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INTERVIEW/127: Klimacamp im Rheinland - Widerspruch, Beteiligung und regionale Kooperation ...    Ruth Krohn im Gespräch (SB)



Gespräch am 24. August 2017 im Klimacamp Rheinland

Vom 18. bis 23. August fand die 3. Degrowth-Sommerschule auf dem Klimacamp im Rheinland statt. Die Teilnehmenden konnten sich in fortlaufenden Kursen, Workshops und Podien über soziale, ökologische und demokratische Formen des Wirtschaftens austauschen wie auch gemeinsam Alternativen entwickeln, die ein gutes Leben für alle ermöglichen sollen. In einem breiten Spektrum an Themen von praktischen Fähigkeiten bis hin zu wissenschaftlichen Debatten waren die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Jahr "Strukturwandel im Rheinischen Braunkohlerevier", "Psychologie des Wandels" und "Skills for System Change". Abgerundet wurde das Programm durch die interaktive Ausstellung "Endlich Wachstum", Theater und Musik. [1]

Nach Ende der Degrowth-Sommerschule, an die sich die gemeinsamen Aktionstage im Klimacamp anschlossen, beantwortete Pressesprecherin Ruth Krohn dem Schattenblick einige Fragen zum Verlauf der Sommerschule, zum Umgang mit den Widersprüchen in der Region sowie zu Entwicklung und Perspektiven der Degrowth-Bewegung.


Vor einem rot-gelben Zirkuszelt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ruth Krohn
Foto: © 2017 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Auch in diesem Jahr war die gestern zu Ende gegangene Degrowth-Sommerschule ein zentrales Element des Klimacamps. Welche Bilanz würdest du mit Blick auf ihre Ziele und ihren Verlauf ziehen?

Ruth Krohn (RK): Wir sind sehr zufrieden. Wir hatten eine schöne Woche, es waren insgesamt 500 Teilnehmende da, alle Kurse waren voll. Das Besondere bei der diesjährigen Sommerschule war der enge Austausch mit den Menschen, die hier vor Ort leben. Wir haben am Samstag zum Auftakt eine Radtour zu den Orten des Widerstandes unternommen, bei der Menschen aus dem Camp losgefahren sind und in der Region Leute besucht haben, die schon lange hier leben und vom Braunkohleabbau betroffen sind. Eine Station war beispielsweise der Eggerather Hof, der schon seit mehreren Jahrhunderten in Familienbesitz ist und jetzt auch abgebaggert werden soll. Dort wurden Geschichten erzählt, die sich auf diesem Hof abgespielt haben, in denen es auch um den Kampf der Bewohner ging, weiter dort leben zu können, und was es bedeutet, wenn so ein geschichtsträchtiger Ort für den Braunkohleabbau zerstört wird.

Am nächsten Tag fand ein Podium statt, bei dem zum ersten Mal Klimaaktive, Beschäftigte von RWE, Gewerkschafter und Anwohnerinnen aus der Region zusammengekommen sind, um darüber zu sprechen, wie der Braunkohleausstieg in diesem Revier gestaltet werden kann und welche unterschiedlichen Befindlichkeiten es in der Region gibt. Menschen, die sich abhängig von RWE fühlen, weil sie bei diesem Konzern ihre Lohnarbeit angesiedelt haben. Menschen, deren Dörfer und Lebensraum vom Abbaggern bedroht sind. Und Menschen, die sich für Klimagerechtigkeit und den sofortigen Kohleausstieg einsetzen, damit das 1,5-Grad-Ziel erreichbar bleibt. Es war sehr schön, daß das Forum in dieser Zusammensetzung stattfinden konnte, bei dem all diese Stimmen gehört wurden und nicht mehr zur Debatte stand, ob wir einen schnellstmöglichen Kohleausstieg brauchen, sondern darüber gesprochen wurde, wie wir ihn gestalten können, so daß alle Interessen einbezogen werden.

Das waren ganz besondere Momente, und darüber hinaus freuen wir uns natürlich, hier im Klimacamp zu Gast zu sein, das ein Ort der gelebten Alternativen ist. Wir kochen gemeinsam, machen gemeinsam Care-Arbeit, versuchen gemeinsame Entscheidungsstrukturen zu entwickeln und schauen, wie wir uns hier im kleinen organisieren, was wir dabei lernen können und wie wir das auch auf größere gesellschaftliche Kontexte übertragen. Wir treffen Entscheidungen über ein Rätesystem, wir sind in Nachbarinnenschaften organisiert, es gibt Delegiertenplena, auf denen die wichtigen Entscheidungen für das Camp getroffen werden, wir versuchen, diese Entscheidungen im Konsens herbeizuführen und setzen uns damit auseinander, welche Probleme dabei auftreten. Entscheidungen im Konsens zu treffen, ist nicht immer ganz einfach, es sind manchmal lange und zähe Prozesse. Wir sehen, was die Herausforderungen sind, und setzen uns zusammen, um Lösungen zu finden. Wir lernen, Gesellschaft anders zu gestalten, und das ist total schön.

