Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → MEINUNGEN

STANDPUNKT/078: Gedanken zur Kultur des Gedenkens (Jürgen Heiducoff)


Gedanken zur Kultur des Gedenkens

Vom Gebrauch und Missbrauch der Erinnerungskultur und des Gedenkens an Entschlafene, Verstorbene, Ermordete, Umgekommene, Gefallene

von Jürgen Heiducoff, 20. November 2014



Der Zufall wollte es, dass ich im östlichen Vorstadtkietz der deutschen Hauptstadt von meinem Arbeitszimmer einen großen Berliner Friedhof überschaue. Das beeindruckt besonders nachts angesichts der von Grablichtern markierten Konturen der Gruften. Nach Volkstrauertag und Totensonntag lohnt eine Rückschau. Am Totensonntag wurde all derer gedacht, die auf Grund des natürlichen Kreislaufes des Lebens nicht mehr unter uns weilen. Eine Woche zuvor wurde am Volkstrauertag derer gedacht, deren Leben durch unverantwortliche, teils verbrecherische Kriegspolitik auf unnatürliche Weise vorzeitig und zumeist mit großem Schmerz zu Ende ging.

In einer freien Gesellschaft steht es jedem nach der Fülle seines Geldbeutels frei, Ort und Art des Gedenkens an seine lieben Entschlafenen, ob Verwandte, Freunde, Gleichgesinnte oder Weggefährten zu wählen. Für die einen ist es der teure Weg über das Beerdigungsinstitut, die Kirche zum Friedhof. Andere ziehen eine anonyme Park- oder Waldbestattung dem Gottesacker vor. Mancher knüpft seine Erinnerungen an Hinterlassenschaften wie Bücher, Aufsätze, Kunstwerke oder nur an einen Baum, den der Verblichene zu Lebzeiten gepflanzt hatte. Gleich wie - das Vermächtnis des oder der Toten wird mehr oder weniger bewahrt und ist Bestandteil der Trauerrituale.

Es soll sogar Menschen in unserem christlichen Kulturkreis geben, die in Würde Gealterte bereits zu Lebzeiten außerordentlich verehren und achten. Auch das erlebt man zuweilen in unserem Alltag. Und dies trotz Jugendwahn und Anti-Aging Kampagnen.

Nein ich bin kein Anhänger vom Totenkult. Und das nicht nur wegen der Wahrheit, dass der Nachruf immer besser ausfällt als der Ruf zu Lebzeiten.

Erinnerungs- und Mahnkultur sind wichtig, aber sie sollten ÖFFENTLICH zelebriert werden können. Das gilt insbesondere für die Opfer aktueller Militäreinsätze Deutschlands. Tausende von Kriegerdenkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges sind in der Zeit der Weimarer Demokratie errichtet worden, auf Friedhöfen, aber vor allem in der Öffentlichkeit der Dörfer und Städte. Auch Gedenkstätten für die Opfer anderer Völker, die an der Befreiung unserer Heimat von der Nazibarbarei beteiligt waren, gehören zum Alltag. Doch was geschieht mit dem Gedenken an die Bürger unseres Landes, die nicht mehr lebend aus einem der von einigen wenigen gewollten Auslandseinsätzen zurück kehren konnten? Ihnen werden Gedenksteine gesetzt - in den Camps fern der Heimat, im zuständigen Ministerium und kürzlich auf dem Gelände einer brandenburgischen Kaserne. Es wäre besser gewesen, durch eine kluge und vorausschauende Politik diese Opfer zu vermeiden. Sie mussten den Wahn einer Minderheit, die nach höherer internationaler Verantwortung und Gewalt strebt, mit ihrem Leben bezahlen.

Warum finden Stätten der Erinnerung und Mahnung keinen Platz in der Öffentlichkeit, in unseren Städten und Dörfern? Ist unsere Gesellschaft nicht reif genug, damit umzugehen? Wo sind die Denkmäler für die weit zahlreicheren und zeitlebens leidenden Opfer der neudeutschen Invasionspolitik? Gemeint sind die aus Auslandseinsätzen zurückgekehrten Verletzten, ernsthaft Verwundeten und die psychisch Traumatisierten, die ihre Familien und die Gesellschaft dauerhaft belasten.

Wo ist die Grenze des Ertragbaren beim Totenkult, vor allem wenn dieser politisch instrumentalisiert wird?

Sicher dort, wo es zu offiziellen Huldigungen gegenüber zweifelhaften Persönlichkeiten aus der deutschen Geschichte kommt. Dies habe ich als militärpolitischer Berater an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan ertragen müssen. Auf dem internationalen Friedhof in Kabul befindet sich unweit einer Gedenktafel für getötete Bundeswehrsoldaten der Grabstein des nationalsozialistischen Spions des Amtes Ausland/Abwehr Dr. med. Manfred Oberdörffer (1910 - 1941). Er hatte den Auftrag, islamische Paschtunenführer für einen Aufstand gegen die Briten in Indien zu gewinnen.

Der deutsche Botschafter ehrte gelegentlich die zweifelhaften Verdienste Oberdörffers, indem er auf seinem Grab Blumen niederlegte.

Dieser Botschafter erteilte mir 2007 den Auftrag, eine Tafel aus Marmor für den internationalen Friedhof in Kabul zu Ehren eines anderen zweifelhaften Helden der deutschen Geschichte, Oskar Ritter von Niedermayer, fertigen zu lassen. Die Aufschrift, deren handschriftlicher Entwurf mir vorliegt, sollte lauten:

"In Memoriam
Generalmajor Dr. Oskar Ritter von Niedermayer
Militärischer Führer
der deutschen Afghanistan-Mission 1915/16
Ordentlicher Professor der Universität Berlin
Kommandeur der 162. Turk-Infanteriedivision
geboren 1885 in Freising
gestorben 1948 in Wladimir/Russland
Berlin - Kabul - Moskau"

Die Ausführung dieses Auftrages verzögerte ich aus Gewissensgründen. Eine solche Tafel wurde nie fertig gestellt.

Auf eine solche Kultur des Gedenkens kann man doch gern verzichten. Infolge verlor der Botschafter sein Vertrauen mir gegenüber.

*

Quelle:
© 2014 by Jürgen Heiducoff
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang