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INTERVIEW/115: TTIP Nein danke - Nagel am Sarg ...    Georg Janßen im Gespräch (SB)


Bäuerlicher Widerstand - Klare Furche gegen Freihandelsabkommen

Demonstration gegen TTIP am 23. April 2016 in Hannover


Georg Janßen ist Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL) [1]. Vor der Demonstration gegen TTIP in Hannover berichtete er in seinem Redebeitrag bei der Auftaktkundgebung von einer morgendlichen Aktion der Bäuerinnen und Bauern, mahnte Solidarität mit den Flüchtlingen an und schilderte die existenzgefährdende Situation kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe. Da die Freihandelsabkommen deren Lage zu verschärfen drohten, hätten sie gute Gründe, Seite an Seite mit den Gewerkschaften und zahlreichen anderen Organisationen der Zivilgesellschaft die Durchsetzung von CETA und TTIP zu verhindern. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Georg Janßen
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Heute morgen fand hier in Hannover bereits eine Demonstration der Bäuerinnen und Bauern statt. Wie ist sie verlaufen?

Georg Janßen (GJ): Wir haben uns um neun Uhr am Schützenplatz getroffen, ungefähr 35 Bäuerinnen und Bauern mit ihren Schleppern. Wir haben die Schlepper mit guten Parolen geschmückt: Für einen gerechten Welthandel, gegen die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Wir sind dann zum Landwirtschaftsministerium gefahren und haben dort eine kleine Kundgebung durchgeführt. Der Minister Meyer [2] war anwesend, und wir haben deutlich gemacht, daß wir von der rot-grünen Landesregierung ein klares Nein zu CETA und TTIP erwarten und vor allen Dingen auch bundesweit die grünen Minister in die Pflicht nehmen wollen, sich eindeutig gegen diese Abkommen auszusprechen.

SB: Wie ist die Reaktion auf diese Forderung ausgefallen?

GJ: Herr Meyer hat deutlich gemacht, daß es innerhalb der Landesregierung eine klare Abmachung für den Fall gibt, daß Investor-Staat-Schiedsverfahren etabliert werden sollen, mit deren Hilfe die Konzerne praktisch ihren angeblichen Schaden gegenüber Staaten durchsetzen wollen: Dann würde das Kabinett für das Land Niedersachsen dem CETA-Abkommen nicht zustimmen.

SB: Läßt das darauf schließen, daß sich der Widerstand gegen TTIP und CETA bereits auf Ebene der Landesregierungen bemerkbar macht?

GJ: Nein, ich bin da noch nicht so optimistisch, und es wird darauf ankommen, von den Bewegungen her Druck zu machen. Man hört ja erste Signale aus Baden-Württemberg, daß sich die grün-schwarze Landesregierung angeblich schon darauf verständigt hat, kein klares Nein zu CETA auszusprechen, sondern sich zu enthalten, weil es unterschiedliche Auffassungen gibt. Hier erwarten wir eine klare Furche.

SB: Nach der Demonstration vom 10. Oktober mit 250.000 Menschen in Berlin schwiegen die Leitmedien dieses Ereignis mehr oder minder tot. Diesmal kündigten sie bereits Wochen zuvor die Präsenz Zehntausender Gegner der Freihandelsabkommen in Hannover an. War das auf eine gezielte Strategie der Anti-TTIP-Bewegung zurückzuführen?

GJ: Nein, wir machen einfach weiter. Wenn 250.000 Menschen in Berlin auf die Straße gehen, lassen wir uns nicht davon blenden und zu dem Fehlschluß verleiten, wir könnten uns aufs Sofa legen und zurücklehnen. Nein, es kommt jetzt darauf an, den Druck aufrechtzuerhalten. Wir haben gut gearbeitet in den letzten Monaten. Es ist viel Bewegung in die politische Debatte gekommen. Von daher bin ich guter Dinge, daß das auch so weitergeht.

SB: Derzeit wird sicher auf EU-Ebene erwogen, CETA nicht zuerst die Parlamente der Mitgliedsländer durchlaufen zu lassen, sondern vorläufig in Kraft zu setzen. Wie ist das einzuschätzen?

GJ: Wenn sie das machen, werden sie den Protest und Widerstand noch verstärken, da es ein großer und berechtigter Vorwurf ist, daß diese Abkommen undemokratisch sind. Wenn man da noch nicht einmal die gewählten Organe in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu Wort kommen lassen will, dann denke ich, wird es keine große Zustimmung für diese Abkommen in der Zivilgesellschaft geben.

SB: Sie haben sowohl auf der Strategiekonferenz in Kassel [3] als auch in Ihrem heutigen Redebeitrag auf dem Podium angesprochen, daß möglicherweise noch entschiedenerer Widerstand notwendig sein wird, um die Freihandelsabkommen zu stoppen. Wie könnte der aussehen?

