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SERIE/075: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 13.04.2008 bis 15.04.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

37. Teil - 13.04.2008 bis 15.04.2008


13.04.08

Heute früh habe ich Medikamente geholt, vor dem Büro standen Leute, so habe ich beim Warten ein paar Treppenstufen höher aus dem Fenster geschaut. Beamtin F. sprach mich sofort an, ich solle hinuntergehen, ich erwiderte, daß da Leute stehen und ich genausogut da, wo ich stand, warten könne. Ich sollte runtergehen. "Das ist sehr schade", sagte ich. Beamtin F. "Das war das letztemal, das nächstemal kriegen Sie einen "Gelben" (eine Anzeige)". Also ging ich vor's Büro, vor dem immer noch Leute standen, trat einen Schritt auf den Gang und schaute hinunter. Sofort plärrte Beamtin F., die mittlerweile auf dem EG-Flur war. "Sofort runter da!". Was sollen diese Schickanen? Und wenn es mich mein Leben kostet, niemals werde ich eins von ihren gefügigen Tieren in ihrer Massenviehhaltung und schon garnicht werde ich je in der Schneiderei sitzen und Bettwäsche nähen. Aber genausoschlimm wie die Beamten sind manche Gefangene, die den ganzen Tag plärren, Türen knallen, Musik aufdrehen. Sie passen auf, dass ja kein "Fremder" auf ihrem Flur herumläuft und fühlen sich offenbar nicht unwohl hier. Draußen sind sie nichts, hier drinnen glauben sie, durch ihre große Klappe und ihre Aggressivität jemand zu sein. Besonders unter den Junkies und Hardcore Lesben ist dieser Typ vertreten. Vielleicht könnte ich noch, aber ich will nicht mehr so leben!


15.4.08

Heute früh war Büchertausch, habe mir 2 Gedichtbändchen mit "Knastgedichten" geholt, 1 Quizbuch und 1 Englisch-Lehrbuch. Als ich wieder in der Zelle war, wurde ich kurz darauf zu Herrn L., dem Vertreter von Herrn Z. geschickt. Ich dachte mir nichts Böses, ging davon aus, dass es um die Lockerungen ging, die ich vor einer guten Woche beantragt hatte. Als ich jedoch ins Büro trat, sah ich gleich den gelben Zettel, der eine Anzeige bedeutet, auf Herrn L.'s Schreibtisch liegen. Er las mir vor, ich hätte am Sonntag im Treppenhaus aus dem Fenster des dritten Stocks geschaut, somit gegen meine Aufenthaltspflicht auf der D I verstoßen. Außerdem hätte ich zur Beamtin gesagt, es würde mir Spaß machen, die Beamten zu ärgern. Das bestritt ich energisch, weil ich das wirklich nie gesagt habe. Auf Nachfrage sagte er, daß diese Anzeige von der Beamtin F. gemacht wurde.

Das aus dem Fenster schauen habe ich zugegeben. Kein Problem. Dann fragte mich Herr L., der seinem Namen damit alle Ehre machte, ob ich versprechen würde, daß das nicht mehr vorkommt. Ich schwieg. Er wiederholte seine Frage und ich sagte, in der Hoffnung auf Bewährung "Natürlich nicht". Darauf hin meinte er, er würde das aufschreiben und beim nächsten Mal(!) würde diese Aussage dann berücksichtigt werden. Sauber reingelegt. Erst wollte er mir eine Woche Einkaufssperre und 1 Woche Freizeitsperre geben, dann entschied er sich um, 2 Wochen Freizeitsperre (davon 1 Woche auf Bewährung) und keine Einkaufssperre. Ich fragte ihn, ob wir es nicht umgedreht machen können. Er lachte "Nein, das machen wir so." Ich fragte auch danach, ob es zwingende Gründe gebe, daß ich auf der D I untergebracht bin, ich hätte schon mehrfach beantragt, auf eine andere Abteilung verlegt zu werden. Warum sollten Sie nicht irgendwann verlegt werden, sagte er, probieren Sie es weiter. [*]

[*] Er fragte auch, was ich gemacht habe und als ich es ihm sagte, meinte er "Oh, das kommt nicht gut". Naja, ich finde ja immer noch, daß es Schlimmeres gibt.

Ich sprach auch das Drittel, das ich ja eigentlich bekommen müsste an. "Eigentlich schon, sie sind das erste Mal im Gefängnis. Sie sollen aber langsam etwas kürzer treten mit Disziplinarstrafen und brauchen wahrscheinlich eine Begutachtung, wenn Sie vor Ihrer Verhandlung auch eine hatten. Wenn der Gutachter meint, Sie könnten so etwas wieder machen, gibt es das Drittel nicht". Schöne Aussichten! Um halb zwei wurde dann mein Fernseher abgeholt, zum Glück habe ich mein Radio noch. Gut, mit der Woche Freizeitsperre kann ich locker leben, aber ich weiß genau, daß ich niemals nur noch das tun werde, was die Beamten wollen. Von meinen Leidensgenossen, den anderen Gefangenen, habe ich nur Trost und Zuspruch bekommen, jedenfalls von denen, die meinem Herzen sowieso nahestehen. Ich denke, es wird Zeit zu gehen.

Gestern habe ich einen Brief von Mutti bekommen. Es geht ihr nicht gut, eine kräftige Blasenentzündung, die sie wohl ziemlich mitnimmt. Sie ist in der Wohnung gestürzt und kam nicht wieder hoch - 4 Stunden lang. Dann hat sie sich zum Telefon geschleppt und J. angerufen, der ihr half. Sie ist 82 Jahre alt und hat im letzten Jahr wegen H. und mir so viel Streß gehabt. Sie tut mir sehr leid und ich mache mir große Sorgen um sie, obwohl oder gerade weil sie so tapfer ist.


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2010