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INTERVIEW/089: Klimacamp trifft Degrowth - die andere Gesellschaft ...    Umweltaktivist Christian im Gespräch (SB)


Schulterschluß ohne Preisgabe der Vielfalt

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Nach der gemeinsamen Teilnahme an einem Workshop und angeregt durch die dort geführten Diskussionen stellte der Schattenblick dem Umwelt- und Klimaaktivisten Christian einige Fragen zu den Gründen seines Engagements, zu taktischen und strategischen Fragen und zu den Grundvoraussetzungen einer Zusammenarbeit der Bewegungen.


Schattenblick (SB): Christian, wie ist es dazu gekommen, daß du dich in Umwelt- und Klimafragen engagierst?

Christian: Ich bin in einer kleinen Stadt im Schwarzwald aufgewachsen, wo es keine große Pluralität an Meinungen gab. Als ich dann zum ersten Mal nach der Schule wirklich rauskam, war das schon ein Aufleben für mich. Ich traf auf ein Überangebot von verschiedenen Bewegungen, wobei für mich von Anfang an klar war, daß ich mich im Umweltbereich engagieren und dort etwas bewegen wollte.

SB: Wie bist du auf die Idee gekommen, im Umweltbereich aktiv zu werden? Hattest du Vorbilder, die dich dazu angeregt oder inspiriert haben?

Christian: Das war eine familiäre Prägung und persönliches Interesse gleichermaßen, das sich in der Folge dadurch aufgebaut hat, daß ich mich eingehender damit beschäftigt habe. Unter diesen Voraussetzungen war es für mich eine naheliegende Entscheidung, daß ich anstelle des Zivildienstes einen anderen Dienst im Ausland in einer kleinen Umwelt-NGO bevorzugt habe.

SB: In welchem Land warst du damals im Einsatz?

Christian: Ich war in der Dominikanischen Republik. Das war sehr prägend für mich, da ich in aller Deutlichkeit erfuhr, daß mit dem Thema Umwelt gleichzeitig Fragen des globalen Nordens und Südens, also der globalen Gerechtigkeit, untrennbar zusammenhängen. Damals hat sich bei mir das Interesse herausgebildet, das heute für meine Position und mein Engagement maßgeblich ist.

SB: Wie ging deine Entwicklung weiter? Würdest du dich heute als einen Aktivisten der Umwelt- und Klimabewegung bezeichnen?

Christian: Das kommt ganz auf die Definition an. Ich verwende sehr viel Zeit darauf, mich über verschiedene Gruppen, aber auch im unabhängigem Kontext, aktiv in Gestaltungsprozesse einzubringen. Insofern paßt das ins Bild eines Aktivisten, wenn es mir auch darum geht, die abgesteckten, vorgegebenen Systemgrenzen zu überschreiten. Das passiert dann auch schon mal. Von daher würden mich vermutlich viele Leute als aktivistisch sehen. Ich denke allerdings, daß ich verglichen mit vielen anderen Menschen doch sehr wenig tue oder vielleicht auf einer Ebene aktiv bin, die man nicht so direkt sieht.

SB: Gibt es auch Aspekte deines Engagements, die nicht diesem Bereich angehören, sondern eher auf konventionellem Gebiet angesiedelt sind?

Christian: Eine konventionelle Vorgehensweise könnte bedeuten, Gespräche mit den Leuten an der Macht zu führen und zu versuchen, sie auf diesem Wege zu beeinflussen. Dabei geht es jedoch bestenfalls darum, Kompromisse zu finden, und nie darum, diese Person und deren Meinung komplett umzukrempeln, weil die Chancen dafür sehr gering sind. Dazu ist die Power, die hinter unserer Bewegung steckt, meist noch nicht wirksam genug. Es ist ein bißchen von beidem: Auf der einen Seite zu versuchen, Kompromisse zu finden, obwohl klar ist, daß sie keinesfalls ausreichen, und gleichzeitig auf andere Weise aktiv zu werden. Das sind meiner Meinung nach wichtige Schritte, weil wir das System nicht von heute auf morgen ändern können. Das braucht etwas Zeit, um die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, eine Bewegung aufzubauen und schließlich radikale Änderungen herbeizuführen. Dabei hat radikal nichts mit irgendeiner Form von Gewalt zu tun, sondern es geht einfach nur darum, daß das System, wie es heute existiert, nicht fähig ist, Lösungen hervorzubringen.

SB: Wir haben vorhin im Workshop darüber diskutiert, ob man womöglich auch mit kleinen Schritten vorankommen und schließlich weitreichende Veränderungen herbeiführen könnte. Du hast dagegen eingewendet, daß eine Strategie der kleinen Schritte heute in manchen Bereichen einfach nicht mehr funktionieren würde.

Christian: Es ist immer die Frage, in welchem Bereich man mit kleinen Schritten voranzukommen meint. Wenn es darum geht, Kompromisse zwischen den großen Unternehmen und unserer allgemeinen Klimabewegung zu finden, halte ich das für sehr schwierig. Das Geschäftsmodell und Überleben dieser Konzerne basiert darauf, daß sich das System allenfalls geringfügig ändert. Diese geringfügigen Änderungen werden aber niemals ausreichen, um den Klimawandel auf globaler Ebene in erträglichen Grenzen zu halten. Sollte es nur zu kleinen Änderungen kommen, weil wir beispielsweise auf grünes Wachstum setzen, werden wir nie globale Gerechtigkeit herbeiführen, weil der globale Süden vorher entweder vertrocknet oder abgesoffen ist. Das heißt, in dieser Hinsicht viel Energie aufzuwenden und Kompromisse zu finden, so daß auch diese großen Unternehmen überleben können, hat meiner Meinung nach wenig Sinn.

SB: Könntest du dir vorstellen, daß im Rahmen der herrschenden Gesellschaft diese notwendigen Veränderungen überhaupt möglich sind?

Christian: Nein, so wie das System heute funktioniert und welche Mächte das Sagen haben, ist das nicht möglich. Deshalb sollten wir daran arbeiten, dieses Machtgefüge zu verändern, ins Wanken zu bringen und dafür zu sorgen, daß diese großen Unternehmen und wenigen Personen weltweit, die das meiste Geld auf sich versammeln, nicht länger den Kurs bestimmen. Erst wenn wir als Bevölkerung das Sagen haben, kann es zu Lösungen kommen. Ich bin mir ganz sicher, daß viele Menschen, sobald sie verstehen, was der Klimawandel bedeutet, sehr schnell die erforderlichen Konsequenzen realisieren. Wie man in diesem Zusammenhang ganz klar sehen kann, bedeutet konservativ, den Status quo mehr oder weniger zu erhalten. Doch sobald diese Menschen merken, daß ihr Weltbild gerade durch das System, in dem sie leben, derart bedroht ist, werden sie auch bereit sein, Änderungen zu akzeptieren. Und wenn diese Veränderungen für die breite Masse Vorteile wie mehr demokratische Beteiligung, mehr Selbstbestimmung und weniger Ausbeutung durch große Konzerne mit sich bringen, wird sie auch bereit sein, Änderungen zu akzeptieren. Dann muß aber auch klar sein, daß es nicht für alle immer nur auf größer, schneller, wachsen hinauslaufen kann, sondern bestimmte Gruppen dafür zahlen beziehungsweise verschwinden müssen: Das sind die große Konzerne und Machtstrukturen, die heute herrschen.

SB: In der Podiumsdiskussion gestern abend wurde als ein Hauptargument vorgebracht, daß jeder Mensch und damit die gesamte Bevölkerung eine Änderung der Konsumgewohnheiten herbeiführen müßte, ohne die eine Reduzierung des Wachstums nicht möglich sei. Würdest du diese Auffassung teilen?

