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BERICHT/059: Klimacamp trifft Degrowth - weniger ist mehr ... (SB)


Rohstoffe - Wessen Reichtum, wessen Not?

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Rohstoffe mit Reichtum gleichzusetzen, sofern sie der Erde entrissen, gereinigt und zu vielfältigen Produkten verarbeitet werden, ist eine menschheitsgeschichtliche Überlebensstrategie, die sich allenfalls am Ende der sogenannten Wertschöpfungskette auszuzahlen scheint. Verfolgt man diese Kette zurück, zeichnet sich immer deutlicher ab, daß die von der Spitze her aufgezwungene Herrschaft über Mensch und Natur einem eskalierenden Zerstörungswerk gleicht, das den Zugewinn weniger an deren Verfügungsgewalt bemißt, über Leib und Leben vieler gebieten und die Ausplünderung jeglicher Ressourcen forcieren zu können. Seit den Tagen der spanischen Konquistadoren, für die sich im Zuge der ursprünglichen Akkumulation zu Hunderttausenden zählende Indianervölker in den Silberminen zu Tode schuften mußten, hat sich an diesem Prinzip nichts geändert. Allerdings hat seine innovative Weiterentwicklung dazu geführt, die Folgen unausgesetzter Umlastung in historisch beispiellose Extreme zu treiben: Nie zuvor sind täglich so viele Menschen an Durst, Hunger und Krankheit gestorben wie heute, nie wurden mehr in Sklavenarbeit geknechtet, nie waren die Flüchtlingsströme größer, nie der Klimawandel näher.

Wer dem Extraktivismus etwas entgegenzusetzen trachtet, kommt nicht umhin, ihn in seinen politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Aspekten umfassend auszuleuchten. Auf der Ebene der Nationalstaaten und Staatenbündnisse konstituieren Kolonialismus und Imperialismus ein System der Ausplünderung von Rohstofflieferanten durch Industrienationen mittels überlegener Waffengewalt, wirtschaftlicher Übermacht und administrativer Zwangsverhältnisse. Ökonomisch analysiert, drängt der Verwertungszwang der Kapitalakkumulation auf ein unausgesetztes Wachstum der Produktion und Konsumption. Die sozialen Lasten bedrohter Existenz, ausgebeuteter Arbeitskraft, vernichteter Gemeinschaft und ruinierter Gesundheit haben zuallererst jene Menschen zu tragen, deren Fluch die in ihrem Lebensbereich geförderten Bodenschätze sind. Verheerend sind die ökologischen Folgen wie zerstörte Landschaften, verseuchte Gewässer, belastete Atemluft und klimatische Veränderungen, die ihrerseits katastrophale Folgen zeitigen.

Sich bei der Suche nach Lösungsansätzen auf Teilaspekte dieser umfassenden Problematik zu beschränken und auf reibungsarme Übergänge zu setzen, greift zwangsläufig zu kurz. Die Ratio der Überlebenssicherung, welche den eigenen Vorteil im Schaden anderer sieht, bringt Eliten hervor, die diese Maxime perfektionieren und ihre Vorherrschaft mit Zähnen und Klauen verteidigen. Sie ist zugleich die innerste Logik der Beherrschten, die ihren bescheidenen Platz in diesem System um so vehementer behaupten, je näher ihnen das Schicksal noch schlechter gestellter Menschen und Völkerschaften rückt. Gleichgültigkeit und Funktionstauglichkeit, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, Bellizismus und Sozialrassismus vereinigen sich zu einer aggressiven Gemengelage unausgesetzter Flucht vor der Auseinandersetzung mit den Protagonisten der gesellschaftlichen Verhältnisse und den drängenden Problemen aller.


Bühne mit Sitzgelegenheit für Referentinnen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Podiumsdiskussion "Grünes Wachstum vs. im Boden lassen? - Zur Rohstoffproblematik"
Foto: © 2015 by Schattenblick


Widerstand gegen den Kupferbergbau in Ecuador

Die Degrowth-Sommerschule im Klimacamp befaßte sich in einer Podiumsdiskussion zum Thema "Grünes Wachstum vs. im Boden lassen? - Zur Rohstoffproblematik" am Beispiel des Kupferbergbaus in Ecuador mit der Ausbeutung und Verwertung dieser Ressource. Moderiert von Nina Treu (Konzeptwerk Neue Ökonomie) referierten und diskutierten José Cueva (Landwirt und Kommunalpolitiker aus der Region Intag), Laura Weis (Power Shift), Franziska Killiches (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) und Niko Paech (Ökonom an der Universität Oldenburg).

