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INTERVIEW/103: Das Anti-TTIP-Bündnis - der Kriegsführung entlehnt ...    Uwe Hiksch im Gespräch (SB)


Freihandelsabkommen im Dienst geopolitischer Vormachtstellung

Interview auf der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel am 27. Februar 2016


Uwe Hiksch war von 1994 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst für die SPD, die er 1999 wegen der unsozialen Politik der Regierung Schröder verließ, und anschließend für die PDS, deren Bundesgeschäftsführer er war. Er ist seit 2007 Mitglied der Partei Die Linke, einer der Sprecher des Marxistischen Forums und derzeit Büroleiter der Bundestagsabgeordneten Annette Groth. Seit 1998 ist er Mitglied im Bundesvorstand der NaturFreunde Deutschlands und seit Mai 2010 stellvertretender Vorsitzender der NaturFreunde Berlin. Hiksch ist seit vielen Jahren in der Friedensbewegung und der Anti-Atom-Bewegung aktiv und war 2015 unter anderem als Redner und Organisator maßgeblich an der Anti-TTIP-Demonstration am 10. Oktober in Berlin beteiligt.

Auf der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel bot er einen Workshop zum Thema "Rekolonialisierung verhindern - Freihandelsabkommen stoppen! Geopolitische und ökonomische Hintergründe des Freihandelsabkommens TTIP" an. Darin kam auf Grundlage einer marxistischen Krisentheorie zur Sprache, auf welche Weise die westlichen Industrieländer des globalen Nordens mit der Durchsetzung von Freihandelsabkommen ihre geopolitische Vormachtstellung sichern und ausbauen. Durch TTIP sollen neue Konkurrenten auf dem Weltmarkt in Gestalt der aufstrebenden BRICS-Staaten zurückgedrängt oder zumindest in die Interessenlage von EU und USA eingebunden werden. Am Rande der Konferenz beantwortete Uwe Hiksch dem Schattenblick einige Fragen.


Vor einem Anti-TTIP-Plakat - Foto: © 2016 by Schattenblick

Uwe Hiksch
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Im heutigen Plenum und in einigen Workshops wurde die Empfehlung ausgesprochen, auf marxistische Terminologie zu verzichten und sich nicht in die linke Ecke stellen zu lassen. Ist die Kampagne gegen die Freihandelsabkommen eine Bewegung, in der Linke keine politische Heimat mehr haben?

Uwe Hiksch (UH): Ich habe die Bemerkungen nicht als Abgrenzung gegen die Linke verstanden. Vielmehr haben sich mehrere Rednerinnen und Redner dafür stark gemacht, daß wir natürlich eine Bewegung sein müssen, die bis weit in das, was man früher das bürgerliche Lager genannt hat, hineinreicht. Ich halte diese Grundthese für richtig. Wir haben von Anfang an das Bündnis gegen TTIP und CETA so angelegt, daß ganz unterschiedliche Organisationen aus verschiedenen politischen Traditionen - die Bauernorganisationen, die Gewerkschaften, attac beispielsweise aus dem globalisierungskritischer Bereich, wir als NaturFreunde und der BUND aus dem umweltpolitischen Bereich, aber auch bürgerliche Organisationen, die bisher gar nichts mit einer traditionellen Demonstrationskultur zu tun hatten wie etwa der Kulturrat, zusammengefunden haben. Ich denke, wir tun uns strategisch einen Gefallen, wenn wir diese Breite auch nach außen zeigen. Und deswegen sind die Hinweise, daß wir uns nicht in die linke Ecke drücken lassen dürfen, nach meiner Überzeugung strategisch richtig. Jede und jeder weiß, daß ein großer Teil der Menschen, die in den Bündnissen gegen TTIP, CETA und TiSA aktiv sind, natürlich eher aus der fortschrittlichen, politisch linken Ecke kommen, aber man muß das ja nicht so weit nach außen kehren.

SB: Müßte man nicht, wenn man diese Thematik aufgreift, eine fundierte Krisentheorie vorhalten, wie sie die marxistische Kritik der politischen Ökonomie entwickelt, oder kommt man deines Erachtens auch ohne diese Voraussetzung aus?

UH: Die aktuelle Bewegung beweist ja, daß eine ökonomische Krisentheorie nicht zwangsläufig notwendig ist, um große Massen auf die Straße zu bringen. Wenn ich einmal zurückdenke, war das auch schon in der Friedensbewegung und der Anti-Atom-Bewegung so. Linke meiner Tradition sind stets in diese Bewegungen gegangen, um auch über Gesellschaftstheorien und ökonomische Theorien zu diskutieren und diese Bewegungen dazu zu bringen, sich mit Ökonomie zu beschäftigen, weil der Bau von Atomkraftwerken ja wesentlich mehr als nur die Planung der Energiepolitik berührt hat. Wir haben damals auch versucht, die Auseinandersetzung mit dem militärisch-industriellen Komplex in die Friedensbewegung hineinzutragen, um deutlich zu machen, daß hinter Kriegen geopolitische, geostrategische, altmodisch hätten wir das imperialistische Interessen genannt, stehen, die durchgesetzt werden sollen. In der Auseinandersetzung über Freihandelsabkommen geht es nach meiner Überzeugung, da gebe ich dir völlig recht, auch darum aufzuzeigen, warum das Kapital in seiner gegenwärtigen Phase so offensiv die Freihandelsstrategie betreibt - nämlich um seine Profitraten zu verbessern und dieses riesige, frei umherfließende Kapital, das derzeit keine Anlagesphäre findet, wieder in die Profitmaximierung einzuspeisen. Dies so zu sehen ist aber keine Grundvoraussetzung der Zusammenarbeit, denn die traditionelle Vorstellung der Linken, daß alle ihr geschlossenes Weltbild teilen müßten, wollte man die Gesellschaft konsequent verändern, hat so nie gestimmt. Menschen, die einfach empört sind, sei es, weil sie aus dem christlichen Glauben, aus dem Umweltschutz oder einer humanistischen Tradition kommen, können genausogut mithelfen, Gesellschaft zu verändern wie Menschen wie ich, die aus einer marxistischen Tradition kommen.

SB: Welche Möglichkeiten siehst du, auf Grundlage dieser grundsätzlichen Bündnisfähigkeit zu fundamentaleren und weitreichenderen Thematiken und Auseinandersetzungen vorzudringen?

UH: Wir sind derzeit gerade dabei, in den Bereichen, wo wir noch nicht so stark vertreten sind wie beispielsweise in den Kirchen, dafür zu werben, daß auch sie sich aus ihrer Tradition heraus am Widerstand gegen TTIP und CETA beteiligen können. Solche Bündnisse, wie wir sie heute mit der Bewegung gegen die Freihandelsabkommen erleben, haben meines Erachtens immer dazu beigetragen, Menschen zu politisieren und sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen auseinanderzusetzen. Das war in der Friedensbewegung so, das war in der Anti-Atom-Bewegung so, und das ist jetzt nach meiner Überzeugung auch in der Anti-TTIP- und Anti-CETA-Bewegung so. Die Menschen haben sich mit Macht auseinandergesetzt, sie haben gemerkt, wie Parteien funktionieren, sie haben erfahren, wie Medien mit den von ihnen vorgetragenen Thesen umgehen, und sie haben die Strukturen kennengelernt, die auf europäischer Ebene wirken. Das politisiert Menschen und verändert sie. Dieser Veränderungsprozeß ist für sich genommen schon positiv. Ob er dann nach links führt oder eher in eine unpolitische Ecke, weil die Menschen frustriert sind, liegt nicht zuletzt auch an den linken und fortschrittlichen Kräften im Rahmen der Bewegung. Wir versuchen, beispielsweise Angebote wie den gestrigen Workshop zu machen, der sich mit geopolitischen, geostrategischen und ökonomischen Hintergründen von TTIP und CETA beschäftigt und sich diesem Thema von einer linken Krisentheorie her nähert.

SB: In der Anti-TTIP-Bewegung herrschen bislang Aktionsformen vor, die sich der Öffentlichkeitsarbeit, Rechtsmittel und Medien bedienen. Wenig vertreten sind Aktionsformen, wie sie in der Anti-Atom-Bewegung oder der Umweltbewegung als direkte Aktionen bezeichnet wurden. Wie würdest du die weitere Entwicklung der Bewegung in dieser Hinsicht einschätzen?

