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SERIE/001: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - Vorwort (SB)


Tod einer Gefangenen

Vorwort


Nach einer Studie der Diplompsychologin Katharina Bennefeld-Kersten, Leiterin des Kriminologischen Dienstes im Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges, nahmen sich 71 Menschen im Jahre 2007 in deutschen Haftanstalten das Leben. Schon diese Zahl kann als Indiz dafür gelten, daß die Vollzugsbedingungen in deutschen Haftanstalten wenig dafür geeignet sein können, den Resozialisierungs- bzw. Wiedereingliederungsanspruch nach Paragraph 2 des Strafvollzugsgesetzes tatsächlich zu erfüllen. Ohne Transparenz und durch den hermetischen Charakter der Haft- und Vollzugsbedingungen für die Gefangenen kann es auch keine öffentliche Wahrnehmung aller damit einhergehenden Probleme, Konflikte und Rechtlosigkeiten geben.

Umso menschenverachtender und folgenschwerer wirken sich deshalb auch die administrativen und institutionellen Repressionsinstrumente, die den Alltag in den Strafjustizanstalten weitreichend sanktionieren, auf das Befinden der Strafgefangenen aus, insbesondere dann, wenn sie aus wie auch immer berechtigten oder fragwürdigen Gründen die ordnungsregulativen Repressionen, nach Lesart der Institution zumeist selbstverschuldet, gegen sich auf den Plan rufen. Das Spektrum dieses Sanktionssystems und der Strafverschärfungsmöglichkeiten in einer geschlossenen Einrichtung, wie sie die Strafjustizanstalten verkörpern, ist gewaltig.

Es liegt in der Logik der Dynamik, zwischen dem Aufbegehren und dem Ausgeliefertsein oder dem Widerstand und den Repressionen, daß der Gefangene in seiner fundamentalen Würde als Mensch wie in seinem vielleicht berechtigten Anliegen schlußendlich gebrochen wird. Er hat mangels öffentlicher Aufmerksamkeit die volle Härte der systemischen Isolation und der sozialen bzw. gesellschaftlichen Ausgrenzung zu erwarten. Der bis zu diesem Moment wenn auch vergebliche, jedoch nicht selten verbissene Kampf des Gefangenen, sich sozial und gesellschaftlich Gehör zu verschaffen, würde sicher häufiger als erwartet den sonst unlösbaren Resozialisierungsanspruch, den der Strafvollzug für sich reklamiert, für so manche überraschend einlösen.

Ganz im Sinne und im Selbstverständnis der Heide L., geboren am 25. November 1954 in Saalfeld/DDR, können wir gerade wegen ihrer öffentlichkeitsorientierten Mühen um Erklärung und Richtigstellung der eigenen Anliegen einerseits und ihrem kritischen Erleben haftanstaltsbedingter Sanktionierungs- und Bestrafungssysteme andererseits ihr eigenes Zeugnis eben dieser Repression, die sie ob ihres minimale Menschenwürde beanspruchenden Aufbegehrens selber erfahren mußte, in eigens darüber von ihr verfaßten Briefen wiedergeben und publizieren.


© Winfried Tobias - Justizvollzugsanstalt Celle-Salinenmoor

Foto: Teil des Bühnenbildes aus der Produktion "Mann ist Mann" (von B. Brecht)im Jahr 2000 in der Justizvollzugsanstalt Celle-Salinenmoor
© Winfried Tobias



15. Oktober 2008