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SERIE/028: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 26. Brief - Neudeck 17


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 26. Brief

15.6.08

Neudeck 17


Gestern vor zwei Monaten wurde ich verhaftet und selbst, wenn ich dies traurige Jubiläum feiern wollte, Korken zum Knallen lassen gibt es hier in Neudeck, dem ganz speziellen Münchener "Alcatraz" nicht. Ich warte auf meine Verhandlung und bis die stattfindet, wird es wohl noch einige Monate dauern. Noch einige Monate hier? Bloß nicht daran denken, nur auf den heutigen Tag schauen, sonst wird man verrückt. Ich gehöre zu den "Glücklichen", die regelmäßig Briefe von Familie und Freunden bekommen Sie sind außer den seltenen und kurzen Besuchen und den Anwaltskontakten die einzige Verbindung nach "draußen" und die tägliche Postausgabe durch die Beamtinnen wird von fast allen Gefangenen sehnsüchtig erwartet. Enttäuschte Gesichter bei denen, für die nichts dabei ist. Früher habe ich des öfteren gelesen, daß es Menschen gibt, die ihnen unbekannten Gefangenen ehrenamtlich Briefe schreiben, jetzt erst weiß ich solche Aktivitäten richtig zu würdigen, auch wenn ich selber nicht davon profitiere. Zu meinem Erstaunen bekomme ich eine Sendung zurück, auf die der Vermerk "Adressat unbekannt" gestempelt wurde. Es ist die Erste, die ich von hier aus abgeschickt hatte, am 28. Februar, heute ist der 24. April. Ich hatte einen Zahlendreher in die Postleitzahl gebracht, alles andere war richtig: Name, Ort, Straße. Naja, es gab Zeiten, da hätte die Post solche Fehler von sich aus korrigiert. Gleichzeitig erhalte ich einen Brief von Freunden aus der Friedensbewegung, demnächst will mich ein mit ihnen bekannter Rechtsanwalt einmal aufsuchen und beraten. Das wäre super, gerade jetzt, wo ich mir so unsicher bin, ob mein Pflichtverteidiger der Richtige für mich ist. Am Schluß des in Englisch geschriebenen Briefes steht: "Be good! If you can't be good, be careful." Ein weiser Ratschlag und insbesondere hier im Gefängnis sollte man ihn unbedingt beherzigen. Nach ein paar kühlen Regentagen ist es jetzt wieder sonnig und sehr warm. Ich habe das Gefühl, garnicht mehr richtig zu leben. So ähnlich mag sich ein Tier in seinem Bau während der Winterruhe fühlen. Ich esse, laufe ein bisschen herum, alles andere ist tot und dunkel. Zum Glück bekomme ich wieder Besuch von den Freunden, der mich aus dem Loch, in das ich gefallen bin, herausholt. Nachmittags erscheint der Pfarrer zu seiner wöchentlichen Videofilmvorführung, diesmal mit "Einer flog über's Kuckucksnest". Treffender ging's nicht und Parallelen mit "unserer" Anstalt sind unübersehbar. Ich habe den Film schon mehrfach gesehen, schaue ihn mir aber gerne ein weiteres Mal an. Wie immer hat der Geistliche Süßigkeiten mitgebracht und lässt die damit gefüllte Schale herumgehen, jeder soll sich ein Stück herausnehmen. Gierig nehmen manche gleich eine ganze Hand voll, die Letzten, bei denen die Schale ankommt, werden leer ausgehen. Sie tun es ganz offen, ohne jede Scham. Warum schäme ich mich für sie? Beim Hofgang am nächsten Tag werde ich in die Kleiderkammer gerufen und bekomme ein Kofferradio überreicht. Ein Geschenk. Von wem, wissen sie angeblich nicht. Ich rätsle: Freunde, Familie oder gar ein unbekannter Sympathisant? Was für ein Schatz, ein Radio! Nur wenige Glückliche besitzen hier eins. Es ist an zwei Stellen versiegelt, damit man es nicht öffnen kann. Natürlich Schmuggelgefahr! Zum Glück sind Batterien dabei, ohne sie ginge garnichts, weil wir ja in den Zellen keinen Stromanschluss haben. An diesem Abend mache ich es mir, so gut es eben geht, in der Zelle "gemütlich" und höre genüsslich Radio "Lora", endlich einmal wieder. Meine gesundheitlichen Probleme haben sich verschlimmert und ich muss wohl oder übel wegen starker Blasenbeschwerden in die Krankenabteilung. Den letzten Termin hatte ich abgesagt, weil ich mich kurzfristig besser fühlte. Nach einer Stunde in der kahlen Wartezelle bin ich an der Reihe, die Untersuchung ergibt Blut im Urin. Der Arzt lässt mich Antibiotika schlucken und abends ist es besser, aber nicht in Ordnung. Wieder Alpträume, von meiner Verhaftung, der Vernehmung und den Katakomben in der Ettstraße. Am nächsten Morgen ist Beamtin S. nach ihrem Urlaub das erste Mal wieder im Dienst. Sie hat grottenschlechte Laune, agiert im schroffen Kommandoton. Ich frage mich, ob in den Schulungen - falls es welche gibt - unserer Bewacher so etwas wie Psychologie vorkommt, oder ist Ruppigkeit im Umgang mit uns "Volksschädlingen" erwünscht? Bei der derzeitigen Hitze habe ich den ganzen Tag über "mein" Fenster weit offen und höre wieder unfreiwillig den Unterhaltungen zu, die lauthals kreuz und quer über den Hof geführt werden. T., eine Russin, die als Hausmädchen arbeitet, redet stundenlang und ohne Pause mit monotoner Stimme aus dem Fenster heraus. Nie höre ich jemanden antworten. Sehr seltsam! Wieder ist eine Woche ins Land gegangen und wieder war mein Anwalt trotz seiner Ankündigung zu kommen, nicht hier. Bei dem Wissen, die nächsten zwei Tage 22 ½ Stunden in der Zelle zu sitzen und kostbare Lebenszeit sinnlos totzuschlagen, überkommt mich, wie so oft hier, Panik. Werden diese Stunden mir irgendwann fehlen? Kurz vor dem "Einschluß" steht meine Mitgefangene N., eine Marokkanerin, vor der Tür, in der Hand einen Teller mit Kuchen und Bonbons. Für mich, einfach so, ohne Grund. Noch bevor ich mich richtig bedanken kann, ist sie schon wieder weg. Die Beamtin kommt mit dem Schlüssel.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2008