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INTERVIEW/005: Geschäftsidee Wohnungsnot - Detlev K. zu Mietpreisentuferung und den sozialen Folgen am Kottbusser Tor (SB)


Berlin heißt alle willkommen - und vertreibt seine Einwohner

Interview mit Detlev K. am 31.5.2012 im Protest-Gecekondu der Berliner Mieterinitiative Kotti & Co



Kotti & Co, die Mietergemeinschaft aus den Sozialwohnungsbauten am südlichen Kottbusser Tor [1], betrieb schon etwa sechs Tage ein Protestcamp gegen die steigenden Mieten im sozialen Wohnungsbau, als der Schattenblick sie am 31. Mai 2012 in ihrem Gecekondu [2] besuchte, einem aus den Überbleibseln eines Straßenfestes, d.h. Holzpaletten, Zeltplanen, Sonnenschirmen, Holztischen und -bänken improvisierten Informations- und Unterstands. Hier heißt die Gruppe jeden willkommen, der sich über die Probleme der Gemeinschaft informieren oder die Initiative unterstützen möchte. Die Mieter und Familien, um die es hier geht, leben teilweise schon seit Jahrzehnten in Mietshäusern, die dem privaten Wohnungsunternehmen Hermes und GSW [3] gehören. Seit über einem Jahr macht die Gemeinschaft öffentlich auch im Senat auf ihre Probleme aufmerksam, ohne daß von Regierungsseite darauf reagiert worden wäre. Viele am "Kotti", wie die Berliner den Platz nennen, müssen mittlerweile 50% und mehr ihres Einkommens allein für die Miete aufbringen. Einige Familien waren deshalb gezwungen, ihre Freundeskreise und Lebenszusammenhänge aufzugeben und umzuziehen. Dazu bekommen manche zynischerweise die Aufforderung vom Jobcenter, ihre "Mietkosten" zu senken. Auf ihre Frage aber, wie das ohne eine neue gesetzliche Regelung zum sozialen Wohnungsbau in privater Hand gehen soll, bekamen sie bisher nur ausweichende Antworten. Ihre aufrüttelnden Kochtopf- und Lärm-Demonstrationen werden hingegen von anwachsender Polizeipräsenz und zunehmenden Übergriffen von Seiten der Staatsgewalt begleitet.

Ungeachtet dessen will die Mietergemeinschaft Kotti & Co ihren offenen Protest am Kottbusser Tor so lange fortsetzen, bis die Mieten definitiv gesenkt werden. Der Gecekondu soll rund um die Uhr besetzt bleiben. Einer der Initiatoren, Detlev K., der sich in Berlin auch schon als professioneller Musiker und Interpret politischer Texte sowie als Mitarbeiter der Onlinezeitung "Trend" [4] einen Namen gemacht hat, war bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Detlev K. vor dem Protest-Gecekondu und weitere Mitglieder der Initiative - Foto: © 2012 by Schattenblick

Detlev K., Musiker und Interpret politischer Texte, Mitarbeiter der Onlinezeitung 'trend' und aktives Mitglied der Initiative Kotti&Co.
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Unserer Information nach hat die Stadt nicht die Mieten erhöht, aber doch die Mietzuschüsse, die Subventionen für den sozialen Wohnungsbau, erheblich gesenkt. Haben die Wohnungsbaugesellschaften Hermes und GSW im Zuge dessen die Mieten dann im gleichen Maße angehoben, um quasi den Verlust auszugleichen oder noch über dieses Maß hinaus erhöht?

Detlev K. (DK): Erst gleich und dann in größerem, ziemlich extremen Maße. Jetzt wird ja überhaupt nichts mehr an Subventionen dazu gezahlt.

SB: Und habe ich das richtig verstanden, daß die Stadt nun sagt: "Ja, jetzt sind die Mieten zu hoch. Das steht in keinem Verhältnis für Hartz-IV Empfänger. Jetzt sucht euch mal andere Wohnungen, die ihr euch auch leisten könnt?"

DK: Genau so ist es. Das kommt aber nicht von der GSW, sondern das kommt von den Job-Centern, die eben nicht mehr bereit sind, diese hohen Mieten zu bezahlen. Ich weiß es jetzt nicht so genau, aber ich glaube, der Mietsatz liegt derzeit bei 376 Euro und alles, was darüber an Miete anfällt, wird nicht mehr bezahlt. Also fordert man die betroffenen Leute auf, "ihre Mietkosten zu senken".

SB: Ja, und wie sollen sie das machen, wird das auch dazugesagt?

DK: Nein, das sagen sie nicht direkt. Aber das heißt natürlich im Klartext, sie sollen sich eine neue Wohnung suchen.

Und das ist ja noch nicht alles. Ich habe letztens an einer Gerichtsverhandlung zur Unterstützung einer Familie teilgenommen, die auch aus ihrer Wohnung rausfliegen sollte und die inzwischen auch rausgeflogen ist. Dort mußte ich dann feststellen, "Kiez" [5] ist für die Regierungsbehörden in der Zwischenzeit ganz Berlin. Es interessiert keinen mehr, ob du schulpflichtige Kinder hast, die in dieser Umgebung integriert sind und hier zur Schule gehen. Wenn du in Kreuzberg wohnst, wäre es keine Mehrbelastung, nach Spandau oder nach Marzahn [6] zu ziehen. Das war dann auch noch eine türkische Familie. So sieht das jetzt bei uns aus.

SB: Die Leute, die die hohen Mieten nicht zahlen können, werden also in die Peripherie umgesiedelt und damit regelrecht in Gettos an den Rand gedrängt?

DK: Die kommen in die Peripherie. In Spandau haben wir noch ein bißchen was an Wohnraum und in Marzahn auch. Aber so wächst der Druck natürlich auch dort ganz erheblich. Es entstehen neue soziale Probleme.

Detlev K. im Profil - Foto: © 2012 by Schattenblick

Auch in der Peripherie wächst der Druck erheblich. Menschen werden aus ihrem Umfeld gerissen. Das bringt viele neue soziale Probleme mit sich.
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Kann man sagen, daß das inzwischen die übliche Entwicklung ist?

DK: Genau so und die sogenannte Rechtsprechung macht dabei mit.

SB: Hättest du das von einem rot-roten Senat hier in Berlin erwartet? [7]

DK: Die Entwicklung finden wir ja auch deswegen besonders schlimm, weil sie unter einem rot-roten Senat stattgefunden hat. Ich meine, früher hatten wir hier zehn Jahre lang Ruhe! Da hat hier überhaupt keine Wohnungs- oder Mietpolitik stattgefunden.

Natürlich haben wir von der SPD sowieso nicht so viel erwartet, ich persönlich zumindest. Aber dieser oder jener hat sich vielleicht doch schon etwas von der Links Partei versprochen. Aber auch die haben jede Sauerei mitgemacht und vor allen Dingen auch Wohnungen "verkauft". Ich meine die Wohnungen, auf die Berlin Einfluß nehmen kann. Hier gab es ja einen großen kommunalen Wohnungsbestand, denn die GSW ist eine städtische Wohnungsbaugesellschaft. Ich habe jetzt die Zahlen nicht im Kopf, aber Hunderttausende von Wohnungen sind ungehindert verkauft, also privatisiert, und damit ist dann eben auch dem Markt preisgegeben worden.

SB: Denkst du dabei an irgendwelche Hedgefonds oder Investmentfonds?

DK: Ja, unter anderem auch an Hedgefonds. Einer von den anderen Roten, der hier auch gleich um die Ecke wohnt, ein Herr Müntefering, der genau diesen Hedgefonds Tür und Tor geöffnet hat, beschwerte sich dann anschließend über die Vorgehensweise anonymer Investoren ...

