ZivilCourage Nr. 4 - Oktober 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Eine strategische Chance für die DFG-VK
Die "Sustainable Development Goals" (nachhaltigen Entwicklungsziele)
der Vereinten Nationen
Von Ursula Neideck
In der Zivilcourage 1/2016 erschien die Denkschrift "Aufstehen und gemeinsam handeln! Denkschrift zur Erneuerung des politischen Pazifismus" und das Manifest "Schutze der Menschenrechte durch Prävention".(*) Beide Beiträge sind ein wertvoller Anstoß für eine Debatte über die zukünftige strategische Ausrichtung der DFG-VK. Diesen Faden greifen die folgenden Gedanken auf.
Die Denkschrift fordert eine motivierende Aufbruchsstimmung, durch die es gelingt, auch Nichtmitglieder für die Ziele der DFG-VK zu gewinnen. Hilfreich hierfür ist es, wenn man mit ebendiesen Zielen an eine breitere politische Debatte anknüpfen kann. Beide Texte liefern auch schon einen deutlichen Hinweis, wo solche Anknüpfungspunkte liegen könnten. Sie verweisen an verschiedenen Stellen klar auf den engen Zusammenhang zwischen Frieden, Entwicklung, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit.
Das Manifest spricht in diesem Zusammenhang die Agenda 2030 der Vereinten Nationen an. Es bezeichnet sie als wichtiges internationales Dokument für kohärentes und präventives Handeln in den oben genannten Bereichen und fordert ihre ambitionierte Umsetzung. Grund genug, sich genauer mit besagter Agenda 2050 zu beschäftigen.
Grundlage sind die im vergangenen Jahr beschlossenen "Sustainable Development Goals" (SDGs). Sie sind der Nachfolger der Millenniums-Entwicklungsziele, die für die Zeit bis 2015 formuliert worden waren.
Agenda 2030
Im September 2015 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die in einem mehr als dreijährigen internationalen Vorbereitungsprozess entwickelte "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" verabschiedet. Diese ist ein globaler Aktionsplan, mit dem die Uno-Mitgliedsstaaten einen Fahrplan zur "Transformation der Welt zum Besseren" im Sinne einer nachhaltigen Umgestaltung von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt bis zum Jahr 2030 entwickelt haben. Die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGS = Sustainable Development Goals) der Agenda werden in insgesamt 169 Unterziele konkretisiert.
Die folgenden neuen 17 Ziele sollen nun bis 2030 erreicht
werden:
(Quelle: www.nachhaltige-entwicklungsziele.de/; z.T. leicht gekürzt)
Diese 17 Ziele werden in insgesamt 169 Unterzielen konkretisiert. Neu
ist, dass sie nicht, wie noch die Millenniumsziele, nur für die sog.
Entwicklungsländer gelten. Auch die Industrienationen sind aufgerufen,
durch geeignete politische Maßnahmen zur Verwirklichung der SDGS
sowohl im eigenen Land als auch weltweit beizutragen. Sie sind somit
gültige Richtschnur für die deutsche Politik in allen Bereichen.
Gerade das macht sie für die Friedensbewegung zu einem interessanten
Ansatzpunkt für Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.
Da Frieden und nachhaltige Entwicklung eng miteinander verknüpft sind, beschreiben die Ziele nicht zuletzt den Weg auch in eine friedlichere Welt. Somit kann die DFG-VK, wie im Manifest geschehen, guten Gewissens für eine ambitionierte Umsetzung der gesamten Agenda 2030 eintreten.
Es wäre aber unklug, es dabei zu belassen. Die Denkschrift fordert zu Recht eine Besinnung auf die Kernaufgaben. Der Kampf gegen den Klimawandel oder der Schutz der marinen Ökosysteme beispielsweise gehören dazu vermutlich nicht, so wichtig sie auch bei einer ganzheitlichen Betrachtung scheinen mögen.
Die Denkschrift nennt die Forderung nach einer radikalen Entmilitarisierung in jeder Hinsicht als wesentlichen Bestandteil des politischen Pazifismus. Wirklich überzeugend ist diese Forderung aber nur dann, wenn sie durch ein entschiedenes Eintreten für gewaltfreie Mittel zur Lösung unvermeidbarer Konflikte ergänzt wird. Somit können Entmilitarisierung und Zivile Konfliktbearbeitung als Kernziele der DFG-VK gelten.
Konkrete Forderungen, die sich aus diesen beiden Grundpositionen ergeben, finden sich an verschiedenen Stellen in den Unterzielen der einzelnen SDGs wieder. Ziel Nr. 16 trägt Frieden schon im Titel. Daher überrascht es nicht, dass es die meisten Anknüpfungspunkte bietet. Von dessen 12 Unterzielen sind die folgenden aus friedenspolitischer Sicht besonders interessant:
• Alle Formen der Gewalt und die mit ihr verbundene Sterblichkeit
deutlich reduzieren.
• Missbrauch und Ausbeutung von Kindern sowie Handel mit Kindern,
alle Formen von Gewalt gegen Kinder und Folter von Kindern beenden.
• Rechtsstaatlichkeit auf nationaler und internationaler Ebene
fördern und gleichberechtigten Zugang zur Justiz für alle
sicherstellen.
• Bis 2030 illegale Finanz- und Waffengeschäfte deutlich
reduzieren, die Rückgabe gestohlener Vermögenswerte stärken und alle
Formen organisierter Kriminalität bekämpfen.
• Die relevanten nationalen Institutionen u. a. durch
internationale Zusammenarbeit stärken, um auf allen Ebenen, besonders
in den Entwicklungsländern, Kapazitäten aufzubauen, um Gewalt
vorzubeugen und Terrorismus und Kriminalität zu bekämpfen.
(Quelle: https://sustainabledevelopment.un.org/sdg16; eigene Übersetzung)
Aus diesen und einigen anderen Aspekten der SDGs lassen sich folgende friedenspolitische Forderungen ableiten:
• Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden
So kann die Bundesrepublik die von ihr ausgehende Gewalt in anderen
Teilen der Welt stoppen.
• Bundeswehr abschaffen
Durch die Bundeswehr schafft und erhält die Bundesrepublik gezielt die
Möglichkeit, Gewalt anzuwenden. Deren Abschaffung verhindert, dass vom
deutschen Staat Gewalt ausgehen kann.
• Rüstungsausgaben komplett streichen (und stattdessen u. a.
in Entwicklungszusammenarbeit/Nachhaltige Entwicklung stecken)
Dadurch würde nicht nur weniger Gewalt von der BRD ausgehen. Die
freiwerdenden Mittel könnten, entsprechend der unter Ziel 17
geforderten zusätzlichen Ressourcen, in nachhaltige Entwicklung
investiert werden
• Waffenexporte stoppen
So lässt sich verhindern, dass Deutschland die Mittel liefert, mit
denen weltweit Menschen getötet und verletzt werden.
• Verhinderung von illegalem Waffenhandel durch starke
nationale und internationale rechtsstaatliche Institutionen.
Dieses Unterziel ist wichtig, um zu verhindern, dass die Waffenexporte
in der Illegalität weitergehen.
• Einsatz für eine Ächtung aller Waffen weltweit
Denn Waffengewalt ist tödlicher als Gewalt ohne Waffen.
• Ziviles Peacekeeping und Zivile Konfliktbearbeitung stärken
Gewaltfreie Alternativen im Umgang mit Konflikten und Gewaltakteuren
zu stärken, ist der entscheidende Schritt zur Verhinderung von Gewalt.
• Keine Rekrutierung von Minderjährigen in die Bundeswehr und
keine Werbung für die Bundeswehr bei Minderjährigen.
Um den festgeschriebenen besonderen Schutz von Kindern vor Gewalt zu
gewährleisten.
• Einsatz für ein generelles Mindestalter von 18 für die
Rekrutierung in Streitkräfte weltweit, das völkerrechtlich verbindlich
festgelegt wird.
Das ist die logische Fortschreibung der vorherigen Forderung auf
internationaler Ebene.
• Friedenserziehung als aktive und nachhaltige Gewaltprävention
stärken
Sowohl in Schulen als auch außerschulisch sowie in der Erwachsenenbildung
• Klare friedenssichernde völkerrechtliche Regeln.
So ließe sich die Rechtsstaatlichkeit auf internationaler Ebene im
Sinne der Friedenssicherung konkretisieren.
• Starke unabhängige Institutionen zur Durchsetzung des
Völkerrechts.
Nur durch sie können die oben genannten Regeln ihre Wirkung entfalten.
• Starke nationale und internationale rechtsstaatliche
Strukturen schaffen, die in der Lage sind, (illegale) Finanzströme
aufzudecken und zu stoppen.
Damit wäre es möglich, Gewaltakteure effektiv zu bekämpfen, indem man
sie von ihren Geldquellen abschneidet. Je besser diese Alternative zu
militärischem Vorgehen funktioniert, umso attraktiver wird sie.
• Unterstützung anderer Staaten bei der Stärkung ihrer
rechtsstaatlichen Institutionen zur Bekämpfung illegaler Waffen und
Geldströme.
Um Gewaltakteure wirkungsvoll von ihren Geldquellen abzuschneiden und
Waffenhandel zu verhindern, müssen die notwendigen Strukturen weltweit
funktionieren.
• Konversion aller Rüstungsbetriebe in Deutschland
Zwar enthält die Präambel der SDGs keine Definition von
Nachhaltigkeit. Es liegt aber nahe, dass Nachhaltigkeit im Grunde die
Gesamtheit aller Ziele umfasst. In diesem Sinne ist, besonders im
Hinblick auf Ziel 16, die Produktion von Rüstungsgütern kein
nachhaltiges Produktionsmuster im Sinne von Ziel 12.
• Unterstützung anderer Staaten bei der Konversion ihrer
Rüstungsindustrie.
Diese Forderung ergibt sich aus dem Partnerschaftsgedanken, der in den
SDGs festgeschrieben ist. Insbesondere Industrienationen sollen nicht
nur selbst die Ziele verwirklichen, sondern auch gerade die
Entwicklungsländer bei deren Umsetzung unterstützen.
Viele dieser politischen Forderungen hat sich die DFG-VK schon lange auf die Fahnen geschrieben. Somit ist die Agenda 2030 eine Chance, alte Forderungen wieder mit mehr Nachdruck auf die politische Agenda zu setzen. Gleichzeitig fordert sie dazu heraus, neu darüber nachzudenken, was nötig ist, damit Konflikte ohne Gewalt gelöst werden können und Waffen auf dieser Welt nicht mehr gebraucht werden. Dies gilt besonders für die Forderung nach friedenssichernden völkerrechtlichen Regeln und geeigneten Institutionen, um sie durchzusetzen. Darüber hinaus eröffnet die Agenda 2030 die Möglichkeit für neue Allianzen gerade mit Akteuren aus dem Bereich Entwicklungspolitik. Somit bietet sie einige sehr interessante Handlungsoptionen für die DFG-VK.
• Beteiligung am zivilgesellschaftlichen Monitoring der Agenda
2030
Das Projekt "2030 Watch" hat bereits die offiziellen Indikatoren der
UN um Vorschläge aus der Zivilgesellschaft ergänzt und deren Stand für
Deutschland erfasst. Gerade für die friedenspolitisch interessanten
Punkte gibt es bisher kaum Indikatoren. Hier könnte die DFG-VK ihr
Wissen und die von ihr erhobenen Daten beisteuern und so den
friedenspolitischen Aspekt der Agenda 2030 sichtbarer machen.
• Beteiligung an der politischen Debatte über die Umsetzung
der Agenda 2030 in Deutschland.
Diese Beteiligung bietet neue Gelegenheiten für die DFG-VK, ihre
Forderungen in die Diskussion einzubringen. Die Anbindung an die
Agenda 2030 stärkt zudem unsere Argumentationsgrundlage. Schließlich
geht es um Ziele, auf die sich die Bundesregierung bereits
verpflichtet hat.
• Beteiligung an der öffentlichen Debatte über nachhaltige
Entwicklung.
Hier haben wir die Möglichkeit, die Verbindung von nachhaltiger
Entwicklung und Friedenspolitik sowohl für das Fachpublikum als auch
für die breite Öffentlichkeit deutlich zu machen. So können wir neue
Unterstützer und Kooperationspartner ansprechen.
• Ziviles Peacekeeping und Zivile Konfliktbearbeitung ins
Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen.
Die Meinung, Gewaltakteuren und bewaffneten Konflikten könne man nur
mit militärischen Mitteln beikommen, ist weit verbreitet. Deshalb
sollte die DFG-VK ihren Beitrag zur Verringerung der Gewalt leisten,
indem sie gewaltfreie Optionen bekannter macht und ihre Wirksamkeit
zeigt.
• Kompetenzen im Bereich Friedenserziehung stärken und aktiv
einbringen
Die DFG-VK bringt ihre Kompetenzen im Bereich Friedenserziehung
bereits im Rahmen bestehender Strukturen ein. Diese Kompetenzen gilt
es zu stärken, auszubauen und an weitere und neue Friedenspädagoglnnen
weiterzugeben So können wir den Bildungseinrichtungen auch in der
Breite ein qualitativ hochwertiges Angebot machen.
• Eine klare Vorstellung von friedenssichernden
völkerrechtlichen Regeln und der für ihre Durchsetzung nötigen
Institutionen entwickeln.
In der bisherigen Formulierung sind diese beiden Forderungen zu vage.
Hier muss die DFG-VK konkretere Ideen für die Ausgestaltung der Regeln
und der Institutionen entwickeln. Ein interessanter Ansatz wäre z.B.
das im Maifest geforderte Konzept für eine neutrale, an Völkerrecht
und Polizeiaufgaben orientierte Polizeitruppe unter Kommando der
Vereinten Nationen.
• Die bestehenden Überlegungen zur Konversion von
Rüstungsbetrieben weiterentwickeln und aktiv an ihrer Umsetzung
arbeiten.
Hier kann die Anknüpfung an die Agenda 2030 helfen, wichtige Partner,
z.B. die Gewerkschaften, ins Boot zu holen.
• Forschung zu Konfliktursachen und ganzheitlichen Frühwarnsystemen als Beitrag zur Gewaltprävention.
Die zunehmende Zahl an gewaltsamen Konflikten und die stark
gestiegenen deutschen Rüstungsexporte zeigen: Friedenspolitik ist im
Sinne einer nachhaltigen Entwicklung drängender denn je und
Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Ursula Neideck ist Mitglied der DFG-VK. Die
Politikwissenschaftlerin, die 2010 einen Master-Abschluss in "Peace
Studies" gemacht hat, war in diesem Frühjahr drei Monate lang
(wissenschaftliche) Mitarbeiterin in der baden-württembergischen
DFG-VK-Landesgeschäftsstelle. Seit Sommer ist sie im Projektmanagement
im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig.
(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Im Schattenblick finden Sie die beiden Artikel unter:
www.schattenblik.de → Infopool → Bürger und Gesellschaft
→ Friedensgesellschaft
STANDPUNKT/141: Aufstehen und gemeinsam handeln! (ZivilCourage)
STANDPUNKT/142: Manifest - Schutz der Menschenrechte durch Prävention (ZivilCourage)
*
Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - Oktober 2016, S. 16 - 18
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage, Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20, Telefax: 03212 - 102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro
veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2017
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