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STANDPUNKT/090: Den Krieg ächten (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 24 - IV/2009
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Den Krieg ächten
Überlegungen aus der Perspektive der Vernunft und des christlichen Glaubens

Von Jochen Vollmer


Tötende Gewalt innerhalb der Staaten (Todesstrafe) und zwischen den Staaten (Krieg) zu ächten ist eine dringende Aufgabe der globalen Menschengesellschaft. Für viele Staaten sind die Todesstrafe und der Krieg noch selbstverständliche Maßnahmen in der Bestrafung von Rechtsbrechern wie in zwischenstaatlichen Konflikten.


Den Krieg ächten in der Perspektive der Vernunft

Wer tötende Gewalt überwinden und den Krieg abschaffen will, muss für einen Bewusstseinswandel eintreten, der die unantastbare Würde eines jeden Menschen achtet und der einem jeden Menschen die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse und ein menschenwürdiges Auskommen sichert. Jeder Mensch dieser Erde will leben, wie ich leben will in Würde und Anerkennung, in Freiheit und Selbstbestimmung, angewiesen auf die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse und ein menschenwürdiges Auskommen. Wer den Krieg ächten will, muss das Menschsein eines jeden Menschen achten.

Wer den Krieg ächten will, muss die Ursachen von Kriegen beseitigen. Die Ursache von Kriegen ist ein falsches Bewusstsein. Kriege haben ihren Grund in einer archaischen Stammesmentalität, einem Freund-Feind-Denken, einem partikularen Bewusstsein, das die Welt außerhalb der eigenen Lebenswirklichkeit als feindlich wahrnimmt. Kriege haben häufig religiöse Ursachen. Sie sind begründet in dem Anspruch, nur die eigene Erkenntnis, das eigene Gottesbild gelten zu lassen, die eigene Wahrheit absolut und exklusiv zu verstehen und alle anderen Zugänge zur Wirklichkeit, Welt- und Sinndeutungen, Weltanschauungen, Religionen und Gottesbilder als falsch und verderblich anzusehen.

Im Prozess der Globalisierung nimmt das Bewusstsein zu, dass wir Menschen als die eine Menschheit auf der einen Erde leben, in vielfältigen Beziehungen aufeinander angewiesen und voneinander abhängig sind, dass die Erde als unser Zuhause kostbar und hochgradig gefährdet ist, dass die Pluralität von Völkern und Sprachen, Kulturen und Religionen zu unserer conditio humana gehört und nicht als bedrohlich erfahren werden muss.

Das Bewusstsein nimmt zu, dass wir eine Menschheitsfamilie sind und nur in Kooperation und Solidarität auf der einen Erde gemeinsam leben und überleben können, dass wir nur gemeinsam die Erde als unser Zuhause vor den Gefährdungen des Klimawandels und des Artensterbens, der Ausbeutung und Zerstörung bewahren können.

Diese Perspektive mag noch viele naiv und unrealistisch anmuten, sind wir doch täglich Zeugen des Kampfes um Rohstoffe, Öl und Wasser, der Kriege und der Gewalt an vielen Brennpunkten der Erde. Aber wir erleben auch, dass Kriege immer weniger gewonnen werden können, dass die Akzeptanz von Kriegen schwindet, dass Kriege kein Weg sind, die Erde unter den Mächtigen neu aufzuteilen, dass das Zeitalter des Kolonialismus endgültig zu Ende geht.

Es nimmt das Bewusstsein zu, dass Rüstung und Kriege unbezahlbar sind, dass der Friede, in welcher Region der Erde auch immer, nicht militärisch gewonnen werden kann, sondern nur, indem die Unsummen, die Kriege täglich kosten, in Projekte des Lebens und der Gerechtigkeit investiert werden.

In dem Maße, wie partikulares Bewusstsein überwunden wird, wie globales Bewusstsein zunimmt, wird den Kriegen die Legitimationsbasis entzogen.

Eine wesentliche Kriegsursache heute sind kapitalistische Wirtschaftsformen, die strukturell immer größere Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten schaffen, nicht die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen, sondern die Akkumulation des Kapitals und damit Wachstum als alleinigen Zweck zum Ziel haben und die Lebensgrundlagen der Erde irreversibel zerstören. Wer den Krieg ächten will, muss den Kapitalismus als Wirtschaftsform überwinden. Wer den Krieg ächten will, muss Gerechtigkeit schaffen. Militärische Rüstung und Kriege dienen dazu, Unrechtsverhältnisse aufrechtzuerhalten und zu verteidigen.


Den Krieg ächten in der Perspektive des christlichen Glaubens

Die Religionen, gerade die drei monotheistischen Religionen spielten lange Zeit eine unrühmliche Rolle, was die Ächtung des Krieges betrifft, und spielen diese Rolle noch heute.

Wer den Krieg ächten will, muss die Gewalttraditionen in den Überlieferungen der eigenen Religion ächten. Einige Anmerkungen zur christlichen Religion, der ich selber angehöre, sind geboten.