SB: Wie geht ihr damit um, wenn ihr Menschen oder Zusammenhängen begegnet, die von ihrer Arbeitsweise her nicht so organisiert sind wie ihr?

RK: Wir haben die Degrowth-Sommerschule seit September 2016 vorbereitet und somit fast ein Jahr für den Orga-Prozeß gebraucht. Im Laufe dieses Prozesses mußten wir immer mal wieder erklären, daß bei uns Entscheidungsprozesse länger laufen, weil wir mit sehr vielen Leuten gleichberechtigt entscheiden und immer Rücksprache halten. In den meisten Fällen treffen wir jedoch auf sehr viel Verständnis und Interesse daran, wie diese Entscheidungsprozesse funktionieren. Nach meiner Erfahrung im Laufe dieses Jahres sind Menschen, wenn sie schließlich auf dieses Camp kommen, begeistert oder sogar euphorisch. Als wir Anwohnerinnen durchs Camp führten, war das für sie zwar ein Ort mit völlig fremden Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen, doch für viele offenbar ein bestärkendes Gefühl zu sehen, wie man selbstbestimmt sein Umfeld gestalten kann. Gerade für Menschen, die hier vor Ort leben und durch die Entscheidungen von Politik und Wirtschaft sehr fremdbestimmt sind, denen Grund und Boden genommen wird, deren Natur und Umfeld zerstört werden, so daß sie sich in hohem Maße entmächtigt fühlen, ist es sehr wichtig zu sehen, daß man selber Räume und sein Lebensumfeld gestalten, sich empowern und selbstorganisieren kann.

SB: Der Widerspruch zwischen Bewohnern der Region, die vertrieben werden, und jenen, die bei RWE beschäftigt sind, schien lange Zeit unüberbrückbar zu sein. Welche Ansätze habt ihr entwickelt, um mit diesem Konflikt umzugehen?

RK: Dafür sind die Dialogforen sehr wichtig. Der Widerspruch ist an sich nicht unüberbrückbar. Ich glaube, beide Seiten haben ein sehr starkes Sicherheitsbedürfnis, aber unterschiedliche Interessen, wie dem zu entsprechen sei. Wesentlich ist dabei, einander zuzuhören und ein Verständnis füreinander zu entwickeln. Alle Sorgen, die dort im Raum stehen, haben ihre Berechtigung. Das gilt auch für die Beschäftigten von RWE, die sich um ihre finanzielle Absicherung sorgen, und diese Stimme muß man ebenfalls hören. Wir müssen über die jeweiligen Interessen sprechen und dann schauen, wie wir uns gemeinsam organisieren können. Wir aus der Degrowth-Bewegung framen ja immer sehr stark, daß wir Lebensweisen so gestalten wollen, daß ein gutes Leben für alle möglich ist. Es gilt also, imperiale Lebensweisen abzubauen und dafür zu sorgen, daß Menschen im Globalen Norden nicht mehr so über die Verhältnisse leben, daß dies zu Lasten von prekarisierten Teilen der Gesellschaft und des Globalen Südens geht. Dieses gute Leben für alle meint aber auch ein gutes Leben für die Beschäftigten von RWE. Das meint unbedingt auch, ihre Perspektive mitzudenken und Gesellschaft so solidarisch zu organisieren, daß diese Menschen nicht hinten herunterfallen. Es ist wichtig, über diese Utopien und Visionen zu sprechen, um auch die Beschäftigten von RWE, die natürlich nicht Teil dieser Bewegung sind und noch gar nicht von diesen Utopien gehört haben, mit ins Boot zu holen und sie dafür zu begeistern, daß es auch für sie selber schöner ist, sich selbstorganisiert darum zu kümmern, wie sie ihr Arbeitsleben nach dem Braunkohleausstieg gestalten, und merken, daß sie das auch tun können und nicht von jemand anderem abhängig sind.

SB: Die Degrowth-Bewegung war von ihrer Herkunft her in erheblichem Maße theoriegestützt. Wie gelingt es euch, einerseits die wissenschaftliche Forschung voranzubringen und andererseits als Kollektiv aktiv zu werden?

RK: Die Degrowth-Bewegung ist vor allem in Deutschland lange Zeit eine sehr theoretische, akademische Bewegung gewesen. Die Degrowth-Sommerschule bemüht sich darum, dem in gewissem Umfang entgegenzusteuern. Sie ist aus der Degrowth-Konferenz 2014 in Leipzig hervorgegangen, als die Organisatoren dieser Konferenz gesehen haben, welch riesiges Interesse daran bestand, mit diesem Format weiterzumachen, jedoch aus dem universitären Kontext herauszukommen. Es wurden politische Konfliktfelder gesucht, zu denen Degrowth gut paßt und auf denen eine Bewegung etwas aktivistischer unterwegs ist. Daraus resultierte die Entscheidung, 2015 mit der Sommerschule ins Klimacamp im Rheinland zu gehen mit der Idee, daß Degrowth dort konkret werden kann, indem man sich eine manifeste Fragestellung wie den Braunkohleausstieg sucht, ein konkretes Problem wie Klimagerechtigkeit angeht und darauf die Degrowth-Perspektive anwendet. Die Idee dabei ist, daß von der Klimagerechtigkeitsbewegung diese aktionistische Perspektive in die Degrowth-Bewegung hineingetragen wird und umgekehrt die eher etwas theoretische Perspektive von Degrowth, wie man Wirtschaftssysteme umstrukturieren muß, um Klimagerechtigkeit herstellen zu können, also weg von der wachstums- und profitorientierten Wirtschaft hin zu einer suffizienzorientierten Wirtschafts- und Lebensweise, in die Klimagerechtigkeitsbewegung hineingetragen wird. Und ich glaube, diese Wechselwirkung war über die letzten drei Jahre sehr erfolgreich.

SB: Degrowth war seit der Konferenz in Leipzig von der Altersstruktur her eine überwiegend junge und von einer Aufbruchstimmung getragene Bewegung. In welchem Maße ist es gelungen, strukturelle Verhärtungen zu vermeiden und die dabei entwickelten Kompetenzen weiterzugeben?

RK: Die Degrowthbewegung und die Klimagerechtigkeitsbewegung hatten in den letzten drei Jahren einen enormen Zulauf und konnten sehr viele junge Menschen politisieren, die mit der Sommerschule erstmals einen politisch organisierten Kontext erlebten, diese Struktur und Art der Organisation kennenlernten und erfreulicherweise dabeigeblieben sind. Die Bewegung wächst, wir waren vor drei Jahren etwa 800 bis 1000 Leute auf dem Klimacamp und erwarten dieses Jahr 4000 bis 6000 Menschen. Viele kommen jedes Jahr, andere steigen neu ein und organisieren sich. Es haben sich viele Gruppen gegründet, die das Jahr über in ihren Orten und Städten Politik machen.

SB: Wie würdest du den Übertrag der Degrowth-Bewegung auf die Gesellschaft als Ganzes bewerten? Spürt man, daß breitere Kreise der Medien oder der Bevölkerung darauf ansprechen?

RK: Viele Elemente von Degrowth halten in die Mainstreambewegung Einzug. Durch neue Medien, durch beschleunigtes Leben haben viele Menschen das Bedürfnis nach entschleunigten Räumen. Über Momente von Entschleunigung wird gegenwärtig viel gesprochen. Gleichzeitig erleben wir mit der Digitalisierung eine Veränderung von Arbeitsverhältnissen. Viele Arbeitsplätze fallen weg, Arbeiten werden von Maschinen übernommen. Menschen mit weniger hohem Bildungsstand finden zunehmend weniger Arbeitsmöglichkeiten. Wir müssen uns gesellschaftlich umorganisieren, was aber auch ein großes Potential bietet, durch wegfallende Fließband- oder prekäre Arbeiten freiwerdende Zeit anders zu nutzen und andere Arbeit wieder in den Vordergrund zu rücken wie Care-Arbeiten, nicht-profitorientierte Arbeiten, die nicht mit destruktiven Folgen verbunden sind, sondern die wir wirklich brauchen als das Leben erhaltende Arbeit. Da ist die Degrowth-Bewegung stark gefordert, in diesen Diskurs der sich wandelnden Arbeitswelt zu intervenieren und ihn mitzuprägen. Wie können wir Arbeit neu besetzen und gestalten? Wie sehen Arbeit und Arbeitsverhältnisse künftig aus, wenn wir von der klassischen Erwerbstätigkeit wegkommen und mehr Zeit haben? Wie sieht dann gesellschaftliche Gestaltung aus? Dieses Feld öffnet sich gerade und ist mit vielen Fragen behaftet. Das ist eine Chance für die Degrowth-Bewegung, in den Diskurs zu intervenieren, weil es aus ihr heraus viele Ansätze gibt, wie diese Veränderung gestaltet werden kann.

SB: Ruth, vielen Dank für das Gespräch.


Transparent mit Kohlegrube 'There are no jobs on a dead planet' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://www.degrowth.info/de/sommerschule-2017/degrowth


Berichte und Interviews zum Klimacamp 2017 im Rheinland im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT

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5. September 2017


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