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FREE GAZA/154: Lügen und Manipulationen (jW)


Lügen und Manipulationen
Israel aktiviert Propagandamaschinerie zur Rechtfertigung seines Piratenaktes

Von Karin Leukefeld


Bei seinen Bemühungen, den blutigen Einsatz in internationalen Gewässern gegen einen zivilen Hilfskonvoi für Gaza am Montag morgen zu legitimieren, setzt Israel auf eine schamlose Denunzierung von Teilnehmern und Organisatoren. Nachzulesen sind die Darstellungen auf der Webseite des israelischen Außenministeriums. Die Israelischen Streitkräfte (IDF) liefern auf ihrer Webseite Videomaterial, das die Anschuldigungen untermauern soll. Alles war ausführlich im deutschen Fernsehen zu sehen. In einer Ansprache an die Nation (am Mittwoch abend) brachte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Sache auf den Punkt. Es habe sich bei der »Mavi Marmara« um ein »Boot des Hasses« gehandelt, dessen Passagiere »keine Pazifisten, keine Friedensaktivisten waren, sondern gewalttätige Unterstützer des Terrorismus«. Die Soldaten hätten in »Selbstverteidigung« gehandelt, das sei »kristallklar« und »jeder, der die Sache fair betrachtet und sich diese Videos ansieht, erkennt diese einfache Wahrheit«. Im übrigen sei Gaza ein »von den Iranern finanzierter Terrorstaat«, der auch die Länder bedrohe, »die uns heute kritisieren«.

Die Videos, auf die sich Netanjahu bezieht, sind ausgewählte Produkte der IDF und basieren teilweise auf Material, das Passagieren der »Mavi Marmara« und der anderen fünf Schiffe gestohlen wurde. Bordkameras, Hunderte Handys, Foto- und Filmkameras gelangten in die Hände der IDF, auf denen Bilder waren, die den Angriff aus Sicht der Angegriffenen dokumentieren. Israel benutzt dieses Material nun, um seine Sicht der Dinge zu untermauern. Der israelische Journalist Noam Sheizaf kritisiert den Diebstahl von Informationen auf seinem Internet-Blog (www.promisedlandblog.com): »Die israelische Armee bearbeitet jetzt das Filmmaterial und veröffentlicht es so, wie es in ihre Sicht der Dinge paßt.« Das Militär kontrolliere den Nachrichtenkreislauf und bringe alle grundsätzlichen Fragen über die Operation zum Schweigen. Drei Tage nach dem Sturm auf den Hilfskonvoi »wissen wir nur, was Israel uns wissen lassen will.«

Tatsächlich hat die israelische Armee offenbar seit langem manipuliert und sabotiert, um das humanitäre Unternehmen zu stoppen. Zwei kleinere Boote, die Challenger I und II mit jeweils 36 Passagieren mußten wegen Steuerproblemen ihre Fahrt abbrechen, eines der Schiffe nahm Wasser auf, nachdem eine Pumpe plötzlich ausfiel. Daß israelische Agenten dafür verantwortlich sein könnten, liegt nahe, wie die Äußerungen des stellvertretenden israelischen Verteidigungsministers, Matan Vilnai, zeigen. Auf die Frage, ob es nicht eine klügere Alternative gegeben habe, als die Schiff anzugreifen, sagte Vilnai im israelischen Rundfunk: »Tatsache ist doch, daß es weniger als die zehn Schiffe waren, die in der Flotte fah­ren sollten.« Ein namentlich nicht genannter IDF-Angehöriger erläuterte gegenüber einem Knesset-Ausschuß, es habe »graue Operationen« gegen die Flotte gegeben. Daß auch Agenten des israelischen Geheimdienstes an Bord waren, legt eine Aussage der Linken-Abgeordneten Inge Höger nahe. »Alle Passagiere an Deck wurden einzeln von Soldaten durchsucht, wobei sie vorbereitete Zugriffslisten dabei hatten, mit Porträtfotos vieler Passagiere«, sagte Höger gegenüber jW. Die Fotos seien bei einer Vorbesprechung auf Kreta gemacht worden, so Höger weiter.

Zu den »grauen Operationen« gehörte vermutlich auch das Absetzen unzähliger Droh- und Beleidigungsanrufe und E-Mails, die bei den Organisatoren des Hilfskonvois ankamen. Verwirrung stiften sollte offenbar auch eine manipulierte E-Mail-Nachricht angeblich vom Vorstand der Linken, die am Montag den Tod der Bundestagsabgeordneten Inge Höger bei der Erstürmung der »Mavi Marmara« meldete. Die Pressestelle der Partei reagierte umgehend und stellte richtig: »Diese Meldung ist eine Fälschung, die nicht von der Linken versandt wurde.«


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Quelle:
junge Welt vom 04.06.2010
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2010