Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT


STANDPUNKT/180: Zum neuen Traditionserlaß der Bundeswehr - Wieviel Wehrmacht soll es sein? (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 3 / 2018
Magazin der DFG-VK

"Einsatzwert und Kampfkraft erhöhen!"
Zum neuen Traditionserlass der Bundeswehr: Wieviel Wehrmacht soll es sein?

Von Frank Brendle


In der Bundeswehr schien sich im vergangenen Jahr ein Abschied von der Wehrmacht anzudeuten: Aufgescheucht durch den Skandal um den rechtsextremen Bundeswehroffizier Franco A. und das Auftauchen neuer Gewaltvideos aus der Truppe, veranlasste die Verteidigungsministerin eine Art Generalrevision in den Kasernen, um Wehrmachtsdevotionalien aufzustöbern und, sofern sie nicht explizit Gegenstand musealer Exposition sind, wegräumen zu lassen. Außerdem legte sich die Ministerin darauf fest, dass der Name der nach einem Wehrmachtsoffizier benannten Lent-Kaserne im niedersächsischen Rothenburg nicht mehr tragbar sei. Wie es die Bundeswehr mit militärischer Tradition halte, solle ein neuer Traditionserlass regeln.

Dieser neue Erlass ist seit März dieses Jahres in Kraft. In den Medien war die Einschätzung verbreitet, er sei gegenüber der Wehrmacht sehr viel distanzierter als der bisherige. Das darf wohl bezweifelt werden.

Offiziell begründet wurde der neue Erlass damit, dass der alte von 1982 stamme und angesichts von Wiedervereinigung und Auslandseinsätzen überholungsbedürftig sei.

Im neuen Erlass wird nun auf wenigen Seiten ein Parforceritt durch die neuere deutsche Militärgeschichte unternommen und gleich angedeutet, was man davon zu halten hat: Die Armeen des 19. Jahrhunderts als "stabilisierender Bestandteil einer dynastischen Ordnung", die Reichswehr als Verein, der zwar auf die Verfassung eingeschworen war, aber gleichwohl "einem antirepublikanischen Geist verhaftet" blieb, die Wehrmacht, über die hier noch ausführlicher zu reden sein wird, die Nationale Volksarmee (NVA) als Säule der SED-Herrschaft und schließlich die Bundeswehr als, naja, Supertruppe, die "militärische Leistungsfähigkeit und soldatische Pflichten mit demokratischen Rechten vereint."

Bereits an dieser Stelle ist dem lesenden Soldaten aufgegeben, sich angesichts der deutschen Militärgeschichte "mit ihren Höhen, aber auch ihren Abgründen" bewusst darüber zu werden, dass in jeder Epoche etwas dabei sei, das auch dem Hauptgebot des Erlasses, "auf Grundlage der Werteordnung des Grundgesetzes" zu stehen, entspreche. Aus dem Kaiserreich etwa das "Führen von vorne" oder die Einführung eines Generalstabes als "fortschrittliche und richtungsweisende Verfahren". Obwohl das eigentlich eher technische als wertegebundene Innovationen waren.

Was die Traditionsbildung in der Truppe eigentlich soll, erklärt der Erlass gleich auf der ersten Seite: "Sie schafft und stärkt Identifikation, unterstützt eine verantwortungsvolle Aufgabenerfüllung und erhöht Einsatzwert und Kampfkraft."

Zum Kampf anspornende Vorbilder? Da war man in den 1990ern, als die Bundeswehr auf den Auslandseinsatz umgepolt worden war, noch beinahe zwangsläufig bei der Wehrmacht gelandet. Nicht unbedingt wegen, aber immerhin doch trotz ihrer Verbrechen - es war einfach das jüngste Beispiel einer Armee, die "heroische" Kriege (im Sinne Herfried Münklers) führte, deren Angehörige also in treuer Pflicht und (!) überzeugter Hingabe ihr Leben für eine vermeintlich höhere Sache zu opfern bereit gewesen seien. Kein Wunder, dass etwa der frühere KSK-Kommandeur Reinhard Günzel das Vorbild für seine Elitetruppe ausdrücklich bei den "Brandenburgern" sah, einer ebenso elitären Einheit der Wehrmacht.

In die Welt zu ziehen, um neben ein paar Brunnen Frieden und Gerechtigkeit zu exportieren, aber gleichzeitig alten Wehrmachtsplunder im Tornister mitzuführen, das ergab freilich ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem und war zudem stets skandalträchtig. Daher gibt es seit Jahren Bestrebungen, die Bundeswehr dahingehend zu modernisieren, die alten Wehrmachts-Zöpfe endlich abzuschneiden und die Einsatzorientierung mit eigener Tradition zu begründen.

An dieser Stelle unterscheidet sich der neue am deutlichsten vom alten Erlass: Wurde in diesem noch vermerkt, die Bundeswehr pflege "bereits" eigene Traditionen, an die künftig angeknüpft werden solle, heißt es nun ganz klar: "Zentraler Bezugspunkt der Tradition der Bundeswehr sind ihre eigene, lange Geschichte und die Leistungen ihrer Soldatinnen und Soldaten", dabei explizit auch ihre "Bewährung in Einsätzen und im Gefecht" betonend.

Ursula von der Leyen hatte für die Unterzeichnung des Erlasses ein wohldurchdachtes Setting gewählt: Die Umbenennung der Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover in Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne.

Der alte Namensgeber war ein kaiserlicher Offizier, der neue ein Feldjäger der Bundeswehr, der 2011 in Afghanistan bei einem Anschlag ums Leben kam. In Soldatenforen wurde zwar sofort erkannt, dass das ein politisch motiviertes Manöver war. Der Feldjäger habe zwar seine Pflicht getan, aber keine "besonderen" Verdienste erworben. Aber um die politische Botschaft ging es ja auch: Weg mit alten Zöpfen, Bundeswehr zuerst!

Und doch: Ganz aussterben soll das Gedenken an die Wehrmacht doch nicht. Ihrer verbrecherischen Rolle im Zweiten Weltkrieg werden zwar ein paar Zeilen mehr gewidmet als noch 1982, aber ähnlich verschwurbelt: Die Wehrmacht "diente dem nationalsozialistischen Unrechtsregime und war in dessen (sic!) Verbrechen schuldhaft verstrickt", und sie sei zu einem "Instrument der rassenideologischen Kriegsführung" geworden. Die Wehrmacht erscheint hier als bloßes Instrument, das in etwas "verstrickt" war, was eigentlich ein anderer Akteur (das Unrechtsregime) zu verantworten hat. Verbrechen der Wehrmacht aus eigenem Antrieb scheint es nie gegeben zu haben.

Interessant ist allerdings: Während der alte Traditionserlass die Frage, ob Wehrmachtsangehörige irgendwie vorbildhaft sein könnten, überhaupt nicht thematisierte, wird im neuen Erlass ausdrücklich festgehalten, dass dies "grundsätzlich möglich" sei, und zwar nach einem sorgfältigen "Abwägen", das die Frage persönlicher Schuld "berücksichtigen" müsse. Zwingend wird zudem eine Leistung erwartet, die "vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt", genannt werden die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen Hitler oder Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.

Das Vorliegen persönlicher Schuld (also die "Verstrickung" in Kriegsverbrechen) ist demnach kein zwingendes Ausschlusskriterium, sondern durch Widerstand oder Hilfe bei der Wiederbewaffnung aufrechenbar. So vermeidet es die Bundeswehr, Figuren wie Heusinger (militärischer Chefplaner unter Hitler und später erster Generalinspekteur unter Adenauer) oder manchen Offizier des 20. Juli von der Liste streichen zu müssen. Das Hintertürchen zur Wehrmacht, das sich die Bundeswehr bislang in der Praxis immer offen gehalten hat, ist jetzt erstmals in einem Traditionserlass ausdrücklich verankert. Das kann man militärreformerisch als eingrenzende Regulierung betrachten, oder antifaschistisch als Ausdruck nach wie vor fehlenden Distanzierungswillens.

Der drückt sich auch darin aus, dass sich von der Leyen ausdrücklich für die Beibehaltung der beiden Rommel-Kasernen einsetzt. Nun ist die Forschungslage nicht ganz eindeutig, es mag sein, dass Rommel im Sommer 1944 von Attentatsplänen hat läuten hören, aber ein Widerstandskämpfer war er ganz sicher nicht. Dabei heißt es doch im neuen Erlass, dass bestehende Kasernennamen dem Traditionserlass entsprechen müssen.

Im Fall der Lent-Kaserne gibt es einen regelrechten Machtkampf: Das Ministerium will die Umbenennung (Lent hatte bis kurz vor seinem Tod im Herbst 1944 blutrünstige Durchhalteparolen von sich gegeben), der Standort sperrt sich, jetzt wird dort wahrscheinlich ein erneuter "Meinungsbildungsprozess" von oben angeregt, so lange, bis die Truppe endlich spurt. (siehe dazu ZivilCourage 5/2016)

Ein kurzes Wort zur NVA: Vereinzelt war zu lesen, diese werde mit der Wehrmacht gleichgesetzt. Diese Kritik geht zu weit, hat aber immerhin zum expliziten Hinweis im Erlass geführt, dass die NVA 1989 nicht hat auf Demonstranten schießen lassen. Ansonsten gilt das gleiche wie für die Wehrmacht: In Einzelfällen können auch NVA-Angehörige Vorbilder sein (was bislang aber keinem gelungen ist).

Nebenbei: Ob Tradition (egal ob mit Blick auf Wehrmacht oder Bundeswehr) tatsächlich dazu beiträgt, den Kampfwillen zu stärken, oder ob das lediglich ein Wunsch der Polit- und Militärführung ist, scheint nicht ausgemacht. In Militärzeitschriften ist dazu Widersprüchliches zu lesen, und eine umfassende empirische Untersuchung dazu gibt es bislang nicht.

Mangelnden Distanzierungswillen kann man der Bundeswehr, empirisch gestützt, noch in anderer Hinsicht vorwerfen: Im Umgang mit Soldaten, die rechtsextremen Umtrieben nachgehen.

Die Linksfraktion im Bundestag fragt seit einiger Zeit Details zu den Vorfällen ab, die dem Wehrbeauftragten gemeldet wurden, und wie anschließend mit den betreffenden Soldaten verfahren wurde. Und da stellt sich heraus, dass die Truppe nicht immer, aber immer wieder an Soldaten, die Naziparolen grölen oder Hakenkreuze schmieren, festhält, ja, ihnen sogar den weiteren Zugang zu Waffen gestattet.

Da posiert jemand mit einer Hakenkreuz-Tasse, spielt Kameraden Musik von Nazigruppen vor, freut sich auf den Mali-Einsatz, weil er dort "den Schwarzen die Köpfe wegschießen" könne, entlarvt sich selbst als Reichsbürger, beleidigt eine Kameradin mit "Heil Hitler, du Fotze", entbietet ausgerechnet gegenüber Polizisten den Hitlergruß - und kommt teilweise mit Verwarnungen oder Disziplinarbußen davon, wird aber weiter an der Waffe ausgebildet. Manchmal werden die Betreffenden auch vorzeitig entlassen - der Umgang ist uneinheitlich, weil, wie das Ministerium betont, vom jeweiligen Kommandanten stets der "Einzelfall" geprüft werde.

162 Meldungen waren voriges Jahr verzeichnet (99 mehr als 2016). Um auch einmal etwas Positives herauszustellen: Es scheint tatsächlich mehr Soldaten als früher zu geben, die bereit sind, rechtsextremes Verhalten ihrer Kameraden zur Meldung zu bringen. Eigentlich keine schlechte Sache. Wenn diese Soldaten dann aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihre braunen Kameraden bei der Truppe verbleiben, erhalten sie postwendend das Signal, dass sich das Risiko, als Denunziant oder Kameradenschwein zu gelten, nicht rentiert.

Unterm Strich zeigt sich, dass die Bundeswehr nach wie vor nicht bereit ist, sich dem Rechtsextremismusproblem in ihren Reihen zu stellen. Was soll sie auch machen, außer an Symptomen herumzudoktern? Denn Neonazis fühlen sich ja von gewaltaffinen, patriarchalen Strukturen überdurchschnittlich angezogen. Bundeswehr abschaffen, wäre daher auch für den Antifaschismus die richtige Forderung.

Frank Brendle ist aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.

*

Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 3 / 2018, S. 13 - 15
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: fünf Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro inklusive Porto
Einzelheft: 2,80 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang