Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/316: Pacemakers - Abschaffung aller Atomwaffen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2014
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Pacemakers: Abschaffung aller Atomwaffen
666 Kilometer auf dem Fahrrad in drei Tagen von Stuttgart nach Berlin vors Kanzleramt

Von Ernst Rattinger



Der Pacemakers-Radmarathon Bretten-Ramstein-Bretten ist schon seit Jahren ein fester Programmpunkt vieler RadsportlerInnen und FriedensaktivistInnen, und auch die Pacemakers-Regiotour im Raum Nürtingen-Esslingen zieht immer wieder Dutzende HobbyradlerInnen und ganze Familien an. Doch für das Jubiläumsjahr 2014 (10 Jahre Pacemakers) hatten sich die Organisatoren einen besonderen Clou ausgedacht: 40 bis 50 engagierte RadsportlerInnen bringen die Forderung der Pacemakers nach Abschaffung aller Atomwaffen direkt ins Kanzleramt. Dass es nicht nur ein Kurzausflug von Potsdam nach Berlin werden sollte, das war schnell klar, und so lag es nahe, in Stuttgart zu starten, wo gleich mehrere US-Kommandodienststellen ihren Sitz haben, die weltweit Kriege vorbereiten und führen. Stuttgart-Berlin, 666 Kilometer - und kaum mehr als drei Tage Zeit, die Strecke zu bewältigen! Schon bei der Planung zeichnete sich ab, dass es möglich sein könnte, die unterwegs nötigen Verpflegungspausen in den Städten der "Mayors for Peace" (Bürgermeister für den Frieden) einzulegen. So gab es dann in mehreren Städten nicht nur Essen und Getränke, sondern auch eine kurze politische Veranstaltung, in deren Verlauf die Bürgermeister das Schreiben der Pacemakers an die Kanzlerin mit unterzeichneten. Früh am Morgen des 17. Juli war es so weit: Zusammen mit dem Stuttgarter Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle schickte Gisela Splett, die Schirmherrin der Tour und Staatssekretärin im baden-württembergischen Verkehrsministerium, die Gruppe von 40 RadfahrerInnen und ihre Begleitung in mehreren Autos auf die Reise in die Bundeshauptstadt. Bürgermeister Wölfle ließ es sich nicht nehmen, die Gruppe per Fahrrad an die Stadtgrenze zu begleiten. Der Berufsverkehr in Stuttgart war für die Radelnden nicht gerade angenehm, doch etwas außerhalb der Landeshauptstadt kam bald Radmarathonstimmung auf. In Schwäbisch Hall war dann die erste Verpflegungsstation, und Oberbürgermeister Pelgrim begrüßte die Pacemakers persönlich. In seiner Ansprache begründete er sein Engagement bei den "Mayors for Peace". Es sei richtig und wichtig, dass Menschen überall auf der Welt ein Zeichen setzen gegen die nach wie vor bestehende Bedrohung durch Atomwaffen.

Auch an weiteren Verpflegungsstationen waren es nicht nur die Vertretungen der örtlichen Friedensgruppen, welche die Rad- und Begleitungsgruppe begrüßten, sondern RepräsentantInnen der Städte und Gemeinden, so z.B. in Rothenburg o. d. Tauber, Bamberg, Kronach und weiteren Städten. Ein besonderer Höhepunkt war am Freitag der Empfang an der Nikolaikirche in Leipzig. Dort warteten nicht nur VertreterInnen der DFG-VK und der Leipziger Friedensinitiative mit einem stärkenden Abendessen auf die stark verspätet eintreffenden RadlerInnen. Auch Pfarrer Christoph Wonneberger, der in den 1980er Jahren die Leipziger Friedensgebete begründet hatte, war erschienen. In seiner Ansprache stellte er einen Bezug her zwischen der Friedensbewegung von damals und dem Wirken der "Mayors for Peace" und der Pacemakers heute. Seien es früher die SED-Herrschenden und die beharrenden Kräfte innerhalb der Kirche gewesen, gegen die man sich stemmen musste, so sind es heute diejenigen PolitikerInnen, die immer noch davon ausgehen, dass Frieden dadurch entsteht, dass Waffen gekauft oder modernisiert werden.

Am Samstag erreichte der Tross nach langer Fahrt bei großer Hitze Potsdam-Babelsberg, genauer: die so genannte Truman-Villa, wo US-Präsident Truman während der Potsdamer Konferenz vom 15. Juli 1945 an 17 Tage lang wohnte. Von hier aus wurde auch der Befehl zum Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki gegeben; Grund genug für die Pacemakers, diesen Ort des Gedenkens anzusteuern.

Höhepunkt der Veranstaltung war zweifellos die Ankunft in Berlin. Am Außenministerium gab es zunächst einen kurzen Fototermin, bevor es auf den abschließenden Kilometer zum Kanzleramt ging. Die Bundeskanzlerin hatte nicht auf die Pacemakers gewartet, sondern war - kurz nach ihrem Geburtstag - in die Sommerferien abgereist. Dafür warteten Aktive der Berliner IPPNW-Gruppe (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) geduldig auf die verspätet eintreffenden RadfahrerInnen und hielten Erfrischungen bereit. Die Übergabe des Briefes an die Kanzlerin erfolgte anschließend einigermaßen formlos an einen Beamten der Bundespolizei, welcher zusagte, das Schreiben sofort der Poststelle des Kanzleramts zuzuleiten.

Vor der Rückfahrt nach Stuttgart am Sonntag traf man sich abends noch zum Essen, um diese besondere Pacemakers-Tour ausklingen zu lassen.

666 Kilometer in drei Tagen sind keine Kleinigkeit, sondern eine echte Herausforderung auch für trainierte LangstreckenfahrerInnen. Dazu kamen noch die teilweise langen Anstiege am zweiten Tag und zunehmende Hitze am Samstag, als Berlin schon beinahe in Sichtweite war. Technische Probleme an den Rädern wurden vom mitfahrenden Team von Rad + Technik aus Freiberg/Neckar sofort beseitigt, was angesichts des engen Zeitplans auch dringend nötig war. Doch mehr noch als die Fahrräder brauchten die TeilnehmerInnen ständige Unterstützung: Trinkwasser musste bei jedem Halt ausgegeben werden, und bei mehr als einem langen Anstieg halfen stärkere Radfahrer den bereits ermüdeten über den Berg. Und wenn gar nichts mehr ging, dann konnten sich erschöpfte TeilnehmerInnen für ein paar Kilometer in einem der Begleitfahrzeuge erholen und später wieder aufs Rad steigen.

Wie im ersten Pacemakers-Jahr 2005 lag auch diesmal die Regie der Veranstaltung bei Roland Blach, Geschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg. Dieser Landesverband trat auch als Veranstalter des gesamten Unternehmens auf. So war es unvermeidlich, dass nicht nur die Beine der RadfahrerInnen drei Tage lang gefordert waren, sondern auch die Organisatoren alle Hände voll zu tun hatten. Bei allen Ortsdurchfahrten mussten Lautsprecherdurchsagen gegeben werden, Anfragen von Lokalsendern und Zeitungen waren zu beantworten, und ganz nebenbei mussten die Kontaktgruppen an den Verpflegungsstationen informiert werden. Ginge es nach den RadfahrerInnen, dann wäre bereits für 2015 ein neuer Termin vereinbart worden. Doch diese Entscheidung will sich die Organisationsgruppe offen halten und nach der Sommerpause Überlegungen anstellen.


Ernst Rattinger ist aktiv im DFG-VK-Landesverband Baden-Württemberg

*

Offener Brief zum Flaggentag 2014
8. Juli 2014

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

als Mitglied der Vereinigung "Mayors for Peace" setze ich mich aus tiefster Überzeugung für die Abschaffung und Vernichtung aller Atomwaffen ein.

Ich beteilige mich daher in diesem Jahr am Flaggentag der Mayors for Peace, um an den Beschluss des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli über die Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen zu erinnern, sowie Unterstützung für die Klage der Marshallinseln beim Internationalen Gerichtshof und die Bemühungen der Rote-Kreuz- und Roter-Halbmond-Bewegung für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot der Atomwaffen auszudrücken.

In der Vergangenheit gab es einige hoffnungsvolle Anzeichen, dass die Atomwaffen von deutschem Boden verschwinden könnten. Diese Hoffnungen, die wir auf den Abzug hegten, wurden aber durch aktuellere politische Entwicklungen erheblich gedämpft.

Am 2. April 2014 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe laut Plenarprotokoll, dass die Bundesregierung keine Verhandlungen über das Modernisierungsvorhaben der US-Atombomben führe. Doch die Bundesregierung ist in das umstrittene Modernisierungsprogramm der taktischen US-Atomwaffen auf dem Fliegerhorst Büchel offenbar viel stärker eingebunden als behauptet. Darüber berichtete am 19. Juni das Magazin Monitor. Nach Recherchen von Monitor war die Bundesregierung eng in die Planungen eingebunden.

Es entsetzt mich zutiefst, dass die Atomwaffen in Deutschland bleiben und dazu "modernisiert" werden sollen, damit sie bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts hinein einsatzfähig sind! Damit wäre die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik auf lange Zeit zementiert.

Die humanitären Folgen von Atomwaffen sind so entsetzlich, dass ein Verbotsvertrag umgehend notwendig ist. Als Bürgermeister bin ich verpflichtet, Schaden von den Bürgerinnen und Bürgern abzuwenden, weshalb ich mich mit voller Überzeugung bei den Mayors for Peace engagiere. Ich appelliere an Sie, Ihre Position zu überdenken und sich aktiv für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen, sich gegen jede Modernisierung von Atomwaffen auszusprechen und ein internationales Verbot einzutreten.

Ich bitte Sie, hierzu ein Gespräch mit Vertretern der Mayors for Peace zu führen.

Mit freundlichen Grüßen

Bürgermeister Seyfried, Mutlangen; Bürgermeister Wölfle, Stuttgart; Landrat Pavel, Ostalbkreis; Bürgermeister Ensele, Hüttlingen; Bürgermeister Konle, Rainau; Bürgermeister Debler, Rosenberg; Bürgermeister Stempfle, Böbingen; Bürgermeister Hahn, Adelmannsfelden; Oberbürgermeister Pelgrim, Schwäbisch Hall; 2. Bürgermeister Kölle, Rothenburg/Tauber; 1. Bürgermeister Meier; Neustadt/Aisch; 3. Bürgermeister Metzner, Bamberg; Bürgermeister Beiergrößlein, Kronach; Bürgermeister Krimpke, Schleiz; Bürgermeister Zugehör, Lutherstadt Wittenberg

*

Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2014, S. 30-31
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart, Telefon 0711/5189 2626
Redaktion: ZivilCourage, Am Angelweiher 6, 77974 Meißenheim
Telefon: 07824/664 67 94, Telefax: 03212/102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2014