SB: Müntefering hat doch schon vor Jahren Schlagzeilen gemacht, als er das Verhalten mancher "anonymer Investoren" oder sogenannter "Private-Equity-Gesellschaften" [8] mit Heuschreckenplagen verglichen hat. Auch die Bezeichnung Geierfonds statt Hedgefonds geht auf ihn zurück. Dabei hat er aber offenbar verdrängt, daß allein die Tatsache, daß solche Konstruktionen überhaupt im Immobilienmarkt Fuß fassen konnten, ebenfalls von seiner Person ausging. Das war ja vorher verboten. Das hat erst die SPD zugelassen und hier in Berlin eben sogar gemeinsam mit der Links Partei.

DK: Ja, genau.

Detlev K. im Gespräch mit SB-Redakteur - Foto: © 2012 by Schattenblick

Detlev K. im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie lange macht ihr jetzt schon das Camp?

DK: Wir haben am letzten Samstag [dem 26. Mai 2012, Anm. d. SB-Red.] ein Straßenfest veranstaltet. Das war um 18 Uhr zuende und um 18:01 Uhr haben wir gesagt: "Ab jetzt ist das hier besetzt. Wir bleiben hier mit unserem Gecekondu, bis sich bei den Mietpreiserhöhungen etwas maßgeblich ändert.

SB: Gecekondu - was heißt das?

DK: Das Wort geht auf eine türkische Bewegung in der türkischen Legende zurück, wonach Leute, die aus der Stadt rausgeflogen sind, "über Nacht" angefangen haben, sich Hüttendörfer zu errichten. Das nannte sich dann Gecekondu. Man könnte es auf deutsch mit "Schwarzbau" übersetzen.

SB: Wie lange gedenkt ihr zu bleiben?

DK: Hier auf diesem Platz werden wir so lange bleiben, bis entweder die Miete gekappt oder gesenkt wird. Bis offiziell erklärt wird, daß man hier nicht mehr als vier Euro pro Quadratmeter zahlen muß. Das ist unsere Forderung.

Es gibt auch schon eine implizite Antwort des Senators Müller, der behauptet, das könne man nicht machen, was wir vorhaben. Das würde die Stadt hundert Millionen Euro kosten. Mir ist aber schleierhaft, wie er das berechnet. Denn wenn man festlegt, daß die Miete nicht höher sein darf, muß doch keiner etwas bezahlen. Da bekommen doch nur die, die den Hals nicht voll kriegen, eben etwas weniger in den Hals! So wäre jedenfalls meine Rechnung.

SB: Und die hundert Millionen Euro ...

DK: Der Staat und auch die Stadt bekommen definitiv nichts von den Mieten. Aber der Senat denkt natürlich noch in den alten Westberliner Kategorien, daß den ganz Reichen immer weiter in die Taschen gestopft wird. Der meint, er müßte möglicherweise den fehlenden Differenzbetrag bezahlen...

SB: Also wieder einen Mietausgleich oder - wie man es früher nannte - eine entsprechende Subvention an die Wohnungsbauunternehmen abgeben.

DK: Etwas, das früher und gerade bei dem ganzen sozialen Wohnungsbau durchaus üblich war. Die echten Kostenmieten sind immens hoch, geradezu astronomisch. Das kommt noch aus den 70er Jahren, als im damaligen Westberlin Wohnungen in höchst betrügerischer Weise gebaut worden sind. Die Folge waren vollkommen überhöhte Preise.

SB: Ist eigentlich schon jemand vom Amt oder einer Behörde hier gewesen, um sich über euer Anliegen zu informieren?

DK: Ja, in den ersten 3 Tagen hat uns der Bezirksbürgermeister sogar Brötchen gebracht. Also viele Möglichkeiten hat die kommunale Verwaltung tatsächlich nicht. Aber die freut sich darüber, wenn wir mit unserer Aktion noch ein bißchen Druck ausüben. Damit kann man vielleicht noch ein bißchen Politik machen.

SB: Also der Bezirk ist dann eher auf der Seite der Mieter?

DK: Ja, ganz ehrlich, so ein bißchen guten Willen würde ich denen nicht absprechen. Anders der Senator, der auf unseren Protest wirklich sehr zynisch reagiert hat. Der Presse hat er auch erklärt, daß unsere Forderung unverschämt sei, das koste 100 Millionen Euro. Nein, das kostet überhaupt nichts, es wird nur weniger bezahlt, sonst nichts.

SB: Gibt es weitere Initiativen in anderen Gegenden Berlins, die ebenfalls gentrifiziert [9] werden, zu denen ihr Kontakt habt?

DK: Es waren schon viele hier. Ob die jetzt auch den Mut haben - denn man braucht ja leider ein bißchen Mut dazu -, selber so etwas ähnliches zu machen, also eine Initiative zu beginnen, oder eine kleine Hütte oder ein Protest-Gecekondu aufzubauen, weiß man nicht. Aber es gab durchaus Leute aus Wedding, die über unsere Initiative begeistert waren und gesagt haben: Das ist ja toll. Hier aus der Gegend Kreuzberg und oben aus der Wilhelmstraße waren welche da und meinten, das müßten sie eigentlich auch machen. ...

SB: Warum braucht man Mut dazu?

DK: Na, viele denken dann immer noch, wenn es darum geht, wer meldet die Demo an, daß vielleicht ihre Karriere zerstört wird oder so was, wenn sie öffentlich auftreten. Bei mir ist da nicht mehr viel mit Karriere.

SB: Dann gibst du quasi deinen Namen für die Gruppe und bist dann praktisch "verantwortlich im Sinne des Presserechts"?

DK: Nicht ganz. Ich bin dann der Veranstalter einer Demo. Und muß dann auch entsprechend die Polizei begleiten. Am 18. Juni 2012 ist es wieder so weit. Da gehen wir zum Hotel 'Ritz-Carlton', um die Leute zu stören und zu belagern, die dort ihre Immobiliensitzung machen. Die treffen sich im Ritz-Carlton [10], um sich zu überlegen, wie sie unsere Leute hier immer noch mehr ausbluten lassen können. Denn das nächste, was kommt und das Schlimmste, was uns jetzt bevorsteht, ist die sogenannte energetische Sanierung, die es demnächst geben wird. Also ein 'Greenwashing' auf unsere Kosten. Davon sind hier ausnahmslos alle betroffen.

SB: Wie sieht das aus? Einbau von neuen energiesparenden Dreifach-Fenstern, die von den Mietern finanziert werden müssen?

DK: Ja genau. Der Bundestag hat vor kurzem beschlossen, daß das alles auf die Mieter umgelegt werden kann. Natürlich haben wir gefordert, daß eine energetische Sanierung "Kaltmieten neutral" sein müsse! Das würde ohne weiteres gehen.

Das ist also das ganz dicke Ding, was auf uns zukommt. Dagegen haben wir bereits am 23. Mai 2012 am Gasometer in Schöneberg demonstriert. Dort waren siebenhundert Leute zusammengekommen, um über die energetische Sanierung zu sprechen. Ein Herr Peter Altmaier war da, geplant war natürlich Herr Norbert Röttgen, es war da ein Herr Ramsauer, ein Herr Rössler, also lauter "hohe Herren", einschließlich ein Herr, der sich inzwischen "Joschka Fischer and Company" nennt.

SB: Joschka Fischer ist dort aber nicht persönlich aufgetreten?

DK: Also gesehen habe ich ihn nicht, aber er soll dagewesen sein. Es hieß, die würden nur durch den Hintereingang eingeschleust. Aber offensichtlich machen er und seine Company mit der neuen Energiewende Geschäfte, also der "angeblichen Umstellung von Atomkraft auf angeblich grüne Energie".

SB: Also mit Windrädern, Sonnenenergie usw.

DK: Diese Unternehmensberatungsunternehmen wissen genug. Da kann man zu Recht befürchten, daß sie Mittel und Wege kennen, die Kosten auf uns abzuwälzen. Und zwar ganz übel.

SB: Gibt es dazu schon konkrete Pläne? Du sprachst gerade von einem Bundestagsbeschluß ....

DK: Das kann man nachlesen, natürlich.

SB: Aber umgesetzt wurde die energetische Sanierung bisher noch nicht?

DK: Das fängt jetzt erst an. In Kürze ist da ein weiteres Treffen geplant - nicht das im Ritz-Carlton, von dem ich vorhin sprach. Ausgesuchte Leute, Ökonomen, Rechtsanwälte und Leute vom Bau kommen zusammen, um zu sich zu beraten, wie man das absichern kann, daß man den Mietern diese Kosten aus der Tasche ziehen kann. Und wenn du daran teilnehmen willst, mußt du 880 Euro bezahlen. Dann kann man sich ungefähr ausrechnen, wie die Erwartungen an die Renditen sein werden. Der Eintritt für die Teilnahme am Immobilientreffen im Ritz-Carlton beträgt sogar 2.299 Euro pro Person.

Detlev K. nachdenklich in die Ferne blickend - Foto: © 2012 by Schattenblick

Das ist ein ganz dickes Ding, das da auf uns zukommt.
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Welche Mietshäuser sind von den Mietpreissteigerungen betroffen? Steht euer Gecekondu hier im Zentrum der in Frage kommenden Häuser?

DK: Ja genau, um diese Häuser hier im Halbkreis um uns herum geht es. Wir repräsentieren ungefähr dreitausend Menschen. Überwiegend Einwanderer und Flüchtlinge und etwa 30 bis 40 Prozent ganz normale Deutsche.

SB: Wie hoch ist denn der Anteil der Hartz-IV Empfänger?

DK: Der Anteil an Hartz-IV Empfängern ist ziemlich hoch. Genau kann ich das nicht sagen. Aber das sind immer die Leute, die man als erstes mit solchen Maßnahmen trifft.

SB: Bist du von diesen Maßnahmen selbst betroffen?

DK: Ich wohne ein Stückchen weiter da runter und bin einfach ein enger Sympathisant. Und natürlich ist dies hier auch mein Lebensbereich. Ich bin hier in der Gegend geboren und aufgewachsen. Eines der betroffenen Häuser war das erste Hochhaus in Berlin mit zehn Stockwerken. Da hat zum Beispiel mein Onkel gewohnt. Das erste Hochhaus - Donnerwetter, das war damals so um 1955 eine Touristenattraktion. Ich kenne doch die Leute alle hier.

Die Kotti-Leute sind in einigen Initiativen aktiv. Da gibt es beispielsweise eine Dossiergruppe [11], die hat so ein Heftchen ["Ein Recht auf Stadt für alle", Anm. d. SB-Red.] mit Forderungen an den Senat angefertigt, ihm vorgelegt und nach hundert Tagen haben wir dann noch mal eine Anhörung im Abgeordnetenhaus gemacht, um zu sehen, was daraus geworden ist. Das hat den Senat auch sehr gestört, und "es lief eben was". Aus diesen gemeinsamen Aktionen, der Arbeit in der Dossiergruppe, den verschiedenen anderen Initiativen vor Ort gegen Wohnungsnot und so weiter und natürlich, weil ich sowieso hier wohne, kennen wir uns alle.

SB: Und wie ist das Verhältnis zwischen den einzelnen Gruppen hier - Einwanderer, Türken, Deutsche -, kommen die miteinander gut zurecht?

DK: Die Nationalität, die persönlichen und politischen Überzeugungen, auch religiöse sind vollkommen belanglos. Man spricht darüber, ich habe mich gewundert, daß ich so locker darüber sprechen kann, aber es geht! Selbst, wenn es meinen sonstigen Vorstellungen oder Idealen manchmal vollkommen zuwider läuft.

SB: Gibt es eine Statistik darüber, wieviel Menschen bisher aus- und umziehen mußten, aufgrund der Gentrifizierungspolitik?

DK: Das kann ich überhaupt nicht sagen. Da würde ich vermutlich immer falsch liegen. Natürlich kenne ich in meinem persönlichen Bekanntenkreis schon mindestens zehn Leute, denen es so ergangen ist. Da gibt es einen, der ist im Alter von zweiundvierzig ins Altersheim gezogen, weil es nur dort ein Einzimmerappartment für 310 Euro gab, das er sich leisten konnte. Das ist schon ein bißchen grotesk - aber das ist das einzige, was ich sicher dazu sagen kann.

SB: Was geschieht mit den Wohnungen? Bleiben die zunächst leer oder ziehen dort übergangsweise Mieter mit befristeten Verträgen ein?

DK: Das wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Also ich wohne ein paar Meter weiter und in meinem Haus bin ich augenblicklich einer von drei verbliebenen Mietern. Alle anderen Wohnungen sind zu Eigentumswohnungen geworden. Die wurden nicht mal renoviert! Die Leute waren ganz knapp draußen. Haben dann noch Geld dafür bekommen, das macht man ja in der Zwischenzeit. Das ist manchmal nicht einmal wenig, aber letztlich doch immer eine Milchmädchenrechnung, wenn ich meinetwegen 26.000 Euro dafür bekomme, daß ich ausziehe, dann kriege ich vielleicht eine Wohnung, die immer noch das Doppelte von der alten kostet und außerdem dort ist, wo ich gar nicht hin will. Und dann muß man die noch einrichten, renovieren ...

SB: 26.000 Euro, ist das die durchschnittliche Abfindungssumme, wenn man ausziehen soll?

DK: Nein, das ist zu viel. Normalerweise ist es viel weniger. Das gab es mal in einigen Häusern. Inzwischen hat man sich so ungefähr auf 7.000 Euro geeinigt. Manchmal sind es auch nur 3.000 Euro.

SB: Das ist aber nichts, wenn du Mietvorauszahlungen hast und drei Monatsmieten Kaution hinterlegen mußt ...

DK: Aber für manche, die keine Einkünfte haben, ist das verlockend viel. Die neue Generation hier - ich kann das teilweise überhaupt nicht mehr nachvollziehen, wie diese jungen Leute überhaupt leben können, also dieses Prekariat sozusagen.

Bei mir war das immer so, daß ich wußte, wenn ich mich "auf'n Arsch setze und ich det und det mache und det und det leiste", dann konnte ich sozusagen in Heller und Pfennig ausrechnen, was da am Ende rauskommt. Heute haben die doch nicht mal einen festen Arbeitsplatz und einen Dauerarbeitsplatz gibt's ja schon gar nicht mehr!

SB: Meistens bekommt man heute Zeitarbeit. Das ist kein sicheres Einkommen.

DK: Und wenn dann jemand kommt mit 8.000 Euro, dann gehen die Ohren auf und die Augen werden ganz groß und dann heißt es: 'Klar, das nehmen wir.' Denn wer weiß denn schon, was im nächsten Jahr ist oder im nächsten Monat. Das ist wirklich furchtbar!

SB: Die Geschichte mit dem Stadtteilfest, aus dem das Gecekondu entstanden ist, zeigt eigentlich ja auch, daß es hier noch so etwas wie einen Zusammenhalt zwischen den Menschen gibt. Hier wohnen die Leute noch nicht anonym nebeneinander, ohne daß man Anteil nimmt.

DK: Ja, hier ist es schon so, daß die ziemlich aufeinander aufpassen und sich auch helfen. Das finde ich toll. Das geht aber auch nur, wenn du dich nicht an den normalen Lebensgewohnheiten stößt. Wenn jemand sagt, er muß fünfmal am Tag beten, bitte soll er! Das muß dann wohl sein. Das muß man akzeptieren.

SB: Wer soll denn nun in die Mietwohnungen einziehen, wenn die jetzigen Mieter durch dieses synergistische Zusammenspiel zwischen Regierung, Jobcenter und Wohnungsbaugesellschaften vertrieben worden sind?

DK: Dazu muß man natürlich wissen, daß Berlin inzwischen unglaublich beliebt geworden ist. Wohnraum ist hier sehr gefragt. Also das ist auch nicht die erste Phase der Gentrifizierung oder wie man das so nennt, die ich hier miterlebe in Kreuzberg. Nein, ich habe wenigstens schon fünf Gentrifizierungen oder sogenannte Aufwertungen miterlebt. Da ziehen die einen aus und dann andere Leute rein. Manche Leute sind auch da geblieben, zum Beispiel 'icke', aber das lag auch daran, daß ich zwischendurch immer relativ gut verdient habe und mir die höheren Mieten dann auch leisten konnte.

Aber inzwischen herrscht hier ein ganz großer Druck, weil eben ganz viele Leute hier herkommen. Berlin ist ja - so will ich mal sagen - das Zentrum des europäischen imperialistischen Projekts. Ja und alle, die irgendwie dicht an der Regierung, dicht an der Spitze Europas sein wollen, die ziehen hier her und das sind eben nicht die Armen.

SB: Und diese Gegend, also Kreuzberg, ist besonders gefragt, weil sie nahe am Bundestag gelegen ist?

DK: Alles hier, selbst das letzte Loch oder sagen wir mal der letzte Dreck als Wohnung ist hier gefragt. Deswegen kaufen die Leute das auch, sogar ohne Renovierung.

SB: Für das Dreigestirn aus Senat, Jobcenter und GSW ist das Ganze also so etwas wie eine "win-win-situation". Sie müssen nicht investieren, können Gelder einsparen und bekommen doch kräftige Renditen in mehrfacher Hinsicht.

DK: Richtig, das gilt aber nur für die. Der regierende Bürgermeister, also der Herr Wowereit, hat dazu bereits klar Stellung bezogen, indem er sagte: "Ja, die sind alle willkommen, alle sind willkommen". Bloß, daß ein paar eben einfach willkommener sind und andere auf der Strecke bleiben. Das wird nicht berücksichtigt.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.


Anmerkungen:

[1] Die Webseite der Mietergemeinschaft Kotti & Co finden Sie hier:
https://kottiundco.wordpress.com/2012/05/28/

[2] "Gecekondu" heißt wörtlich "über Nacht erbautes Haus". Ein Haus, das quasi "über Nacht" auf öffentlichem Grund und Boden errichtet worden ist, soll nach einem alten osmanisch-islamischen Gewohnheitsrecht nicht mehr abgerissen werden dürfen.

[3] Die Bezeichnung GSW geht noch auf den Nationalsozialismus zurück: Zum 1. Januar 1937 wurden acht bis dahin selbständige städtische Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaften der "Wohnungsfürsorgegesellschaft" angeschlossen. Die Gesellschaft wurde in "Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft" (GSW) umbenannt. Die nationalsozialistischen Machthaber erreichten auf diese Weise zwei Ziele mit einem Schlag: die städtische Wohnungswirtschaft wurde zentralisiert und zugleich gleichgeschaltet.

[4] "trend" - Onlinezeitung des "Arbeitskreises Kapitalismus aufheben" (AKKA)
http://www.trend.infopartisan.net/inhalt.html

[5] Für Nichteingeweihte: In Berliner Mundart steht "Kiez" für Kreuzberg, wie "Kotti" für die Gegend um den Kottbusser Platz.

[6] Berlin-Marzahn ist ein Ortsteil im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf am äußeren östlichen Rand von Berlin. Der Begriff Marzahn bezeichnet zugleich den ehemaligen Berliner Stadtbezirk Marzahn und die größte Plattenbau-Großsiedlung auf dem früheren Gebiet der DDR. - Spandau ist ein größerer Ortsteil im Westen, ebenfalls am Stadtrand. Kreuzberg liegt dagegen zentral in der Mitte Berlins mit allen infrastrukturellen Vorteilen, die diese Lage mit sich.

[7] Die hier angesprochenen Gesetzesänderungen wurden noch unter der früheren Regierungskoalition SPD und Links-Partei verabschiedet.

[8] "Private-Equity-Gesellschaften" sind auf eine bestimmte Art der Kapitalbeteiligung mit mutmaßlich zu kurzfristigen oder überzogenen Renditeerwartungen spezialisierte Kapitalbeteiligungsgesellschaften, deren "Beteiligungskapital" nicht an geregelten Märkten oder Börsen (Private Equity = außerbörsliches Eigenkapital) handelbar ist. Die Kapitalgeber können private oder institutionelle Anleger sein.

[9] Die Begriffe "Gentrifizierung" oder manchmal auch "Gentrifikation" leiten sich vom angelsächsischen "gentry" = niederer Adel ab. Die Gentrifizierung eines Stadtteils kann also in positiver Auslegung als eine Veredelung verstanden werden. Tatsächlich bringen die soziokulturellen und immobilienwirtschaftlichen Veränderungen von ursprünglich preisgünstigen Stadtvierteln nach außen hin eine "Verschönerung" des Stadtbildes mit sich, da diese Wohngebiete zunehmend von wohlhabenderen Eigentümern und Mietern belegt und baulich aufgewertet werden. Das geht jedoch nur zu Lasten der früheren sozialschwächeren Anwohner, die mittels immenser Mietpreissteigerungen oder anderer für sie nicht zu schaffenden Auflagen aus diesen Siedlungsbereichen verdrängt werden, ungeachtet der sozialen Probleme, die daraus entstehen.

[10] Am 18. und 19. Juni fand im Berliner Hotel Ritz-Carlton die vom Handelsblatt veranstaltete Jahrestagung "Immobilienwirtschaft 2012" statt. Die Organisatoren verstehen ihre Veranstaltung als "unabhängigen Treffpunkt der Immobilienbranche", bei dem "wichtige Geschäftskontakte" geknüpft und "aktuelle Trends im Markt" diskutiert werden können. Laut Einladung sollen "Trendsetter, Meinungsmacher und Visionäre" referieren. Zu diesen gehören neben Vertretern großer Immobilienunternehmen - wie die Deutsche Wohnen AG oder die TLG Immobilien - auch Mitarbeiter von Finanzinvestoren wie Jones Lang LaSalle und politische Akteure wie der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Peter Ramsauer (CSU), die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Bettina Herlitzius oder das Bundesvorstandsmitglied der Piratenpartei Matthias Schrade.

[11] weitere Informationen zur Dossiergruppe der Mietergemeinschaft Kotti&Co siehe
http://mietendossier.blogsport.de/2012/05/21/veranstaltung-wohnen-in- berlin-bei-friedrich-ebert-stiftung/#more-49

Hochhaus am Kottbusser Tor, davor das Protest-Gecekondu oder Informationsstand von Kotti&Co - Foto: © 2012 by Schattenblick

Vor diesem zehnstöckigen Mietshaus besetzt die Mietergemeinschaft aus
den Sozialwohnungsbauten am südlichen Kottbusser Tor rund um die Uhr
seit einem Monat ein Protestcamp.
Foto: © 2012 by Schattenblick

19. Juni 2012