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INTERVIEW/081: Klimacamp trifft Degrowth - Versorgungskooperatives Selbstverständnis ...   Aktivistin Corinna im Gespräch (SB)


Kochkünste im Großformat mit der Aktionsküche Rampenplan

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Dreimal täglich eintausend und mehr vegane Mahlzeiten kochen, die so gut schmecken, daß sich die Menschen mehrmals in die den ganzen Platz durchziehende Warteschlange stellen, ohne dazu konventionellen Arbeitszwangs oder üblicher Zahlungsmodalitäten zu bedürfen - diese kulinarische und logistische Meisterleistung wurde im Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier von einem Kollektiv namens Rampenplan erbracht. Daß es zur Bewältigung der vielen Arbeiten vom Waschen, Schälen und Schneiden des Gemüses über die Zubereitung schmackhafter Beilagen und das Kochen in gigantischen Töpfen bis zur Ausgabe des Essens und dem Abwasch des Geschirrs zahlreicher Menschen bedarf, die anpacken und Hand anlegen, versteht sich von selbst. Daß ein solch anspruchsvoller organisatorischer Ablauf zehn Tage lang aufrechterhalten wird, ohne daß den Aktivistinnen und Aktivisten die lebhafte Kommunikation und gute Laune abhanden kommt, ist schon nicht mehr so selbstverständlich.

Und doch funktionierte die Küche, die mit ihren Aufbauten, Bänken und Tischen so etwas wie die leibliche Mitte des Camps darstellte, so unaufwendig und unaufgeregt, wie man es nur erwarten kann, wenn nicht von vornherein mit bitterer Moral und materiellem Zwang gearbeitet wird. Eigenverantwortliches Handeln, beim Verkauf der Ware Arbeitskraft im neoliberalen Kapitalismus zur sinnentleerten Floskel fortwährender Bezichtigung verkommen, fand auf der Wiese von Lützerath in einem Ausmaß statt, das nicht bemessen werden mußte, weil es sich nicht um eine verkäufliche Dienstleistung handelte. Zwar mußte zur Beschaffung von Lebensmitteln und Zutaten aller Art auch hier Geld zusammenkommen, doch der für die tägliche Versorgung genannte Betrag wurde von den Besucherinnen und Besuchern des Camps ganz so entrichtet, wie es ihnen am besten paßte.

Wie all dies in die Tat umgesetzt wird, das konnte der Schattenblick von Corinna erfahren, die für das Kollektiv Rampenplan Rede und Antwort stand.


Großer Kochtopf und vorbereiteter Salat - Fotos: © 2015 by Schattenblick Großer Kochtopf und vorbereiteter Salat - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Vegane Vielfalt
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Corinna, könntest du etwas zur Geschichte des Rampenplan-Kollektivs erzählen, wie lange es euch schon gibt und woraus es entstanden ist?

Corinna: Entstanden ist es aus den Gorleben- und Atom-Protesten. Am Anfang haben wir halt Kaffee für die Leute gekocht, die protestiert haben, und irgendwann ist daraus eine Aktionsküche geworden.

SB: War das noch zur Zeit des Hüttendorfs in Gorleben?

Corinna: Ja, das ist jetzt über 35 Jahre her. Im Wendland sind jedenfalls die Wurzeln des Rampenplan-Kollektivs.

SB: Warum sind so viele Holländer an dem Kollektiv beteiligt?

Corinna: Die Idee mit der Aktionsküche stammt eigentlich aus Sittard in der niederländischen Provinz Limburg. Von dort sind Leute damals ins Wendland gekommen und haben die Protestierenden mit Essen und Trinken versorgt.

SB: Ihr begleitet vor allen Dingen politische Veranstaltungen und Camps. Sind kommerzielle Popfestivals für euch eine Option?

Corinna: Nein, gar nicht. Wir sind eine Aktionsküche für Veranstaltungen wie jetzt hier das Klimacamp oder auch für Flüchtlinge wie beispielsweise in Calais. Es muß schon einen politischen Hintergrund haben.


Aushang mit Namen in Calais gestorbener Flüchtlinge - Fotos: © 2015 by Schattenblick Aushang mit Namen in Calais gestorbener Flüchtlinge - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Den Opfern von Calais - Brot gegen Grenzen
Fotos: © 2015 by Schattenblick

SB: Fragen euch Organisatoren an oder ergreift ihr von euch aus die Initiative?

Corinna: Meist kriegen wir Anfragen, aber manchmal hören wir von Veranstaltungen, die uns interessieren und schreiben die Verantwortlichen selber an.

SB: Ihr seid selbstorganisiert. Habt ihr einen festen Stamm von Leuten, die das dauerhaft machen, oder seid ihr eher lose strukturiert?

Corinna: Es gibt natürlich einen festen Kern von Leuten, die es regelmäßig machen, neben anderen, die ab und zu helfen. Das wechselt im Laufe der Zeit. Dann ist es auch so, daß bei einem Projekt beispielsweise in der Nähe von Nijmwegen nicht unbedingt Leute aus Amsterdam hinfahren würden. Es hängt davon ab, wo die Veranstaltungen stattfinden und wer gerade kann. Im Prinzip sind wir ein großes Kollektiv, aber nicht jeder hat immer Zeit.

SB: Kollektiv im Sinne der Arbeit, oder führt ihr darüber hinaus auch eine Art Gemeinschaftsleben?

Corinna: Einige wohnen in Amsterdam und Utrecht in verschiedenen besetzten Häusern zusammen. Damals in Sittard gab es noch ein richtiges Kollektiv, das in besetzten Häusern zusammengelebt hat.


Waschen und Schneiden von Gemüse - Fotos: © 2015 by Schattenblick Waschen und Schneiden von Gemüse - Fotos: © 2015 by Schattenblick Waschen und Schneiden von Gemüse - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Tausend Hände für tausend Mahlzeiten
Fotos: © 2015 by Schattenblick

SB: In den 70er Jahren war der Kollektivgedanke meist mit einer alternativen Lebensform verbunden. War das in Sittard auch so?

Corinna: Das war ein bißchen der Ursprung damals. Bei den größeren Wohngemeinschaften war auch eine Druckerei dabei und andere Sachen. Die Küche hat überlebt.

SB: Ihr arbeitet sehr effizient, seid schnell und bereitet ungeheure Mengen an Essen in kurzer Zeit zu. Wie kriegt ihr das hin, ohne daß in der Zusammenarbeit soziale Reibungen entstehen, oder habt ihr strukturierte Funktionshierarchien?

Corinna: Wir haben auf jeden Fall Hierarchiefreiheit. Manche Leute können halt nicht so gut kochen, sind aber in anderen Dingen besser. Das löst sich von selber. Und wenn Reibungen entstehen, wird das ausgesprochen und geklärt. Wir können damit umgehen.

SB: Ihr greift, wie man hier auf dem Camp sehen kann, auch auf freiwillige Hilfe zurück. Wie schafft ihr es, die Helfer so schnell einzuweisen, daß alles gut funktioniert?

Corinna: Meistens läuft es von selber, weil die Leute ja von sich aus mithelfen und auch mal etwas anderes machen wollen, als in ganze Zeit in einem Workshop zu sitzen. Manchmal gehen wir auch auf die Leute zu und sprechen sie an.

SB: Bei der Essensvergabe setzt ihr keine Preis fest und überlaßt es den Leuten, wieviel sie bezahlen wollen. Kommt ihr am Ende mit plusminus null heraus oder müßt ihr hin und wieder auch Geld von irgendwoher nehmen?

Corinna: In der Regel kommen wir über die Runden. Natürlich hängt es immer von den einzelnen Projekten ab. Bei Flüchtlingen ist es schwieriger, weil sie eben kein Geld haben, aber uns ist es wichtig, daß jeder essen kann, egal, ob er Geld hat oder nicht. Ansonsten kommt einiges auch über Spenden vor Ort zusammen.


