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STANDPUNKT/136: Verhandeln statt schießen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Verhandeln statt schießen

Realistische Lösungen für Syrien und den Terrorismus

Von Thomas Carl Schwoerer


Wer Frieden will, muss mit seinen Feinden verhandeln, nicht nur mit seinen Freunden. Das setzt Mut voraus. Es gilt die Aufforderung des US-Präsidenten John F. Kennedy, der 1963 kurz vor seiner Ermordung sagte: "Let us never fear to negotiate." ("Lasst uns niemals Angst davor haben zu verhandeln.")

Es gibt zwei realistische Lösungen für Syrien: Eine politische Lösung des Syrien-Kriegs unter Ausschluss des sogenannten Islamischen Staats (IS). Oder Verhandlungen auch mit dem IS.

Eine politische Lösung des Syrien-Kriegs ist möglich, denn alle beteiligten Staaten sind daran interessiert, wie sich zunächst auf der Wiener Konferenz gezeigt hat. Deutschland sollte sich dafür mit ganzer Kraft einsetzen und außerdem endlich seine Rüstungsexporte an Saudi-Arabien einstellen, statt Waffen dorthin und jüngst sogar Kampfpanzer an Katar zu liefern, die das Emirat im Jemen-Krieg einsetzen wird.

Das ist, wie Öl ins Feuer zu gießen. Waffen verlängern Kriege nur und geraten unweigerlich über kurz oder lang in die falschen Hände, z.B. die des IS.

An den Verhandlungstisch gehören alle Beteiligten. Warum nicht auch der IS? Wie soll es ohne ihn beispielsweise einen Waffenstillstand geben? Darauf antworten manche: Der IS profitiere vom Syrien-Krieg. Zunächst gelte es, diesen zusammen mit den anderen beteiligten Mächten zu beenden. Danach könne man den dadurch geschwächten IS austrocknen durch eine wirtschaftliche und politische Stabilisierung aller Länder der Region. Im Übrigen schaffe der IS einfach Fakten, nämlich sein Kalifat, und wolle gar nicht verhandeln.

Aber können wir uns darüber so sicher sein? Es gibt in der langen Geschichte von Behauptungen über Terrorgruppen wie z.B. die IRA in Nordirland oder die Taliban in Afghanistan das immer wiederkehrende Muster: Sie sind so übel, dass man nicht mit ihnen verhandeln könne; und außerdem wollten diese gar nicht verhandeln. Schließlich kam es doch zu Verhandlungen, aber erst nach dem unnötigen Tod Tausender von Menschen. Auch und gerade aus pazifistischer Sicht wäre es wichtig und richtig, Menschen am Leben zu lassen und frühestmöglich solche Verhandlungen einzuleiten. Im Übrigen wurden ausgerechnet vor allem diejenigen Taliban, die eher "gemäßigt" und verhandlungswillig waren und sich beispielsweise die Wiederherstellung von Rechten für Frauen vorstellen konnten, von amerikanischen Drohnen umgebracht.

Es stellt sich die Frage: Will der IS überhaupt verhandeln? Er ist die erste Terrorbewegung, die - gewiss mit brutaler Gewalt - einen Staat gegründet hat. Terror ist für den IS allerdings wie seinerzeit für die IRA nicht das Ziel, sondern lediglich Mittel zum Zweck der Nationenbildung. Wahrscheinlich besteht seine erste Priorität darin, einen regulären Staat zu gründen und zu konsolidieren. Er will im Gefolge der territorialen Eroberung den sunnitischen Teil der Bevölkerung hinter sich bringen, etwa durch die Ausbesserung von Straßen, die Organisation von Suppenküchen und die Herstellung von Blutsverwandtschaften zwischen den Eroberern und den Eroberten mittels Eheschließungen zwischen den Kämpfern des IS und lokalen sunnitischen Frauen. Mit der Zeit soll dies den IS legitimieren.

Die Taten des IS schließen Völkermord ein und sind zu verurteilen. Verhandlungen mit ihm sind dennoch nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Möglicherweise besteht sein vorrangiges Interesse darin, den eigenen Staat zu konsolidieren. Sollte dies der Fall sein, ließen sich auf dem Verhandlungsweg Zugeständnisse erzielen.

Natürlich kann man sich fragen, ob der Irak und Syrien als Reststaaten noch lebensfähig wären, wenn der IS auf einem Teil ihres früheren Territoriums bleibt und dort seinen eigenen Staat errichtet. Und wäre den Kurden eine eigene Staatsgründung dann noch möglich? Diese Frage stellt sich allerdings in Anbetracht der türkischen Antikurden-Politik auch ohne den IS. Drittens fragt sich, ob es möglich wäre, den Iran als Erzgegner des IS in ein solches Verhandlungsboot zu holen. Viertens hat der IS bisher keine politischen Forderungen gestellt, anders als die IRA. Aber was hindert uns daran, ihn danach zu fragen? Bisher hat nicht mal der UNO-Sondergesandte Staffan de Mistura Kontakte zum IS, möglicherweise weil er ihn nicht kontaktieren darf.

Es gibt keine militärische Lösung

Trotz dieser schwierigen Fragen wären Verhandlungen mit dem IS im Sinne der Einstellung terroristischer Maßnahmen innerhalb und außerhalb seines Gebiets zielführender und weniger schädlich als Bombardements und deutsche Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga. Sofern solche Verhandlungen derzeit noch nicht möglich sind, gilt es, einen politischen Prozess einzuleiten, in dessen Verlauf sie möglich werden.

Es gibt keine militärische Lösung des Terrorismus, wie die Erfahrungen mit Terrorgruppen wie der IRA und vierzehn Jahre "Krieg gegen den Terror", die nur zu mehr Krieg und Terror geführt haben, zeigen. Es gibt auch keine militärische Lösung des Syrien-Krieges. Das ist die Lehre aus dessen bisherigem Verlauf und den Desastern in Libyen, Afghanistan und Irak.

Zudem löst jeder getötete Zivilist - die es zuhauf in jedem Krieg gibt - Rachegefühle bei seinen Angehörigen aus und steigert deren Bereitschaft, sich Terroristen anzuschließen.

Auch in Mali steht eine politische Lösung noch aus. Die Vereinbarung, die dem dortigen Waffenstillstand zugrundeliegt, ist extrem wackelig und kurzfristig angelegt. Die Bundeswehr soll Frankreich in Mali entlasten und mit bis zu 800 Soldaten einspringen. Das entbehrt jeder Logik, denn Frankreich wird nicht Bodentruppen nach Syrien schicken, erst recht nicht von Mali aus. Die dortige UNO-Mission gilt weltweit als die gefährlichste "Peacekeeping"-Operation, mit bisher 56 getöteten Blauhelm-Soldaten.

Die umfänglichen Gold-, Phosphat-, Öl-, Gas- und Uranvorkommen in Mali sollten durch Verständigung und vorteilhafte Vereinbarung aller Akteure statt mit militärischen Mitteln abgebaut werden.

Thomas Carl Schwoerer ist DFG-VK-Bundessprecher.

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Pressemitteilung der DFG-VK vom 28. November

Kein deutscher Kriegseinsatz in Syrien!

Die DFG-VK verurteilt den geplanten Kriegseinsatz der Bundeswehr in Syrien. "Krieg gegen Terror" bringt nichts.

Wie der DFG-VK-Bundessprecher Thomas Carl Schwoerer am 28. November sagte, "leistet man keine Solidarität, indem man das Falsche tut. Wer Ziele aufklärt, damit sie bombardiert werden können, ist genauso verantwortlich wie der, der dann die Bomben abwirft."

Schwoerer sagte weiter: "Dieser Kriegseinsatz ist ein Verbrechen, denn er zerstört beispielsweise Krankenhäuser und Schulen in Rakka, wie bereits geschehen. Wir empfinden tiefes Mitgefühl für die Toten auch von Ankara, Bamako, Beirut, Paris, Suruc und Tunis. Er ist völkerrechtswidrig, denn weder enthält die jüngst verabschiedete Uno-Resolution eine Ermächtigung zum Militäreinsatz nach Kapitel VII der UN-Charta, noch willigt die syrische Regierung darin ein. Und er ist politisch unklug: Es gibt keine militärische Lösung des Terrorismus, wie die vierzehn Jahre Krieg gegen den Terror, die nur zu mehr Krieg und Terror geführt haben, zeigen. Zudem löst jeder getötete Zivilist - die es zuhauf in jedem Krieg gibt - Rachegefühle bei seinen Angehörigen aus und steigert deren Bereitschaft, sich Terroristen anzuschließen." Die DFG-VK fordert außerdem den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen in den Nahen und Mittleren Osten.

"Die Bundeswehr soll Frankreich in Mali entlasten und mit über 800 Soldaten einspringen. Das entbehrt jeder Logik, denn Frankreich wird nicht Bodentruppen nach Syrien schicken, erst recht nicht von Mali aus", so Schwoerer. "Die umfänglichen Gold-, Phosphat-, Öl-, Gas- und Uranvorkommen in Mali sollten durch Verständigung und vorteilhafte Vereinbarung aller Akteure statt mit militärischen Mitteln abgebaut werden."

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2015/Januar 2016, S. 4 - 5
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2016

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