Beispielsweise hinsichtlich der Nanotechnologie und Biomimikry. Das sind unterschiedliche Konzepte, mit denen wir uns näher befaßt haben. Wir haben auch mit Leuten verschiedener wissenschaftlicher Fachgebiete gesprochen, die an umweltfreundlichen Konzepten arbeiten. Einige von uns sagen, daß wir vor der Eroberung der Amerikas bereits eine grüne Ökonomie besaßen. Wir müssen also ganz genau hinschauen, wie wir etwas definieren, und die Werkzeuge und Techniken, die als Konzepte vorgeschlagen werden, daran messen. Im UNFCCC-Verhandlungsprozeß [2] der vergangenen 15 Jahre wurden Technologien als Lösung für das Klimaproblem als umweltfreundliche Werkzeuge bezeichnet. Einige von ihnen sind es jedoch nicht.

Wir sind durchaus willens, mit den industrialisierten Ländern zusammenzuarbeiten und würden das Konzept einer grünen Ökonomie unterstützen, sofern es sich um eine lebendige Ökonomie handelt, bei der die Lebenszyklen der natürlichen Gesetze berücksichtigt werden, beispielsweise Mutter Erde. Über solche Konzepte wollen wir sprechen, wenn wir von Grüner Ökonomie reden, nicht aber über eine extraktive Ökonomie, die einen grünen Anstrich hat.

SB: Sie haben beim Podiumsgespräch die Begriffe "Mutter Erde" und "Vater Himmel" verwendet. Wie würden Sie die Bedeutung dieser Bezeichnungen einem durchschnittlichen Deutschen, der sich vielleicht etwas ganz anderes darunter vorstellt als Sie, erklären?

TG: Ich komme sowohl von der Kultur der Navajo Diné als auch der Dakota. Darin drückt sich auch die Ähnlichkeit aus, die viele indigene Völker vom Norden bis zum Süden hinsichtlich ihres Verhältnisses zu Mutter Erde haben. Doch sie ist nicht einfach nur Mutter Erde. In den Geschichten, wie wir entstanden sind, ist die Erde eine Frau. Die Erde ist eine Großmutter, die Erde ist weiblich. Wir kennen ebenfalls das Konzept vom schöpferischen Prinzip. Das ist Teil der natürliche Gesetze vom Universum und die Erde ist darin ein winziger Flecken, wie ein Sandkorn am Strand des Ozeans. Wenn wir über natürliche Gesetze sprechen, sprechen wir über Energie, und wir nennen sie heilige Energie, weil sie Teil der Schöpfung des Universums und der Erde ist. Viele unserer spirituellen Wissensbewahrer sind in ihrem eigenen Leben Wissenschaftler. Sie kennen die Konzepte der Atome, der DNA, der Sterne. Doch was sind Sterne? Sternenenergie ist nichts anderes als explodierende Geburt und Tod von Sternen. Solche Konzepte sind uns bekannt.

Zurück zum Konzept von Mutter Erde und Vater Himmel. Ihr Verhältnis zueinander ist Teil des Schöpfungsprinzips der Naturgesetze dieses Planeten. Doch wie kann ich das in unsere eigene Sprache übertragen? Deshalb brauchen wir beides in dieser Welt. Nehmen wir die DNA, die in unseren Körpern fließt. Jeder Mann trägt die Aminosäuren der Frau in sich. Wir sind beides, wir sind eins. Das ist das Konzept von "Mitakuye oyasin", was in der Sprache des Lakota-Volks bedeutet, "wir sind verwandt". Aber wir sind verwandt mit dem Lebendigen und Nichtlebendigen, wie Fäden oder Energie.

SB: Sie sprachen heute abend über Umweltrassismus gegenüber den Indigenen. Können Sie uns dafür ein Beispiel schildern?

TG: Ja, das kann ich. Gesetze, die in den Vereinigten Staaten hinsichtlich des Fischverzehrs geschrieben wurden, berücksichtigen nicht den starken Verzehr von Fisch in indigenen Gemeinschaften. Diese konsumieren eine Menge Fisch, weit mehr als der weiße Durchschnittsbürger. Doch beim Abfassen von Gesetzen zur öffentlichen Gesundheit für den Verzehr von kontaminiertem Fisch wurden dessen Essensgewohnheiten als Maßstab genommen, nicht die der Indigenen. Das gehört zu den Themen, auf die wir aufmerksam machen.

Oder auch, daß private Abfallentsorgungsunternehmen nur vortäuschen, daß sie die Menschen in den farbigen Communities unterstützen, weil sie genau wissen, daß diese nicht die politische Stärke haben und darauf angewiesen sind, Geld dafür akzeptieren, daß sie deren Giftmüll aufnehmen. Auch scheint es einen Konsens darüber zu geben, daß Unternehmen, die Schadstoffe beseitigen, das bei unseren Leuten als letztes machen, auch wenn diese die ersten waren, die davon betroffen wurden. Das sind Fälle von Umweltrassismus.

Bei Analysen zur Umweltgerechtigkeit muß man die synergistischen Effekte und die überproportionalen Auswirkungen von Chemikalien bedenken, insbesondere was den "giftigen Zoo" [3] betrifft. Indigene in Alaska, die Wale und andere Tiere essen, sind mit einem höheren Gehalt an toxischen Chemikalien belastet, weil die Giftigkeit im Organismus verstärkt wird und in der Nahrungskette bioakkumuliert. So wie in Fischen. Doch man kann nicht einfach die Bestimmung erlassen, daß die ursprüngliche Bevölkerung aufhören soll, Fisch zu essen. Der Fischverzehr ist fester Bestandteil ihrer Kultur.

SB: Werden die Kämpfe des Standing Rock Reservats und seiner Unterstützer gegen die Dakota Access Pipeline fortgesetzt?

TG: Sie gehen weiter. Unsere spirituellen Führer von Standing Rock und der weiteren sechs Council Fires, die gemeinsam die Seven Council Fires der Lakota-, Dakota-, Nakota-Völker bilden, haben sich zusammengesetzt und Rat gehalten. Wie auch immer es mit dem verantwortlichen Unternehmen Energy Transfer Partners weitergeht, wir sagen, daran ist nichts Gutes. Es hat dort die natürlichen Gesetze der Mutter Erde verletzt. Vielleicht wird es zu einem bestimmten Zeitpunkt bankrott gehen, vielleicht wird das System nicht richtig funktionieren. In der Zwischenzeit verklagen die Stämme der souveränen Völker die Bundesregierung für die schlechte Entscheidung, die die Trump-Administration getroffen hat. Es steht noch ein Gerichtstermin hinsichtlich der Pipeline aus.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:


[1] NAACP: National Association for the Advancement of Colored People. Diese Nationale Vereinigung zur Förderung farbiger Menschen zählt zu den ältesten schwarzen Bürgerrechtsorganisationen der USA.

[2] UNFCCC: United Nations Framework Convention on Climate Change, z. Dt. Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen. Die 195 Vertragsstaaten der Konvention treffen sich jährlich zu den Conferences of the Parties, den COPs.

[3] Goldtooth dürfte mit dem "giftigen Zoo" die POPs (Persistente organische Schadstoffe) gemeint haben. Sie werden auch als das "dreckige Dutzend" bezeichnet. Es handelt sich um organische Verbindungen wie DDT oder PCB, die in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut oder umgewandelt werden. Goldtooth hat sich schon vor Jahren intensiv mit den Auswirkungen dieser Chemikalien auf Mitglieder indigener Gemeinschaften befaßt.


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimagegengipfel - Selbstverteidigung ...     Tetet Lauron im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimagegengipfel - gestutzte Sozial- und Umweltrechte ...     Dr. Roberto Ferdinand im Gespräch (SB)
INTERVIEW/156: Klimagegengipfel - milch- und fleischemittierte Heimlichkeit ...     Shefali Sharma im Gespräch (SB)
INTERVIEW/157: Klimagegengipfel - Kolonie der Finalstrategien ...     Jesús Vásquez im Gespräch (SB)
INTERVIEW/158: Klimagegengipfel - auf der eigenen Scholle stehen ...     Aktivist Flip im Gespräch (SB)
INTERVIEW/159: Klimagegengipfel - zwei Beine für jeden Schritt ...     Lydinyda Nacpil im Gespräch (SB)
INTERVIEW/160: Klimagegengipfel - Fraß und Öde vor die Tür gekehrt ...     Peter Donatus im Gespräch (SB)


11. Dezember 2017


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