Christian: Ja, ganz klar. Wie jedoch schon von vielen verschiedenen Leuten hier im Klimacamp hervorgehoben wurde, geht es nicht darum, auf Dinge zu verzichten und weniger zu wollen, sondern tatsächlich um mehr. Wenn ich mir anschaue, was mir wichtig ist, dann ist das vor allem Selbstbestimmung, mein Freundeskreis, die Menschen auf dieser Welt. Demgegenüber ist das große Geld oder alle fünf Monate ein neues Handy sehr viel weniger. Es ist klar, daß diese Bedürfnisse systematisch geweckt werden. Sie kommen nicht von allein aus den Menschen heraus, sondern werden gezielt gefördert, um einen entsprechenden Bedarf zu schaffen. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, daß heute jedes Kind ein Smartphone haben möchte? Als ich noch ein Kind war, wußte ich gar nicht, was das ist, das gab es damals noch nicht. Ich kann mir daher nicht vorstellen, daß das ein Grundbedürfnis sein soll. Dieses System, immer neue Konsumwünsche zu wecken, muß aufgeknackt werden. Nur wenn das geschieht, kann es auch Lösungen geben.

SB: Du hast schon mehrfach von der Umweltbewegung gesprochen, wobei dies zunächst ein weitgefaßter Sammelbegriff ist. Wie würdest du Umweltbewegung und deine Position darin bestimmen?

Christian: Die Umweltbewegung, gute Frage. Ich glaube nicht, daß es die eine Umweltbewegung gibt. Wie sich auch hier im Klimacamp zeigt, gibt es so viele verschiedene Meinungen zu diesem Thema, wie Menschen hier zusammengekommen sind. Das ist ganz unterschiedlich: Manchen geht es konkret darum, bestimmte Arten vor Ort zu erhalten, die dann wieder im Großen und Ganzen systemrelevant sind, je nachdem welche Theorien man zugrunde legt. Anderen geht es vor allem darum, daß der Klimawandel die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter vertieft und zwischen dem globalem Süden und Norden noch größere Differenzen aufgebaut werden. Andere gehen auf die Straße, und wieder andere sitzen mit Politikerinnen und Politikern bei Lobbygesprächen zusammen.

SB: Worauf kommt es für dich bei den Leuten an, mit denen zusammen du dich engagierst? Was für Menschen sollten das sein, welche Auffassungen sollten sie vertreten?

Christian: Ganz grundsätzlich glaube ich, daß es meistens fast automatisch Menschen sind, denen es nicht nur um das eigene Wohl geht, sondern die vor allem auch darauf achten, was mit den Menschen um sie herum und weltweit passiert. Die sich als Teil eines globalen Ökosystems verstehen und sich dessen bewußt sind, daß ihr Handeln wiederum Auswirkungen auf alle anderen hat. Ich glaube, das ist eine Grundvoraussetzung, die sehr viele Bewegungen aufweisen. Das muß gar nicht nur die Umweltbewegung sein, da es sehr viele Überschneidungen zu Themen wie Armut, Gender und anderen gibt, wie das hier im Camp ja auch häufig diskutiert wird. Unter dieser Voraussetzung kann eine Vielfalt von Menschen am gleichen Strang ziehen.

SB: Du hast auch an der Degrowth-Konferenz 2014 in Leipzig teilgenommen. Wie hast du sie erlebt und siehst du eine Weiterentwicklung hin zum Klimacamp hier im Rheinischen Braunkohlerevier?

Christian: Die Konferenz in Leipzig war ein großes Sammelbecken für alle möglichen Leute, die zusammenkamen, um andere Menschen kennenzulernen und sich auszutauschen. Das ist auch hier definitiv der Fall, wobei der Fokus jedoch noch stärker darauf gelegt ist, einzelne Themen konkreter und mit mehr Tiefe zu bearbeiten. Ich denke, daß in diesem Sinne sicher ganz viele Menschen auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig 2014 inspiriert und angesteckt wurden, daß sie seither viel darüber nachgedacht und sich engagiert haben. Jetzt möchten sie die nächsten Schritte tun, sich mit anderen verknüpfen und vernetzen, um Input zu bekommen, selbst noch aktiver zu werden und die Änderung aktiv einzuleiten. Viele von ihnen sind sicherlich auch deswegen hier, um sich den Aktionen am Wochenende anzuschließen, weil sie etwas aktiv in die Hand nehmen möchten, um Veränderungen herbeizuführen.

SB: Christian, vielen Dank für dieses Gespräch.


Degrowth-Konferenz in Leipzig 2014 im Schattenblick unter dem Sammeltitel "Aufbruchtage"
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_interview.shtml


Klimacamp und Degrowth-Sommerschule 2015 im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:

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2. Oktober 2015


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