José Cueva, der als Ökolandwirt unter anderem Kaffee anbaut, engagiert sich seit 18 Jahren im Widerstand gegen eine Kupfermine vor Ort und setzt sich für eine alternative Entwicklung der Region Intag ein. Seit 2014 ist er Planungsdirektor in der Kantonalsregierung, die von der neu gegründeten Partei "Movimiento Vivir Bien" gestellt wird. In der tropischen Bergregion im Nordwesten Ecuadors kämpfen die Menschen bereits seit den 90er Jahren gegen die Umsetzung von Bergbaulizenzen für ausländische Konzerne, wobei es auch zu Konfrontationen mit von Minenunternehmen geschickten Paramilitärs kam.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

José Cueva und Laura Weis
Foto: © 2015 by Schattenblick

Wie Cueva berichtet, sei der Kupferabbau für die lokalen Gemeinden mit gravierenden ökologischen und sozialen Folgen verbunden. Mit der Zerstörung der Lebensgrundlagen gehe eine Eskalation von Konflikten und eine Militarisierung der Auseinandersetzung einher. Andererseits habe der jahrzehntelange Widerstand lokale Organisationen und Strukturen geschaffen, die soziale, ökonomische und ökologische Alternativen für die Region entwickeln: Kaffeeanbau, Ökotourismus, Ökolandbau, Aufforstung, Bildungsprojekte und nicht zuletzt Pläne für Miniwasserkraftanlagen.

Grundsätzlich brauche Südamerika andere Wachstumsmodelle, die nicht im Zuge einer nachholenden Entwicklung dem verhängnisvollen Muster der Industriestaaten des globalen Nordens folgen. Dabei wirke Ecuador insofern wie ein Sonderfall, als in der Verfassung ein Umgang mit der Natur und den Rechten der ansässigen Bevölkerung festgeschrieben ist, der weltweit einzigartig sein dürfte. Laut ecuadorischem Bergbaugesetz müssen Unternehmen sowohl in der Erkundungsphase als auch im Abbau die ökologischen und sozialen Folgen minimieren. Zudem schreibt das Berggesetz vor, daß vor und während des Projekts die lokale Bevölkerung informiert und umfangreich konsultiert werden muß. Stimmt diese dem Bergbauprojekt nicht zu, muß das Bergbauministerium eine begründete Entscheidung herbeiführen.

Dessen ungeachtet will die Regierung Correa die Kupfervorkommen von geschätzten 2,2 Mio. Tonnen in unmittelbarer Nähe eines der 34 Hotspots mit der höchsten Artenvielfalt weltweit ausbeuten. Wie zur Begründung ins Feld geführt wird, brauche Ecuador dieses Geld, um die weit verbreitete Armut im Land zu lindern. Dies wirft zum einen die Frage auf, ob die Regierung damit gegen das Bergbaugesetz verstößt oder es zu ihren Gunsten auslegt, so der Referent. Zum andern richte sich der Widerstand nicht nur gegen ausländische Konzerne, da auch nationale Bergbaugesellschaften nicht zwangsläufig verantwortungsbewußter handeln.


Rohstoffhunger auch bei erneuerbaren Energien

Laura Weis ist langjährige Klimaaktivistin und arbeitet bei Power Shift zu Ressourcen- und Energiefragen. Sie zitiert aus einem Bericht der Deutschen Rohstoffagentur (2013): "Die meisten Zukunftstechnologien sind ohne Kupfer nicht denkbar. Der größte Mengenzuwachs für Kupfer ist in den nächsten 20 Jahren bei industriellen Elektromotoren und Fahrzeugen mit alternativen Antrieben zu erwarten, also für sogenannte Zukunftstechnologien oder erneuerbare Energietechnologien. Auch beim Ausbau von Solar- und Windparks kann es zu einem erhöhten Bedarf an Stromleitungen zur Energieübertragung kommen." Deutschland sei bei Kupfer wie auch bei vielen anderen energetischen und mineralischen Rohstoffen extrem importabhängig. So betrage bei Kupfer die Abhängigkeit in Deutschland wie auch in der EU 100 Prozent. Das meiste Kupfer werde aus Südamerika importiert, geringere Menge kämen aus Rußland und Polen. Es bestehe also auch im Zeitalter sogenannter alternativer Energien ein hoher Bedarf an Rohstoffimporten.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

José Cueva, Laura Weis und Nina Treu
Foto: © 2015 by Schattenblick

Grundsätzlich sei jeder Abbau von Rohstoffen mit gravierenden Folgen verbunden, was sich in Ländern mit geringeren Umwelt- und Sozialstandards um so verhängnisvoller auswirke. Bewaffnete Gruppen finanzierten sich über die Rohstoffe, beispielsweise würden in Peru und auf den Philippinen Menschen, die sich gegen den Kupferabbau engagieren, gezielt ermordet. Da Rohstoffreichtum für viele Länder mit zahlreichen negativen Folgen behaftet sei, spreche man oft von einem Ressourcenfluch. Die einseitige Ausrichtung auf den Export von Rohstoffen führe zu einer Vernachlässigung anderer Industriezweige, wobei Länder des globalen Südens häufig der Rolle des Rohstoffexporteurs verhaftet blieben. Dabei hätten Abbau und Export von Rohstoffen eine sehr geringe Wertschöpfung, während Industriestaaten wie Deutschland die Rohstoffe zu höherwertigen Produkten verarbeiteten, die wiederum in alle Welt exportiert würden.

Nach dem Willen der Bundesregierung soll dies auch im Zeitalter der Erneuerbaren so bleiben. Eine "Exportinitiative Erneuerbare Energien" arbeite gezielt darauf hin, in anderen Ländern Fuß zu fassen. Auch die EU sei bestrebt, den Zugang zu Rohstoffen zu fördern. Die Rohstoffinitiative der Bundesregierung und eine entsprechende Initiative auf EU-Ebene versuchten durch Handelsabkommen, Rohstoffpartnerschaften wie auch die Förderung deutscher Unternehmen, die Rohstoffe im Ausland abbauen, in diesem Sinn tätig zu werden. Über Handelsabkommen mit rohstoffreichen Ländern des globalen Südens würden günstige Konditionen für den Bezug solcher Ressourcen verankert. So erheben Kolumbien und Peru seit dem 2010 geschlossenen Freihandelsabkommen mit der EU keine Exportzölle auf Rohstoffe mehr. Ressourcengerechtigkeit sei auch im Zeitalter der Energiewende ein Thema, das von vielen Unternehmen im Sektor der erneuerbaren Energien ausgeblendet wird, so die Referentin.

Wenngleich sie der ecuadorianischen Bevölkerung oder Regierung nicht vorschreiben wolle, was sie zu tun oder zu lassen habe, würde sie doch sehr wohl deutschen oder europäischen Unternehmen, die Rohstoffe importieren, zu prüfen auferlegen, unter welchen Bedingungen diese Rohstoffe abgebaut werden. Erforderlich seien verbindliche Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette. Die Ressourcen gingen insofern nicht absehbar zur Neige, als neue Möglichkeiten wie Ölsande, Fracking und Lagerstätten in der Tiefsee erschlossen würden. Gerade deshalb müsse man heute dafür kämpfen, daß die Ressourcen im Boden bleiben und eine andere Wirtschaftsweise entwickelt wird, die sich nicht am Wachstum orientiert.


Ressourcensicherung kompatibel mit Menschenrechten?

Franziska Killiches arbeitet bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) im Bereich Bergbau und Nachhaltigkeit. Bei der BGR handelt es sich um eine wissenschaftlich-technische Behörde des Bundes, die in den Arbeitsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums fällt und sich mit allen geowissenschaftlichen Fachthemen wie Rohstoffe, Grundwasser, Endlagerung, Polarforschung und weiteren Gebieten beschäftigt. Der Arbeitsbereich Bergbau und Nachhaltigkeit befaßt sich im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit Partnern in Zentralafrika mit der Zertifizierung von Rohstoffhandelsketten. Dies umfaßt Standards im Bergbau und Rohstoffeffizienz vor allem aus der bergbaulichen Perspektive. Die BGR ist eine Organisation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und führt im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums weltweit mehr als 25 Projekte im Bereich Geothermie, Rohstoffe und Grundwasser durch, wobei sie Regierungen berät, aber auch mit lokalen Interessengruppen und der Wirtschaft zusammenarbeitet, so die Referentin.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Franziska Killiches
Foto: © 2015 by Schattenblick

Was Ecuador betrifft, könne sie der Bundesregierung nicht viel raten, da es sich um souveräne Entscheidungen der ecuadorianischen Regierung und der Bevölkerung des Landes handelt, ob ein Bergbauprojekt zustande kommt oder nicht. Die Bundesregierung habe 2010 die Rohstoffstrategie verabschiedet, die zum einen festlegt, daß die Rohstoffversorgung Deutschlands Aufgabe der deutschen Unternehmen ist. Die Regierung kaufe also keine Rohstoffe ein, die sie zwischenlagert und an die Unternehmen weiterverkauft. Da es so gut wie keine deutschen Bergbauunternehmen gebe, die im Ausland tätig werden, gehe es fast ausschließlich um den Import von Rohstoffen für die hiesige Produktion.

Zum andern mache sich Deutschland für die Umsetzung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen im Bergbau stark. Das Bundesentwicklungsministerium habe ein Strategiepapier verabschiedet, wonach Länder im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden können, ihre nationalen Rohstoffe als Entwicklungsmotor zu nutzen. Sollte es gewünscht sein, können Entwicklungsprojekte angestoßen werden. Die BGR sei zusammen mit der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) der größte Durchführer solcher Projekte, wobei zusammen ca. 25 Millionen Euro in Rohstoffkooperationsprojekten eingesetzt würden. Einige Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich seien die Stärkung der lokalen Aufsichts- und Kontrollbehörden, die Förderung von Transparenz und die Verminderung von rohstoffbezogenen Konflikten. Letztlich bleibe es aber stets die souveräne Entscheidung der jeweiligen Regierung, ob sie in ein solches Kooperationsprojekt mit Deutschland eintritt.

Ihres Erachtens seien Substitution und Recycling sehr wichtige Themen in Deutschland. Weltweit würden schätzungsweise 50 Prozent des Kupfers recycelt, in Europa liege man bei 40 Prozent. Kupfer könne theoretisch ohne Qualitätsverlust unendlich recycelt werden und sei aus sekundären Quellen ökologisch verträglicher, weil dabei weniger Energie verbraucht wird und nicht so viele klimaschädliche Gase anfallen. Die durchschnittliche Nutzungsdauer bei Handys betrage in Deutschland 18 Monate mit abnehmender Tendenz. Hier ließe sich also im persönlichen Verhalten etwas ändern. Zudem sei deutschen Unternehmen, die Rohstoffe importieren, verantwortliches Handeln in ihren Kaufentscheidungen abzuverlangen.

Dafür gebe es internationale Leitlinien: Deutschland setze gerade in einem nationalen Prozeß die Leitprinzipien für Menschenrechte und Wirtschaft um. Eine andere Leitlinie, die Unternehmen nutzen sollten, sei die OECD-Leitlinie zu Rohstoffen aus Konflikt- und Risikogebieten, die sich vor allem auf Zink und Gold beziehe, aber auch auf Kupfer angewendet werden könne. Hier seien die Unternehmen aufgefordert, sorgfältig zu prüfen, ob sie mit ihren Kaufentscheidungen zu groben Menschenrechtsverletzungen beitragen, so die Referentin.

In Beantwortung der Frage, ob es natürliche Grenzen der Ressourcen gebe oder sie auf andere Weise gezogen würden, erläutert Killiches, daß es bei jedem Projekt verschiedene Explorationsphasen gebe. Erst wenn die Lagerstätte von einer bestimmten Größe und Qualität mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bestätigt sei, spreche man von Reserve. Darunter verstehe man die bekannten weltweiten Vorkommen, die heute unter Marktbedingungen abgebaut werden können. Das geologische Potential werde indessen als viel größer eingeschätzt. Zudem werde die Technologie weiterentwickelt, so daß beispielsweise tiefere Explorationen möglich seien. Abgesehen davon gingen Peak-Debatten oftmals an der Realität der Menschen vor Ort vorbei. Nur die absolute Reduzierung des Konsums würde zu weniger Bergbau führen.

Was die ebenfalls angesprochenen Bürgerentscheide betreffe, seien diese in Ländern mit einer schwachen Zivilgesellschaft fragwürdig. Zudem gelte es, die jeweiligen Interessen zu berücksichtigen. So sei beispielsweise Kleinbergbau zwar ökologisch ebenfalls problematisch, oftmals aber die einzige Existenzsicherung der ansässigen Menschen.


Die Frage des Wohlstands wachstumskritisch gestellt

Niko Paech ist Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Oldenburg und der wohl bekannteste Postwachstumsökonom in Deutschland. Seines Erachtens ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts im globalen Maßstab eng verknüpft mit dem Zugang zu mineralischen und sonstigen ökologischen Ressourcen. Jede Art von Produktion und Mobilität oder Inanspruchnahme moderner materieller Freiheit bedeutet immer, ein Quantum an nicht erneuerbaren Ressourcen zu verbrauchen und die Entropie des Gesamtsystems zu erhöhen. Alles, was wir Wohlstand nennen, sei in irgendeiner Form an einen nicht mehr wettzumachenden Verschleiß an ökologischen Kapazitäten gekoppelt. Deswegen gebe es keinen substantiellen Widerspruch zwischen Formen von ökologischer Nachhaltigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit in den Zugängen zu Ressourcen.


Auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Niko Paech
Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Ausplünderung vieler Länder Lateinamerikas speise sich aus unterschiedlichen Quellen. Oft seien multinationale Konzerne am Werk, doch mehrten sich Bestrebungen, die aus dem Kontinent selbst kommen. Unter den Ursachen dieser Übergriffe seien vor allem drei wichtige zu nennen. Zum ersten könne man von einem perversen Sieg des nördlichen Kulturmodells sprechen. Überall in den Ländern des globalen Südens entstünden im Zuge eines nachholenden Wachstums breite Mittelschichten, die über die internationale Verflechtung der Produktionssysteme Arbeitsplätze bekommen und auf diese Weise ihre Kaufkraft steigern. Erlebe man Widerständigkeit, die politisch aktiv werde und darüber hinaus neue Formen des Wirtschaftens erprobe, gebe es parallel dazu eine Begehrlichkeit, die sich nicht nur aus unternehmerischer Profitgier, sondern auch aus einem Mittelschichtsphänomen speise. Diese beiden Bollwerke liefen gegeneinander, und leider sei zu befürchten, daß die Emanzipation sozialer Bewegung nicht die Chance habe, die ökonomische Entwicklung so zu prägen, wie das der prosperierenden Mittelschicht und der Unternehmenswelt gelingt.

Der zweite wichtige Grund für diesen Raubbau sei die Innovationsorientierung moderner Konsumdemokratien. In Deutschland bekomme man in immer kürzeren zyklischen Abständen neue Smart-Technologien verabreicht, die keineswegs zu einer Entmaterialisierung der Wirtschaft im Sinne einer Wissens- oder Informationsgesellschaft beitrügen. Das genaue Gegenteil sei der Fall: Je smarter die Technologie, desto mehr steige die Abhängigkeit von Mineralien wie seltenen Erden und strategischen Metallen wie Kupfer.

Der dritte wichtige Grund sei das grandiose Scheitern des sogenannten Grünen Wachstums. In der Produktion von Windturbinen seien in den letzten Jahren atemberaubende Fortschritte erzielt worden: Die Anlagen werden immer größer, ihre Leistung nimmt zu, jede Windkraftanlage ist ein kleines Industriesystem geworden. Mit der zunehmenden Größe und Ausbeutung dieser Anlagen sei aber die Produktivität nicht gestiegen, da man um so mehr kritische Ressourcen benötige. Für getriebelose Windkraftanlagen, die als das Nonplusultra gelten, brauchte man sogenannte Permanentmagneten, für deren Erzeugung Neodym erforderlich ist. Dessen Produktion sei um ein Vielfaches schmutziger und grauenhafter als die Kupferproduktion. Neodym werde vorwiegend in China produziert. Unweit der Grenze zur Mongolei lebten im Industriestandort Boatou fast zwei Millionen Menschen von irgendeiner Form der mineralischen Verwertung. Nahe der Stadt befinde sich eine der schlimmsten Freiluftgiftmülldeponien auf diesem Planeten - ein riesiger See, in dem zig-tausend Tonnen an radioaktivem Thorium und einige Tonnen an hochradioaktivem Uran lagern. Neodym wird für Permanentmagneten, aber auch für die Antriebe von Hybridfahrzeugen benötigt. Ein großer Windkraftturbinenerzeuger in Norddeutschland baue zwar getriebelose Anlagen ohne Neodym, brauche dafür jedoch große Ringgeneratoren aus Kupfer. Wo immer über technologischen Fortschritt ein Grünes Wachstum oder eine Energiewende herbeigeführt werden soll, stoße man auf dieses Dilemma, daß materielle Reboundeffekte auftreten. Diese Strategie gleiche gewissermaßen dem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

Dies erhöhe den Druck auf Lateinamerika, wofür auch die Lithium-Problematik in Bolivien ein Beispiel sei. Hinzu kämen aber auch Wasserkraftstrategien wie jene Brasiliens, wo Projekte wie Belo Monte große Flächen im Urwald und damit Lebensräume indigener Völker zerstören. Die als Leap-Frogging bezeichnete Strategie, die fossile Phase zu überspringen, sei in Gestalt gigantischer Wasserkraftanlagen derart ruinös, daß damit das nächste Verhängnis verbunden ist. Die einzig angemessene Antwort auf die Ressourcenextraktion sei kein technischer Fortschritt, sondern eine Reduktion unserer Ansprüche an jene Produkte, jene Technologie- und Infrastrukturelemente, die niemals ohne Plünderung auskommen.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Franziska Killiches und Niko Paech
Foto: © 2015 by Schattenblick

Zwischen der benutzten Technologie und dem jeweiligen Wirtschaftssystem bestehe ein grundsätzlicher Zusammenhang. In einem kapitalistischen marktwirtschaftlichen System zu leben, gehe zwingend damit einher, weiterhin hochgradig automatisierte, digitalisierte und elektrifizierte Tools und Wohlstandsartefakte zu nutzen. Diese Dinge, die wir heute Wohlstand nennen, seien kapitalintensiv aufgrund ihres komplexen Designs und des Umstandes, daß die Spezialisierung in der Produktion betriebswirtschaftlich besonders kostengünstig sei, wenn man die Produktionsstätten im Zuge der Globalisierung räumlich verteile. So ein System sei darauf angewiesen zu wachsen, weil der enorme Kapitalbedarf nicht zum Nulltarif zu generieren ist. Also werde Kapital verwertet, wie dies die marxistische Wachstumskritik zutreffend beschreibe. Kehre man das um, so gelte es Technologien zu nutzen, die arbeitsintensiver und ohne Kapitaleinsatz in der Lage sind, die Technologie zu gestalten, zu nutzen und vor allem zu teilen.

Unter postwachstumstauglichen Produktionsbedingungen würde es darum gehen, drei verschiedene Produktionsmuster miteinander auszubalancieren: Weiterhin Industrieproduktion, da alles andere Steinzeit bedeuten würde, wofür Kapital und Innovation erforderlich seien. Dann aber nachgelagert eine Form der Regionalökonomie, die sich darauf konzentriert, mehr Nutzen aus weniger Industrieoutput herauszuholen. Das könne damit einhergehen, Eigentumsfragen zu addressieren und zum Beispiel Koordinationsprinzipien zu entwerfen, bei denen das Privateigentum an der genutzten Technologie nicht mehr im Vordergrund steht. Und natürlich auch Möglichkeiten der Gemeinschaftsnutzung, der Reparatur, der Instandhaltung, des Rebuilding. Auf diese Weise könne man, ohne Verzicht zu üben, mit einer Senkung des Bedarfs an Technologie und Ressourcen auskommen, mithin mehr Arbeit und weniger Kapital einsetzen. Arbeitseinsatz sei per se nicht wachstumsträchtig, weil Arbeit nicht verzinst werde und keine Rendite bringen müsse. Das dritte Aggregat sei die reine Selbstversorgung. Es gebe zahllose Beispiele für sogenannte konviviale, mittlere, polizentrische oder Low-Tech-Lösungen, die es tatsächlich erlauben, bescheidener mit Technologie umzugehen, keine seltenen Erden zu brauchen und ein seßhafteres Mobilitätsmodell aufzubauen. Dann könne man die Nachfrage nach den Ressourcen senken, doch sei dies fraglos ein harter Weg, der voraussetze, mit weniger Einkommen und Konsumgütern klarzukommen.

