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STANDPUNKT/140: Die "Verunglimpfung" der Deutschen Nationalfahne bei der Kieler Woche 2016 (Siglinde Cüppers)


Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen
Landesverband Hamburg-Schleswig-Holstein

Die "Verunglimpfung" der Deutschen Nationalfahne bei der Kieler Woche 2016 

von Siglinde Cüppers, 27. Juni 2016


§ 90a Absatz 1 StGB:

"Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften ... die Farben, die Flagge, das Wappen oder dir Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Wenn betrunkene Fußballfans gröhlend mit der Deutschen Nationalflagge bei einem Europameisterschaftsspiel durch die Straßen ziehen, wird es nicht als Verunglimpfung der Nationalflagge gewertet. Wenn Hooligans die "Dritte Halbzeit" feiern, mit Nationalfarben geschmückt, werden sie zwar manchmal wegen Körperverletzung angeklagt, aber bislang nicht wegen eines Verstoßes gegen § 90a StGB.

Auf Kundgebungen von Pegida oder der AfD wird mit der Deutschen Nationalfahne gegen Mitbürgerinnen und Mitbürger anderer Kulturen rassistisch gehetzt und auch, wenn Nazis mit der Nationalflagge vor den Wohnungen und Häusern von Mitbürgerinnen und Mitbürgern anderer Kulturen diese bedrohen, spielt die Frage der "Verunglimpfung der Nationalflagge" keine Rolle.

Wenn der Bundespräsident und andere Politikerrinnen und Politiker Krieg verherrlichen und Menschen in anderen Ländern mit Krieg bedrohen und dabei die Nationalflagge zeigen, wird auch dieses offensichtlich geduldet. Wenn Särge der im Krieg umgekommenen Soldatinnen und Soldaten mit der Nationalflagge bedeckt werden, diese Flagge also in direkten Zusammenhang mit Krieg, Tod und Vernichtung gebracht wird, gilt das bislang nicht als "Verunglimpfung" der Nationalflagge.

Bei unserer Mahnwache auf der Kieler Woche gegenüber dem "Bundeswehr-Karriere-Truck" hatten wir einen Sarg dabei, auf dem lag ein Stahlhelm und eine deutsche Fahne, und mit einem Schriftzug wurde zum "Probeliegen für zukünfige Bundeswehrsoldatinnen und Soldaten" eingeladen. Erst zum Ende unserer diesjährigen Mahnwache kam die Polizei zu der Ansicht, wir hätten eine "Verunglimpfung" der Deutschen Nationalflagge begangen. Die Polzei verlangte, die Fahne deswegen zu entfernen und nun soll die Staatsanwaltschaft prüfen, ob dieser Anfangsverdacht einer Straftat berechtigt ist.

Wie ist es dazu gekommen?

Auf der Kieler Woche stand auch in diesem Jahr wieder auf einer Fläche von 16 mal vier Metern der "Karriere-Truck" der Bundeswehr, mit dem sie offensiv Kriegspersonal rekrutieren wollte.

Dagegen protestieren Mitglieder der DFG-VK, Landesverband Hamburg-Schleswig-Holstein, Attac, der Friedenswerkstatt Kiel, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend und der Linksjugend solid und auch Menschen, die keiner Organisation angehören mit einer Mahnwache an zwei Tagen.


Mahnwache mit Blutbad - Transparente und Bassin mit roter Farbe - Foto: © Ralf Cüppers

Foto: © Ralf Cüppers

Während der Bundeswehr ausreichend Platz von den Organisatoren der Kieler Woche und der Stadtverwaltung eingeräumt worden ist, mußte sich die Mahnwache auf drei mal drei Meter neben der Bundeswehr begrenzen, die aber gar nicht vorhanden gewesen sind, weil da schon der nächste Stand war. Als kompromißbereite und gewaltfreie Antimilitaristinnen und Antimilitaristen haben wir uns mit den Soldaten der Bundeswehr darauf geeinigt, die Mahnwache gegenüber auf der Wasserseite aufzubauen. Dennoch sind wir immer wieder schikaniert, bedroht und räumlich eingeschränkt worden. Soldaten haben sich sehr darüber geärgert, dass wir die Besucherinnen und Besucher der Kieler Woche für Frieden und Abrüstung interessieren konnten und sich viele darüber gefreut haben, dass wir die offensive Werbung für den Krieg nicht unwidersprochen hinnehmen. Wir haben uns gewaltfrei mit den Soldaten und dem privaten Sicherheitsdienst der Bundeswehr, der zu deren Schutz da gewesen ist, auseinder gesetzt und die Konfrontation als praktische Übung für gewaltfreie Konfliktaustragung betrachtet und unser Demonstrationsrecht erfolgreich verteidigt.

Wir hatten Transparente gespannt, den Sarg mit der Aufforderung zum "Probeliegen", ein "Blutbad" um auszuprobieren, wie es sich anfühlt, im Krieg in Blut zu waten und einen Infostand aufgebaut.


Junge Frau liegt vor Transparent 'Stop Wars - Gemeinsam gegen den Krieg' im Hintergrund der 'Karriere-Truck' der Bundeswehr - Foto: © Ralf Cüppers

Foto: © Ralf Cüppers

Am zweiten Tag der Mahnwache haben junge Menschen von SDAJ und solid eine sponatane Kundgebung vor dem "Karriere-Truck" der Bundeswehr durchgeführt und in Sprechchören "Bundeswehr raus aus den Schulen, den Job-Centern und Universitäten", "Bundeswehr raus aus anderen Ländern" und "Bundeswehr abschaffen" gefordert. Sie hatten Transparente und Flugblätter mit antimilitaristischen Forderungen mit. Eine junge Frau legte sich als "blutbefleckte Leiche" vor den "Karriere-Truck" und wurde massiv von den Streitkräften bedroht und sexuell belästigt.

Die Bundeswehr hat sofort die Polizei verständigt, die sie vor den Protestierenden beschützen sollte.

Schnell standen über 20 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten vor dem Karriere-Truck, um die sechs Soldaten vor Flugblättern und Transparenten zu beschützen. Sie blockierten damit den Zugang zum "Karriere-Truck" eineinhalb Stunden für eventuelle Interessenten.

Die Besucherinnen und Besucher der Kieler Woche wunderten sich immer wieder über das Polizeiaufgebot, für das sie keinen Anlaß erkennen konnten, denn "friedlicher als ihr kann man ja gar nicht mehr sein", war der Kommentar einer Besucherin. "Ich bin schon sehr entsetzt über deren Demokratieverständnis, was die Meinung anderer betrifft und möchte gar nicht wissen, wie die sich bei ihren Auslandseinsätzen so aufführen", meinte ein Besucher der Kieler Woche.

Nun standen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit dem Mitarbeiter der Stadt Kiel, der für die Genehmigung der Mahnwache zuständig gewesen ist, und den Soldaten der Bundeswehr und überlegten und diskutierten, wie sie gegen die Mahnwache und die Spontandemo vorgehen könnten. Da ist ihnen wohl nichts anderes als der Vorwurf "Verunglimpfung" der deutschen Nationalflagge als Demonstrationsobjekt auf dem Sarg eingefallen.

Das war aber eine große Lachnummer für fast alle, die es mitbekommen haben.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Bundeswehr gewaltfreier Konfliktlösung nichts entgegensetzen kann und wenn sie Unterstützung durch die Polizei angefordert hat, dies bei den meisten Besucherinnen und Besuchern der Kieler Woche auf Unverständnis, Ärger und Empörung stieß: "Es kann doch nicht angehen, dass die sich von der Polizei vor friedlichen Demonstranten beschützen lassen, wo sie doch angeblich uns beschützen wollen". Davon konnten wir mit unserem Anliegen "Bundeswehr abschaffen" gut profitieren.

Im nächsten Jahr werden wir während der Kieler Woche jeden Tag eine Mahnwache durchführen, weil es allen soviel Spaß gemacht hat und wir für unser Anliegen "Bundeswehr abschaffen" erfolgreich werben konnten.

Viele Besucherinnen und Besucher der Kieler Woche hatten bei der Mahnwache sowohl das Blutbad als auch den Sarg fotografiert und einen bleibenden Eindruck mit nach Hause genommen.

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Quelle:
Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen
Landesverband Hamburg-Schleswig-Holstein
Exerzierplatz 19, 24103 Kiel
Telefon 0431-9 66 88
E-Mail: hh-sh(at)dfg-vk(Punkt)de
Internet: http://www.hh-sh.dfg-vk.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2016

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