UH: In der aktuellen Arbeit sieht man solche direkten Aktionen noch nicht. Ich glaube aber, daß sie automatisch dazukommen werden, wenn die Auseinandersetzungen über Freihandelsabkommen weitergehen. Die Anti-Atom-Bewegung begann zwar mit einer direkten Aktion in Wyhl, doch waren solche Aktionsformen dann über weite Strecken nicht automatisch präsent. Es gab breite Aktionen, die eher so angelegt waren, wie unsere Demonstrationen in Berlin, München oder bald in Hannover, während Teile der Bewegung direkte Aktionsformen wie beispielsweise jene des gewaltfreien Widerstands praktizierten. Wir werden erleben, daß die Bewegung gegen TTIP und CETA mit sehr kreativen gewaltfreien Aktionen angereichert wird. Und das wird der Bewegung sehr gut tun.

SB: Du hast gestern im Workshop die geopolitischen Zusammenhänge der Freihandelsabkommen thematisiert. Warum sind sie deines Erachtens so wichtig?

UH: Wir müssen erkennen, daß das europäische und das US-amerikanische Kapital TTIP und CETA unter anderem deshalb betreibt, weil es sich aus seiner Sicht gesehen in der Defensive befindet und aggressiv Pläne schmiedet, wie es wieder in die Offensive gehen kann. Das wird einerseits mit militärischen Mitteln wie beispielsweise dem Stellvertreterkrieg in Syrien oder den Auseinandersetzungen in der Ukraine vorangetrieben und andererseits ökonomisch mit den Freihandelsabkommen forciert - nicht umsonst bezeichnen wir TTIP auch als "Wirtschafts-NATO". Das US-amerikanische und europäische Kapital fürchtet, durch das Kapital aus den sogenannten BRICS-Staaten noch weiter in die Defensive gedrückt zu werden, und versucht deswegen so vehement, die Freihandelsideologie voranzubringen und Freihandelsabkommen durchzusetzen. Erkennt man nicht, daß dahinter brutale ökonomische Interessen am Werk sind, wird man in der Auseinandersetzung mit "der anderen Seite" nicht zu den richtigen Schlußfolgerungen gelangen. Wir kämpfen gegen einen aggressiven Versuch, Ökonomie weiterzuentwickeln, sie durch Kapitalisierung der Gesellschaft auf eine neue Stufe zu heben. Es geht dabei insbesondere darum, dem Kapital neue Profitmöglichkeiten zu erschließen, indem Bereiche der Gesellschaft in privatwirtschaftliche Profitmaximierung überführt werden, die dieser zuvor nicht zugänglich waren. Vom Krankenhaus bis hin zu den Bildungseinrichtungen werden diese Sphären stückchenweise dem Gewinnstreben der großen Kapitalmassen zur Verfügung gestellt. Diese Auseinandersetzung ist in der gegenwärtigen ökonomischen Entwicklungsphase angelegt, und wir müssen sie als Linke in den Bewegungen auch unabhängig von TTIP und CETA verstärkt in den Mittelpunkt rücken.

SB: Wie würdest du in diesem Zusammenhang das Verhältnis von nationalstaatlichen und Kapitalinteressen bewerten, das in den jüngeren Konzepten von Globalisierung oftmals relativ vage und fast beliebig interpretiert wird?

UH: Ich selber komme aus einer Tradition, die davon ausgeht, daß das Kapital auch heute noch national aufgestellt ist und zumindest seine nationalen Hometowns hat, in denen es arbeitet und sich der Politik bedient, um im internationalen Konkurrenzkampf Vorteile zu erzielen. Manchmal werden Unternehmenszentralen in ein Land verlagert, wo die Steuern möglichst niedrig sind, in anderen Fällen jedoch in Deutschland belassen, um dank der deutschen Außenpolitik den Standortvorteil in der Europäischen Union und weltweit zu nutzen. Der Nationalstaat spielt also auch für das sogenannte transnationale Kapital eine entscheidende Rolle.

Wir erleben zum zweiten in der Sondersituation Europa, daß die Europäische Union zwischenzeitlich einen Binnenmarkt geschaffen hat, der weit über den Nationalstaat hinausgeht und in dem auch das Kapital anfängt, sich zu europäisieren. Europäisches Kapital im traditionellen Sinne gibt es bislang noch wenig. Man könnte EADS, Eurocopter oder Airbus als Beispiele nennen, die als europäisches Kapital angelegt sind und wo auch die Beteiligungen sehr weit über die führenden europäischen Staaten gestreut wurden. Aber auch in der Europäischen Union dominieren Nationalkapitalien, die diesen neuen Binnenmarkt dazu nutzen, möglichst große Teile des Kuchens für sich abzuschneiden. Die jeweiligen Kapitalien, die ihre Hauptsitze hier in der Europäischen Union haben, benutzen das Konstrukt EU, um ihre Stellung auf dem Weltmarkt zu verbessern.

