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SERIE/045: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 21.06.2007 bis 30.06.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

7. Teil - 21.06.2007 bis 30.06.2007


21.6.07

Sommersonnenwende. Seit Februar sitze ich in diesem Loch und alles geht den Bach runter, sogar der schöne Sommer. Heute mittag habe ich zum ersten Mal mein Essen weggekippt - Reis mit knorpeligem Hühnerfrikassee. Ich konnte es einfach nicht essen. Nachmittags war Basteln, diesmal wieder mit der Kampflesbe und ihrer Gang. Sie knutschte mit ihrem Gspusi, verschwand mit ihr zu einem Quickie auf der Toilette und zeigte sich gegenüber der Frau vom evangelischen Hilfsdienst extrem dumm-dreist, was sie wohl auch ist. Ich war froh, als die Zeit um war. Dann gab es einige "Blitzentlassungen", "Mama S." und, leider, meine Federball-Partnerin O. (obwohl ich es ihr gönne. Naja, dann laufe ich ab morgen eben wieder im Kreis. Mist! Dafür habe ich wieder einen Brief von B.M. bekommen, nett, dass er mir schon das zweitemal schreibt, obwohl er mich nicht persönlich kennt. Vor einer Woche habe ich die Anklageschrift bekommen und keine Spur von Herrn F. Hoffentlich kommt er morgen!


22.6.07

Heute kam Hr. F. wieder nicht. Hat er die Anklageschrift nicht bekommen, findet er sie nicht wichtig? Wenn er nächste Woche wieder nicht kommt, muss ich ihm wohl mal wieder schreiben. Heute hatte ich wieder ein "nettes" Erlebnis mit Fr. H.: Sie gab mir vorm Hofgang eine Plastikhülle mit 2 Federballschlägern und einem Ball. Er sah auf den ersten Blick neu aus und ich habe mich gefreut. Im Hof wollte ich dann mit T. spielen und packte alles aus: 1 Schläger ok, wenn auch etwas mitgenommen, 1 Schläger: Saiten zertrennt, kaputt, Ball: ohne Gummiteil, sehr schwer. Wir haben nur 5 Minuten gespielt. Als ich alles wieder abgegeben habe, hat Fr. H. sich aufgeregt, wir hätten alles kaputtgemacht, sie hätte es eigenhändig ausgepackt und es wäre neu gewesen. So, und jetzt würden die Schläger erstmal im Schrank bleiben! Was soll man dazu noch sagen, ist es Dummheit oder Bosheit? Entmündigt sind wir hier ja eh. Vielleicht: "Jawohl, Bwana Massa." Heute habe ich mich recht lange mit A. (die mir ja mal die Haare geschnitten hatte) unterhalten. Sie hatte im Affekt mit einem einzigen Messerstich einen jungen Mann erstochen und muss jetzt erstmal in die geschlossene Psychiatrie nach Haar. Sie wird nächste Woche von Prof. N. untersucht und hat Angst. Natürlich.


25.6.07

Habe heute vormittag mit Ma. ein bißchen Federball gespielt. Sie spielt wirklich verdammt gut. Mittags war ich das 1. Mal in der "Atemgruppe". Es war gut und sehr interessant, bis ich nach 1/4 Stunde zu Fr. T. geholt wurde. Leider mit 2 anderen. Ich habe wieder über 1 Stunde in der Wartezelle gehockt und dadurch auch die Poesie-Gruppe verpaßt. Leider. Aber auch das Gespräch mit Frau T. war nicht schlecht. Auf dem Rückweg hat sich Frau H. bei mir wegen der Federballschläger entschuldigt, sie wären doch kaputt gewesen. Naja, ist o.k. von ihr. Abends hat die Kampf-Lesbe wieder wie eine Bekloppte aus ihrer Zelle geschrien und gepfiffen und ich habe meine Zellennachbarin genervt angeschnauzt, als sie stundenlang mit ihr redete: "Halt die Klappe". War nicht besonders nett von mir, aber meine Nerven liegen ziemlich blank. Ma. hat sich schriftlich über die Kampf-Lesbe beschwert, mal sehen, was dabei herauskommt. Ich warte täglich auf Hrn. F., aber der gibt kein Lebenszeichen von sich. Also weiter warten. Nachdem es heute tagsüber sehr schön war, gewittert es jetzt wieder. In der Zelle ist es aber dabei ganz gemütlich.


27.6.07

Es ist kalt geworden. Hier auf der F3 sind in letzter Zeit viele gegangen und viele gekommen, einen Draht habe ich zu keiner von den "Neuen", die meisten sind total primitiv: Die Kampflesbe lässt immer noch total die Sau raus und hat immer noch einen Freifahrtschein. Ich habe wieder massive Selbstmordgedanken, es ist zu schrecklich hier. Ich hoffe, ich halte bis zum Prozeß durch. Herr F. war seit Wochen nicht mehr hier, obwohl vor 2 Wochen schon die Anklageschrift kam. Heute kam ein großer Umschlag mit X Formularen vom Sozialamt, die ich ausfüllen soll. Diese Idioten müssten ja eigentlich wissen, dass man in der U-Haft keinen Zugriff auf nichts hat. Außerdem hatte "meine" Sozialarbeiterin Fr. S. dem Sozialamt geschrieben, dass die gesamte Post über sie laufen soll, aber diese echt deutschen Beamten probieren es immer wieder. Zum Kotzen, ich habe Fr. S. schon einen Eil-Antrag geschrieben, gekommen ist sie heute nicht. Morgen schreibe ich wieder einen.


30.6.07

Fr. S. war da, sie hat mit dem Sachbearbeiter telefoniert, er hat sich entschuldigt, er war im Urlaub, ein Vertreter von ihm hat es "verbockt". Die Anträge auf Sozialhilfe habe ich ausgefüllt, soweit es ging, also minimalst. Ohne dass ich an die Unterlagen kann, geht halt nix. Mein Gott, wie soll das weitergehen. Selbst wenn ich auf Bewährung rauskäme, bin ich dann arm wie eine Kirchenmaus, mein Konto wurde gepfändet, Offenbarungseid usw. Bekomme ich keine Bewährung, ist klar, was passiert. Ich spiele zur Zeit täglich Federball mit Ma. und Mo. und bin so darauf fixiert, dass wahrscheinlich alle denken, ich bin total bekloppt. Egal, erstens bin ich das gewöhnt und außerdem habe ich so einen großen Bewegungsdrang, den ich beim Federballspiel ganz gut abreagieren kann. Ich staune immer wieder, wie die jungen Frauen, die den ganzen Tag in der Zelle hocken sich, kaum sind sie auf dem Hof, sofort wieder hinsetzen, rauchen und das war's dann. Auch, wie viel Gefängniserfahrung sie teilweise haben. Sie kennen alle möglichen Gefängnisse von innen, neu Eingelieferte begrüßen die, die schon hier sind wie alte Bekannte und den Gesprächen kann man entnehmen, dass teilweise ganze Familien, d.h. Frau, Mann, Kinder und etliche Verwandte im Gefängnis sitzen. Wahnsinn! Ich habe jetzt Post von P., AR., S. und M.H. bekommen und bin wirklich gerührt, was für gute und treue Freunde ich habe, die sich wirklich Sorgen um mich machen.

P. schrieb, sie hätte mit Mutti telefoniert und die wäre total fertig gewesen und hätte gesagt, ich hätte Dummheiten gemacht. Naja, eigentlich waren es ja keine Dummheiten, ich habe mich nur zu blöd angestellt und vor allem versäumt, mein Geld zu verstecken. Mein Gott, wie blöd ich war, ich wusste doch genau, was passieren wird. Arme Mutti, sie hat alles für mich gespart und ich hab's "verspielt", wenn man so will und 150.000 Euro Schulden, mindestens. Hoffentlich taucht Hr. F. nächste Woche auf, seit 1.6. habe ich nichts mehr von ihm gehört. Übrigens ist die Kampflesbe auf eine andere Station auf die andere Gebäudeseite verlegt worden. Gott sei Dank!


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Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2010