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FREE GAZA/035: Israels Desinformationskampagne gegen die "Gaza Freedom Flotilla" (ISM)


International Solidarity Movement (ISM) - Pressemitteilung vom 28. Mai 2010

Israels Desinformationskampagne gegen die "Gaza Freedom"-Flottille

Israelische Desinformation kann die Blockade Gazas nicht verheimlichen


Seit über vier Jahren unterwirft Israel die Zivilbevölkerung Gazas einer zunehmend schärferen Blockade, mit der Folge einer menschengemachten, humanitären Katastrophe dramatischen Ausmaßes. Anfang des Monats hat John Ging, der geschäftsführende Direktor der UNO-Hilfsagentur für die Palästinaflüchtlinge (UNRWA) in Gaza, die internationale Gemeinschaft aufgefordert, die Blockade des Gazastreifens durch die Entsendung von Schiffen mit Hilfsgütern zu brechen. An diesem Wochenende werden neun Zivilschiffe mit 700 Menschenrechtsverfechtern aus 40 Ländern und 10.000 Tonnen Hilfsgütern genau diesen Versuch unternehmen: mit einer gewaltfreien, direkten Aktion die illegale militärische Blockade des Gazastreifens durchbrechen. Die israelische Regierung hat in einer Reaktion darauf angedroht, die 'Hälfte' ihrer Marine loszuschicken, um unsere Flottille gewaltsam aufzuhalten, und eine Täuschungskampagne mit Falschinformationen über unsere Mission losgetreten.

Israel behauptet, daß es zur Zeit keine humanitäre Krise in Gaza gibt. Jede in Gaza tätige internationale Hilfsorganisation hat diese Krise detailreich mit Tatsachen dokumentiert. Anfang dieser Woche hat der der jährliche Menschenrechtsbericht von Amnesty International dargelegt, daß die israelische Blockade von Gaza die "humanitäre Krise verschärft hat. Massenarbeitslosigkeit, extreme Armut, Nahrungsmittelunsicherheit und steigende Lebensmittelpreise durch Verknappung führen dazu, daß vier von fünf Gaza-Bewohnern auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Das Ausmaß der Abriegelung sowie Erklärungen von offizieller israelischer Seite über ihren Sinn zeigen, daß man sie den Bewohnern von Gaza als eine Art Kollektvistrafe auferlegt hat, was eine eklatante Verletzung des internationalen Rechts darstellt".[1]

Israelische Desinformation kann die Blockade Gazas nicht verheimlichen

Israelische Desinformation
kann die Blockade Gazas
nicht verheimlichen
Israel behauptet, daß seine Blockade sich einfach nur gegen die Hamas-Regierung in Gaza richtet und sich auf sogenannte 'sicherheitsrelevante' Dinge beschränkt. Als US-Senator John Kerry Gaza im letzten Jahr besuchte, war er schockiert, als er entdecken mußte, daß die israelische Blockade Grundnahrungsmittel wie Linsen, Maccaroni und Tomatenmark einschließt.[2] Darüber hinaus hat Gisha, das israelische Zentrum für das Recht auf Bewegungsfreiheit (Legal Center for Freedom of Movement), zahlreiche offizielle Erklärungen der israelischen Regierung dokumentiert, daß der Sinn der Blockade ist, 'Druck' auf die palästinensische Bevölkerung auszuüben, und kollektive Bestrafung ist ein Vergehen nach internationalem Recht. [3]

Israel behauptet, daß wir nur die 'offiziellen Kanäle' zu nutzen brauchen, wenn wir Hilfe nach Gaza schicken wollen, ihnen also die Hilfsgüter übergeben sollen, die sie dann ausliefern würden. Diese Erklärung ist lächerlich und beleidigend zugleich: Ihre Blockade und ihre 'offiziellen Kanäle' sind das, was die humanitäre Krise in erster Linie verursacht.

