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BERICHT/025: Hommage an Ida Ehre - Für einen Abend wach (SB)


Ein Abend couragierter Erinnerung

Hommage an die Schauspielerin und Verfechterin von Gleichberechtigung und Integration am 19. Juni 2014 in Hamburg



Wer war Ida Ehre? Gedanken an die Lebensgeschichten von historischen Persönlichkeiten und engagierten Avantgardisten, die zu Lebzeiten vielleicht durch dieselben Straßen und an denselben Gebäuden entlang gelaufen sind wie wir heute und deren Augen den gleichen Blick über das ruhige Wasser der Hamburger Außenalster teilten wie unsere jetzt, enthüllen nicht selten Problemlagen des Menschen, mit denen sich zu konfrontieren jedem zwar möglich ist, die aber dennoch oftmals ignoriert, 'aus Versehen' gemieden oder aus Angst übergangen werden. Die Fragen, 'Was will ich nicht wissen?' oder 'Kann ich der Not anderer überhaupt Abhilfe schaffen?', sind aktuell wie eh, gerade im relativen Wohlstand unseres Alltags. Sie finden dort lebendige Beispiele Not lindernden Handelns, wo man sich ihnen trotz ihrer unerträglichen Bodenlosigkeit aktiv zuwendet, sie nicht zugunsten anderer, vermeintlich wichtigerer und unmittelbar lohnenderer Dinge aus dem Blick verliert und immer wieder aufs Neue dem Drang widersteht, sich in der verzweifelten Suche nach einer Antwort der vermeintlichen Allgemeingültigkeit eines gesellschaftlich vorherrschenden "Richtig" oder "Falsch" zu unterwerfen.

Plakat zur 'Hommage an Ida Ehre' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Um die Erinnerung an die Gründerin der Hamburger Kammerspiele, Ida Ehre, und ihr couragiertes Wirken wachzuhalten, wurde 2001 der Ida Ehre Kulturverein von Hansjürgen Menzel-Prachner, Christiane Bauer, Martin Eckeberg, Ruth Jäger, Manfred Kuhn, Kristin Menzel-Prachner und Jörg Voormann gegründet. Der Kulturverein, der im Jahr der Umbenennung der Eimsbütteler Jahnschule in Ida-Ehre-Gesamtschule und des 101. Geburtstags Ida Ehres seinen Anfang nahm, fördert seit 13 Jahren Schul- und Unterrichtsprojekte gegen soziale Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit und möchte mit seinen kulturellen Veranstaltungen und politischen Podiumsdiskussionen die persönlichen Aktivitäten Ida Ehres für Frieden und die Einhaltung der Menschenrechte im öffentlichen Bewusstsein wach und lebendig halten. Zu diesem Zweck luden die Carl von Ossietzky-Staatsbibliothek und der Ida Ehre Kulturverein am Abend des 19. Juni 2014 anlässlich des 25. Todestages Ida Ehres zu einer überraschend vielseitigen Hommage an die Hamburger Ehrenbürgerin in den Lichthof der Staatsbibliothek ein, wo ein unterhaltsames Programm aus klassischen Musikstücken, sozialkritischen Theatereinlagen und erhellenden persönlichen Erinnerungen ihrer Weggefährten auf die Bühne kam.

Foto: © 2014 by Schattenblick Foto: © 2014 by Schattenblick

links: Gamze Cakmakci führte zusammen mit Lorena Scotti durch den Abend
Foto: © 2014 by Schattenblick
rechts: Moderatorin Lorena Scotti mit Freundin Emma Ruhnke (von links)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die behutsame und abwechslungsreiche Auswahl der Darbietungen von jungen und älteren Künstlern, die die Hommage an Ida Ehre gemeinsam gestalteten, wurde musikalisch von Furkan Yavuz vom Musica Altona e.V. mit einer mitreißend kraftvollen und melancholischen Klavierinterpretation der 8. Klaviersonate in C-moll, op. 13 von Ludwig van Beethoven, bekannt als Pathétique, eröffnet. Die Projekte des Musica Altona Vereins, der sich dafür einsetzt, Musikunterricht für alle Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen, werden vom Ida-Ehre-Kulturverein unterstützt, und auch die Vorstellung der fünfzehn Geigenkinder, die ihr Können im gut koordinierten Geigenchor bewiesen, war Musica Altona zu danken.

