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BERICHT/009: Rückwärtsgang im Mietrecht - nur unter Protest (SB)


Umsetzung der Mietrechtsreform in der Hansestadt Hamburg


Obdachloser in Einkaufszentrum - Foto: © 2013 by Schattenblick

Hauslosigkeit im Glitzerpalast
Foto: © 2013 by Schattenblick

"Wucher-Verbot für Mieter" jubelt Bild.de [1] mit dicken Lettern und verkündet die "Gute Nachricht für Mieter", daß "Kaltmieten künftig nur noch um höchstens 15 Prozent innerhalb von drei Jahren" erhöht werden dürfen. Daß "sich jetzt Millionen Mieter über die Preis-Bremse freuen" können, weil die Verabschiedung des im Dezember mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossenen Mietrechtsänderungsgesetzes im Bundesrat dem Mietpreisanstieg einen Riegel vorschiebe, ist jedoch nicht einmal die halbe Wahrheit. Das behauptet auch Bild.de nicht, wird doch wenige Zeilen nach dem so positiven Echo auf die Mietrechtsreform gefragt: "Doch was steht wirklich drin im neuen Mietrecht?"

Was beim kursorischen Leser, zu dem das Gros der Bild-Zeitungs-Konsumenten zu zählen sein dürfte, den Eindruck hinterläßt, die Bundesregierung tue so einiges für die arg gebeutelten Mieter, erweist sich als weitgehend den Interessen der Immobilienwirtschaft zuarbeitendes Gesetzeswerk. Mit der Reduzierung der Kappungsgrenze bei Bestandsmieten von 20 auf 15 Prozent in drei Jahren, also der Absenkung der Mietsteigerungen um 1,66 Prozent im Jahr, bekam es ein sozialfreundliches Feigenblatt verpaßt, das die weitere Benachteiligung der Mieter nur notdürftig verbergen kann. Das will auch die meistverkaufte Tageszeitung Deutschlands nicht verhehlen, berichtet sie doch unter Verweis auf den Deutschen Mieterbund (DMB) [2], daß die in der Mietrechtsreform nicht erfolgte Deckelung der Neuvertragsmieten bei der Wiedervermietung einer Wohnung auch weiterhin faktische Mietsteigerungen zuläßt, die auf einen Unterschied von bis zu 40 Prozent zur vorher bestehenden Miete hinauslaufen können. In Hamburg liegt diese Differenz bei 23 Prozent, was die nunmehr geringfügig abgesenkte Erhöhung bestehender Mieten für die hanseatischen Wohnungseigentümer als leicht verschmerzbares Zugeständnis an die grundgesetzlich verbriefte Sozialpflichtigkeit des Kapitals erkennen läßt.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begründet die erfolgreiche Abwehr einer stärkeren Begrenzung von Mieterhöhungen mit der Aufrechterhaltung von Anreizen für private Vermieter, in neue Mietwohnungen zu investieren. Ob der Erfolg der Regierungskoalition, daß "ausufernden Reglementierungen der Mietpreise ein Riegel vorgeschoben werden" [3] konnte, auch zum Neubau von erschwinglichen Wohnungen führt, darf in Anbetracht dessen, daß der Immobilienmarkt ein zentrales Anlageziel für das Finanzkapital ist, bezweifelt werden. Selbst Sozialwohnungen sind heute für den anwachsenden Teil der Bevölkerung, der im Niedriglohnsektor arbeitet, kaum noch bezahlbar, und daß diese Entwicklung ein sogenanntes Mietnomadentum zur Folge hat, ist sicherlich nicht Schuld mit diesem Begriff stigmatisierter Menschen, die mit der Bezahlung ihrer Miete dauerhaft im Rückstand sind oder sie gar nicht begleichen können.

So erlaubt die Mietrechtsreform künftig eine schnellere Räumung von Wohnungen, in denen "Mietnomaden" leben, was eine generelle Schwächung des Mieterschutzes bedeutet. Die neuen Verfahrensregeln, mit der künftig laut der FDP-Politikerin "verbessert" gegen angeblich betrügerische Mieter vorgegangen werden kann, dokumentieren, daß das liberale Rechtsstaatsverständnis im negativen Sinne sozialgebunden ist, sprich die Zunahme staatlicher Repression allemal gutheißt, wenn dies die Eigentumsordnung zementiert. Fristkürzungen bei Räumungsprozessen und ihre vorrangige Bearbeitung bei Gericht, die zusätzliche finanzielle Belastung des Mieters durch eine gerichtliche Sicherungsanordnung, deren Nichteinhaltung eine zügiger erfolgende Räumung zur Folge hat, die schnelle, bei Weigerung natürlich gewaltsame Vertreibung des Mieters aus der Wohnung unter Verzicht auf sein Hab und Gut, das später unter verringerter Haftung des Vermieters für dessen Erhalt entfernt werden kann, als auch der beschleunigte Erhalt eines Räumungstitels gegen eventuell in der Wohnung lebende Untermieter sind Maßnahmen, mit denen das soziale Elend, das exorbitante Mieten zwingend zur Folge haben, den davon Betroffenen doppelt zum Nachteil gereicht.

Die auf drei Monate befristete Streichung der Möglichkeit, bei Baumaßnahmen zur energetischen Modernisierung eine Mietminderung geltend zu machen, stellt ebenso eine Benachteiligung der Mieter dar wie die Aufrechterhaltung des Anrechts der Vermieter, die Kosten von Modernisierungsmaßnahmen mit jährlich bis zu elf Prozent auf die Miete umzulegen, als auch die Senkung der Anforderungen, auf die sich der Vermieter berufen muß, um eine Modernisierungsmaßnahme gegen den Einspruch des Mieters durchzusetzen. Daß diese in Anbetracht der zu erwartenden Mietsteigerung allen Grund dazu haben, sich gegen die Aufwertung ihres Wohnraums zu wehren, belegt die Sozialfeindlichkeit der grünkapitalistischen Marktwirtschaft. An und für sich sinnvolle Maßnahmen sollen von denjenigen finanziert werden, die als Lohnabhängige bereits den Imperativen der Kapitalverwertung ausgeliefert sind, ohne daß sie durch die Entrichtung des Mietzinses nach Abschreibung der Investitionskosten der Vermieter selbst zu Eigentümern werden können. Die mit der Verbesserung des Wohnraums verbundene Wertsteigerung verbleibt beim Vermieter, der sie bei Neuvermietungen mit entsprechenden Aufschlägen doppelt und dreifach verwerten kann.

Die Absenkung der Kappungsgrenze für die Erhöhung von Bestandsmieten wird in der Pressemitteilung der Bundesjustizministerin ihrem Credo gemäß, sich für die Interessen der Wohnungswirtschaft zu verwenden, ganz am Schluß auf fast verschämte Weise mit wenigen Sätzen abgehandelt. Da es den Bundesländern vorbehalten bleibt, diese Vorgabe per Rechtsverordnung durchzusetzen, müssen die Landesparlamente darüber befinden, in welcher Form sie dies tun. Das betrifft insbesondere den räumlichen Referenzrahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete, können doch zwischen einzelnen Stadtquartieren erhebliche Unterschiede in der durchschnittlichen Miethöhe existieren.

Linksabgeordnete in Hamburger Bürgerschaft - Foto: © 2013 by Schattenblick

Heike Sudmann votiert für flächendeckende Kappungsgrenze
Foto: © 2013 by Schattenblick

In Hamburg wurde am 23. Januar über die Anträge der Fraktionen zur Umsetzung der neuen Kappungsgrenze auf Landesebene debattiert und abgestimmt. Nach einer Debatte zum Stand der Entwicklung in Sachen Elbphilharmonie, die vor vollem Haus stattfand, war das Interesse an der weniger glamourösen Seite der Stadtentwicklung eher bescheiden. Die Linksfraktion preschte dabei mit der Forderung vor, die verringerte Kappungsgrenze flächendeckend für ganz Hamburg einzuführen, indem die Stadt als Gemeinde bestimmt wird, in der die Versorgung mit angemessenem Mietraum gefährdet sei. Dies bremse die Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete durch den stadtweiten Bezugsrahmen. Heike Sudman, in der Linksfraktion für Wohnungspolitik und Stadtentwicklung zuständig, begründete dies unter anderem damit, daß laut Angaben der Firma F+B, Forschung und Beratung für Wohnungen, Immobilien und Umwelt GmbH, der Mietenanstieg in Hamburg ungebremst und es bei Neuvermietungen in den letzten fünf Jahren zu einer Steigerung von fast 20 Prozent gekommen sei.

Die zu unrühmlicher Bekanntheit gelangte Äußerung des Chefs des Immobilienverbands Deutschland (IVD) Region Nord, Axel Kloth, es gebe "kein Grundrecht auf Wohnen in einem Szeneviertel" [4], dokumentiert, daß die Spannbreite der Nettokaltmiete bei Neuvermietungen zwischen Hamburg-Eimsbüttel von 10,98 Euro - laut Sudmann immerhin fast doppelt so viel wie die Einstiegsmiete in den sozialen Wohnungsbau - und Hamburg-Harburg von 7,57 Euro pro Quadratmeter zum maßgeblichen Kriterium dafür werden soll, wo Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben. Daß sie in ihrem Viertel sozial tief verwurzelt sein können und es wichtigere Gründe für die Wahl ihres Wohnortes geben kann als die Frage der Bezahlbarkeit, soll auch deshalb irrelevant sein, weil alteingesessene Wohnbevölkerungen wie auch sogenannte Szeneviertel zu Brennpunkten des sozialen Widerstands werden können, während die Atomisierung des Menschen in uniformen Wohnparzellen zu seiner effizienteren Beherrschbarkeit beiträgt.

