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FRAGEN/001: Werner Glenewinkel, Vorsitzender der Zentralstelle KDV (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Trotz alledem - Artikel 4,3 Grundgesetz ist sehr viel wert"
Interview mit Werner Glenewinkel, neuer Vorsitzender der Zentralstelle KDV,
über Kriegsdienstverweigerung, Gewissensfreiheit und Menschenrechte


Zivilcourage: Werner, du bist vor einigen Wochen zum neuen Vorsitzenden der Zentralstelle KDV gewählt worden. Im KDV-Bereich warst du in den letzten Jahren nicht aktiv gewesen. Was hat dich bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen?

Werner Glenewinkel: Die direkte Beschäftigung mit dem Thema und mit KDVern war tatsächlich in den letzten Jahren nicht mein Schwerpunkt. Aber das Thema war mir immer persönlich wichtig. Wenn man die KDV als den gesellschaftlichen Ansatzpunkt für die Auseinandersetzung um die Frage von Krieg und Frieden hält, dann habe ich mein Engagement in der Friedensbewegung, in der Kommunalpolitik und in sozialen Projekten in den letzten Jahrzehnten immer auch als KDVer gesehen. Mit der neuen Aufgabe in der Zentralstelle KDV schließt sich für mich damit auch ein Kreis in meinem Leben.

Begonnen hat dieser Kreis aber bei Bundeswehr.

Stimmt, ich war von 1965 bis 1967 bei der Bundeswehr und bin als Leutnant der Reserve ausgeschieden.

Bis du heute ein "richtiger" KDVer?

Ja und nein. In den Jahren nach der Bundeswehrzeit hat sich meine innere Überzeugung so gewandelt, dass ich eine Gewissensentscheidung gegen jeden Kriegsdienst getroffen habe. Ich bin also KDVer. Staatlich anerkannt bin ich allerdings nicht.

Opfer der Gewissensinquisition?

Die damalige Gewissensprüfung hat in der Tat viele junge Leute gegen ihren Willen zu einem Handeln verpflichtet und sie damit ohnmächtig gemacht. Insoweit ist die Verbindung von "Inquisition" und "Opfer" für viele die richtige Umschreibung dessen, was sie erleben mussten. Ich konnte nicht mehr zum Handeln gegen meine Überzeugung gezwungen werden, deshalb fühlte ich mich ziemlich sicher und nicht als Opfer. Ich habe aber - wie viele andere damals - schon sehr spezielle Erfahrungen mit der Verfassungswirklichkeit des Grundrechts auf KDV aus Gewissensgründen gemacht: Ich wurde in allen Instanzen abgelehnt, weil mein Gesinnungswandel nicht glaubwürdig gewesen sei.

Die Zentralstelle KDV wird also von einem Vorsitzenden geleitet, der vom Staat nicht als KDVer betrachtet wird, und von neun weiteren Vorstandsmitgliedern, von denen nur ein Einziger diese staatliche Anerkennung hat. Die anderen sind nicht-wehrpflichtige Frauen, Totalverweigerer, Pfarrer, "weißer Jahrgang" usw. - alle ohne "Gewissens-TÜV".

Ja, und das ist gut so. Der satzungsmäßige Name ist "Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissengründen e.V.". Alle Vorstandsmitglieder können aus verschiedenen Perspektiven und eigenem Erleben nachvollziehen, wie wertvoll das Recht auf KDV ist und wie notwendig sein Schutz - seit über 50 Jahren.

Die Übernahme deiner Aufgabe als Vorsitzender begann mit einer Diskussion über das Selbstverständnis der Zentralstelle KDV. Bei dieser Mitgliederversammlung gab es den Antrag, den Namensteil "aus Gewissensgründen" zu streichen. Hintergrund ist ein Verständnis von KDV, wie es z.B. der hessische DFG-VK-Landesgeschäftsführer Gernot Lennert in einem Artikel in der Zeitschrift "Forum Pazifismus" formuliert hat, das einen erheblichen Unterschied zwischen der "KDV aus Gewissensgründen" und einem universalen "Menschenrecht auf KDV" sieht. Wie ist deine Position zu diesem Antrag?

Zur formalen Seite: Die Zentralstelle KDV ist ein Verein mit bestimmten Regeln, was die Veränderung des Namens und der Satzung angeht. Insofern muss geklärt werden, ob die Voraussetzungen vorliegen bzw. wie diese zu schaffen wären. Zur inhaltlichen Seite: Ich kann der These von Gernot Lennert, die den Hintergrund des Antrages der IDK Berlin (Internationale der Kriegsdienstgegner/innen) bildet, dass es einen Widerspruch zwischen der KDV aus Gewissensgründen und einem Menschenrecht auf KDV gäbe, nicht folgen. Für mich ist das kein Widerspruch, weil das Grundrecht KDV aus Gewissensgründen ein Menschenrecht ist.

Der Unterschied liegt wohl darin: KDV aus Gewissensgründen beinhaltet die Einschränkung, dass nur derjenige der Gewissensgründe geltend machen kann, die Anerkennung erhält. Die Entscheidungsmacht wird also von der Person auf den Staat verlagert. Militärdienstpflicht als Normalfall - KDV als Ausnahme.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 stellt in ihrem Artikel 1 fest, dass alle Menschen "mit Vernunft und Gewissen begabt" sind. Für mich ist das Anerkennen eines Gewissens eine Konkretisierung und Verwirklichung menschlicher Würde. Das Gewissen, mit dem jeder Mensch "begabt" ist, wird zu der Instanz, die mich als Individuum unverwechselbar macht und mir die Chance auf meine ureigene Selbstbestimmung gibt. Jede und jeder hat diese letzte innere Instanz, vor der sie und er verantwortlich sind. Die Entscheidungsmacht bleibt bei mir. Wenn jeder Wehrpflichtige - ich mache mal ein Gedankenspiel - von seiner individuellen Entscheidungsmacht Gebrauch machte und sich gegen den Kriegsdienst entscheiden würde, dann liefe die Wehrpflicht faktisch ins Leere.

Die BRD überprüft aber Gewissen!

Ja, und das ist absurd. Eine Gewissensentscheidung ist nicht überprüfbar. Auch wenn das Verfassungsgericht das leider gebilligt hat, so ergibt sich ein Gewissensprüfungsverfahren aus Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz keineswegs zwingend. Einzig richtig ist aus meiner Sicht: Jeder entscheidet selbst, ob er eine Gewissensentscheidung getroffen hat oder nicht. Wenn er eine getroffen hat und diese mitteilt, dann hat der Staat dies zu akzeptieren.

Liegt die Gefahr nicht sehr nahe, dass es immense Schwierigkeiten gibt, wenn man mit der Kategorie Gewissen argumentiert: Der Staat unterhält Militär und zwingt Menschen, dabei mitzumachen. Wer sich dem unter Berufung auf sein Gewissen verweigert, ist nachweispflichtig, dass diese Verweigerung wirklich aus Gewissensgründen erfolgt.

Das Grundgesetz billigt in zwei konkreten Fällen Menschen eine selbstbestimmte Gewissensentscheidung zu. In Artikel 4 Absatz 3 den KDVern, in Artikel 38 den Abgeordneten des Bundestages, die "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind. Die Verfassung geht mit den von dir angedeuteten Schwierigkeiten der Nachweispflicht auf unterschiedliche Weise um. Der KDVer muss seine Entscheidung nachweisen. Die des Abgeordneten wird selbstverständlich und völlig ungeprüft akzeptiert. Es reicht, wenn ein Parlamentarier beispielsweise erklärt, er könne aus Gewissensgründen einer Militärintervention wie in Afghanistan nicht zustimmen. Konsequenzen aus Gründen der Parteiraison und der Fraktionsdisziplin lassen wir mal außer Acht.

Dein Hinweis auf die Gewissensfreiheit der Abgeordneten beschreibt ein Verständnis, wie es wünschenswert wäre. Der Blick in die Geschichte - auch und gerade der Zentralstelle KDV - zeigt aber, dass es 50 Jahre zähen Kampfes und heftiger Auseinandersetzung bedurfte, bis wir endlich ein relativ liberales Verfahren für die staatliche KDV-Anerkennung hatten. Der Preis waren Tausende nicht anerkannter Verweigerer - du bist selbst einer von ihnen -, viele sind daran zerbrochen, und einige sahen für sich nur noch den Suizid als Ausweg. Die Gesellschaft insgesamt hat also einen sehr hohen Preis dafür bezahlt, dass der Staat mit diesem Grundrecht nicht liberal umgegangen ist.

In der Tat haben der Einzelne und die Gesellschaft einen hohen Preis bezahlt. Bis heute - Stichwort Wehrgerechtigkeit - erleben wir den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dies zeigt, wie wichtig eine solche Einrichtung wie die Zentralstelle KDV ist. Ohne sie wäre die Zahl der persönlichen Schicksale gewiss noch sehr viel größer gewesen.

Zurück zum Unterschied zwischen der KDV aus Gewissensgründen und der KDV als Menschenrecht: Individualisiert nicht die Gewissenskategorie die Frage von Krieg und Frieden und nimmt der KDV die politische Dimension?

Ich halte diesen Gegensatz für auflösbar. Die individuelle Gewissensentscheidung und die politische Dimension stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Das eine geht nicht ohne das andere. Ich plädiere für ein Sowohl-als-auch anstatt eines Entweder-oder. Die individuelle Gewissensentscheidung des Major Pfaff hat zu einem bedeutsamen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geführt, das die politische Dimension von Krieg und Frieden sehr deutlich werden lässt und konkrete Auswirkungen hat.

PazifistInnen und AntimilitaristInnen argumentieren, dass Krieg ein Verbrechen ist und deshalb nicht sein darf; auch die Vorbereitung des Krieges ist Unrecht weshalb Militär abgeschafft werden muss. Das geht über die Ebene des rein Individuellen hinaus: Als Pazifist und Kriegsdienstverweigerer habe ich natürlich eine Gewissensentscheidung für mich persönlich getroffen, gleichzeitig will ich aber grundsätzlich nicht, dass irgendein anderer gezwungen wird, Soldat zu werden, töten zu lernen und das dann zu praktizieren.

Bezüglich einer Wechselwirkung zwischen den individuellen Entscheidungen und den strukturellen Rahmenbedingungen gibt es wohl keine Differenz zwischen uns. Du betonst die häufig zu erlebende Ohnmacht des Einzelnen gegenüber übermächtig erscheinenden Strukturen und belebst die Sehnsucht nach einer Welt ohne Krieg. Ich glaube, dass die Gewissensfreiheit im Allgemeinen den Weg für zivilgesellschaftliches Engagement und damit auch für Veränderungen im größeren, überindividuellen Rahmen eröffnet.

Die WRI-Grundsatzerklärung besagt, dass der Krieg ein Verbrechen ist und ich alles tun muss, dagegen anzugehen.

Diese Erklärung teile und unterstütze ich. Gleichwohl gibt es, wenn man in den Kategorien des demokratischen Rechtsstaats denkt, Situationen, in denen Entscheidungen rechtmäßig und gültig zustande gekommen sind, auch wenn sie mir nicht passen. An der Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung für die Bundeswehr gibt es für mich keinen Zweifel. Ich unternehme zwar alles, dass wir uns in einer anderen Weise entscheiden, aber so lange muss ich die Entscheidung für Militär wohl hinnehmen. Und damit übrigens auch, dass die KDV aus Gewissensgründen in gewisser Weise ein Ausnahmerecht ist. Im Grundgesetz von 1949 war übrigens von Militär noch keine Rede, und es gab ja bis 1955 auch kein bundesdeutsches Militär. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir diesen Zustand wieder herstellen.

Die WRI-Grundsatzerklärung ist international und universell gültig, unabhängig davon, ob es in der Bundesrepublik den Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz gibt. Ich wäre doch in jeder Situation KDVer und würde den Militärdienstzwang als Teil der Kriegsvorbereitung ablehnen. Müssten wir aber nicht wegen der universellen Gültigkeit der pazifistischen Grundüberzeugung unabhängig von individuellen Gewissensentscheidungen für ein Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung eintreten?

Diese Haltung finde ich naiv im guten Sinne des Wortes - unbefangen, offen, ohne Hintergedanken, nicht diplomatisch. Aber sie ist aus meiner Sicht eben auch nicht realistisch. Menschenrechte sind nur dann etwas wert, wenn sie in ein rechtsstaatliches, überprüfbares Verfahren eingebettet sind. Es nützt gar nichts, ein Menschenrecht auf KDV aufzuschreiben, wenn es in der Realität keinen Anknüpfungspunkt gibt. Alle Betroffenen in Staaten, in denen es kein oder ein sehr beschränktes Recht auf KDV gibt, werden das schmerzlich bestätigen können. Insofern ist der Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz sehr viel wert, bei aller Kritik und allem Schwierigen.

Auch wenn du das als naiv bezeichnen magst: Als Pazifist habe ich zwar keine Macht, den Staat zu einem Verzicht auf Militär und Krieg zu zwingen. Ich kann aber eine Entscheidung darüber treffen, was gut und böse, was richtig und falsch ist, und den Staat ins Unrecht setzen. Er hat nicht Recht damit, wenn er Waffen exportiert, wenn er Militär aufstellt, es an den Hindukusch schickt und dort Krieg führt - das ist Unrecht, unabhängig davon, wie die Mehrheitsverhältnisse sind und ob die Entscheidungen darüber parlamentarisch korrekt zustande gekommen sind.

Ja, das ist moralisch für mich unbestreitbar. Realpolitisch lässt sich von der Menschenrechtserklärung 1948 bis zur Verabschiedung der EU-Charta 2007 ein zwar im Schneckentempo begangener, aber bedeutsamer Weg erkennen. Nun ist zumindest innerhalb der Europäischen Union das Recht auf Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissengründen verbindlich geregelt. Eine Gewissensentscheidung ist auch eine große Kraft, die innerhalb des staatlichen Gemeinwesens "ansteckend" wirken und politische Verhältnisse verändern kann, indem sie zu persönlichem Gewaltverzicht ermutigt und so ziviler Konfliktbearbeitung eine personelle Basis gibt. Vielleicht sogar im Sinne von Jo Leinen, der als Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Europaparlaments geäußert hat, dass die Gewissensfreiheit eine nicht zu unterschätzende Form demokratischer Mitwirkung eröffnen kann und damit den Aufbau nichtmilitärischer Alternativen befördert.

Liegt der Unterschied zwischen den beiden Positionen "KDV aus Gewissensgründen" und "KDV als Menschenrecht" letztlich darin, ob man sich positiv auf den Staat bezieht oder nicht?

Mit der Verabschiedung der EU-Grundrechte-Charta ist das Recht der KDV als Bestandteil der Gewissensfreiheit verbindlich kodifiziert. Somit reduziert sich der von dir aufgezeigte Unterschied schon erheblich. Aber in der Tat: Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Der hat das Gewaltmonopol, nur er ist Inhaber legitimer Gewalt, was in der Regel bei der Polizei auch ohne weiteres akzeptiert wird. Das bedeutet, dass der Staat auch unter Ausübung körperlicher Gewalt die Einhaltung seiner Gesetze erzwingen kann, wie jeder Totalverweigerer bitter erfahren hat. Aber dieses Grundgerüst staatlicher Architektur, genannt demokratischer Rechtsstaat, darf meines Erachtens nicht in Frage gestellt werden.

Das Spektrum der 26 Mitgliedsverbände der Zentralstelle KDV ist sehr breit und reicht von pazifistisch-antimilitaristischen Verbänden wie z.B. der DFG-VK bis hin zu Verbänden, die die Bundeswehr nicht in Frage steilen. Wie gelingt es dennoch, konstruktiv zusammenzuarbeiten?

Die eben geführte Diskussion um die Gewissensentscheidungen macht diese Spannbreite ja schon deutlich. Die Zusammenarbeit gelingt, wenn es diese unterschiedlichen Positionen geben darf, wenn sie ihren berechtigten Platz haben und gegenseitig toleriert werden. Die Klammer ist der satzungsmäßige Auftragsrahmen: sich für die uneingeschränkte Achtung der Glauben- und Gewissensfreiheit im Sinne des Grundgesetzartikels 4 einzusetzen, Informationen darüber zu fördern und zu Toleranz auf allen Gebieten der Kultur sowie zum friedlichen Zusammenleben mit anderen Menschen und Völkern aufzurufen. Damit werden unterschiedliche Ebenen, die individuelle, aber auch die gesamtgesellschaftliche angesprochen. Welche Akzentuierungen es dabei gibt, muss eben immer wieder ausgehandelt werden. Dass wir zweimal jährlich Mitgliederversammlungen machen, als Vorstand ausführlich berichten und Raum für Diskussion bieten, ist für die Zusammenarbeit sicher genauso hilfreich wie die Tatsache, dass sich das Spektrum der Mitgliedsverbände auch in unserem Vorstand widerspiegelt.

Worin siehst du deine Aufgabe als Vorsitzender?

Zunächst einmal darin, die positive und erfolgreiche Arbeit der vergangenen fünf Jahrzehnte fortzuführen und - entsprechend den aktuellen Ereignissen weiterzuentwickeln. Als neu gewählter Vorsitzender und als jemand, der die Arbeit der Zentralstelle KDV bisher nur aus der Ferne beobachtet hat, möchte ich die Möglichkeit nutzen, mit den einzelnen Mitgliedsverbänden gewissermaßen naiv und unvorbelastet Kontakt aufzunehmen und die gemeinsamen Schnittmengen genauer anzuschauen. Was verbindet sie unter den Gesichtspunkten KDV, Krieg und Frieden, Entwicklung zivil-gesellschaftlicher Friedensfähigkeit, wo sind die Gemeinsamkeiten groß und wo geringer?

Die Zentralstelle tritt seit Anfang der 1990er Jahre für die Abschaffung der Wehrpflicht ein. In die Diskussion über diese Frage scheint nun auf der parteipolitischen Ebene Bewegung zu kommen: Die SPD hat auf ihrem Parteitag im letzten Herbst das Modell einer "freiwilligen Wehrpflicht" beschlossen. Wärst du mit einer solchen Lösung zufrieden, obwohl die Abschaffung der Wehrpflicht die Streichung von Artikel 12a Grundgesetz bedeuten müsste?

Da muss ich schmunzeln, weil ich diese Frage außerordentlich gut verstehen kann. Als Senior, der die 60 bereits überschritten hat, denke ich daran, was ich vor 30 Jahren geantwortet hätte: Natürlich müsse man viel energischer gegen das Grundübel ankämpfen, und alles andere, was sich der Beseitigung schlimmer Folgen widmet, wäre nur dazu geeignet, das Grundübel noch weiter zu verfestigen. Heute sehe ich das pragmatischer.

Wärst du heute mit der freiwilligen SPD-Wehrpflicht zufrieden?

Das Leben ist wie eine Springprozession mit einer Fülle von Schritten; wenn man zwei Schritte nach vorne gemacht hat, geht es oft wieder einen zurück. Es bedarf also eines langen Atems. Dass die Zentralstelle KDV diesen hat, das hat sie in ihrer über fünfzigjährigen Geschichte bewiesen.

Was heißt das konkret?

Ich wäre froh, wenn der SPD-Vorschlag gesellschaftlich mehrheitsfähig und politisch Wirklichkeit würde. Gleichzeitig möchte ich sagen: Das ist noch nicht das Ende des Weges. Aber ich halte es nicht für produktiv, einen Schritt nicht zu tun, weil er die Tür nicht ganz aufmacht, sondern nur einen Spalt öffnet. Es geht letztlich doch darum, alle Schritte zu unterstützen, die zivilgesellschaftliches Engagement fördern - Stichwort Freiwilligen-Dienste - und zivile Konfliktbearbeitungsformen mit stetig wachsendem Vorrang versehen können.

Zurück zu deinen "radikalen Zeiten": In den 1970er Jahren warst du in der Karlsruher DFG-VK-Gruppe aktiv...

 ... als ich während meiner Referendarzeit Mitglied wurde, war das noch die DFG-IDK. Die Fusion von DFG-IDK mit dem Verband der Kriegsdienstverweigerer zur DFG-VK 1974 habe ich noch mitgemacht.

Warum bist Du danach aus der DFG-VK ausgetreten?

Ich bin 1975 nach Bielefeld gezogen, wo ich mich dann kommunalpolitisch engagiert habe. In der DFG-VK war ich nicht mehr aktiv und habe deshalb keinen Grund mehr gesehen, weiterhin Mitglied zu bleiben.

Pazifist bist du aber immer geblieben, und die KDV ist nun auch wieder dein Arbeitsfeld. Willst Du wieder DFG-VK-Mitglied werden?

Ja, warum nicht?!


Werner Glenewinkel, 62, ist seit November neuer Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Die Versammlung der 26 Mitgliedsverbände wählte den promovierten Juristen einstimmig zum Nachfolger von Barbara Kramer, die ins gesundheitlichen Gründen nicht mehr für eine Wiederwahl zur Verfügung stand, dem Vorstand aber weiter angehört. Werner Glenewinkel ist Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Bielefeld und bereitet mit einer Altersteilzeitregelung den Ruhestand vor. Er ist seit Jahrzehnten in der Region friedenspolitisch und sozial engagiert und war Ende der 1970er Jahre Mitbegründer der Bunten Liste Bielefeld. Die Grünen, denen er danach angehörte, hat er 1999 wegen ihrer Unterstützung des Kosovo-Krieges verlassen. Mit dem neuen Vorsitzenden, der auch ausgebildeter Familientherapeut, Supervisor und Mediator ist, sprach ZivilCourage-Chefredakteur Stefan Philipp Mitte Januar in Bielefeld.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008, S. 11-14
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
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KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2008