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BERICHT/088: Klimacamp im Rheinland - öko- und sozialkritisch ... (SB)


Man is becoming extinct. To reverse the process requires both an intelligence and a morality which the species as a whole has never shown. It requires an abolition of the profit system and of all exploitative relationships, a change in the social system incomparably more drastic than the Russian or Chinese Revolution, more drastic really than that envisaged even in utopian visions like Plato's or St. Thomas More's. It's perfectly obvious this isn't going to happen. Even if it did tomorrow morning the chances of winning are slim. [1]
Kenneth Rexroth - The Battle for Food (September 1969) [2]


Transparent auf Zelt 'Klimacamp im Rheinland' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Internationales Treffen vom 18. bis 29. August 2017
Foto: © 2017 by Schattenblick

Der anarchistische Dichter und Autor Kenneth Rexroth, der die Beat- und Hippie-Generation an der Westküste der USA mit tiefsinnigen Kommentaren begleitete, war sich schon vor einem halben Jahrhundert im klaren darüber, daß die Aussichten auf eine Zukunft, in der die Menschen die von ihnen angerichtete ökologische Katastrophe überwunden hätten, ohne daß ein Großteil des Lebens auf dem Planeten dabei vernichtet worden wäre, gering sind. Heute wird gerne vergessen, daß der sozialökologische Widerstand in den hochindustrialisierten Metropolengesellschaften der 1960er Jahre bereits in voller Blüte stand und die Menschen sich der Möglichkeit eines finalen Szenarios durchaus bewußt waren. Das ahistorische Selbstverständnis neoliberaler Marktdogmatik, laut der das Interesse rationaler Marktakteure an der Wahrung ihres Vorteils alles zum Besten regele, ist ein Grund für den Mangel an fortschrittlicher Kontinuität in sozialökologischen Fragen. In selbstregulativen Systemen ist kein Platz für eine Geschichte, in der maßgebliche Entscheidungen nicht von weisen und gekrönten Häuptern getroffen werden, sondern der Kampf um Emanzipation und Befreiung der jeweiligen Ausbildung herrschaftlicher Formationen vorausgeht.

Der weit über die Kommodifizierung der Arbeit hinausgehende Tauschwertcharakter sozialer Beziehungen ist denn auch, anders als sozialdarwinistische Demagogen unterstellen, kein Naturereignis, sondern Ausdruck eines gegen das andere Lebewesen gerichteten Flucht- und "Über"lebensinteresses. Die Konstante eines Individualhorizontes, in dem alles andere dem Zweck und Nutzen eigener Interessen nachgeordnet ist, verselbständigt sich zu einem programmatischen Individualismus, dessen im Sinne seiner Einlösung vergeblicher Anspruch auf Dauer und Einzigartigkeit als irrationaler Widerschein kollektiver Verstärkung alles überstrahlt, was den Menschen handlungsfähig und widerständig machen könnte. An einer Produktionsweise festzuhalten, die sehenden Auges zur Negation aller zivilisatorischen Fortschritte führt, stellt nicht zuletzt diese selbst in Frage.


Gelände des Klimacamps mit Menschen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Klimacamp in Aktion
Foto: © 2017 by Schattenblick

Was an diesen Errungenschaften zu retten wäre, an welche Traditionen unterdrückten sozialen Widerstands anzuknüpfen ist, was bekämpft und überwunden werden sollte, sind Fragen, die insbesondere jüngere Menschen heute wieder in wachsendem Ausmaß beschäftigen. Weithin sichtbarer Ausdruck des Bemühens um eine andere Welt sind die alljährlich im Sommer stattfindenden Camps sozialer Bewegungen, die, besonders wenn sie in der Nähe von Orten eklatanter Naturzerstörung plaziert sind, häufig ein über bloße Informations- und Vernetzungszwecke hinausgehendes aktivistisches Profil haben. Das gilt für die seit 2010 im Rheinland stattfindenden Klimacamps allemal, werden sie doch in unmittelbarer Nähe der Tagebaue und Kraftwerke errichtet, die mit der Förderung und Verstromung von Braunkohle noch auf Jahre hinaus den mit Abstand schmutzigsten Energieträger favorisieren.


Tagebau Garzweiler und Schaufelradbagger - Foto: © 2017 by Schattenblick

Der mechanische Sisyphos ...
Foto: © 2017 by Schattenblick


Band des Baggers transportiert Erde ab - Foto: © 2017 by Schattenblick

... wälzt einst fruchtbare Erde um ...
Foto: © 2017 by Schattenblick


Im Hintergrund zweiter Bagger - Foto: © 2017 by Schattenblick

... zu Abraum wie Asche am Ende des Brandes
Foto: © 2017 by Schattenblick

Doch das Ende dieser Form von Energieerzeugung ist bei weitem nicht alles, was die Aktivistinnen und Aktivisten im Rheinischen Braunkohlerevier motiviert. Das Klimacamp ist auch ein Labor sozialer Experimente, bietet doch das Zusammenleben an einem Ort zahlreiche Möglichkeiten, alternative Lebenspraktiken zumindest im Ansatz auszuprobieren und zu erarbeiten. Während diejenigen, die das Ganze im Vorfeld über viele Monate planen und realisieren, ohnehin auf eine Form solidarischen Umgangs angewiesen sind, der das Projekt nicht an internen Differenzen scheitern läßt, sind auch die aus aller Welt anreisenden Menschen für das Gelingen des Camps verantwortlich. Allein die täglichen Arbeiten, die für das Funktionieren einer Infrastruktur geleistet werden müssen, mit der die körperlichen Bedürfnisse von bis zu 3000 Menschen befriedigt werden, wären ohne die Beteiligung aller Anwesenden nicht zu leisten.

Auch wenn für die Bereitstellung der erforderlichen Materialien wie Zelte in verschiedensten Größen, Kommunikationstechnik, Baumaterialien, Werkzeuge, Versorgungsgüter von Hygienartikeln über Nahrungsmittel, Wasser und die Gewährleistung medizinischer Notfallhilfe Fördermittel diverser Institutionen und NGOs vorhanden sind, ist der Betrieb des Klimacamps auf Spenden der Aktivistinnen angewiesen, die in diesem Jahr aus rund 20 Ländern zum Lahey-Park in der Nähe von Erkelenz reisten. Wie prekär die Frage der Finanzierung ist, zeigte sich daran, daß der Degrowth Sommerschule 2017, ein integrales Element des Klimacamps zur Erforschung von Alternativen zur gesellschaftlichen Wachstumsorientierung, zehn Tage vor Beginn ihres Programms die bereits zugesagten Mittel der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen gestrichen wurden. Sie lastete den Veranstalterinnen an, nicht sicherstellen zu können, daß in ihren Seminarzelten keine Aktionen zivilen Ungehorsams geplant würden, was ein Loch von 46.000 Euro riß. Es konnte dank der allgemein hohen Spendenbereitschaft gestopft werden, so daß die Degrowth Sommerschule auch in diesem Jahr stattfand.


Landkarte im Aushang - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktionsfeld Rheinisches Braunkohlerevier
Foto: © 2017 by Schattenblick

Als Vorsitzender des Stiftungsrates firmiert der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Stellvertretende Vorsitzende ist die unlängst wegen eines Tierschutzskandals in die Schlagzeilen geratene Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW, Christina Schulze Föcking, und im fünfköpfigen Stiftungsvorstand sitzt mit dem Abteilungsleiter Europa, internationale Angelegenheiten und Medien in der Staatskanzlei NRW, Jürgen Hein, ein weiteres Mitglied der Landesregierung. Auf derartige Kräfte bei der Finanzierung einer Bewegung zu setzen, die zumindest teilweise in Opposition zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung steht, ist denn auch ein Problem, das sicherlich der weiteren Bearbeitung etwa im Sinne des Primats selbstorganisierter Strukturen bedarf.

So ist das tägliche Engagement der Campteilnehmer weit über die Frage notwendiger Geldmittel hinaus essentielle Voraussetzung für das Gelingen einer Zusammenkunft, mit der ein Zeichen für radikale Maßnahmen gegen den Klimawandel gesetzt wird. Die Kompostklos müssen gereinigt und geleert, drei vegane Mahlzeiten täglich für 2500 Menschen zubereitet und ausgegeben werden, das Geschirr muß gespült, die nach Möglichkeit alternative Energieversorgung gesichert, Kursprogramme, kulturelle Events, Rechtsberatung, Pressearbeit oder Führungen durchs Camp müssen organisiert werden.

Zudem sind die Vorbereitungen der Protestaktionen, die dieses Jahr von verschiedenen Gruppen und Akteuren geplant und durchgeführt wurden, höchst anspruchsvoll. Je nach Aktionskonsens gehen die Teilnehmerinnen an Demonstrationen zivilen Ungehorsams das zwar eingrenzbare, aber in seiner Konsequenz vorab niemals vollständig zu bestimmende Risiko ein, mit der Staatsgewalt bis hin zur Konsequenz strafrechtlicher Folgen und physischer Schäden konfrontiert zu werden. Da das staatliche Gewaltmonopol aller juridischen Theorie zuwider meist am längeren Hebel sitzt und die Schraube der Repression bis zur faktischen Außerkraftsetzung des Versammlungsrechtes immer enger angezogen wird, müssen umfassende Vorkehrungen wie Rechtsberatung und Aktionstrainings getroffen werden, um den schmalen Verhandlungsraum, in dem sozialer Widerstand noch möglich ist, auf relativ geschützte Weise ausschöpfen zu können.


Transpi 'Queer We Go' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aufbruch des queeren Fingers
Foto: © 2017 by Schattenblick

Auch der Schutz vor aggressiven und sexistischen Übergriffen im Camp spielt eine große Rolle bei der Organisation des täglichen Mit- und Gegeneinanders. Da ersteres ein Ideal darstellt, dessen utopischer Charakter gerade durch seine nicht erfolgte Verwirklichung hervortritt, ist auch an dieser Stelle viel Arbeit am sozialen Entwurf des Menschen zu verrichten. Als sehr förderlich erweist sich dabei die Überwindung konventioneller Geschlechterstereotypien, die, ob nun als heteronormativ oder auch patriarchalisch bezeichnet, die jahrtausendealte Geschichte männlicher Dominanz reflektieren. Die daraus resultierende Ausdifferenzierung verschiedenster, im erweiterungsfähigen Kürzel LGBTIQ zusammengefaßten Geschlechtsidentitäten, die mitunter als abwertend empfundene Zuschreibung Cis-Mann als auch der virulente Streit zwischen marxistisch orientierten Feministinnen und Queerfeministinnen, in dem über die Prioritäten gesellschaftlicher Veränderung debattiert wird, müssen nicht jedem Menschen verständlich sein, um zu begreifen, was für ein explosives Gewaltpotential in Geschlechterverhältnissen liegt und wieso es einen erheblichen Fortschritt darstellt, sich jeglicher geschlechtlichen Identität verweigern zu können.

Ob dies nun mit dem Begriff Queer markiert wird oder nicht, für die Menschen im Camp ist es selbstverständlich, daß für von der gesellschaftlichen Norm abweichende Erscheinungs- und Verhaltensformen im Klimacamp ein Freiraum besteht, der das kollektive Leben leichter und erfreulicher macht. Geradezu kontrapunktisch zum Gesellschaftsbild der AfD positioniert, die massiv gegen die Aufweichung des tradierten patriarchalischen Modells der Kleinfamilie als Inkubator herrschaftsförmiger Zurichtung und autoritärer Unterdrückung zu Felde zieht, ist die Aufhebung letztlich immer biologistisch legitimierter Ordnungsvorstellungen dieser Art ein zentrales Kriterium des radikalen sozialökologischen Aktivismus.

Gleiches gilt für den kritischen Umgang mit allen gesellschaftlichen Naturverhältnissen, deren klimarelevante Problematik nur einen Ausschnitt notwendiger Veränderung der menschlichen Lebens- und Produktionsweisen darstellt. Es liegt auf der Hand, daß der Bezug zur Beschränkung des Klimawandels im Klimacamp Priorität hat, ob nun über Ressourcenextraktivismus, Automobilismus oder Landraub diskutiert wird. Dennoch überschreiten grundlegende Fragen etwa zum Mensch-Tier-Verhältnis das klimarelevante Profil bei weitem, wie die Bewegung gegen Tierausbeutung und für Tierbefreiung zeigt. So wurde das Thema Massentierhaltung im Klimacamp vor allem hinsichtlich der erheblichen Auswirkungen des Tierverbrauchs diskutiert, doch hatte auch die prinzipielle Frage nach der Legitimität des Quälens und Tötens schmerzempfindender Lebewesen ihren Platz. Der aktivistische Minimalkonsens, bei der Ernährung im Camp keinen Tierverbrauch zuzulassen, ist als Zugeständnis an all jene, die ansonsten an den Mahlzeiten nicht teilnehmen könnten, dementsprechend wertzuschätzen.


Klimacamp mit untergehender Sonne - Foto: © 2017 by Schattenblick

Am Ende eines aktionsreichen Tages
Foto: © 2017 by Schattenblick

An dieser Stelle werden in loser Folge Berichte und Interviews zum Klimacamp im Rheinland folgen, anhand derer sich Fragen des sozialökologischen Widerstands weiterentwickeln lassen. Im editorischen Kontext der Berichterstattung des Schattenblicks zur Degrowth-Konferenz 2014 [3], des Klimacamps im Rheinland 2015 [4] und zum Widerstand im Hambacher Forst [5] als auch im Vorfeld der Bundestagswahl und des Weltklimagipfels in Bonn ist das Klimacamp im Rheinland 2017 ein Fokus jener Fragen, die sich angesichts der Konfrontation zwischen grünkapitalistisch larviertem Sozialdarwinismus und ungeteiltem Eintreten für das Leben mit anwachsender Dringlichkeit stellen.


Fußnoten:


[1] Der Mensch stirbt aus. Um den Prozeß umzukehren bedarf es zugleich einer Intelligenz und Moralität, die die Spezies als Ganzes niemals aufgewiesen hat. Es bedarf der Abschaffung des Profitsystems und aller ausbeuterischen Beziehungen, einer Veränderung im Sozialsystem, unvergleichlich drastischer als die Russische oder Chinesische Revolution, sogar drastischer als das, was in den utopischen Visionen eines Plato oder Thomas Morus entworfen wurde. Es ist ganz offensichtlich, daß das nicht geschehen wird. Selbst wenn es morgen früh getan würde, wären die Chancen auf Erfolg gering.

[2] http://www.bopsecrets.org/rexroth/sfm/1969.htm#Food

[3] siehe unter dem kategorischen Titel "Aufbruchtage":
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_interview.shtml

[4] siehe unter dem kategorischen Titel "Klimacamp trifft Degrowth":
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_interview.shtml

[5] siehe auch unter dem kategorischen Titel "Krieg der Bäume":
http://www.schattenblick.de/infopool/redaktio/ip_redaktio_report_geschichten_aus_dem_widerstand.shtml


28. August 2017


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