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BERICHT/120: Klimarevolution - es geht um mehr ... (SB)



Twenty-five years ago all the contradictions and conflicts of the present had already come into existence, but they only threatened individual men with war, hunger, and crippled lives. Today, an extractive, accumulative society more than just threatens - makes certain - the extinction of the human species within a comparatively short time.
Kenneth Rexroth - The Ecological Point of No Return (May 1969) [1]

Die Erkenntnis, daß die Existenz des Menschen durch die zerstörerischen Auswirkungen seines expansiven Verbrauches natürlicher Ressourcen insgesamt in Frage gestellt sein könnte, ist so neu nicht. Um so mehr werden Kinder und Jugendliche heute mit einer Realität konfrontiert, mit der sich keine Generation vor ihnen auseinanderzusetzen hatte. Zweifellos hatten Heranwachsende unter Bedingungen mörderischer Kriege und feudaler Herrschaft, diktatorischer Staatlichkeit und rassistischer Genozide existentielle, ihr Leben akut bedrohende Probleme. Doch meist bestand zumindest die theoretische Möglichkeit, diesen Gefahren durch Flucht in andere Länder und Weltregionen auszuweichen. Das ist heute anders, denn alle Menschen bewohnen die gleiche Erde und werden früher oder später von den Folgen ihrer ökologischen Zerstörung heimgesucht werden, so auch die Bevölkerungen in den hochproduktiven Metropolengesellschaften Westeuropas, Nordamerikas und Ostasiens. Zudem stehen Milliarden Menschen vor dem täglichen Problem, sich angemessen zu ernähren, sauberes Trinkwasser zu erhalten und ein paar Münzen zu verdienen, um das Notwendigste kaufen zu können. Die globale Synchronizität der Krise der Natur, des Klimas, des Kapitals und der Demokratie ist ein historisches Novum, nur vergleichbar mit epochalen Ereignissen naturgeschichtlichen Massensterbens vor Millionen von Jahren.

Die Strategie, den Kopf in den Sand zu stecken und abzuwarten, bis die Gefahr vorübergezogen ist, wird jedenfalls nicht funktionieren. So werden mit politischen und wissenschaftlichen Mitteln Fristen und Perspektiven entworfen, die einen Manövrierraum suggerieren, der in Anbetracht der bereits vorhandenen katastrophalen Auswirkungen der stetig ansteigenden Durchschnittstemperatur und der systemischen Trägheit einmal angestoßener klimatischer Entwicklungen schlichtweg nicht vorhanden ist. Die Suggestion, "die Menschheit" habe noch so und so viele Jahre Zeit, um wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, ist Ausdruck eines sozialökologischen Klassenkampfes, in dem sehenden Auges über die schon jetzt zerstörten Lebenschancen von Milliarden Menschen im Globalen Süden hinweggegangen wird. Anhand der Unterstellung, erst in einigen Jahren drastische Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen zu müssen, werden Voraussetzungen überlebenstechnischer Art geschaffen, deren selektiver Charakter sich in der stetig verschärften Flüchtlingsabwehr, der sozialpolitischen Prekarisierung überflüssig gemachter Menschen, der anwachsenden, die Gefahr neuer Kriege provozierenden zwischenstaatlichen Konkurrenz, der Propagierung national exklusiver Kollektive durch die Neue Rechte und der neokolonialistischen Ausbeutung durch bi- und multilaterale Freihandelsverträge abbildet.


Fronttransparente der Demo Klimarevolution am 15. März in Hamburg - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick

Globalisierungskritik reicht nicht mehr aus, auch wenn das ökologische Desaster, das die Weltwirtschaft anrichtet, indem die Produktion von Lebensmitteln durch unterschiedliche Produktivitätsniveaus und den daraus resultierenden Preis der Arbeit und der Externalisierung ökologischer Kosten gebildet wird, anhält. Um den sozialdarwinistischen Charakter heutiger Verteilungskämpfe adäquat zu erfassen, gilt es, das stoffliche Problem kapitalistischer Überproduktion, die dadurch bedingte Zerstörung der Lebensgrundlagen und eine administrative Biopolitik, die am Überleben der jeweiligen Nationalstaaten orientiert ist, zusammenzudenken. Das erhoffte Gelingen einer im Kapitalismus sozial befriedeten, liberalen und demokratischen Bürger- und Arbeitsgesellschaft scheitert daran, daß ohnehin akute Verteilungkämpfe durch die ökologische Krise massiv verschärft werden. Die Zerstörung der Böden, Wälder und Meere, die drastisch schwindende Biodiversität, die Endlichkeit der Lagerstätten für die Produktion von Lebensmitteln essentieller Mineralien, die vornehmlich durch Tierproduktion bedingte Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen, die in absehbarer Zeit dazu führen wird, daß unbehandelte Infektionskrankheiten zur Todesursache Nummer eins werden, und die epidemische Verbreitung chronischer Krankheiten resultieren in einer Verknappung um so heftiger umkämpfter Lebensressourcen.

Schon heute bilden sich trennscharfe Dispositive einer Elendsverwaltung aus, deren nationalchauvinistischer Impetus auch diejenigen vereinnahmt, die am wenigsten zu verlieren haben und gerade deshalb hoffen, von starken Führern und autoritären Regierungen gerettet zu werden. Wie das Beispiel Donald Trumps exemplarisch zeigt, basiert die Legitimation nationaler Restauration auf der beschleunigten Ausbeutung natürlicher Ressourcen, der wachsenden klassengesellschaftlichen Polarisierung, der Abwehr notleidender MigrantInnen und der forcierten Ausbeutung meist von Frauen verrichteter kostenloser Arbeit.

Selbst der neoliberal für maximierte Kapitalakkumulation und geostrategische Interventionen instrumentalisierte Universalismus der Menschenrechte und Gleichheitsideale scheint als legitimatorisches Feigenblatt ausgedient zu haben. Immer selbstverständlicher werden nationale und partikulare Interessen in Anspruch genommen, um kriegerische Aggressionen, außenpolitische Bündnisse mit diktatorischen Regimes, in den Erzeugerländern Armut und Hunger produzierende Handelsvorteile oder extraktivistische Strategien, die indigene Bevölkerungen ihrer Lebensumgebung und Subsistenzgrundlage berauben, zu rechtfertigen. Der Niedergang der europäischen Linken - und damit der Vormarsch der Neuen Rechten - ist auch dem Versäumnis geschuldet, die revolutionären Errungenschaft universalistischer Werte gegen ihren Mißbrauch zur Durchsetzung hegemonialer Staats- und Kapitalinteressen verteidigt und mit neuer Bedeutung als verbindendes Merkmal internationalistischer Kämpfe von unten versehen zu haben.


Transparent 'Mit Kohle ist alles tot' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick

Kurz gesagt, das Problem für emanzipatorische soziale Bewegungen und die radikale Linke ist weit größer, als daß es sich auf die ohnehin unabgegoltene soziale Frage reduzieren ließe. Gleiches gilt für die AktivistInnen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die die globale Dimension des Klimawandels thematisieren und damit den Zugang zu den sozialen Widersprüchen eröffnen, die auf regierungspolitischer Ebene durch das Festhalten an Wettbewerbs- und Wachstumsdispositiven unter dem Vorzeichen eines grünen, technologische Effizienzsteigerung propagierenden Kapitalismus vertieft werden. Die progressive Beantwortung der sozialen Frage bleibt ein linkes Projekt, nur kann sie längst nicht mehr mit der sozialdemokratischen Rezeptur der industriellen Arbeitsgesellschaft beantwortet werden, die so tief in der Verwertungskrise aus Überproduktion und Mangelverwaltung steckt, daß für eine sozial gerechte Verteilungsordnung auf globaler Ebene nicht genügend Mittel bleiben.

Der naheliegenden Transformation zu einer ökosozialistisch organisierten Postwachstumsgesellschaft steht allerdings eine Machtfrage im Weg, der die SachwalterInnen des kapitalistischen Weltsystems mit dem Festhalten an etablierten Produktionsformen und Herrschaftssystemen und ihrer zusehends repressiven und autoritären Durchsetzung entsprechen. Wie der schrittweise Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus an den Fallstricken eines Reformismus scheiterte, der die linke Avantgarde in die Programmatik sozialdemokratischer Teillösungen einband, so droht die Kleinschrittigkeit sozialökologischer Subjektivierung, das durchaus Sinnvolle auf den Rahmen individueller wie kollektiver Verbrauchs- und Lebenspraxis zu begrenzen, von den desaströsen Entwicklungen des grünkapitalistischen Krisenmanagements gegenstandslos gemacht zu werden.

Ob mit hochriskantem Geoengineering auf unumkehrbare Weise in Ökosysteme eingegriffen wird, ob anhand einer über den Markt geregelten Verbrauchssteuerung neue Formen sozialer Spaltung etabliert werden, ob die Emission von Treibhausgasen durch den Kauf von Verschmutzungsrechten und Biodiversitätszertifikaten gleichungstechnisch relativiert anstatt absolut begrenzt wird, ob die Physis des Menschen mit bevölkerungspolitischer und medizinaladministrativer Verfügungsgewalt auf einen quantitativ begrenzten und sozialbiologisch definierten Lebenswert zugerichtet wird oder die informationstechnisch perfektionierte Überwachung des individuellen Verbrauchsverhaltens eine faschistoide Form der Sozialkontrolle hervorbringt, an reaktionären Lösungen und regressiven Gesellschaftsentwürfen herrscht kein Mangel.

Um das ganze Ausmaß zukünftiger Herausforderungen sozialer wie ökologischer Art zu erkennen und zu antizipieren, bedarf es des gebündelten Potentials aller emanzipatorischen und revolutionären Bewegungen, die sich dem Aufziehen barbarischer, menschenfeindlicher und naturzerstörerischer Formen staatlicher wie ökonomischer Herrschaft entgegenstellen. Ob mit der weltweiten Mobilisierung der Fridays For Future-Bewegung und der mit ihr verbündeten sozialökologischen Gruppen am 15. März ein Anfang dafür gemacht wurde, soll mit einem Blick auf die Kundgebungen und die Demonstrationen, die anläßlich dessen in Hamburg stattfanden, an dieser Stelle untersucht werden.


Transparente zum Weltenbrand - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente zum Weltenbrand - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente zum Weltenbrand - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick


Schneisen in den Dschungel der Schulddiktate und Konsumsuggestionen schlagen

Von dem Anliegen junger Menschen, die Gefährdung ihrer Zukunft lautstark zum Thema zu machen, mit einer Debatte darüber abzulenken, daß dies auch in ihrer Freizeit erfolgen könne, bringt die ganze Erbärmlichkeit einer Vergesellschaftungspraxis hervor, der der Lohnarbeit verrichtende Mensch eine Art zu bewirtschaftendes "Humankapital" ist. Den gesellschaftlichen Pflichtenkatalog gegen die SchülerInnen zu wenden, die einen kleinen Regelbruch wagen, um ihr Interesse an einer lebenswerten Zukunft zu reklamieren, könnte nicht besser dazu beitragen, die dies vollziehenden Autoritäten ihrer Glaubwürdigkeit und Seriosität zu entheben.

So erleben die protestierenden SchülerInnen frühzeitig, daß mit dieser Gesellschaft nicht zu spaßen ist, wenn sie der schulischen Zurichtung auf regelkonformes Verhalten nicht genügen. Da sie dies im Interesse der vielbeschworenen "Menschheit" tun, lernen sie zugleich, daß es sich bei dieser Abstraktion nicht um eine übergeordnete Singularität handelt, in der die verschiedenen Gesellschaftssubjekte aufgehen, sondern daß deren Bestehen auf klare Abgrenzung und Souveränität die Fiktion eines gemeinsamen Ganzen hervorruft, um über die Unvereinbarkeit seiner Teile hinwegtäuschen zu können. "Die Menschheit" wird immer dann appellativ im Munde geführt, wenn die sie durchziehenden Brüche und Konflikte zugunsten herrschaftskonformer Strategien negiert oder gegen einzelne Akteure ins Feld geführt werden sollen. Wenn hierzulande Jugendliche ernstzunehmende Maßnahmen gegen die sich ankündigende Klimakatastrophe einfordern, während in anderen Ländern bereits Menschen um ihr Leben kämpfen müssen, weil ihre Ernten durch jahrelangen Dürren vernichtet oder ihre Häuser durch Flutkatastrophen zerstört wurden, dann wird die Einhaltung der Schulpflicht so wichtig, daß an existentielle Probleme nicht länger zu denken ist.

Nicht minder effizient werden die Klassenwidersprüche der bürgerlichen Eigentumsordnung unter dem Deckel idealisierter Gesellschaftsvorstellungen und Staatskonzepte versteckt. Indem die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gewährleistet wird, deren Bezahlbarkeit durch die Externalisierung sozialer und ökologischer Kosten garantiert wird, werden sie zu mittelbaren TeilhaberInnen an kolonialistischen Strategien, die sich mit ihrer Verantwortung für die Naturzerstörung in aller Welt lieber nicht so gerne auseinandersetzen. Die Umlastung ökologischer Kosten auf einkommensschwache Gruppen ist nur deshalb ein Aktivposten der Neuen Rechten, weil ihre Armut quasi als Naturzustand und nicht Ergebnis kapitalistischer Verwertungsstrategien verstanden wird. Allein die Forderung, das durchschnittliche Lohnniveau so zu erhöhen, daß alle abhängig Beschäftigten die höheren Preise für biologische Nahrungsmittel bezahlen können, zeigt, daß die externalisierten Kosten agrarindustrieller Produktion wiederum zu Lasten derjenigen gehen, die mit ihrem Lohn den kleineren Teil dessen erhalten, was ihnen genommen wurde.


Transparent 'Studierende und Arbeitende Hand in Hand im Klimakampf' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Wenn das durchschnittliche Familieneinkommen heute zur Hälfte von Mietkosten aufgefressen wird, so daß die Forderung, etwas teurere, ökologisch nachhaltige und fair gehandelte Lebensmittel zu erstehen, kaum noch erfüllt werden kann, erweist sich das moralische Anliegen korrekten Konsums vollends als Klassenprivileg. Der höchst ungleich verteilte gesellschaftliche Reichtum läßt jede Strategie, dem Klimawandel mit Ökosteuern und einem Karbonpreis entgegenzutreten, als kontraproduktive Aufrechterhaltung sozialer Gewaltverhältnisse erkennen, deren destruktiver Charakter nichts als Zerstörung hervorbringen kann. Es gilt der Primat des Privateigentums, an den aus Gründen notwendiger ökologischer Maßnahmen zu rühren wahrscheinlich erst in Frage kommt, wenn die Lohnabhängigenklasse zu entkräftet ist, um noch den Mehrwert zu produzieren, von dem alle Kapitalakkumulation zehrt.

Um den bezichtigenden Begriff des "Schuleschwänzens" gegen seine UrheberInnen zu wenden, könnte einmal gefragt werden, was die SchülerInnen denn in der Schule lernen, um auf die Bewältigung der anstehenden sozialen Konflikte und ökologischen Katastrophen vorbereitet zu sein. Wie die Debatte um die Digitalisierung der schulischen Bildung zeigt, werden sie in erster Linie auf das Funktionieren in der neoliberalen Marktgesellschaft zugerichtet, wozu die individuelle Arbeitskraft stetig optimiert werden muß, um überhaupt das notwendige Minimum an Einkommen zu erwirtschaften. Wie sollen sie in einer Gesellschaft, in der alle Beziehungen und Verhältnisse tausch- und geldförmig organisiert sind, einen Sinn dafür entwickeln, daß ein nichtmenschliches Tier oder eine Pflanze etwas anderes sein kann als ein Wirtschaftsgut und Produktionsfaktor? Wie sollen sie unter der Maßgabe, in der Konkurrenz um Arbeit stets zu obsiegen, zur aktiven Solidarisierung mit denjenigen gelangen, die aus diesem Wettbewerb längst unumkehrbar ausgeschieden sind?

Die Subjektivität eines Daseins, das nicht dem bloßen Überleben gewidmet ist, zu verstehen und wertzuschätzen, Sensibilität für die Verletzbarkeit anderer Bioorganismen zu entwickeln und mit Empathie die Probleme anderer Menschen zu den eigenen zu machen, war stets eine Stärke heranwachsender Generationen. Weil sie damit die Privilegien der Funktions- und Geldeliten in Frage stellen, wurden ihnen diese Qualitäten in der klassischen Disziplinargesellschaft durch Unterwerfung unter die rigide Ordnung der patriarchalen Kleinfamilie, der kirchlichen und staatlichen Bildungseinrichtungen, des Militärs und der Fabrik ausgetrieben. Auch wenn die neoliberale Postmoderne demgegenüber mehr Freiheiten verheißt, so definieren sich diese doch maßgeblich über den jeweiligen Sozialstatus und die damit eröffneten Möglichkeiten, durch den Erwerb bestimmter Produkte und Dienstleistungen den jeweils angesagten und ganz besonderen Lebensstil zu führen. Wie fremdbestimmt der hochgradig individualisierte Mensch durch die Inanspruchnahme derartiger Angebote wird, fällt nicht weiter auf, wenn er in der Masse derjenigen, die die eigene Bedeutung aus der Vergleichbarkeit mit allen anderen erwirtschaften, in seiner vermeintlichen Unverwechselbarkeit erst recht austauschbar wird.

Im Rahmen gesellschaftlicher Gewinn- und Verlustrechnung wird genau darauf geachtet, wie weit der einzelne Mensch zum Gesamtprodukt beiträgt oder ob er vor allem Kostenfaktor ist. Wer zugunsten höherer Ziele dem Unterricht fernbleibt, läßt damit erkennen, daß er für die herrschende Verwertungsordnung prinzipiell unzuverlässig ist. Wer so radikal ausschert wie Greta Thunberg, die schwedische Initiatorin der freitäglichen Klimastreiks, und damit weltweite Beachtung erlangt, wird mit Verunglimpfungen überschüttet, denen eines gemeinsam ist - sie darf mit ihrem Anliegen nicht ernst genommen werden [2]. So zieht sich durch die Kommentare und Stellungnahmen, die die Klimastreiks in Deutschland als "Schulschwänzerei" verwerfen, der rote Faden einer besserwisserischen Arroganz, laut der die demonstrierenden Jugendlichen keine Ahnung vom Ernst des Lebens und schon gar nicht von den politökonomischen Erfordernissen des Industriestandortes Deutschland haben.

Da die Argumente Greta Thunbergs und der Fridays For Future-Bewegung stichhaltiger nicht sein könnten, wird im Zweifelsfall dazu übergegangen, den Protesten den Zahn ihrer Entschiedenheit dadurch zu ziehen, daß das Anliegen der Jugendlichen begrüßt und auf das Prozedere parlamentarischer Willensbildung verwiesen wird. Nicht anders denn als Versuch der Einbindung eines Protestes, der sich zu einer eigenständigen Kraft verselbständigen könnte, ist auch der Vorschlag zu werten, Thunberg den Friedensnobelpreis zu verleihen. Der von einem Dynamithersteller, der sein Hauptgeschäft mit Bergbaukunternehmen machte, gestiftete Preis hat die unrühmliche Eigenschaft, auch an Politiker und Institutionen verliehen zu werden, zu deren Handwerkszeug kriegerische Aggression und kolonialistische Verschuldungspolitik gehören, um nur zwei Beispiele zu nennen.


Transparent 'Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Wie korrumpierbar die Fridays For Future-Bewegung durch sattsam bekannte Beschwichtigungs- und Partizipationsstrategien sein wird, ist eine offene Frage. Die in Hamburg erfolgte Bildung eines Bündnisses mit Akteuren der Klimagerechtigkeitsbewegung könnte dazu führen, daß deren Aktionsformen, Strategieentwürfe und Erfahrungen im Umgang mit der Staatsgewalt bei den demonstrierenden Jugendlichen auf fruchtbaren Boden fallen. Wesentlich für die Ausbildung der im adäquaten Umgang mit der herrschenden Verbrauchs- und Verschiebelogik notwendigen Politisierung und Radikalisierung ihres Protestes wäre die Konvergenz der verschiedenen Kämpfe antikapitalistischer, antirassistischer, antifaschistischer und antipatriarchaler Art. Damit ließe sich auch der Trugschluß vermeiden, daß es sich bei der ungenügenden Beschränkung des Klimawandels um ein Versagen der Politik handelt. Diese betreibt schlicht und einfach das Geschäft, für das sie vom Hauptausschuß gesellschaftlicher Reichtumsproduktion, dem Monopolkapital in Industrie und Finanzwirtschaft, und seinen ausführenden Organen in den Schaltstellen tonangebender Wissens- und Kulturproduktion eingesetzt und gewählt wurde.

Ebenso in die Irre führt die Ansicht, es handle sich um ein bloßes Generationenproblem, als zerstörten Erwachsene die natürlichen Lebensgrundlagen nur, weil sie erwachsen sind, und nicht, weil ihre Überlebensratio durch kapitalistische Vergesellschaftungsprozesse bestimmt ist. Den Antriebsfaktoren ökologischen Verbrauches in Energie- und Güterproduktion, Verkehr und Landwirtschaft, der geschlechtsspezifischen Aneignung kostenloser Arbeit und Ausgrenzung nicht der bürgerlichen Norm entsprechender Menschen auf die Spur zu kommen verlangt mehr als nach einer Energie-, Mobilitäts, Agrar- und Wachstumswende zu rufen. Das Terrain des fossilistischen Brandes, der hungerproduzierenden Zweckentfremdung von Landwirtschaftsflächen für Bioenergie und Straßenbau, der Tierausbeutung und Naturzerstörung [3] wird nicht kampflos preisgegeben, sondern mit eben jenen Zähnen und Klauen verteidigt, die sich zu jeder Zeit in die Leiber der jeweils Schwächeren bohrten.

(wird fortgesetzt)


Rote Fahne 'Revolution' mit rotem Schriftzug auf schwarzem Grund - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.bopsecrets.org/rexroth/sfm/1969.htm#Food

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1505.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0117.html


19. März 2019


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