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SERIE/014: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 12. Brief - Neudeck 4


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 12. Brief

9.3.08

Neudeck IV


Nach ca. 2 Wochen Aufenthalt in Neudeck werde ich gefragt, ob ich arbeiten will, lehne aber ab. "Jetzt noch nicht". Kurz darauf kommt eine Uniformierte und fordert mich auf, meine Sachen zu packen, weil ich auf eine andere Abteilung verlegt werde - auf die für nichtarbeitende Frauen. Eine ältere Beamtin holt mich ab und wir fahren per Lift in den dritten Stock, ich sage, daß ich eine Einzelzelle will. "Es ist keine frei" antwortet sie knapp und während sie eine Zellentür aufschließt, sagt sie - beinahe gehässig - "Hier ist es schön eng" und "In der Zelle sind ruhige Leute, Nichtraucher". Ich betrete den Raum, er ist ca. 4x6 m groß und in ihm ist durch eine dünne Sperrholzwand ein kleiner Teil abgetrennt, in dem sich eine Toilette und ein Waschbecken befinden. Im Raum stehen 3 Betten, eins ist frei - für mich. Auf den beiden anderen sitzen 2 Frauen. Die Beamtin stellt mich kurz vor, geht dann gleich wieder und schließt die Tür hinter sich ab - natürlich. Ich betrachte mir meine neuen Mitbewohner genauer und M., eine ca. 40jährige Albanerin, erzählt mir, daß sie hier ist, weil sie und ihr Mann mit gefälschten Visa-Stempeln in ihren Pässen nach Deutschland eingereist sind, um ihre hier lebenden Töchter zu besuchen. 2000 Euro haben sie für diese Stempel bezahlt, die so schlecht gemacht waren, daß sie schon bei der ersten Kontrolle aufgeflogen sind. Jetzt sitzt ihr Mann in Stadelheim und sie hier. M. stellt mir auch die zweite Frau im Raum vor, eine ältere, sehr große, kräftige farbige Frau aus dem Senegal, F., die verhaftet wurde, weil sie unverzollten Schmuck bei sich hatte. Sie ist mir schon öfter beim Hofgang aufgefallen, weil sie einsam und unglücklich wirkte. Leider spricht sie weder Deutsch noch Englisch, nur ein bisschen Französisch. Sie hat zuhause 6 Kinder, ist Muslima und betet mehrmals täglich in der engen Zelle auf einer unserer alten Decken, nachdem sie die vorgeschriebenen Waschungen durchgeführt hat. M. und F. "wohnen" hier schon länger zusammen und verständigen sich recht gut durch Gesten und ein paar Wörter Französisch. Beide bekommen Psychopharmaka, F. täglich eine ganze Hand voll. Sie liegt meist im Bett und schläft sehr viel, wenn sie wach ist, weint sie oft. Schon am ersten Tag erzählt mir M., daß sie selber Ärztin ist, dann einige Zeit in der Psychatrie war und später in Albanien wieder in ihrem Beruf arbeiten will. Ich frage, ob sie dann durch die lange Pause nicht fachlich den Anschluß verpasst hätte oder ob sie sich durch Fachliteratur weiterbilden würde. Ja, das täte sie. Ob sie die hier ins Gefängnis geschickt bekäme. Nein, hier würde sie sich durch das da auf dem Laufenden halten - mit dem Finger deutet sie auf eine alte "Bild"-Zeitung. Wo bin ich hier? Wieder einmal bekomme ich Panik. Ist das ein Gefängnis oder eine Psychatrie oder beides in einem? Ich will arbeiten, so schnell wie möglich. Bloß weg hier! Schon am nächsten Morgen werfe ich den Arbeitsantrag ein. Nichts passiert. Nachfragen werden von den Beamtinnen ausweichend beantwortet. Immer wieder probiere ich es in den nächsten Tagen und Wochen auf's Neue - erfolglos.

Diese Abteilung unterscheidet sich von der mit den privilegierteren Arbeiterinnen, auf der ich vorher war, in vielen Punkten deutlich. Nur dreimal wöchentlich ist Duschen möglich, gleich früh morgens. Vor dem Duschraum mit den 3 Kabinen darin bildet sich stets eine mehr oder weniger lange Schlange aus verschlafenen Frauen, die Wartezeiten bewegen sich zwischen 10 und 45 Minuten. Wenn eine Beamtin vorbeikommt, schlägt sie ihren Schlüssel gegen die Tür und ruft "Beeilung, Beeilung!", aus der Ruhe bringen lässt sich dadurch niemand. Immer wieder ertönen schrille Schreie aus den Duschkabinen. Ohne ersichtlichen Grund wechselt die Wassertemperatur urplötzlich von warm zu kochendheiß oder eiskalt, irgendein Rhythmus ist dabei nicht erkennbar. Vielleicht liegt es an dem uralten Leitungssystem. Am schlimmsten hier ist für mich das ständige Eingesperrtsein, an Werktagen 22 Stunden, an Wochenenden und Feiertagen 22 ½. Eine bzw. eine halbe Stunde Aufschluss und eine Stunde Hofgang, das war's. Trotzdem gibt es Frauen, die nur ganz selten am Hofgang teilnehmen und auch diese Stunde "freiwillig" in der Zelle verbringen. Wie halten sie das aus? Ich bin todunglücklich in der Dreierzelle, das enge Aufeinandergepferchtsein quält und nervt mich, ebenso wie die Ungewissheit, was "draußen" passiert, mit meiner Wohnung und dem Job. Noch immer habe ich keine Informationen. Ich habe mir einen Stuhl in die kleine Nische an der Tür gestellt, dort sitze ich die meiste Zeit, auch zum Essen. Es ist die einzige Stelle, die nicht vom ganzen Raum aus zu überblicken ist und an die ich mich ein bisschen zurückziehen kann. Seitdem ich hier bin, fühle ich mich krank und fiebrig und wie sich ein Tier fühlen mag, das sein ganzes Leben lang frei war und plötzlich in einen Käfig gesperrt wird.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2008