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INTERVIEW/130: Klimacamp im Rheinland - am Rande der Kirche ...    Günter Barten und Reiner Lövenich im Gespräch (SB)


Gespräch am 26. August 2017 auf der Rote-Linie-Aktion am Tagebau Hambach


Die Rote-Linie-Aktion ist zu Ende, die Demonstranten strömen über das sandige Bett der alten A4 und den ehemaligen, noch asphaltierten Zubringer in Richtung Parkplatz Manheimer Bürge, von dem aus dieses Ende der Menschenkette gebildet wurde. Vier von ihnen tragen ein Kreuz, was naheliegende Assoziationen wachruft. Es erweist sich als ein christliches Zeichen des Protestes gegen die Zerstörung alter Dörfer durch den Braunkohletagebau. Eingraviert in metallene Platten, die in den Querbalken des Kreuzes eingelassen sind, wurden die Namen in den Tagebauen verschwundener Orte. Ganz oben auf dem Protestkreuz "Verheizte Heimat". Um einmal die Stimmen bekennender umweltbewußter Christen zu Gehör zu bringen, fragt der SB zwei der Träger nach der Haltung der Katholischen Kirche zu ökologischen Problemen.


Vier Personen tragen ein Holzkreuz - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kreuzgang für die Schöpfung
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Barten, haben Sie auch in einem der abgebaggerten Dörfer gewohnt?

Günter Barten (GB): Nein, ich gehöre einer christlichen Initiative an, die sich mit dem Thema Schöpfung beschäftigt, und das hier ist natürlich ein ureigenstes Schöpfungsthema. Wir können als Menschen und als Gesellschaft nicht so mit der Schöpfung umgehen, wie es hier passiert. Das ist der Grund, warum wir uns bei der Roten Linie engagieren.

SB: Greifen Sie auch andere ökologische und Umweltthemen auf?

GB: Unsere Initiative nennt sich REGIOOEL. Wir wollen natürliche Energie als Gegenstück zu den fossilen Energieträgern nutzen. Als Initiative sind wir eine Handvoll Leute, die das seit vielen Jahren betreiben und immer wieder darauf aufmerksam machen, daß es auch andere Möglichkeiten gibt, als die Umwelt zu verpesten oder riesige Löcher zu baggern, um Energie bereitzustellen, und dadurch Leute zu vertreiben. Das ist unser Ansatz.

SB: Wie würden Sie als Katholik die Haltung der Katholischen Kirche, die in vielerlei Hinsicht in zerstörerische Produktionsvorgänge verwickelt ist, zu ökologischen Fragen bewerten? Was würden Sie sich da wünschen?

GB: Ich denke, es gibt ganz viel Licht, aber auch ganz viel Schatten im Bereich der Katholischen Kirche. Ich gehe einmal davon aus, daß es bei der Evangelischen Kirche nicht viel anders ist. Unser Papst hat ja im vergangenen Jahr die Enzyklida Laudato si' herausgebracht. Das ist ein hervorragendes Instrument, um die Schöpfung zu betrachten, aber die mittleren Ebenen tun sich oft schwer, diese Dinge ernst zu nehmen und umzusetzen. So würde ich es als engagierter Katholik einmal beschreiben.


Kirchgebäude in Backsteinbauweise - Foto: © 2017 by Schattenblick

Auch ihre Tage sind gezählt ... Katholische Pfarrkirche St. Albanus und St. Leonhardus in Manheim
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Als Papst Franziskus Polen besuchte, wurde er von einigen konservativen Katholiken abfällig als Papst der Radfahrer und Vegetarier bezeichnet. Zugleich bezieht Polen seinen Strom zu mehr als 80 Prozent aus Braun- und Steinkohle. Könnte man diese Haltung eines Landes mit großer katholischer Bevölkerung möglicherweise als repräsentatives Beispiel für antiökologische Strömungen innerhalb der Kirche verstehen?

GB: Es gibt sicherlich sehr differenzierte Positionen innerhalb der Kirche und auch bei uns hier in der Bundesrepublik. Die Diözesen, zumindest hier in Nordrhein-Westfalen, sind von diesem Thema oft betroffen. Mit einem Dorf wird auch eine Kirche abgebaggert, aber dann hat die offizielle Amtskirche sicherlich gute Karten, wenn es darum geht, in dem neuen Ort Geld für den Bau einer schönen neuen Kirche zu bekommen. Sie wird dann ein Stück weit mit vereinnahmt. So würde ich es sehen. Es gibt ja in der Katholischen Kirche vielfältige Strukturen wie die Laienstruktur oder den Diözesan-Rat der Katholiken, der hier zuständig ist und eine sehr eindeutige Position beschrieben hat für die Schöpfung und sich jedenfalls zum Teil von der offiziellen Amtskirche abgrenzt.

SB: Herr Barten, vielen Dank für diese Auskunft.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Reiner Lövenich
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Lövenich, welche kirchliche Funktion üben Sie aus?

Reiner Lövenich (RL): Ich bin kirchlicher Umweltberater im FKU, dem Verein zur Förderung zur kirchlicher Umweltberatung, der ganz auf ehrenamtlicher Basis läuft.

SB: Gibt es eigentlich noch viele Menschen in Ihrem Umfeld, die den alten Kirchen und Friedhöfen etwa in Borschemich und Immerath nachtrauern?

RL: Ich wohne in der Gemeinde Inden, wohin viele umgesiedelt wurden. Es trifft vor allem Leute in der Generation 50 bis 60 plus, die in den alten Kirchen getauft wurden und dort auch geheiratet haben. Wenn man sie fragt, ob sie für eine Führung zur Verfügung stehen, sagen sie meistens ab, weil sie nicht wollen, daß die Erinnerungen wieder hochkommen. Auch wenn sie inzwischen vieles verdaut haben, trauern sie dem Ganzen natürlich nach.

SB: Wie positioniert sich die Kirche hier in NRW zu der Tatsache, daß alte Kirchen entweiht werden zugunsten einer umweltzerstörerischen Energietechnik?

RL: Das Problem ist, daß es die Kirche NRW nicht gibt, sondern verschiedene Bistümer. Aus Aachen bekomme ich mit, daß dies zeitgleich mit dem Mitgliederschwund der Kirche und dem Zusammenlegen von Gemeinden geschieht.

Nun könnte man böse sagen, daß es der Strukturkirche eigentlich gelegen kommt, wenn ihr jemand abnimmt, Kirchen zu schließen. Jedenfalls bekommt keiner der Umsiedlungsorte eine neue Kirche, vielleicht ein kleines Gemeindehaus, aber kein Sakralgebäude in dem Sinne mehr. Aus der Amtskirche gibt es jetzt keinen großen Widerstand, etwa, daß sie darauf beharrt, daß eine Kirche gut sichtbar sein müßte, es reicht, wenn dies in einem kleinen Rahmen bleibt.


'Verheizte Heimat' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Schmerzhafte Zäsur in den Biografien vieler Menschen im Rheinischen Braunkohlerevier
Foto: © 2017 by Schattenblick


Kreuz liegt am Boden - Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Kohle bleibt in der Erde
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Die Jugend ist heute sehr ökologiebewegt. Was könnte die Katholische Kirche, die immerhin einen umweltbewußten Papst hat, Ihrer Ansicht nach tun, um Jugendliche auf eine vielleicht neue Weise zu gewinnen?

RL: Wir sind als Verein völlig losgelöst von der Strukturkirche. Das tun wir ganz bewußt und finden das auch gut, weil wir so niemanden fragen müssen. Wir freuen uns darüber, daß der Papst die Enzyklida Laudato si' geschrieben hat, und erleben gerade, daß diese Aussaat der Kirche sehr gut angenommen wird, aber daß sich innerhalb der Kirche ganz wenig bewegt. Meines Erachtens soll die Kirche in ihrem Gebäude nicht nur Liturgien feiern, sondern sie muß auch mit der Politik, den Menschen und ihrem Alltag etwas zu tun haben. Ich wünsche mir, daß viel mehr Pfarrer oder Kirchenvorstände ihre Meinung öffentlich kundtun und wir als Kirche dafür stehen, daß nicht mehr umgesiedelt wird. Oder wir machen es wie der evangelische Kirchenkreis und alle unsere Gemeinden bekommen grünen Strom von einem der vier großen Grünstromanbieter bzw. alle haben Blockheizkraftwerke, also daß mit praktischem Beispiel vorangegangen wird. Die Erfahrung zeigt, daß dann viel mehr Leute sagen, ich komme zwar nicht sonntags beten, aber das BHKW baue ich mit auf. Auf diese Weise kommt man wieder ins Gespräch.

SB: In der umweltbewußten Jugend finden sich auch viele Veganer, die dies über die positive Auswirkung auf das Klima hinaus als praktisches Vorgehen gegen Tierausbeutung verstehen. In welchem Spektrum bewegen sich Christen in dieser Frage?

RL: Von null bis einhundert. Veganer sind ja genauso katholisch oder nichtkatholisch wie andere Leute. Es gibt in dieser Sache ganz klare ethische Aussagen. Auch die Katholische Kirche und der Papst sagen, daß man das Tier hochhalten muß. Die Bandbreite reicht weit: Der Mensch ißt das Tier, wie das große Tier das kleine Tier ißt. Aber wenn man schon Fleisch ißt, dann bitte auf regionaler und biologischer Basis und nicht aus Fabrik und Massentierhaltung.

SB: Herr Lövenich, vielen Dank für diese Auskunft.


Steinernes Sakralelement, Holzkreuz - Foto: © 2017 by Schattenblick Steinernes Sakralelement, Holzkreuz - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Jesus Point" im Hambacher Forst - im Mai 2014 ... und im August 2017
Foto: © 2017 by Schattenblick


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8. September 2017


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