Dem früheren US-Präsidenten Jimmy Carter zufolge werden: "die Palästinenser in Gaza förmlich zu 'Tode gehungert', weil sie weniger Kaloreien am Tag erhalten, als Menschen in den ärmsten Regionen Afrikas. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die begangen wird, um die Menschen in Gaza zu bestrafen. Es ist ein Verbrechen... und abscheulich, daß man zuläßt, daß es so weitergeht. Tragischerweise ignoriert die internationale Gemeinschaft im Großen und Ganzen die Schreie um Hilfe, während die Bürger von Gaza mehr wie Tiere und nicht wie Menschen behandelt werden."[4]

Israel behauptet, daß wir uns geweigert haben, einen Brief und ein Paket von Gilad Shalits Vater zu überbringen. Das ist eine glatte Lüge. Die Anwälte, die Shalits Familie vertreten, haben sich erstmals am Mittwochabend mit uns in Verbindung gesetzt, wenige Stunden, bevor wir aus Griechenland ablegen wollten. Der irische Senator Mark Daly (Kerry), einer der 35 Parlamentarier, die unserer Flottille angehören, hat eingewilligt, einen Brief mitzunehmen und zu versuchen, ihn Shalit zu übergeben oder ihn, sollte seine Bitte abgeschlagen werden, Offiziellen der Hamas-Regierung zu übergeben. Seit diesem Schreiben haben die Anwälte sich nicht mehr bei Senator Daly gemeldet, sondern haben es stattdessen vorgezogen, uns in der israelischen Presse zu verleumden.[5] Wir haben uns immer für die Freilassung aller politischen Gefangenen in diesem Konflikt eingesetzt, einschließlich der 11.000 palästinensischen Gefangenen, die in israelischen Gefängnissen darben, darunter Hunderte inhaftierte Kinder.[6]

Am verabscheuungswürdigsten von allem ist, daß Israel behauptet, wir verletzten internationales Recht, weil wir mit unbewaffneten Schiffen und einer Ladung von Hilfsgütern zu einem Volk reisen, das sich in einer verzweifelten Notlage befindet. Diese Behauptungen zeigen nur, wie tief der politische Diskurs in Israel gesunken ist.

Trotz des medienwirksamen Rückzugs aus den illegalen Siedlungen und seiner Militärpräsenz in Gaza im August, September 2005 behält Israel die "reale Kontrolle" über den Gazastreifen und bleibt aus dem Grunde eine Besatzungsmacht mit bestimmten Verpflichtungen.[7] Eine der grundlegendsten Verpflichtungen Israels als Besatzungsmacht ist es, für das Wohlergehen der palästinensischen Zivilbevölkerung zu sorgen. Eine Besatzungsmacht hat die Pflicht, die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungs- und Arzneimitteln sowie Krankenhäuser und andere medizinische Dienstleistungen "mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln" (G IV, Artikel 55, 56) sicherzustellen. Das schließt den Schutz ziviler Krankenhäuser, medizinischen Personals und der Verwundeten und Kranken mit ein. Darüber hinaus ist es ein grundlegendes Prinzip der Internationalen Menschenrechte sowie der Landesgesetze zivilisierter Nationen, daß kollektive Bestrafung einer Zivilbevölkerung verboten ist. (G IV, Artikel 33)

Israel hat seine Authorität als Besatzungsmacht aufs gröbste mißbraucht und es nicht nur versäumt, für das Wohlergehen der palästinensischen Zivilbevölkerung zu sorgen, sondern Strategien zur kollektiven Bestrafung der Palästinenser in Gaza installiert. Von Kürzungen der Versorgung mit Treibstoff und Strom, die den ordnungsgemäßen Betrieb von Krankenhäusern unmöglich machen, bis hin zur mutwilligen Verhinderung humanitärer Hilfslieferungen über die von Israel kontrollierten Grenzen, hat Israels Gaza-Politik dort zu einer menschengemachten, humanitären Katastrophe geführt. Die derzeitige Notlage in Gaza ist also das Ergebnis der von Israel absichtlich verfolgten Strategie, die Menschen in Gaza zu bestrafen. Um diese verheerenden Bedingungen, denen man die Menschen unterwirft, zu ändern, muß man sich daran machen, die Politik zu ändern, die diese Krise verursacht. Die Vereinten Nationen haben die nahezu hermetische Abriegelung Gazas durch Israel als "kollektive Bestrafung" [8] bezeichnet, die unter Artikel 33 der Vierten Genfer Konvention strengstens verboten ist. Alle Nationen, die die Konvention unterzeichnet haben, haben die Verpflichtung, zu gewährleisten, daß ihre Vorgaben eingehalten werden.[9]

Eingedenk des weiteren und anhaltenden Unvermögens der internationalen Gemeinschaft, ihre eigenen Gesetze durchzusetzen und die Menschen in Gaza zu beschützen, sind wir der festen Überzeugung, daß wir als Bürger der Erde eine moralische Verpflichtung haben, durch Akte gewaltfreien, zivilen Widerstands direkt einzuschreiten, um die internationalen Prinzipien aufrechtzuerhalten. Israelische Drohungen und Einschüchterungsversuche werden uns nicht davon abhalten. Wir werden wieder und wieder und wieder nach Gaza segeln, bis diese Belagerung für immer ein Ende hat und die Palästinenser freien Zugang zur Welt haben.


