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SERIE/086: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 16.06.2008 bis 18.06.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

48. Teil - 16.06.2008 bis 18.06.2008


16.6.08

Heute früh kam eine Durchsage, ich solle mich bereithalten, der Anstaltsbeirat wäre im Hause und ich würde geholt, später hieß es dann, er hätte schnell weggemusst und ich würde nicht mehr geholt. Wann er wieder kommt, wußten sie nicht. Beim Mittagessen holen stand ich vor dem Essensplan, eine Beamtin ging vorbei, rempelte mich trotz massig Platz an und marschierte einfach weiter. Ohne Entschuldigung. Wenn ich das gemacht hätte ... Mittags, natürlich während des Hofgangs, holte mich dann Fr. E. vom Sozialdienst, ich konnte kurz mit Mutti telefonieren, die mich fragte, wie oft es hier Spargel gibt. Ach Mutti! Fr. E. ist eigentlich nett und versuchte mich davon zu überzeugen, daß es doch sinnvoll wäre, sich wegen dem Drittel den Vorschriften hier bedingungslos zu unterwerfen. Theoretisch weiß ich das ja auch, aber diese engstirnige Kleinkariertheit werde ich niemals verinnerlichen und ich weiß, daß ich ausrasten würde, wenn ich mich ernsthaft [*] bemühen würde und beim Drittel-Entscheid hieße es dann "Ja, Fr. L., Sie haben sich ja in letzter Zeit sehr bemüht, machen Sie weiter so, aber den Drittel können wir Ihnen leider nicht geben."

[*] um keine neuen Diszis

Nachmittags kam Beamtin N., der ich die jetzigen drei Wochen Freizeitsperre zu verdanken habe, in "meine" Zelle und sagte, die Dame vom Anstaltsbeirat, der ich ja auch einen Brief geschrieben hatte, wird sich schriftlich bei mir melden. Naja, ein Gespräch wäre mir lieber gewesen. Formal ist der Jurist Z. ja im Recht, es geht um etwas anderes.


17.6.08

Früh um 7.30 kam im Radio etwas über A.'s Verhandlung, zweifacher Mordversuch, seltsamerweise haben sie später nichts mehr darüber gebracht, jedenfalls bis jetzt, 11.30 Uhr. In der Kunstgruppe waren wir heute sehr wenig und es herrschte eine angenehme und entspannte Atmosphäre. Als wir hingingen, hatte ich wie neulich in der Kirche schon, meine Hemdzipfel vor dem Bauch verknotet. Die gleiche alte Beamtin, die es damals schon moniert hatte, sprach mich wieder darauf an, kurz darauf ein 3. Mal, weil ich nicht reagierte. "Warum darf ich das nicht?" Die typische Beamtenantwort "Weil es verboten ist." Mehr brauchen sie nicht als Argumentation. "Wenn ich Sie noch einmal erwische, bekommen Sie eine Anzeige." "Alles klar", sagte ich und drehte mich um. "Lachen Sie nicht so dreckig, ich lasse mich nicht verarschen." Wenn die gute Frau wüßte, wie egal sie mir ist, sogar zum "verarschen" zu egal.

Nachmittags war Bastel[*]einkauf, traf dort Re., Mo., die wegen irgendwelchen Querelen in der Küche gefeuert wurde und jetzt im D-Flügel ist und C. Die erzählte mir, daß ihr gleich am Anfang hier gesagt wurde, daß sie aufpassen soll, wenn sie mit mir redet. Ich wüßte, daß sie dadurch Probleme bekommen kann. Also: Wenn wir uns unterhalten, bin ich die Böse, weil ich ja weiß, dass sie Probleme bekommt und sie ist das arme Opfer. Aichacher Logik!

[*] Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
Dieses Wort war nicht eindeutig zu lesen

Auf der Treppe kam mir eine junge Frau entgegen - ich kannte sie nicht - und erzählte mir, daß sie schon zum dritten Mal in Aichach ist und soo gerne auf die D I gegangen wäre, sie hätte sich dort immer total wohl gefühlt. Nichts gegen sie persönlich, aber offenbar ist sie auch eine der "Happy-Hausfrauen-Liga", die ihre Erfüllung im Kochen, Backen, Waschen und Bügeln findet. Wir können gerne tauschen - falls sie eine Einzelzelle hat. Ich jedenfalls werde niemals zu einer von den D I-kompatiblen Küchenidioten mutieren.


18.6.08

A. Prozeß ist noch nicht abgeschlossen, eigentlich wäre er es gestern gewesen, aber sie brauchen noch 1 oder 2 Tage. Sie war wegen psychischer Probleme im Krankenhaus, hat sich dann ins Auto gesetzt, ihre Schwiegermutter angefahren, schwer verletzt und liegenlassen, ist dann ins Krankenhaus zurück, hat dort ihre Mutter mit einem Messer angegriffen, und auch schwer verletzt. Anklage = zweifacher Mordversuch.

Heute beim Hofgang habe ich mir ein paar Kräuter-Blättchen abgezupft, irgendwann sprach mich Beamtin J. an, allerdings ruhig und relativ freundlich, aber in typischer Weise: Das wäre verboten, es ist mit einer Anzeige bedroht, ich soll es bitte lassen. Was ist hier nicht verboten? "Ja, ist in Ordnung". Das war's. 3 oder 4 Blättchen, aber Diskussionen sind sinnlos, sie hat Uniform an, das reicht hier. Also werde ich demnächst gut aufpassen müssen beim Kräuterzupfen.


Gefängnistagebuch von Heide Luthardt


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2010