Brennholz für mobilen Backofen - Fotos: © 2015 by Schattenblick Brennholz für mobilen Backofen - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Autonom befeuerter Ofen ...
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Herstellung der Brotlaibe und fertige Brote - Fotos: © 2015 by Schattenblick Herstellung der Brotlaibe und fertige Brote - Fotos: © 2015 by Schattenblick

... und viel Handarbeit am Teig
Fotos: © 2015 by Schattenblick

SB: Inzwischen gibt es im Rahmen der Alternativbewegungen viele selbstorganisierte Strukturen der Gemüseversorgung, des gemeinsamen Einkaufens und der genossenschaftlichen Versorgung. Habt ihr feste Zulieferer oder nehmt ihr, was gerade vor Ort verfügbar ist?

Corinna: Wir versuchen, es so lokal wie möglich zu machen, aber manchmal stellt sich bei den großen Mengen, die wir brauchen, ein logistisches Problem. Heute abend zum Beispiel werden knapp 1500 Leute erwartet. Wenn man zwei Kisten Gurken hier und zwei Kisten Paprika dort holen könnte, müßte man viel herumfahren, was sich am Ende nicht lohnt. Wir probieren daher, von lokalen Bauern Sachen zu holen oder geliefert zu bekommen. Leider ist es nicht immer möglich.

An Orten, wo wir schon öfter waren, bekommen wir mit der Zeit Kontakte. So haben wir hier einen Bauern kennengelernt, der gleich um die Ecke wohnt und das, was wir machen, toll findet und das Camp unterstützen möchte. Er hat uns angerufen und gesagt, er habe ganz viel Mangold geschnitten, den er nicht verkaufen könne, und ob wir den haben wollen. Verschenken könne er das zwar nicht, aber er würde uns einen guten Preis machen. Solche Kontakte wachsen mit der Zeit, wenn man öfter zu bestimmten Orten kommt. Irgendwann entsteht darüber ein Netzwerk.

SB: Ich habe als Zivildienstleistender in einer Großküche gearbeitet und weiß, wie schwierig es ist, ein gutes Essen in tausendfacher Ausfertigung zu machen. Bei euch schmeckt das Essen immer lecker und ist vegan. Lernt man das Kochen in großen Mengen einfach mit der Zeit?

Corinna: Wir haben keine gelernten Köche, aber viele Leute von uns arbeiten in ihren Heimatorten in Volksküchen. Natürlich ist es etwas anderes, für meinetwegen 60 Leute zu kochen als auf solchen Großveranstaltungen wie hier, aber mit der Zeit wächst auch die Erfahrung. Es ist wichtig, daß verschiedene Sachen auf den Teller kommen. Bei fünf Gerichten ist die Chance jedenfalls größer, das jeder etwas findet, was ihm schmeckt. Es soll so ausgewogen wie möglich und natürlich vegan sein. Es ist nicht immer leicht, aber mit Bohnen als Fleisch- und Proteinersatz läßt sich vieles machen. Wir haben auch Brotaufstriche auf Tofu-Basis.

SB: Es gibt ein großes Spektrum an politischen Festivals. Angenommen, das DKP-Pressefest in Dortmund würde bei euch anfragen, würdet ihr auch dort hingehen oder hättet ihr ein Problem mit einer sozialistischen Partei?

Corinna: Meistens läuft es so, daß wir eine Anfrage kriegen und dann besprechen, ob wir es annehmen oder nicht. Wer es machen will, dem bleibt es natürlich überlassen. Wir haben jetzt keine Berührungsängste, weil es sich um Sozialisten handelt. Für Neonazis würden wir jedenfalls nicht kochen.

SB: Corinna, vielen Dank für das Gespräch.


Feld mit Menschen, die Kisten tragen - Fotos: © 2015 by Schattenblick Feld mit Menschen, die Kisten tragen - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Abernten eines Gemüsefelds und Transport ins Camp
Fotos: © 2015 by Schattenblick


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4. September 2015


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