Als drittes finden wir vor allen Dingen im Finanzsektor ein Kapital, das schon lange über einzelne Nationalstaaten und Regionen hinaus arbeitet und durch die Computerisierung der Börsen in Sekunden zweimal um den Erdball herumsausen kann, also heute schon als transnationales Kapital funktioniert. Aber auch da gilt, daß hinter diesen Fraktionen des Finanzkapitals Pensionsfonds oder Hedgefonds stehen, die sehr häufig national angelegt sind und vorzugsweise an der Börse in London, New York oder Frankfurt gehandelt werden, also national oder regional verankerte Interessen repräsentieren. Zusammengefaßt: Es gibt eine Globalisierung der Ökonomie, es gibt eine Globalisierung von Unternehmenstätigkeiten, die über die Welt verteilt ihre Standorte haben. Aber die Frage dessen, was bei Karl Marx die Nationalkapitalien waren, spielt heute noch eine entscheidende Rolle, wenn man die Weltökonomie verstehen will. Die Vorstellung, das Kapital habe keine Heimat mehr und bewege sich frei fließend über den Globus, halte ich für eine These, die sich schwerlich belegen läßt.

SB: Du sprichst in Anlehnung an das Konzept des militärisch-industriellen Komplexes von einem datensammelnden industriellen Komplex, der vornehmlich in den USA angesiedelt ist. Welche Konsequenzen hat das für einzelne Fraktionen des Kapitals und die Staaten, in denen sie dominieren?

UH: Ich möchte mit dem Wortspiel vom datensammelnden industriellen Komplex andeuten, daß meiner Analyse zufolge zu den entscheidenden Einzelkapitalien der nahen Zukunft diejenigen gehören werden, die Daten sammeln, besitzen, auswerten und für ihre jeweiligen Profitinteressen einspannen können - Industrie 4.0, wie das immer so schön genannt wird. Im Rahmen der Einzelkapitalfraktionen haben sich die Machtverhältnisse deutlich von der Kohle- und Stahlindustrie zum verarbeitenden Gewerbe und Anlagenbau verschoben, die in Deutschland eine führende Stellung innehaben. Bei den US-amerikanischen Kapitalfraktionen findet man eine komplett gespaltene Interessenlage vor. Auf der einen Seite die Silicon-Valley-Fraktion, eben diese Datensammelindustrie, die versucht, sich kulturelle Güter anzueignen, die Bedürfnisse und später den Bedarf der Menschen zu erfassen und zu lenken, wie auch mit dem Staat oder gegen ihn - das ist manchmal durchaus ambivalent -, Daten zur Repression zu nutzen, die ihnen zugleich Umsätze bescheren. Und wir haben auf der anderen Seite die eher traditionelle explorierende Industrie der Öl- und Gasförderung, dann aber auch die noch immer große Automobil- und verarbeitende Industrie. Diese beiden Seiten haben durchaus unterschiedliche Interessen, was die Außenpolitik der USA betrifft. Die Silicon-Valley-Industrie drängt nach Globalisierung, weil sie keine Grenzen im traditionellen Sinn mehr braucht und ihre Systeme weltweit schalten möchte. Hingegen sind für die explorierende Wirtschaft Nationalstaaten und regionale Machtfaktoren bedeutsam, die "Ruhe und Ordnung" garantieren. Aus diesen divergierenden Interessen resultieren unterschiedliche Anforderungen an die Politik. Wir müssen uns meines Erachtens darauf einstellen, daß sich die datensammelnde Industrie auf dieser Ebene der Auseinandersetzungen immer stärker durchsetzt, dadurch zunehmend in der politischen Elite an Einfluß gewinnt und damit auch das Interesse an der Umsetzung von TTIP wächst.

SB: Du hast im Workshop ausgeführt, wie wichtig TTIP für die Protagonisten des Freihandels ist, so daß die Aussichten, dieses Projekt unmittelbar aus der Welt zu schaffen, als sehr gering einzuschätzen seien. Mit Hilfe welcher Strategie könnte man TTIP deines Erachtens dennoch ausbremsen?

