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STANDPUNKT/025: Die Unfähigkeit zum Diskurs in der Grass-Debatte (NaturFreunde)


NaturFreunde Deutschlands - 10. April 2012

Die Unfähigkeit zum Diskurs in der Grass-Debatte

Warum wird über ein "Gedicht" debattiert, nicht aber den sich anbahnenden Krieg?



Berlin, 10. April 2012 - Im öffentlichen Kriegsgeschrei um den fälschlich als Gedicht bezeichneten Hilferuf "Was gesagt werden muss" von Günter Grass droht unterzugehen, um was es wirklich geht: die Warnung vor einem sich schleichend aufbauenden Krieg zwischen Israel und dem Iran. Deshalb erklärt der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller:

Der Hilferuf von Grass ist umstritten in der Form, literarisch nicht brillant, verkürzt in der Konfliktbeschreibung, missverständlich in der historischen Einordnung. Natürlich provoziert er falsche Fronten, schürt Rechthaberei und weckt Emotionen. Aber er ist notwendig. Schließlich geht es um einen äußerst bedrohlichen Vorgang, der bislang weitgehend verdrängt wurde.

Tatsächlich wird der Text einseitig ausgelegt, vor allem von den selbst ernannten Moralhütern der Political Correctness, die nun die große Keule gegen Grass auspacken. Sie wollen es diesem selbstgerechten "Gutmenschen" endlich einmal so richtig geben. Etwa der Welt-Kolumnist Henryk M. Broder, der den missverständlichen Grass wortreich, aber gewollt falsch versteht, polemisch verdreht und moralisch niedermacht, ohne auf den eigentlichen Kern des Hilferufs einzugehen. Dann doch lieber zehn Mal Grass als ein Mal Broder.

Die Gefahr eines unkalkulierbaren Krieges mit fundamentalen Folgen ist real

Dieser sich anbahnende Krieg ist viel zu ernst für billige Klischees und plumpe Unterstellungen, auch für die ängstlichen Abgrenzungen, wie sie von einigen Bundestagsabgeordneten aus der Kulisse kommen. Dringend notwendig ist es, sich viel intensiver mit der eigentlichen Sache zu beschäftigen, weil sie von den Kritikern so lautstark verschwiegen wird: Seit Monaten eskaliert der Atomkonflikt mit dem verblendeten Regime des Diktators Ahmadinedschad in Teheran, der sich bisher jeder diplomatisch-politischen Lösung entzieht. US-Präsident Barack Obama und zuletzt der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière warnen vor der auch von der israelischen Regierung angedrohten Eskalation der Gewalt. Letztlich geht es nicht nur um den Iran, sondern durch die Folgen des eigenen Handelns auch um die Existenz Israels.

Tatsächlich aber wird über Grass debattiert, nicht über den von ihm aufgezeigten Konflikt. Bislang sind wir kaum fähig zu begreifen, was wirklich auf uns zukommt: Die Gefahr eines unkalkulierbaren Krieges, der fundamentale Folgen für die Welt hätte, ist real. Statt die Debatte mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu führen, werden die Schubladen der Vorurteile geöffnet.

Hoch angereichertes Uran lässt sich nicht einfach wegbomben

Die bittere Wahrheit aber ist, dass hoch angereichertes Uran, ob nun für eine zivile oder militärische Nutzung, nicht einfach weggebombt werden kann. Wenn sie nicht nach neuen Wegen sucht, gerät die Politik immer tiefer in eine Sackgasse, an deren Ende der absehbare Militärschlag gegen den Iran steht. In der wohl konfliktreichsten Region der Welt werden längst die Weichen für einen Krieg gestellt. Deshalb stellt der Hilferuf von Günter Grass die berechtigte Frage: Warum sind wir nicht fähig, über das zu reden, um was es wirklich geht? Zeigt sich darin wieder das Dilemma der heutigen Politik, die immer mehr auf ein Management bereits eingetretener Krisen reduziert ist, aber kaum etwas zu ihrer Vermeidung bewerkstelligt?

Natürlich ist der Hilferuf von Grass verkürzt, natürlich klärt er wenig über die Zusammenhänge des Konflikts auf, natürlich behandelt er nicht unsere schwierige, von Auschwitz beladene Geschichte. Doch ist das schon ein Grund, ihm das Gegenteil zu unterstellen, Grass gleichsam in die Nähe von Rechtsextremisten zu rücken? Umgekehrt: Wäre denn der Hilfeschrei von Grass überhaupt durchgedrungen, wenn er ihn nicht zugespitzt hätte, ohne seine düstere Warnung und ohne seine Einseitigkeit? Dürfen sich die aufregen, die bisher so beredt geschwiegen haben? Müssen wir es hinnehmen, dass sie erst dann darüber klagen, wenn der Ernstfall eingetreten ist?

Der Konflikt um die Atomenergie bleibt ein Thema der Friedensbewegung

Günter Grass hat ein wichtiges Thema auf die Tagesordnung gesetzt, das nicht den Falken in aller Welt überlassen werden darf. Der Konflikt um die friedliche und militärische Nutzung der Atomenergie bleibt ein Thema der Friedensbewegung - in Deutschland, Europa und natürlich auch in der betroffenen Nahostregion. Das Internet hat schon in der Maghreb-Region deutlich gemacht, was selbst in schwierigen Konfliktlagen an Transparenz und Demokratisierung möglich ist. Das ist das, was wir jetzt auch im Iran und in Israel brauchen. Reden wir über das, was droht, und über das, was wir tun können, um den Wettlauf der Besessenen zu stoppen.

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Quelle:
Presseinformation vom 10.04.2012
Herausgeber: NaturFreunde Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2012