Anmerkungen

[1] Amnesty International, Jährlicher Menschenrechtsbericht (Annual Human Rights Report), (26. Mai 2010); http://thereport.amnesty.org

[2] "Die Pasta, das Papier und die Hörhilfen, die Israels Sicherheit gefährden könnten" ("The pasta, paper and hearing aids that could threaten Israeli security"), The Independent (2. März 2009)

[3] "Einschränkungen für den Transport von Waren nach Gaza: Behinderung und Verdunkelung" ("Restrictions on the transfer of goods to Gaza: Obstruction and obfuscation"), Gisha (Januar 2010)

[4] "Carter bezeichnet die Gazablockade als 'Verbrechen und Ungeheuerlichkeit'" ("Carter calls Gaza blockade 'a crime and atrocity'"), Haaretz (17. April 2008),
http://www.haaretz.com/news/carter-calls-gaza-blockade-a-crime-and- atrocity-1.244176

[5] "Gaza-Hilfskonvoi weigert sich, Gilat Shalit ein Paket zu bringen" ("Gaza aid convoy refuses to deliver package to Gilad Shalit"), Haaretz (27. Mai 2010)

[6] "Allgemeiner Bericht über die Lage der palästinensischen politischen Gefangenen" ("Comprehensive Report on Status of Palestinian Political Prisoners"), Sumoud (Juni 2004); Palästinensische Kinder als politische Gefangene (Palestinian Children Political Prisoners), Addameer, http://www.addameer.org/detention/children.html

[7] Artikel 42 der Haager Konvention legt fest: "Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann." In gleicher Weise erklärte das Nürnberger Tribunal im "Geiselmordprozeß", daß "das Kriterium für die Anwendung der Besatzungsregeln nicht ist, ob die Besatzungsmacht scheitert, effektive Kontrolle über das Territorium zu erlangen, sondern ob sie in der Lage ist, eine solche Macht auszuüben." Palästinenser, die im Gazastreifen leben, unterliegen weiterhin, wie in der Westbank, der israelischen Kontrolle. Israel kontrolliert beispielsweise den Luftraum von Gaza, die territorialen Gewässer und alle Grenzübergänge. Palästinenser in Gaza brauchen die Zustimmung Israels, um von und nach Gaza zu reisen, ihre Waren auf den palästinensischen oder einen ausländischen Märkt zu bringen, Nahrungsmittel und Medikamente zu erwerbeung und für den Zugang zu Wasser und Elektrizität. Ohne Israels Erlaubnis kann die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) keine so grundlegenden Regierungsgeschäfte erledigen, wie soziale, Gesundheits-, Sicherheitsleistungen sowie die Versorgung mit Wasser, Strom etc., die palästinensische Wirtschaft voranbringen und Ressourcen verteilen.

[8] John Holmes, Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat zur Lage im Nahen Osten einschließlich der Palästinenserfrage, 27. Januar 2009.

[9] Konvention (IV), die sich auf den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten bezieht, Genf, 12. August 1949, Artikel I besagt: "Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, das vorliegende Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen." Siehe auch: Rechtliche Folgen des Mauerbaus auf besetztem palästinensischen Territorium (Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory), Gutachten, I. C. J. Reports 2004, S. 136, auf S. 138; http://www.icj-cij.org/docket/files/131/1671.pdf.

Link zur englischen Originalmeldung:
http://palsolidarity.org/2010/05/israels-disinformation-campaign-against-the-gaza-freedom-flotilla/


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Quelle:
ISM - International Solidarity Movement
Pressemitteilung, 28.05.2010
ISM Media Office
Telefon: +972-2/297 18 24
E-Mail: info@palsolidarity.org
Internet: www.palsolidarity.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2010