GJ: Es wird Diskussionen mit den Verantwortlichen in der Politik geben. Aber es wird auch Aktionen geben müssen, die deutlich machen, wohin das alles führt. Wir fangen ja längst im landwirtschaftlichen Bereich an und gehen gegen die katastrophale Niedrigpreisstrategie von großen Agrarkonzernen vor. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, zumal zahlreiche Menschen in dieser Bewegung viel Erfahrung mit Aktionen haben, daß wir auf jeden Fall unsere Aktivitäten in diese Richtung ausweiten.

SB: Wird dann die Anti-TTIP-Bewegung möglicherweise auch noch zu Formen des zivilen Ungehorsams greifen?

GJ: Das kommt darauf an, wie die weitere Entwicklung in dieser Auseinandersetzung verläuft. Wir bereiten uns jedenfalls sehr breit vor, um auf alles gefaßt zu sein, was künftig erforderlich ist.

SB: Kontrastiert man die Lage der deutschen Bauernschaft mit den gravierenden Problemen der Welternährung, springt der krasse Widerspruch ins Auge: Einerseits wird die bäuerliche Landwirtschaft zunehmend durch Großkonzerne zerstört, während andererseits die industrielle Produktion von Nahrungsmitteln keineswegs dazu führt, den Hunger weltweit zu besiegen.

GJ: Wir werden es mit irgendwelchen neuen Technologien nicht hinbekommen, alle Menschen zu ernähren, da es sich um ein Verteilungsproblem handelt. Von daher gilt es, nicht nur hier in Europa zu schauen, wie wir unsere Landwirtschaft auf vernünftige Füße stellen können, so daß bäuerliche Betriebe wieder eine Chance haben. Es wird vor allen Dingen auch darauf ankommen, die Entwicklungspolitik zu ändern. Wir dürfen nicht weiter nur den Steigbügel für die Agrokonzerne halten, subventionieren und Dumpingexporte begünstigen, denn damit machen wir die Landwirtschaft in Afrika und Asien kaputt.

SB: Von deutscher Seite wird häufig der Vorwurf erhoben, daß TTIP und die anderen Freihandelsabkommen im Grunde eine Strategie der USA gegen Europa seien. Das scheint mir keine zutreffende Einschätzung zu sein.

GJ: Ich finde, Einseitigkeit ist hier völlig fehl am Platz. Es ist ganz wichtig zu sehen, daß die EU und auch die Bundesregierung selber in Sachen Freihandelsabkommen zu den maßgeblichen Initiatoren gehören. Wir sehen das am Beispiel der Gentechnik, wo wirklich versucht wird, Türen zu öffnen. Es gibt Überlegungen, den Saatgutschwellenwert, der im Augenblick eine Nulltoleranz gegenüber gentechnisch veränderten Organismen vorsieht, aufzuweichen. Die Konzerne sollen bei den nationalen Verbotsmöglichkeiten Mitspracherechte bekommen. Das sind erste Tendenzen. Hinsichtlich der neuen Züchtungstechnologien steht die Aussage im Raum, daß sich die USA und die EU darauf verständigen, sie nicht unter das Gentechnikrecht zu stellen. Da gibt es keine Einseitigkeit in dem Sinne, daß die USA böse seien, während die EU eine weiße Weste habe. Wir müssen vielmehr genau hinschauen, wie es sich tatsächlich verhält. Die Stärke dieser Bewegung liegt darin, daß wir sowohl in Amerika als auch in Kanada und Europa gute, kritische Kräfte haben, die in die gleiche Richtung ziehen. Einen blanken Antiamerikanismus oder Antieuropäismus halte ich für völlig falsch, und eine solche Position wird innerhalb dieses Bündnisses auch nicht akzeptiert.

SB: Ist die AbL so etwas wie die Avantgarde der bäuerlichen Landwirtschaft?

GJ: Die AbL feiert jetzt bald ihren 40. Geburtstag. Wir haben uns als kritische Opposition zum Bauernverband gegründet. Aber wir sind längst auch die Stimme für eine klein- und mittelbäuerliche Landwirtschaft in Deutschland geworden, weil wir sehr stark mit anderen gesellschaftlichen Gruppen aus Verbraucherschutz, Tierschutz und Dritte-Welt-Organisationen zusammenarbeiten. Das ist unsere Perspektive, zusammen mit der Zivilgesellschaft unsere Lebensgrundlagen für eine bäuerliche Zukunftslandwirtschaft positiv zu gestalten.

SB: Herr Janßen, vielen Dank für das Gespräch.


Trecker mit Fronttransparent 'Bauern im Widerstand' - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.abl-ev.de/

[2] Christian Meyer (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit dem 19. Februar 2013 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Niedersachsen im Kabinett von Stephan Weil.

[3] BERICHT/069: Das Anti-TTIP-Bündnis - Lackmustest Verschärfung ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0069.html


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