Auf Heike Sudmanns Mahnung, daß Wohnen keine Ware sei, fiel dem Stadtentwicklungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Dirk Kienscherf, denn auch nichts Besseres ein, als zu monieren, daß ihre Rede "etwas von einem Gesinnungsaufsatz" habe. Seine Behauptung, die SPD sei die Mieterpartei, wurde durch die wiederholte Bekräftigung, man müsse hinsichtlich der Umsetzung der erniedrigten Kappungsgrenze noch mit der Wohnungswirtschaft beraten, wirksam konterkariert. Der "faire Dialog" zwischen Mietern und Vermietern verlangt ersteren die Unterwerfung unter letztere ab. Im Verhältnis zwischen Lohnabhängigen, die zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft in Hamburg durchschnittlich 40 Prozent ihres Einkommens allein für Wohnen ausgeben müssen, und einer Wohnungswirtschaft, die es auf ein langfristiges Einkommen abgesehen hat, das weit über die Amortisierung ihrer Investitionen in den Wohnungsbau hinausgeht, kann es keinen Dialog auf Augenhöhe geben. An dessen Stelle tritt die politisch moderierte Harmonisierung des unaufgehoben bleibenden Klassenantagonismus, ein als "sozialer Friede" ausgewiesener Zustand, der sich bis weit in linke Kreise hinein großer Beliebtheit erfreut.

Das Plädoyer des für Stadtentwicklung zuständigen CDU-Abgeordneten Hans-Detlef Roock für die Interessen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hatte das vermeintlich eherne Gesetz zur Grundlage, daß es ohne eine investitionsfreundliche Politik keinen Wohnungsneubau und damit auch keine Befriedigung des Wohnbedürfnisses der Mieter geben könne. Mit seiner Behauptung, das Eintreten der Vorredner für Mieterinteressen sei ideologisch geprägt, schlug er in die Kerbe einer marktwirtschaftlichen Ideologiebildung, derzufolge die Kritiker des neoliberalen Primats stets unlauter argumentierten, während die Sachwalter der Kapitalverwertung ausschließlich pragmatischen Gründen verpflichtet seien.

Roocks machte sich dennoch Sorgen darum, die SPD werde mit dem wahlkampfbedingten Eintreten ihres Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück für Mieterinteressen ihr potentielles Wählerklientel in der Mitte nicht erreichen. Dort sei das Gros der Bevölkerung angesiedelt, "das zu viel verdient, um gefördert zu werden, und zu wenig, um sich Eigentum leisten zu können". Daß diesem Teil der Bevölkerung durch steigende Mieten auf irgendeine Weise gedient wäre, ist so abwegig wie Roocks Behauptung, der Wohnungsneubau sei entscheidend für die Mietpreissenkung. Sudmann widerlegte dies mit der Erklärung, daß jede neue Miete in den Mietenspiegel einfließt, was bedeute, daß der Bau von teuren Wohnungen auch dessen Anstieg bedingt.

Die am Antrag der Linksfraktion geübte Kritik, es schade der Stadtentwicklung, wenn Hafencity mit Kirchwerder gleichgestellt werde, weil dies investitionshemmend und nicht investitionsfördernd wirke, scheint von der SPD-Fraktion geteilt zu werden. Sie beschloß mit ihrer Mehrheit, die Umsetzung der erniedrigten Kappungsgrenze nicht unmittelbar nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes nach Abstimmung im Bundesrat zu nutzen. Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau wolle zunächst prüfen, welche Auswirkungen dies haben könne. Es ist kaum anzunehmen, daß die von der SPD erhobene Bedingung, vor der Einführung der neuen Kappungsgrenze Gespräche mit der Wohnungswirtschaft zu führen, zum Ergebnis hat, sich stärker mit dieser anzulegen. Die von Blankau in der Bürgerschaft erhobene Forderung, man müsse über den Schutz der Bestandsmieter hinaus etwas gegen die durch Neuvermietungen bewirkten Mieterhöhungen in Hamburg tun, also vor allem dort eine Kappungsgrenze einführen, läßt nicht minder darauf warten, daß den Worten Taten folgen.

Schwach besetzte Bürgerschaft - Foto: © 2013 by Schattenblick

Begrenztes Interesse am Thema
Foto: © 2013 by Schattenblick

Fußnoten:
[1] http://www.bild.de/geld/wirtschaft/miete/billigt-mietpreis-begrenzung-wie-funktioniert-die-bremse-28411696.bild.html

[2] http://www.mieterbund.de/pressemitteilung.html?&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=18982&cHash=26919b8d0b826b06654412a6528a6e04

[3] http://www.bmj.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2013/20130201_Mietrechtsaenderungsgesetz_passiert_den_Bundesrat.html?nn=3433226

[4] http://www.mopo.de/nachrichten/makler-chef-behauptet-wohnungsnot-in-hamburg--mieten-zu-hoch--alles-quatsch-,5067140,21531026.html


9. Februar 2013