Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/009: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 7. Brief - Neu in Neudeck


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 7. Brief

3.2.08

Neu in Neudeck


Nach meiner ersten Nacht im Frauen- und Jugendgefängnis München-Neudeck werde ich um 6 Uhr früh geweckt, indem das Licht von außerhalb der Zelle eingeschaltet wird. Innen gibt es weder Steckdosen noch Lichtschalter. Ich habe keine Ahnung vom Tagesablauf hier, weiß nicht, ob ich aufstehen muss oder noch liegen bleiben kann. Eine Beamtin schaut kurz herein "Guten Morgen". "Lebendkontrolle" nennt man das hier, erfahre ich später. Nicht jeder erträgt das Gefängnis. Ich habe meine ganze Situation immer noch nicht wirklich realisiert, habe das Gefühl, jeden Moment ist der Spuk zuende und ich gehe hier wieder raus. Vom "Hausmädchen", also einer Gefangenen, die hier arbeitet, wird Kaffee verteilt - Caro, stark gesüßt, das gleiche Zeug wie in der Ettstraße.

Ich frühstücke, das, was ich mir gestern vom Abendessen aufgehoben habe. Da es keine Kühlmöglichkeit gab, ist das Brot hart und der Käse sieht verboten aus. Ziemlich eklig, ich überlege, was ein Lebensmittelkontrolleur wohl dazu sagen würde. Später gewöhne ich mir dann an, garnicht mehr zu frühstücken.

Irgendwann wird die Tür aufgeschlossen, ich kann duschen gehen und laufe ein bisschen auf dem U-förmigen Flur herum, von einer verschlossenen Treppenhaustür zur anderen, immer hin und her. In der Mitte befindet sich das Büro. Da die Tür offen ist und ich viele Fragen habe, stecke ich meinen Kopf hinein und erkenne die Beamtin von gestern wieder, die mich auch später noch - so oft ich sie sehe - an Militärisches denken lässt, irgendwie hat sie etwas von einem Feldwebel. "Entschuldigung" sage ich. Sofort werde ich angeblafft "Hier wird angeklopft! Ich bin Frau N. und das - sie deutet auf die zweite Beamtin im Raum - ist Frau W. So läuft das hier!" Eine nette Begrüßung. "Entschuldigung". Ich frage, ob ich telefonieren kann. "Nein, Sie können schreiben". Papier und Umschläge geben sie mir, einen Kugelschreiber hat mir gestern glücklicherweise eine Beamtin geschenkt. Schreiben, gut und schön, aber ich habe keinerlei Adressen. Postleitzahlen und Hausnummern habe ich von den wenigsten im Kopf und Briefmarken besitze ich auch nicht. Also schreibe ich erst einmal nicht. Meine Familie weiß ja Bescheid, mein Anwalt hat sie benachrichtigt. Das ist erst einmal das Wichtigste.

Dann werde ich eingeschlossen, bald darauf wird das Mittagessen auf einem dreigeteilten Metalltablett gebracht, wieder von der jungen Frau, die heute morgen schon den Kaffee verteilte. Sie ist nett, flüstert mir ein paar Tips zu. Irgendwann in den nächsten Wochen erzählt sie mir, dass ihr ehemaliger Lebensgefährte Hauptangeklagter in einem zu dieser Zeit gerade laufenden, spektakulären und von viel Mediengetöse begleiteten Mordprozeß ist, in dem er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt werden wird. Sie selbst hat in ein paar Monaten ihre Strafe abgesessen und kommt dann frei. Ich muss in die Krankenabteilung. Anamnese, Blutabnahme, EKG, das Übliche. Ich werde gefragt, ob ich Psychopharmaka nehme. "Nein". "Noch nicht", sagt die Schwester süffisant, es klingt wie eine Drohung. Ob ich einmal mit dem hiesigen Psychiater reden möchte? "Nein". "Wir würden Sie gerne näher kennenlernen". "Ich Euch aber nicht" denke ich, sage aber, daß ich nur hingehe, wenn ich muss, sonst nicht. "Wir können Sie nicht zwingen".

Einige Tage später sitze ich vormittags wieder wegen irgendetwas in der Krankenabteilung. Die Tür geht auf und ein Herr mit wirrer Frisur, der aussieht, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen, kommt herein. "Guten Morgen. Wen haben wir denn heute?" fragt er die Schwester. Die reicht ihm ein paar Akten, der Herr ist der Psychiater des Hauses. Sie reden über die Gefangenen, die er betreut, arrogant und sich über sie lustig machend, obwohl ich daneben sitze und alles mit anhöre. Ich bin froh, daß ich nicht zu seinen Patienten gehöre.


*


Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2008