Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT


BERICHT/126: Klimarevolution - unvereinbar ... (SB)



Der Streik ist für uns die wirkliche Bewegung, die die gegenwärtigen Machtverhältnisse innerhalb und außerhalb des Arbeitsplatzes verändern kann. Wir wollen eine politische Infrastruktur ausbauen, um aus jedem Streik einen Ort zu machen, an dem sich Auflehnung intensiviert und Arbeiter*innen sich gegenseitig als Teil desselben Kampfes erkennen - über Branchen, rechtliche Hürden und Grenzen hinweg. Dazu müssen wir unsere Verbindungen stärken, mithilfe eines intensiveren Austauschs von Informationen und der Bestimmung einer gemeinsamen Richtung.
Transnational Social Strike Platform - Schlussdokument der Pariser Konferenz [1]

So weit soll es mit der aus dem Klimastreik Greta Thunbergs hervorgegangenen Fridays For Future-Bewegung nach Möglichkeit nicht kommen. Wer braucht schon eine die elementaren Widersprüche der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft angreifende Mobilisierungskraft außer denjenigen, die mit allen Kräften daran gehindert werden, sie auf die Beine zu bringen? Gerade weil es notwendig ist, den maßgebliche Faktor des Klimawandels, die Wachstumsorientierung des industriellen Produktionsmodells, einer grundlegenden Veränderung zu unterziehen, wird so wenig darüber gesprochen, daß dies soziale Veränderungen fundamentaler Art voraussetzte. So kurz der Schritt zu dieser Erkenntnis ist, so schwer soll er zu vollziehen sein, wenn es nach denjenigen geht, die die imperiale Lebens- und Produktionsweise für ein Geburtsrecht halten, auch und gerade weil sie auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert.

Um die FFF-AktivistInnen davon zu überzeugen, daß eigentlich alles gut ist, weil sie im Grunde genommen tun, was alle wollen, erhalten sie Bestätigung von allen Seiten. Bis auf notorische Leugner des Klimawandels findet sich kaum jemand, der den SchülerInnen die Relevanz ihres Protestes und die Zuständigkeit ihres Eintretens für eine lebenswerte Zukunft absprechen wollte. Das ist schwer möglich, stehen sie doch unverschuldet vor einem bereits manifesten Desaster, dessen prognostische Dimension jedem Menschen den Angstschweiß auf die Stirn treiben könnte. Die absehbare Zukunft katastrophaler Entwicklungen, bei denen Teile des Planeten unbewohnbar werden, weil es schlicht zu heiß ist oder die Ozeane über ihre Ufer getreten sind, in der weit mehr Menschen als heute von Hunger betroffen sein werden, weil Dürren, Stürme und Überflutungen die ohnehin durch Kunstdünger und Pestizide ausgelaugten Ackerböden vollends unfruchtbar machen, und die daraus resultierenden Wanderungsbewegungen ganze Bevölkerungen betreffen, die wiederum von denjenigen, die noch über genügend Lebensressourcen verfügen, mit massiver Gewalt abgewehrt werden, verheißt heute heranwachsenden Menschen ein Leben voller Ungewißheit und Not.

In Anbetracht dieser Aussichten ist eher erstaunlich, wie lange diese Jugend stillgehalten und wie gründlich sie sich von den revolutionären Ideen der 1960er, 1970er und auch noch 1980er Jahre abgekoppelt hat. Wie stets gibt es auch heute radikale Minderheiten sozialistischer und sozialrevolutionärer Art, aber eine zu dem historischen Aufbruch der Linken vor einem halben Jahrhundert vergleichbare Entwicklung findet trotz der sich objektiv verschärfenden sozialen wie ökologischen Bedingungen nicht statt. Dafür, daß dies auch in Zukunft so ist und FFF ein herrschaftstechnisch kontrollierbarer Faktor zwischen Schulpflicht und Lohnabhängigkeit bleibt, wird einiges getan. So trifft diese Jugend, noch bevor sie Bekanntschaft mit der machtpolitischen Korrumpierung des ihr vermittelten Glaubens an Rechtsstaat und Demokratie gemacht hat und der Illusion über die absolute Gültigkeit universalistischer Werte entwachsen ist, auf das repressionstechnisch gut ausgebaute Instrumentarium staatschützerischer Antiradikalisierungsmaßnahmen und den ideologischen Antiextremismus meinungsbildender Eliten in Politik und Gesellschaft.


Konkret ist nur herrschaftliche Interessenpolitik

Viel schlauer als Christian Lindner und andere Herren aus der Riege paternalistischer Besserwisser fordert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die FFF-AktivistInnen in einem Gastbeitrag der Zeit [2] auf, weiterhin politisch aktiv zu bleiben, das auf der Straße artikulierte Anliegen allerdings durch das Engagement in politischen Parteien und bei der parlamentarischen Arbeit in die Tat umzusetzen. Der CDU-Politiker mit Kanzlerambition schmeichelt sich gekonnt bei seinen AdressatInnen ein, indem er zu erkennen gibt, mit ganz ähnlichen Motiven wie sie zu seiner einflußreichen Position in der Bundesregierung gekommen zu sein. Dort, wo entschieden wird, dort können auch konkrete Veränderungen erzielt werden. Der Weg über die Straße hingegen führe früher oder später in die Enttäuschung, so Spahn, der zugesteht, daß die klimapolitischen Maßnahmen der Bundesrepublik eher langsam in die Tat umgesetzt würden. Gerade deshalb bedürfe es der politisch aktiven Jugend an den Schalthebeln der Macht und nicht dort, wo lauter Protest letztendlich wirkungslos verhallen müsse.

Nun wissen die AktivistInnen der Klimagerechtigkeitsbewegung und sozialökologisch bewegte Linke, was von derartigen Einflüsterungen zu halten ist, weshalb gar nicht erst versucht wird, sie auf diese Weise in den nationalen Geleitzug aus Staat und Kapital zu holen. Weder ist Climate Justice für Jens Spahn von Relevanz, noch können sich diese und andere Bundesregierungen leisten, den Primat nationaler Wachstumsziele zugunsten der globalen Bekämpfung des Klimawandels aufzugeben. Die Agenda des kapitalistischen Entwicklungspfades ist unaufkündbar und läßt bestenfalls Modifikationen im Sinne grünkapitalistischer Akkumulationsmodelle zu, die Spahn unter Verweis auf E-Autos, ökologische Technologien und Emissionshandel bewirbt.


Mit inquisitorischer Energie Klimaschutz verhindern

Für entschiedene KlimaaktivistInnen ist die antikapitalistische Ausrichtung ihres Kampfes so wenig verhandelbar wie die Beibehaltung des herrschenden Akkumulationsregimes für deren SachwalterInnen. Wie also ist die gerade erst einige Monate alte FFF-Bewegung davon abzuhalten, die rational bestens begründete, weil den existenziellen Entscheidungen zur Begrenzung des Klimawandels am meisten entsprechende Systemfrage zu stellen? Wie kann die auf der Hand liegende Erkenntnis, daß die ohnehin überfällige Überwindung globaler sozialer Mißstände am besten darin aufgehoben ist, das industrielle Modell einer energetisch und rohstofftechnisch höchst verschleißintensiven Produktionsweise zu überwinden, den gerade erst politisierten Jugendlichen so wirksam ausgetrieben werden, daß sie nie wieder darauf zurückkommen?

Naheliegenderweise wird diese Aufgabe mit dem Arsenal einer Ideologiekritik vollzogen, deren strukturelle Konstante darin besteht, daß der ideologische Charakter der in Anspruch genommenen Definitionsmacht unsichtbar bleibt. Diese Methodik wurde mit der antikommunistischen Abwehrstellung des hegemonialen Kapitalismus zur Zeit des Kalten Krieges in inquisitorische Höhen getrieben, die den Vergleich zur christlichen Hexenverfolgung in früheren Jahrhunderten nicht zu scheuen brauchen. Berufs- und Parteiverbote, geheimdienstliche Überwachung, Zensur, die Inhaftierung Andersdenkender - all das erfolgte im Namen eines Liberalismus, dessen hegemonialer Anspruch und klassengesellschaftliche Macht selber niemals in Frage gestellt wurde. Die Verabsolutierung des Scheiterns der realsozialistischen Staatenwelt zur historischen Finalität aller sozialistischen Emanzipationsversuche hält bis heute an und wird durch die regelmäßige Obduzierung des nunmehr 30 Jahre alten Leichnams der DDR immer wieder aufgefrischt.