Die Bibel ist voll von Gewalttraditionen. Solange die Bibel unkritisch als "Heilige Schrift" gelesen wird und solange die Bekenntnistraditionen der lutherischen Kirchen erklären, dass Übeltäter mit dem Schwert bestrafen und rechtmäßig Krieg führen "ohne Sünde" einem Christen erlaubt sei, ja dass diejenigen verdammt seien, die die Ausübung der Todesstrafe und militärischer Gewalt mit dem christlichen Glauben für unvereinbar halten (Augsburger Bekenntnis von 1530, Artikel 16), kann man von den Kirchen (vorrangig den lutherischen Kirchen!) keine klare und eindeutige Ächtung des Krieges erwarten. Auch die "Erklärung zum gerechten Frieden" spricht noch von "einer ausnahmsweisen Verwendung tödlicher Mittel" (§ 90), ohne zu sagen, dass dies nur in der Übernahme von Schuld geschehen kann.

Zwar werden im Neuen Testament keine Kriege Gottes mehr bezeugt, aber in seiner Frühzeit wie in seiner staatlichen Zeit hat Israel im Namen seines Gottes Kriege geführt, sich als eine Stammesgesellschaft und später als nationaler Staat verstanden, der in einem partikularen Bewusstsein gefangen war und seine Feinde als Feinde seines Gottes verstanden und bekämpft hat. Dieses falsche Bewusstsein bestimmt heute noch die religiöse Minderheit im Staat Israel, die die Vertreibung und auch Massaker an den Palästinensern befürwortet, um das biblische Groß-Israel zu verwirklichen. Dieses falsche Bewusstsein bestimmt die große Zahl der Evangelikalen in den USA, die den Krieg gegen den Irak befürworteten. Dieses falsche Bewusstsein bestimmt christliche Fundamentalisten, die eine erschreckende Gewaltbereitschaft bezeugen.

Auch die Gewalttraditionen im Neuen Testament, die einen strafenden Gott bezeugen, der nur auf Grund des Sühneopfertods seines unschuldigen Sohnes dem Sünder vergeben und Heil schaffen kann und im letzten Gericht alle Ungläubigen vernichten wird, haben immer wieder Gewalt im Namen Gottes und Glaubenskriege legitimiert. Die Geschichte des Christentums ist von einer breiten Spur von Blut und Gewalt geprägt, die in einer falschen Theologie begründet ist, die Gott und Gewalt gegen die Botschaft Jesu und seine Bürgschaft für den unbedingt und unbegrenzt, auch seine Feinde liebenden Gott noch immer zusammen denkt.

Die monotheistischen Religionen haben in sich ein großes Gewaltpotenzial, sofern ihre Anhänger die eigene Wahrheit und Gottesauffassung absolut und exklusiv verstehen und neben ihrer Vorstellung von Gott keine anderen Vorstellungen gelten lassen können. Friedfertig und friedensstiftend sind die monotheistischen Religionen erst, wenn ihre Anhänger sich der Begrenztheit ihrer Gotteserkenntnis bewusst werden und den universalen Gott bekennen, der das Heil eines jeden Menschen will.

Christen ist in der Berufung auf Jesus von Nazareth die Teilnahme an einem Krieg nicht möglich. Hier sind die großen Kirchen weithin eine klare Verkündigung und Lehre schuldig geblieben. Die Friedenskirchen in der Tradition der Täufer und des linken Flügels der Reformation haben das gewaltfreie Zeugnis Jesu eindeutiger bewahrt.

Das Vermächtnis Jesu ist das Unservater. Wer in der Berufung auf Jesus das Unservater betet, nimmt Gott als den Vater aller Menschen in Anspruch, kann gegen andere Menschen, die nicht weniger als der Beter und die Beterin Gott zum Vater haben und also seine und ihre Geschwister sind, nicht Krieg führen. Es war und es ist noch immer ein verhängnisvoller Irrtum der christlichen Tradition, nur die Menschen als meine Geschwister anzusehen, die ebenfalls und in der gleichen Weise wie ich Gott als ihren Vater anerkennen. Gott ist Vater (und Mutter) aller Menschen, auch derer, die ihn als ihren Vater (und ihre Mutter) nicht anerkennen und leugnen.

Jesus mutet seinen Anhängern in der Nachahmung Gottes die Feindesliebe zu (Matthäus 5,43-48). Weil Gott seine Feinde liebt, sollen und können auch wir unsere Feinde lieben. Weil Jesus gegenüber seinen Feinden an Gottes Vergebungsgüte appelliert ("Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun", Lukas 23,34), können auch wir gegenüber unseren Feinden an Gottes Vergebungsgüte appellieren.

In dem Bewusstsein Jesu und des christlichen Glaubens begreifen wir die Natur als Schöpfung Gottes, die Erde als Gottes Eigentum, das nicht uns Menschen gehört, das uns als Leihgabe anvertraut ist, damit wir sie verantwortlich nutzen und an die Generation nach uns unversehrt zurückgeben. In dem Bewusstsein Jesu und des christlichen Glaubens sind wir überzeugt, dass jeder Mensch Gott heilig ist, was immer er und sie denkt, glaubt und tut. In dem Bewusstsein Jesu und des christlichen Glaubens teilen wir geschwisterlich die Güter der Erde und die Erträge menschlicher Arbeit, bewahren wir die Erde als unser gemeinsames Lebenshaus und begnügen wir uns mit einem Leben im Zeichen des Genug jenseits von Armut und Überfluss.


Jochen Vollmer (jochenvollmer@gmx.de) ist Pfarrer i.R. und Mitglied des Versöhnungsbundes.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 24, IV/2009, S. 36 - 37
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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Erscheinungsweise: in der Regel vierteljährlich
in der zweiten Quartalshälfte.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2010