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SERIE/050: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 04.09.2007 bis 10.09.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

12. Teil - 04.09.2007 bis 10.09.2007


4.9.07

Heute nachmittag war Drogenkontrolle. Wir mussten uns in einer Reihe aufstellen und 2 Polizisten gingen mit einem Hund die Reihe ab. Wieder große Aufregung unter den Gefangenen, weil sie wieder einmal Männer sahen. Mich kotzt das alles so unendlich an. Ich war super-aggressiv, als der Hund bei mir war, sagte ich halblaut "Scheiß-Köter". Böser Blick des Hundeführers, aber kein Wort. Heute nacht starte ich den 1. Versuch, 3 Min. Mal sehen, ob's klappt. Niemals würde ich noch 2 Jahre so überstehen, ich will es auch nicht. Heute morgen habe ich noch einen Brief an Fr. T. eingesteckt, die hatte ich vergessen.


5.9.07

Gestern abend hat es leider nicht geklappt. Ich hoffe, heute funktioniert es. Es muss. Niemals lasse ich mich noch weitere 2 Jahre wegsperren und noch mehr verblöden. Und da sagen sie, die Todesstrafe sei abgeschafft. Sie töten nicht die Körper, sie töten "nur" Geist und Seele, so wie ihre Angriffskriege "nur" Friedensmissionen, Folterungen "nur" verschärfte oder auch Rettungs-Befragungen sind und der totale Überwachungsstaat "nur" der Freiheit dient. Dazu passt, daß A. heute erzählt hat, dass sie nach ihrer Verhaftung in Landsberg oder Landshut von der Polizei während der Vernehmung, bei der sie nichts sagen wollte, so geschlagen wurde, daß sie sogar eine Weile ins Krankenhaus musste.

Es tut mir leid, zu gehen. Ich hätte gerne noch ein bißchen gelebt - aber nicht um den Preis von 2 Jahren Gefängnis. Schade!


6.9.2007

Es ist nicht so einfach, vielleicht wäre es gestern gegangen, komischerweise hatte ich aber die ganze Zeit im Hinterkopf, dass ich heute noch das Büchlein von Reinhard Mey lesen wollte. Mag sein, dass es nur das Klammern an den berühmten Strohhalm ist. Heute werde ich es wieder probieren, vielleicht ist es mit den Tabletten leichter. Hoffentlich. Ich ertrage die Gefangenschaft nicht mehr. Eben habe ich einen Brief von M.V. bekommen. Sie wollen mir alle helfen, Hr. F., MAPC, T., alle. Jetzt sitze ich hier und heule, nur weil es solche Menschen gibt. Vorhin war Fr. T. da, sie will mir mit der Wohnung helfen. Sie meinte, Hr. F. hätte sich bei der Verhandlung nicht richtig für mich eingesetzt, wäre nicht in die Tiefe gegangen und mir somit auch nicht gerecht geworden. Er hätte alles nur als unüberlegten Dummer-Jungen-Streich und mich als vielleicht intelligent, aber völlig wirklichkeitsfremd dargestellt. Auch da ist etwas dran. Außerdem hat er sich trotz mehrfachen Bemühungen von M.V. noch nicht dazu bequemt, ihr zu meinem Wohnungsschlüssel zu verhelfen. So sympathisch er mir ist, so wenig kann ich das alles nachvollziehen - genau wie sein schlappes Verhalten damals bei der Haftprüfung von Richter M. (oder so ähnlich). Vielleicht war es mein alter Fehler, dass ich einfach an bestimmte Menschen (trotz anderer objektiver Tatsachen) glauben will. Wie schon so oft. Wie sagte Fr. T.: "Er ist ein Blender". Und ich habe mich auch noch schriftlich bei ihm bedankt.

Nachdem es gestern hier drinnen eisig kalt war, haben sie heute die Heizung angstellt. Gott sei dank.

19.00 Habe das Mey-Buch erst halb durch, außerdem ist es am Wochenende taktisch klüger. Also morgen am frühen Abend. Heute ist die Revisionsfrist abgelaufen. Keinerlei Meldung diesbezüglich von Hrn. F. Natürlich.


8.9.07

Gestern war Hr. F. nachmittags da und hatte richtig viel Zeit. Es war eine Wohltat, mit ihm zu sprechen. Er will Haftbeschwerde einlegen. Dauer: ca. 14 Tage, Erfolgschance ca. 30 %. Für ein paar Stunden keimte wieder ein Hoffnungsfunke in mir auf. Heute ist er wieder erloschen. Ich habe ihm noch einen kleinen Brief geschrieben - C. soll ihn morgen einwerfen, wenn ich nicht am Hofgang teilnehme. Hoffentlich kann ich ihr vertrauen.

Heute beschwerte sich Beamtin F. bei mir, ich wäre nicht mehr so freundlich wie früher. Was erwartet sie? Das ich nach einem halben Jahr U-Haft und dem Urteil von 3 Jahren und 9 Monaten freudestrahlend durch die Gegend laufe und Witzchen mache? Ich habe keine Kraft mehr. Nicht mal mehr für einen weiteren Tag.


9.9.07

Habe gestern alle Schlaftabletten genommen, die ich hatte und dann von ca. 19.30 - 9.30 tief und fest durchgeschlafen. Schade, es war viel zu wenig, 30 Stück müsste ich haben, dann würde es klappen. Die zusätzliche Plastiktüte hat leider nicht funktioniert. So schwer kann es doch nicht sein. Heute werde ich es wieder probieren.


10.9.07

Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist. Trotzdem werde ich es weiter versuchen. Habe heute nochmal die Zeitungsartikel, die vor, während und nach meiner Verhandlung erschienen waren, gelesen. Diese Deppen! Abgesehen von den vielen falschen Fakten, natürlich ging es auch ums Politische. Ohne den politischen Hintergrund hätte ich die Attrappen niemals gelegt, aber es war auch (wie im Gutachten von Dr. S. schon richtigerweise geschrieben steht) Provokation, Ärgern und die Freude, der Polizei den Fehdehandschuh hinzuwerfen: "Mal sehen, ob ihr mich kriegt!". Wie sagte Mi. zu mir, als ich herkam: "Du hast mit deinem Leben gespielt". Stimmt. Und ich habe verloren.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2010