Wenngleich er keine Einwände dagegen habe, internationale Standards zu setzen, die Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern, Druck auf die Konzerne auszuüben oder vermehrt Recycling zu betreiben, reiche das nicht aus und drohe in Scheinlösungen zu münden. Man könne niemals in Lateinamerika etwas verbessern, was man nicht zunächst vor der eigenen Haustür vorführe. Die beste Form einer internationalen Zusammenarbeit im Hinblick auf Solidarität und Ressourcenschonung bestehe darin, in Deutschland Produktions- und Konsumptionsstile aufzubauen, die kompatibel mit einer radikalen Senkung des Bedarfs an diesen Ressourcen sind. Es gelte, durch einen Rückbau der Nachfrage unseren Bedarf und damit Anreize zur Extraktion zu reduzieren. Damit sei man bei postwachstumstauglichen Produktionssystemen und der Anforderung, eine ganz andere Nutzungskultur aufzubauen. Das Smartphone sei per se nicht als nachhaltige Ware zu haben. Gehe man nicht dazu über, solche Geräte zu limitieren, könne man das Problem der seltenen Erden nicht lösen. Er wolle weder Smartphones noch Elektromobile verbieten, doch bleibe Reduktion die Strategie Nummer eins, und dann erst komme all das Schöne, was er deswegen nicht schlecht finden wolle, so Paech. Gelinge es nicht, Daseinsformen zu entwickeln, die die Abhängigkeit von Industriearbeitsplätzen verringern, könne man die Rüstungs- wie auch die Automobil- und Flugindustrie nicht überwinden.


Podium in Zeltperspektive - Foto: © 2015 by Schattenblick

Abendfüllende Debatte im Zirkuszelt
Foto: © 2015 by Schattenblick


Unüberbrückbare Widersprüche beim Namen nennen

Wenn José Cueva die Diskrepanz zwischen der hochgelobten Verfassung und Umweltgesetzgebung Ecuadors auf der einen und dem Kupferbergbau in der Region Intag auf der anderen Seite deutlich macht, klingt darin mehr als nur eine unzulängliche Umsetzung prinzipiell begrüßenswerter Errungenschaften an. Im Streit um Bergbauprojekte gibt es letztlich keinen Kompromiß, weshalb sich nicht nur der ecuadorianische Staat übergeordnete nationale Interessen vorbehält und sie geltend macht, koste es auch die Existenz der ortsansässigen Bevölkerung. Diese unüberbrückbare Kluft zwischen den letztendlichen Profiteuren der Extraktion und deren allerersten Opfern meint auch Laura Weis, wenn sie vom Ressourcenfluch spricht, den die Bundesregierung in Zeiten der sogenannten Energiewende fortschreibt.

Wie allerdings in der Praxis politischer Entscheidungen die hohen Standards in Anbetracht der Not akut zu lösender Probleme (z.B. Nahrungsmittelmängel etc. ...) zur Geltung gebracht werden können, bleibt an dieser Stelle doch undiskutiert und rätselhaft.

Insofern argumentiert Niko Paech folgerichtig und konsequent, wenn er die Reduzierung des Wachstums in Industriestaaten wie Deutschland für absolut vorrangig und nicht durch andere Maßnahmen kompensierbar erklärt. Wenngleich es ihm weder an guten Gründen für diese Überzeugung noch Vorschlägen für deren Umsetzungen mangelt und er überdies mit dem gutem Beispiel eines veränderten Konsumstils vorangeht, bleibt seine Position doch unscharf, wo sie die herrschenden ökonomischen Verhältnisse der Kapitalverwertung und Warenproduktion nicht hinlänglich seziert und das Gewaltmonopol der dominierenden Interessen in Staat und Gesellschaft ausblendet. Spricht er vom harten Weg, mit weniger Einkommen und Konsum auszukommen, so unterschätzt er dabei die Gefahr, daß dieser Entwurf einer Postwachstumsgesellschaft der Bewegung entwendet und der Gesellschaft als restriktives Kontroll- und Zuteilungsregime aufgezwungen werden könnte. Wer dies für unmöglich erklärt, sei an Schutzverantwortung und Menschenrechte erinnert, in deren Namen heute Angriffskriege auch unter deutscher Beteiligung geführt werden. Worin sich der emanzipatorische Kampf für eine Existenz ohne Ausbeutung von Mensch und Natur so auszeichnet, daß er nicht auszubremsen, korrumpierbar oder gar in sein Gegenteil zu verkehren ist, wirft Fragen auf, die weiterzuentwickeln für die Degrowth- und Klimabewegung unabdingbar sein dürfte.


Degrowth-Konferenz in Leipzig 2014 im Schattenblick unter dem Sammeltitel "Aufbruchtage"
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Klimacamp und Degrowth-Sommerschule 2015 im Schattenblick
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12. September 2015


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