Im lockeren Bühneninterview mit dem Vorsitzenden des Kulturvereins, Hansjürgen Menzel-Prachner, berichteten Margitta Heyn, Schauspielerin und Schützling von Ida Ehre, und Jan Aust, Ehres langjähriger Dramaturg und Kollege an den Hamburger Kammerspielen, von ihren Theatererfahrungen mit der disziplinierten Grand Dame, die allen Schauspielern und Mitarbeitern als zugewandte Lehrerin immer wieder das Unmögliche abverlangte und ihren Schülern in konstruktiver Strenge in Erinnerung geblieben ist.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Theaterleute Jan Aust und Margitta Heyn im lockeren Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden des Ida Ehre Kulturvereins, Hansjürgen Menzel-Prachner (von links)
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Ida Ehre, 1900 in Österreich geboren, war eine erfolgreiche und leidenschaftliche Theaterschauspielerin, bis sie zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Berufsverbot erhielt. Sie wurde von den Nationalsozialisten auf den Status einer in "privilegierter Mischehe" lebenden Jüdin reduziert und bis 1945 um die Selbstverständlichkeit ihrer bürgerlichen Rechte gebracht, was bedeutete, dass ihr, wie vielen anderen, die ihre Lage teilten, der Zugang zu Konzerthäusern, Theatern und einem kulturellen Leben zwölf Jahre lang völlig versagt blieb. Durch ihre eigenen Erfahrungen, die zwischenzeitliche Haft im KZ Fuhlsbüttel und den Verlust ihrer Mutter, die im KZ Theresienstadt ermordet wurde, unumkehrbar geprägt, entwickelte Ida Ehre ein ernstes ästhetisches Programm, das sich den Perspektiven und Lebenslagen von Menschen widmen sollte, die zu andauernden grotesken Grenzgängen gezwungen waren, für immer ins Exil fliehen mussten oder, wie der Kriegsheimkehrer Wolfgang Borchert, in eine völlig andere Welt zurückkamen, in der keine Anknüpfungspunkte an das Gewesene mehr vorhanden waren. Nach Ende des Krieges stellte sich Ida Ehre mit einem kleinen Ensemble der Herausforderung, mit den Hamburger Kammerspielen das erste Nachkriegstheater in Hamburg zu gründen. Fest entschlossen und trotz widrigster Umstände und fehlender finanzieller Mittel, ohne Bühnenbeleuchtung und Heizung, ließ sie als Intendantin am 10. Dezember 1945 "Leuchtfeuer" von Robert Ardey als erstes Stück in ihrem Theater aufführen. Ihr zeitloses künstlerisches Anliegen schilderte sie auf dem Programmzettel so:

Heute leben wir nach der radikalsten und vernichtendsten aller Revolutionen in einem totalen Nihilismus und es ist notwendig, wie auf allen Gebieten, so auch auf dem des Theaters, eine neue Ordnung, neue Wertmaßstäbe, ein neues Weltbild aufzurichten, heute ist es "revolutionär", der Ab- und Umwertung aller seelischen und geistiger Werte die Erkenntnis der ewig gleichen Aufgaben und der unveränderlichen Gesetze des Mensch-seins entgegenzuhalten und hierbei kann ein Theater einer ebenso leidenschaftlichen Anteilnahme im Für und Wider sicher sein, wie die alten Hamburger Kammerspiele zu Erich Ziegels Zeit.
Denn der Kampf zwischen den beiden großen Strömungen im Leben und Wesen der Deutschen ist entschieden. Die Vertreter jener Lebensauffassung, die den Sinn eines Volkes und Staates in seiner Weltgeltung durch äußere Machtmittel sieht, forderten ein Gottesurteil heraus. Es ist gegen sie gefällt worden und wir wissen es und endgültig, daß eine neue und dauernde Geltung Deutschlands in der Welt nur durch Taten des Geistes, der Kunst und des Menschentums errungen werden kann, so wie unser aller Leben nur noch seinen Sinn darin finden kann. [...]
So beginnen wir nun, nach dem Absoluten strebend, unserer Unzulänglichkeit gegenüber der idealen Forderung bewußt, aber gewillt, das höchste Ziel niemals aus dem Auge zu verlieren, wir wollen leben für unsere Bühne und spielen für das Leben. [1]

In diesem Sinne eindrucksvoll war die hochkonzentrierte Darbietung von Dietrich Mattausch, der ebenfalls schon unter Ehres Intendanz an den Kammerspielen aufgetreten ist und bei dieser Hommage den wohl verstörendsten Teil von Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" vortrug, in dem der Kriegsheimkehrer Beckmann einem Oberst, dem er zufällig begegnet, seinen Albtraum von einem grauenerregenden General schildert, der den sich in ihrer Größe und Dichte unterscheidenden Knochensorten der Kameraden, die durch ihn umgekommen sind, die verschiedensten Töne entlockt, so dass es klingt, als spielte er auf einem Xylophon.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Dietrich Mattausch liest aus 'Draußen vor der Tür' von Wolfgang Borchert
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Ida Ehre selbst hatte den todkranken Wolfgang Borchert 1947 dazu angeregt, das Hörspiel in ein Theaterstück umzuschreiben, um es an den Hamburger Kammerspielen uraufzuführen. Wolfgang Borchert starb einen Tag vor der Premiere seines Stückes mit nur 26 Jahren.

Nicht zuletzt Ida Ehres aufmerksames und präzises Gespür für Ungerechtigkeit und künstlerische Kompromisslosigkeit führte dazu, dass sie 1983 bei einer Demonstration "Künstler für den Frieden", für die sich auf dem Hamburger Heiligengeistfeld im St. Pauli-Stadion 25.000 Menschen versammelten, Borcherts Friedensgedicht "Dann gibt es nur eins!" sprach, das dieser kurz vor seinem Tod verfasste.

Eine interpretative und auch ohne die Erfahrung der persönlichen Begegnung mit Ida Ehre intensive Annäherung an die restriktive Lebenssituation der jungen Mutter einer Tochter und ihrem Ehemann Bernhard Heyde während des Zweiten Weltkriegs wagten die Schülerinnen und Schüler der Theatergruppe der Ida-Ehre-Schule Bad Oldesloe mit ihren Szenen aus dem Stück "Ida Collage" unter Leitung von Görge Schüchler. Wie sehr sich die Auseinandersetzung mit Ida Ehres Leben lohnt, berichteten die jungen Schultheaterschauspielerinnen Jule Arista Runde, Lena Marie Gerdes und Britt Dechow dem Schattenblick:

Wir wollen mit unserem Stück bewirken, dass unsere Mitschüler auch sehen, was sie für eine bedeutende Frau ist. Dass sie so eine Menge erreicht hat, obwohl sie im Zweiten Weltkrieg so viele Probleme hatte, sie war ja trotzdem mitten drin im Leben. Sie ist einfach eine inspirierende Person.
Foto: © 2014 by Schattenblick

'Ida Ehre ist eine inspirierende Person.'
Britt Dechow, Jule Arista Runde und Lena Marie Gerdes (von links) von der Ida-Ehre-Schule Bad Oldesloe
Foto: © 2014 by Schattenblick

Tornado Rosenberg, der zum Abschluss der Hommage mit seiner Gitarre die einmalige Akustik des Lichthofs in der Staatsbibliothek für das berühmte hebräische Volkslied Hava Nagila nutzte, berichtete dem Schattenblick von seiner Bekanntschaft mit der Schauspielerin. Der Sinti-Musiker trat 1983 auf eben jener Friedensdemonstration mit seinen neuesten und aufgrund ihrer Radikalität stark umstrittenen politischen Stücken auf, und hatte die Begegnung mit Ida Ehre noch gut in Erinnerung:

Wir standen damals gemeinsam auf der Bühne, weil sie mich angekündigt hat. Es war so interessant, weil diese etwas ältere, kleine Dame diesen Text von Wolfgang Borchert so vorgetragen hat, dass es für mich und die 20.000 Leute, die in dem Stadion waren, zu einer sehr wichtigen Begegnung wurde. Die Sinti und Roma wurden verfolgt, die Juden wurden verfolgt und das durfte man dort einfach sagen. Man sollte heute wirklich wachsam sein, denn wir denken, so ein Hitler kommt nicht wieder. Wir glauben, es wird keinen Hitler mehr geben, aber wir brauchen auch keinen Hitler mehr. Nach dem Krieg, als Hitler längst tot war, haben die anderen Leute weiter gemacht. Es gab 1956 wieder neue Gesetze, unter anderem gegen Zigeuner hier in Deutschland. Sie wurden bis in die 90er Jahre erkennungsdienstlich erfasst, genauso, wie es unter der Regimeherrschaft von Hitler der Fall war. Es geht also auch ohne Hitler weiter. Informationen an die Menschen heranzubringen, ist deshalb ganz wichtig. Ich habe es oft erlebt, dass Menschen einfach Vorurteile und eine negative Haltung zu anderen Menschen haben. Man muss diese Leute einfach informieren, damit sie ihre Vorurteile abbauen können.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Tornado Rosenberg spielt 'Hava Nagila'
Foto: © 2014 by Schattenblick

Dass der Wunsch Ida Ehres, "Redet nicht - sprecht miteinander; seht nicht - schaut", zumindest einen Abend lang bereits in Erfüllung gegangen ist, zeigten die vielen lebendigen Gespräche, die sich in der Pause bei Wein und Brezeln und nach dem letzten Vorhang zwischen Bekannten und Freunden, Schülern und Musikern, Alt und Jung entfalteten. Der Ida-Ehre-Kulturverein konnte auf angenehm unaufdringliche und nicht moralisierende Weise eine künstlerische Lebensart weitergeben, die zu schützen und wach zu halten sich lohnt.


Anmerkungen:


[1] Ida Ehre: Gott hat einen größeren Kopf, mein Kind... München und Hamburg 1985

Siehe zum Thema und zum Engagement des Ida Ehre Kulturvereins auch:
Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT
BERICHT/024: Flucht der Fremden - Mitverschuldet, fortverdrängt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0024.html

Ein Interview mit Hansjürgen Menzel-Prachner, dem Vorsitzenden des Ida Ehre Kulturvereins, veröffentlicht der Schattenblick in Kürze.


9. Juli 2014