UH: Ich stünde nicht hier, wenn ich keine Chance erkennen könnte, TTIP und CETA zu verhindern. Ich schätze die Interessen der Gegenseite allerdings als so fundamental ein, daß es uns sehr schwer fallen wird, die großen Kapitalfraktionen unmittelbar an der Durchsetzung dieser Form von Politik zu hindern. Dennoch haben wir auf jeden Fall Möglichkeiten, bestehende Risse, die es in den Interessenlagen sowohl der Einzelkapitalfraktionen als auch der Nationalkapitalien gibt, zu nutzen und zu erweitern. Beispielsweise versucht die US-amerikanische Agrarlobby im Rahmen der TTIP-Verhandlungen, die Gentechnikfrage in den Mittelpunkt zu stellen, da sie gentechnisch verändertes Saatgut und gentechnisch veränderte Lebensmittel großflächig in der Europäischen Union verkaufen will. Für die europäische Saatgutindustrie ist Gentechnik jedoch längst nicht so wichtig. Vor allem aber haben wir in der Europäischen Union eine starke Verbraucherinnen- und Verbraucherschutzbewegung, die auf keinen Fall gentechnisch verändertes Saatgut und gentechnisch veränderte Lebensmittel möchte, die von Millionen Menschen fundamental abgelehnt werden. Wir haben in der EU gleichzeitig eine starke Bewegung im umweltpolitischen Bereich, die Gentechnik ebenfalls ablehnt. Inzwischen hat das deutsche Kapital das Prinzip Gentechnik zurückgestellt, und im letzten Jahr hat Monsanto den Versuch aufgegeben, gentechnisch verändertes Saatgut auf die Felder zu bringen, weil es sich angesichts des Widerstands für den Konzern vorerst nicht lohnt, dieses Vorhaben weiterzuverfolgen. Gelingt es uns, die deutsche Politik so weit unter Druck zu setzen, daß sie dabei bleibt, gentechnisch veränderte Lebensmittel möglichst vom Markt der Europäischen Union fernzuhalten, schwindet das Interesse der US-Agrarindustrie, TTIP durchzusetzen.

Ein anderes Beispiel könnten die Interessen des verarbeitenden Gewerbes sein, das in Deutschland zu den weltweit exportoffensivsten gehört. Häufig wurden deutsche Standards im Rahmen der Europäischen Union durchgesetzt und sollen nach Möglichkeit auch problemlos auf die USA übertragen werden. Das fürchtet jedoch das verarbeitende Gewerbe der USA, weil diese Entwicklung dazu führen würde, daß das hochproduktive europäische (eigentlich deutsche) Kapital noch stärker auf den US-amerikanischen Markt drängt und die Konkurrenz verschärft. Gelänge es den US-amerikanischen Gewerkschaften, die Regierung so stark unter Druck zu setzen, daß aufgrund massiv bedrohter Arbeitsplätze die Standards nicht angeglichen werden, würde TTIP aus Sicht des deutschen oder europäischen verarbeitenden Gewerbes uninteressant. Wenn wir diese Risse, die man in fast jedem Bereich durchdeklinieren könnte, ein Stückchen vergrößert, kann es passieren, daß aufgrund der vorhandenen Widersprüche der Interessen TTIP und CETA scheitern.

SB: Ich möchte dich gerne abschließend fragen, wie dir die Konferenz bislang gefallen hat.

UH: Ich bin sehr angetan von dem Kongreß, zu dem 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gekommen sind. Die Einladung war vor allen Dingen auf die Menschen und Aktivisten angelegt, die sich in den Regionen in Bündnissen gegen TTIP, CETA und TiSA engagieren. Das hat sicher maßgeblich dazu beigetragen, daß wir hier eine sehr interessante und intensive Diskussion führen. Die Konferenz hat sich im Sinne ihrer Planung im ersten Teil mit inhaltlichen Fragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auseinandergesetzt, um dann im zweiten Teil zu erörtern, wie wir die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft erreichen, und schließlich im dritten Teil die künftigen Aktionsformen in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Der Kongreß hat nach meiner Überzeugung wichtige Impulse in die Bewegung gesetzt, weshalb von ihm ein starkes Zeichen ausgeht, daß der Widerstand gegen TTIP und CETA noch stärker wird.

SB: Uwe, vielen Dank für dieses Gespräch.


TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel im Schattenblick
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17. März 2016


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