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SERIE/004: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 2. Brief - Verhaftung


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 2. Brief

Aichach, Dez. 2007

Verhaftung


Bis dahin kannte ich Verhaftungen, mehr oder weniger spektakulär, nur aus Fernseh- und anderen Krimis. Am 23.2.07 erlebte ich es live.

7.30 Uhr: Es klingelt 1 x energisch. Ich liege noch im Bett, weiß aber sofort, daß es die Polizei ist. Ich springe auf, ziehe mir schnell einen Pullover über. Es klingelt 3 oder 4 mal noch heftiger. Ich öffne die Tür. Sie stehen schon im Hausflur, mindestens 6 Männer in Zivil und eine Frau, im Hintergrund glaube ich auch SEK-Uniformen zu erkennen. Sie stürmen in den Flur. Ich stelle mich in den Weg und sage zu dem Ersten, daß ich seinen Ausweis sehen will, außerdem will ich wissen, was sie mir vorwerfen. Er zückt den Ausweis, dann "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten in elf Fällen, eine Vielzahl von Grafitti mit Verwendung verfassungswidriger Symbole. Durchsuchungsbefehl von Wohnung, Keller, Arbeitsplatz. Haftbefehl. Der Staatsanwalt prescht als erstes herein und auch die anderen schwärmen in meiner kleinen Wohnung aus und ich weiß, daß sie Unmengen von belastendem Material hier und im Keller finden werden. Außerdem sieht die Wohnung ziemlich chaotisch aus. Peinlich, aber jetzt auch egal. Ich habe sie schließlich nicht eingeladen. Auf dem Küchentisch liegen Flugblätter gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. "Aha, G8 angreifen", sagt einer. Ich erwidere, daß die Blätter im Rahmen der Siko verteilt wurden. "Von wem?", "Sage ich nicht". Er fragt nicht weiter. Sie fangen an, die Schränke auszuräumen und werden auch schnell fündig. Ich will einen Anwalt anrufen, erreiche aber außer ein paar Sekretärinnen, die nicht wissen, wann ihre Chefs ins Büro kommen, niemanden. Ich frage, ob ich meine Arbeitsstelle anrufen kann. "Da sind die Kollegen jetzt schon". Ich verfluche mich, dass ich die deutlichen Vorzeichen der letzten Tage ignoriert habe, die Erlebnisse in der Ettstraße bei meiner Ingewahrsamnahme nach der Siko, die mysteriösen Anrufe und Besucher an meinem Arbeitsplatz. Die Beamten wollen mich gleich mit aufs Präsidium in der Ettstraße nehmen, die Haussuchung soll noch zwei Stunden dauern. Ich frage, ob ich mir etwas anderes anziehen kann. "Die Kollegin bleibt bei ihnen". Ich ziehe mich in ihrem Beisein um. In meiner Schublade liegt sehr viel Bargeld aus aufgelösten Lebensversicherungen, ich wollte es "für alle Fälle" griffbereit zur Hand haben. Ich schnappe mir den sehr dicken Umschlag, versuche einen kleinen Scherz: "Es gibt ja so viele kriminelle Polizisten." Sie fragen natürlich, woher das Geld stammt und was ich damit machen wollte, machen sich untereinander darauf aufmerksam. Ich gebe ausweichende Antworten. Naiverweise hatte ich geglaubt, daß ich erst einmal eine Vorladung oder ähnliches bekomme, nicht dass sie gleich meine Wohnung stürmen. Obwohl, eigentlich klar, bei den Beschuldigungen. Naja, Dummheit wird bestraft. Ich kann mir noch eine Tasche aus dem Keller holen, in die ich schnell etwas Kleidung und meine Blutdrucktabletten werfe. Sie nehmen mir die Schlüssel von meiner Wohnung, dem Keller und dem Spind meines Arbeitsplatzes ab, durchsuchen mein Portemonait, nehmen einiges heraus, geben es mir dann wieder. Dann gehen wir mit mehreren Leuten zu ihren Zivilfahrzeugen, ich muss mich neben die Polizistin auf die Rückbank setzen. Während der Fahrt ins Polizeipräsidium in der Ettstraße plaudern wir unverbindliches Zeug. So war es bei mir. Jede Verhaftung läuft anders und es gibt auch durchaus skurile Geschichten, wie die von der "Kollegin", die sich unter den Augen des Polizisten, der durchs Badezimmerfenster zuschauen musste, noch schnell den letzten "Schuss" für lange Zeit setzte oder von der, die versuchte, wegzulaufen, leider mit mehr als zwei Promille im Blut, mit dem Absatz an einem Gullydeckel hängenblieb und sich den Knöchel brach. Geschichten halt, die das Leben so schreibt. Was danach kommt, ist dann allerdings meist weit weniger komisch.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2008