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ATTAC/1092: Bundeskanzlerin soll sich für die Finanztransaktionssteuer einsetzen


Pressemitteilung
"Steuer gegen Armut"
27. Oktober 2010

* Bundeskanzlerin soll sich für die Finanztransaktionssteuer einsetzen
* Brief des Kampagnenbündnisses "Steuer gegen Armut" an Merkel


In einem Brief an die Bundeskanzlerin fordert das Kampagnenbündnis "Steuer gegen Armut" heute Angela Merkel dringend auf, sich bei der bevorstehenden Tagung des Europäischen Rats am morgigen Donnerstag mit Elan für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) einzusetzen.

"Die Bundeskanzlerin hat sich mehrfach in der Öffentlichkeit, in der G20 und der EU für die FTT engagiert und deutlich gemacht, dass die Finanzindustrie für den enormen Schaden, den sie angerichtet hat, in die Verantwortung genommen werden muss. Es geht darum, dass die Branche sich angemessen an den Kosten der Krisenlasten beteiligt und destabilisierende Spekulationsgeschäfte zukünftig eingeschränkt werden. Dazu ist die FTT ein ideales Instrument", sagte der Moderator der Kampagne, Jesuitenpater Jörg Alt.

Die Beschlussvorlage, die das Sekretariat des EU-Rates dazu am 14. Oktober vorlegte (Schriftstück 14946/10), stehe diesen Zielen allerdings diametral entgegen. Die Hauptsorge der Vorlage sei es, den "Finanzsektor der EU nicht zu überlasten" und ihn vor angeblichen Wettbewerbsnachteilen und Doppelbesteuerung zu schützen. "Die Vorlage liest sich so, als sei sie von der Bankenlobby selbst geschrieben" stellte Detlev von Larcher vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac, einem der Kampagnenträger, fest.

Peter Wahl von Weed, ebenfalls einer der Kampagnenträger, ergänzte: "In Zeiten, in denen die öffentlichen Haushalte wegen der Krise hoch verschuldet sind, die Bürgerinnen und Bürger überall mit Kürzungen konfrontiert und allenthalben zur Kasse gebeten werden, wäre es ein Zynismus ohnegleichen, die Finanzindustrie ungeschoren davonkommen zu lassen. Die tiefe Skepsis gegenüber einer EU, in der Boni und die Profite der Banken Vorrang vor dem Allgemeinwohl haben, würde vertieft."

"Die Bundesregierung muss alles daransetzen, der Finanztransaktionssteuer in Europa zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn es keine Einstimmigkeit im Rat der 27 Mitgliedsstaaten dazu gibt, dann müssen die 16 Länder der Euro-Zone vorangehen. Denn bei einem derart geringen Steuersatz von 0,05 oder 0,1 Prozent sind Ausweich- oder Abwanderungsreaktionen kaum zu erwarten", sagte Claus Matecki vom DGB-Bundesvorstand, dessen Organisation ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der Kampagne gehört.



Der Brief an die Bundeskanzlerin (auch im Anhang):
http://kurzlink.de/Brief_Merkel


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Kampagne Steuer gegen Armut, c/o Jesuitenmission
P. Dr. Jörg Alt SJ, Königstraße 64, D-90402 Nürnberg

Frau Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

Per Fax vorab an Nr. 030-184002357

27.10.2010

Betrifft: Einführung von Finanztransaktionssteuer in Europa

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

im Hinblick auf die bevorstehende Tagung des Europäischen Rats Ende dieser Woche in Brüssel möchten wir Sie bitten, sich erneut für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) einzusetzen.

Sie haben sich mehrfach in der Öffentlichkeit, in der G20 und der EU für die FTT engagiert, und deutlich gemacht, dass die Finanzindustrie für den enormen Schaden, den sie angerichtet hat, in die Verantwortung genommen werden muss. Es geht darum, dass die Branche sich angemessen an den Kosten der Krisenlasten beteiligt und destabilisierende Spekulationsgeschäfte zukünftig eingeschränkt werden. Dazu ist die FTT ein ideales Instrument.

Die Beschlussvorlage, die das Sekretariat des EU-Rates dazu am 14. Oktober vorlegte (Schriftstück 14946/10), steht diesen Zielen allerdings diametral entgegen. Die Hauptsorge der Vorlage ist es, den "Finanzsektor der EU nicht zu überlasten" und ihn vor vermeintlichen Wettbewerbsnachteilen und Doppelbesteuerung zu schützen. Wie deutlich der Finanzsektor in den Ländern der Europäischen Union im Verhältnis zu anderen Branchen unterbesteuert ist, verschweigt die Vorlage. Dabei ist es auch öffentlich kaum vermittelbar, dass alle Güter - auch die existentiellen - mit einer Umsatzsteuer von bis zu 19% besteuert werden, alle Finanzprodukte aber steuerfrei gehandelt werden.

Der Vorlage erscheint dann selbst ein Instrument wie die Bankenabgabe als grundlegende Gefährdung des Finanzsektors. Dass einige unbelehrbare Bankenverbände für eine so einseitig interessengeleitete Position Lobby machen, ist dabei nicht neu.

Mit derartig einseitigen Positionen würde sich der Rat im Übrigen deutlich von anderen politischen Gremien der EU entfernen. So haben sich jüngst sowohl das Europäischen Parlament als auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) mehrheitlich positiv zur Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Auch zivilgesellschaftliche Kampagnen in vielen Mitgliedstaaten, die - wie die Kampagne "Steuer gegen Armut" in Deutschland - breit getragen werden, stoßen auf eine große Resonanz in der Bevölkerung.

Die Menschen in der EU erwarten von den Politikern, dass sie die Verursacher der Krise nicht weitermachen lassen, als wäre nichts geschehen, als hätte das Finanzsystem vor zwei Jahren nicht vor dem Abgrund gestanden. In Zeiten, in denen die öffentlichen Haushalte wegen der Krisenbekämpfung hoch verschuldet sind und die Bürgerinnen und Bürger auf allen politischen Ebenen mit Kürzungen konfrontiert sind, wäre es ein fatales politisches Zeichen, auf Basis falscher Argumente auf ein Instrument zu verzichten, das regulierend und präventiv eingreift und vor allem dringend benötigtes Geld für die öffentlichen Haushalte bringt. Ein leichtfertiger Verzicht auf die FTT könnte die Skepsis vieler Menschen gegenüber einer EU vertiefen, in der Boni und die Profite der Banken Vorrang vor dem Allgemeinwohl haben.

Wir bitten Sie deshalb nachdrücklich darum, sich im Sinne Ihrer öffentlicher Äußerungen, dafür starkzumachen, dass die Finanztransaktionssteuer in der EU eingeführt wird und Partikularinteressen im Gewand vermeintlicher Sachargumente keine Definitionsmacht erhalten.

Auch möchten wir Sie an die Zusage der Bundesregierung erinnern, die Finanztransaktionssteuer ggf. auch nur in der Eurozone einzuführen. Wir hoffen, dass Sie den Prozess in diesem Sinne in und für Europa beschleunigen, und verbleiben

Hochachtungsvoll

P. Klaus Väthröder SJ
Leiter d. Jesuitenmission
Initiator der Kampagne "Steuer gegen Armut"
P. Dr. Jörg Alt SJ
stellv. Leiter d. Jesuitenmission
Moderator der Kampagne "Steuer gegen Armut"

Für das Steering Committee der Kampagne "Steuer gegen Armut"
(in alphabetischer Reihenfolge)
gez. Paul Bendix, Geschäftsführer, Oxfam Deutschland
gez. Detlev v. Larcher, Attac-Koordinierungskreis
gez. Claus Matecki, Geschäftsführender Bundesvorstand, DGB
gez. Peter Wahl, WEED


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Quelle:
Pressemitteilung vom 27.10.2010
Pressesprecherin Attac Deutschland
Frauke Distelrath
Post: Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M
Tel.: 069/900 281-42; Fax: 069/900 281-99
E-Mail: presse@attac.de
Internet: www.attac.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2010