Eine nachgereichte Distanzierung fällt auf fruchtbaren Boden

Diese antilinke Staatsapologie scheint auch an FFF Hamburg nicht spurlos vorübergegangen zu sein. So sah sich die Gruppe bemüßigt, zwei Tage nach der Großdemonstration, für die am 15. März in Hamburg unter dem Motto "Klimarevolution!" mobilisiert worden war, klarzustellen, daß FFF keine Mitveranstalter dieser Demo waren. In der auf dem Facebook-Account von FFF veröffentlichten Stellungnahme [3] distanzierten sich die AktivistInnen "sowohl vom Aufruftext zu dieser Demonstration als auch von Äußerungen, welche im Rahmen dieser Demonstration fielen sowie vom Verhalten einiger der Teilnehmenden". Sollten der Name FFF im Zusammenhang mit der "Klimarevolution" oder den drei zeitgleich mit der FFF-Demo stattgefundenen Demonstrationen im Vorfeld dessen genannt worden sei, "so geschah dies ohne unser Einverständnis".

Der Aufruf zur "Klimarevolution!" wie den drei vorherigen Demonstrationen an diesem weltweit zum Klimaaktionstag ausgerufenen Sonnabend wurde unterstützt von einem breiten Bündnis aus Campus Grün Hamburg, BUNDjugend Hamburg, Antifa Altona Ost, Ende Gelände, Gegenstrom Hamburg, Hambi Soli Hamburg, SAND (Systemoppositionelle Atomkraft-Nein-Danke), Grüne Jugend Hamburg und Extinction Rebellion Hamburg. Zu mutmaßen, wieso sich FFF Hamburg nicht mit diesem bunten und breiten Spektrum aktivistischer Gruppierungen gemein machen wollte, ist müßig. Dabei war der Aufruf zur "Klimarevolution!" schon Tage vor dem 15. März publik, so daß FFF genügend Gelegenheit gehabt hätte, sich im Vorwege von den mißliebigen DemonstrantInnen der anderen Gruppen zu distanzieren. Da die Entscheidungsprozesse innerhalb der FFF-Bewegung im Dunkeln bleiben, ist nicht bekannt, ob die Stellungnahme von einem kleinen SprecherInnengremium oder einem basisdemokratischen Plenum ausgegangen ist.

Bekannt jedoch ist, daß das Landesamt für Verfassungsschutz (VS) Hamburg fast vier Wochen später am 11. April mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit ging, in der sie unter dem spektakulären Titel "Entgrenzung: Gewaltorientierte Linksextremisten setzen strategisch auf populäre Themen - Wie die 'Interventionistische Linke' demokratische Initiativen instrumentalisieren will" die These von der systematischen Unterwanderung der FFF-Bewegung durch sogenannte Linksextremisten in die Welt setzte. In bekannter extremismustheoretischer Manier leitet der VS diese Verschwörungstheorie mit dem Verweis auf islamistische und rechtsextreme Versuche, mit einer sogenannten Entgrenzungsstrategie bereits existierende Protestbewegungen zu vereinnahmen und zu steuern.

Der VS berief sich auf die Stellungnahme von FFF Hamburg, um die Behauptung aufzustellen, das "offensichtliche Ziel der IL, von der momentanen Strahlkraft einer nichtextremistischen Kampagne wie 'Fridays For Future' zu profitieren", sei zwar fehlgeschlagen, unterstreiche aber "nachdrücklich die Vereinnahmungsversuche der Linksextremisten". Die Aufgabe der Landesbehörde, sozialen Protest als extremistisch respektive nichtextremistisch zu bewerten, ganz unabhängig davon, wie stringent oder widersprüchlich er begründet ist, könnte die primäre Funktion, die Staatsräson gegen Abweichler aller Couleur durchzusetzen, ohne nur einen Blick auf deren stringente oder widersprüchliche Begründung zu werfen, nicht besser dokumentieren. Es handelt sich um ein politisches Vollzugsorgan, dem das Problem des Klimawandels so gleichgültig wie die eigene Definitionshoheit unantastbar ist.

Der Versuch der ideologischen Diskreditierung der IL und mittelbar von Ende Gelände durch den Inlandsgeheimdienst beweist vor allem, daß der Aktivismus der Klimagerechtigkeitsbewegung Wirkung zeigt gerade dort, wo es wehtut, im Verwertungsgetriebe des Kapitals und seiner staatlichen Agenturen. Wenn eine mit Steuergeldern finanzierte Institution mobilisiert werden muß, um die FFF-Bewegung im Nachhinein einer ideologischen Normenkontrolle zu unterwerfen, bevor diese selbst vom Virus radikaler Entgrenzung befallen wird, dann erfährt jeder Mensch, den es interessiert, daß die von Spahn dem Straßenaktivismus verheißene Enttäuschung von ganz und gar positiver, im Wortsinne der Täuschung ein Ende bereitender Qualität ist.

Der in diesem Zusammenhang am Beispiel einer IL-Aktivistin unternommene Versuch, "die Strategie der IL, sich in bürgerlichen und alternativen Gesellschaftsschichten einzubringen", auf exemplarische Weise zu personifizieren, kann als warnendes Beispiel für FFF-AktivistInnen verstanden werden, die befreienden Möglichkeiten des sozialen Widerstandes nicht als Emanzipation, sondern als Gefahr zu deuten. Die Strategie, eine Person namentlich herauszupicken und auf absichtsvoll diffamierende Weise vorzuführen, könnte aber auch nach hinten losgehen. Möglicherweise sind die als Ziel der IL ausgemachten - und dementsprechend vom VS vor sich selbst zu schützenden - Gesellschaftsschichten nicht ihrerseits schon viel weiter und verstehen die herrschaftssichernde Agenda des Staatsschutzes als Versuch, den untoten Kapitalismus auch dann zu verteidigen, wenn der Boden unter seinen Füßen längst brüchig geworden ist und sein Dach lichterloh in Flammen steht.

Wenn Fridays For Future die Distanzierung von der seit vielen Jahren aktiven und über einen großen Erfahrungsschatz verfügenden, meist der außerparlamentarischen Linken zugehörigen Klimagerechtigkeitsbewegung generalisiert, dann bleibt wahrscheinlich nur der von Jens Spahn vorgezeichnete Weg in die Institutionen von Staat und Wirtschaft. Dieser hat den großen Vorteil, mit Karrierechancen in einer Zeit zu locken, in der einträgliche Erwerbsarbeit, mit der sich Lohnabhängige positiv identifizieren können, immer seltener wird. Der Nachteil, die soziale Barbarisierung der Welt mitzuvollziehen, ist für Menschen, die den sozialdarwinistischen Kampf ums Überleben für einen vollwertigen Lebenszweck halten, kaum existent. Kommt es hingegen darauf an, der eigenen Existenz mehr abzugewinnen als das gegenseitige Hauen und Stechen um den besten Platz an den Fleischtöpfen, dann könnte sich auch und gerade im Streit mit den herrschenden Verhältnissen eine neue Welt auftun.


Fußnoten:

[1] https://www.transnational-strike.info/2016/11/14/schlussdokument-der-pariser-konferenz/

[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/interviews/interviews/zeit-28032019.html

[3] https://www.facebook.com/fridaysforfuturehh/photos/a.131674954419302/160459634874167/


Berichte zur Hamburger Demonstration Klimarevolution im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT

BERICHT/120: Klimarevolution - es geht um mehr ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0120.html

BERICHT/121: Klimarevolution - auch politisch und sozial ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0121.html

BERICHT/122: Klimarevolution - frühe Sorgen ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0122.html

BERICHT/123: Klimarevolution - die Antwort gefällt der Frage nicht ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0123.html

23. April 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang