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STANDPUNKT/137: Buchbesprechung - "Was würde Bertha von Suttner dazu sagen? (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Was würde Bertha von Suttner dazu sagen?"
Besprechung einer Biografie über die DFG-Gründerin

Von Christian Schmidt


Der gut informierte Pazifist weiß natürlich, dass es sich bei der Biographie von Brigitte Hamann über Bertha von Suttner nicht um eine wirklich neue Lebensbeschreibung handelt. Im Wesentlichen beruht sie auf dem Werk "Bertha von Suttner - Ein Leben für den Frieden", das 1986 erschien. Jetzt hat die Biographie den Untertitel "Kämpferin für den Frieden". Dass es hierzu von Verlagsseite keine Anmerkung und Erklärung gibt, irritiert, macht aber nichts, denn wichtig ist nur, dass diese Neuausgabe unsere pazifistische Urmutter wieder ein bisschen mehr in das Bewusstsein bringt. Immerhin hat sie es zu einer wohlwollenden Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gebracht.

Die Autorin Brigitte Hamann, promovierte Historikerin, vermag es in ihren Werken, die sich vor allem mit der Geschichte Österreichs und dem Nationalsozialismus befassen, akribische wissenschaftliche Recherchen in lesbare Substanz zu verwandeln. So liest sich ihre Suttner-Biographie ebenfalls durchweg spannend und kurzweilig. In diesem Fall liegt es selbstverständlich auch am Thema, wie könnte man als DFG-VK-Mitglied nicht an den Anfängen des organisierten Pazifismus interessiert sein?

Im Grunde sollte diese Biographie für jedes DFK-VK-Mitglied Pflichtlektüre werden, denn sie beschreibt Bertha von Suttner in allen Facetten ihres privaten und politischen Lebens. Tja, die Politik und Bertha von Suttner. Haben nicht auch wir uns ein wenig von der gegen sie gerichteten Propaganda der damaligen Zeit beeinflussen lassen? War sie nicht auch für uns ein Stück weit politisch naiv, bürgerlich gemütlich und ein wenig verschroben? War die Postulierung des "politischen Pazifismus" nicht auch eine sanfte Distanzierung vom radikalen Pazifismus einer Bertha von Suttner und ihrer damaligen Mitstreiter?

Unsere Einschätzung der 1892 gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft, dem Wirken ihrer Mitglieder und insbesondere der Rolle Bertha von Suttners hat zum guten Teil mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu tun. Scheint er doch das Versagen des Pazifismus der Vorkriegszeit zu dokumentieren. Ein Erklärungsmuster hierfür ist die "Bürgerlichkeit" der DFG-Mitglieder und die mangelnde Verankerung in der Arbeiterklasse. Negativ zu werten sei auch die Nichtzusammenarbeit mit sozialistischen Verbänden und Parteien.

Hier wäre jedoch die Frage interessant, woran diese Nichtzusammenarbeit denn gescheitert ist. Bertha von Suttner hat jedenfalls versucht, die Verbindung zur sozialistischen Bewegung herzustellen. Was auch darauf beruhte, dass ihre Bücher von Karl Liebknecht durchaus positiv beurteilt wurden. Dogmen wie, "daß der Weltfriede nur durch den Sturz des Kapitalismus herzustellen sei", machten ein Zusammenwirken nicht unbedingt einfacher. Festzuhalten ist, dass die "pazifistische Internationale" bei ihren Idealen blieb, während die "sozialistische Internationale" sich im August 1914 wieder weitgehend auf ihr jeweiliges Vaterland reduzierte. Und das waren nicht nur die Sozialdemokraten in Deutschland, sondern auch die Sozialisten in den Ländern der Entente, die "gute Patrioten" und keine "vaterlandslosen Gesellen" sein wollten.

Gerechteres Urteil

Das Lesen der Hamann'schen Biographie trägt nicht zu einer Glorifizierung Bertha von Suttners bei, aber immerhin dazu, dass das Urteil über sie gerechter und fundierter ausfällt. Natürlich ist nicht alles haltbar, was sie getan, geschrieben und gesprochen hat. Beispielsweise ihre naive und schon damals unverständliche Einschätzung des russischen Zaren. Wobei man gerechterweise sagen muss, dass manche Pazifisten den Nachfolgern des Zaren auch ein wenig naiv gegenüberstanden. Aber Suttner war ansonsten eine realpolitisch handelnde Aktivistin. Ihre Versuche, Einfluss auf die Haager Friedenskonferenz oder die Internationale Parlamentarische Union zu nehmen und in ihnen mitzuwirken, waren hochpolitische Ansätze und keineswegs Utopien oder Visionen. Ähnlich dem Niemöller'schen Postulat "Was würde Jesus dazu sagen?" wäre es interessant zu überlegen, "was würde Bertha von Suttner dazu sagen", wenn wir vor friedenspolitischen Herausforderungen stehen. Die Antworten können dann durchaus kontrovers sein, denn ihre Einstellung zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten ist sicherlich nicht unbedingt gegenwärtiger pazifistischer Konsens. So, wenn sie fordert, dass "ein verbündetes und bewaffnetes Schutzheer. Nicht zum Morden, ... sondern zur Bändigung von Mördern, Räubern und Tollen" aufgestellt wird. Gnade Gott dem IS, wenn Suttner noch leben würde!

Es wäre erfreulich, wenn die "Kämpferin für den Frieden" 101 Jahre nach ihrem Tod zum Denken anregen würde, wenn wir ihren Einsatz für den Frieden, der unter vielen persönlichen und finanziellen Opfern stattfand, uns ein Vorbild wäre und wenn sich unser verklärtes Bild auf sie etwas lichten würde. Das Lesen dieses Buches könnte dabei hilfreich sein.


Brigitte Hamann: Bertha von Suttner. Kämpferin für den Frieden. München 2015; 320 Seiten; 12,99 Euro


Christian Schmidt ist Buchhändler im fränkischen Adelsdorf und war in den 1980er Jahren Mitglied im DFG-VK-Bundesvorstand.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016, S. 18
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage, Werastraße 10, 70182 Stuttgart
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E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2016

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