Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/310: Patriarchale Grundlagen des Krieges untersuchen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2014
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Patriarchale Grundlagen des Krieges untersuchen
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Geschlechterverhältnisse und Rassismus des Krieges gegründet

Von Ralf Buchterkirchen



Die Arbeitsgemeinschaft Geschlechterverhältnisse und Rassismus des Krieges - queere und antirassistische Perspektiven des Antimilitarismus der DFG-VK, so der Arbeitstitel, beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern rassistische und patriarchale Verhältnisse den Kriegen des Westens und der Militarisierung unseres Alltags notwendig eingeschrieben sind, sich wechselseitig einander bedienen und als gesellschaftliche wie kriegerische Grundbedingungen und Zielperspektiven zugleich wirksam sind. Im Fokus steht dabei, wie Rassismus und Geschlechterverhältnisse in hegemonialen Praktiken und Politiken eingebunden sind, dabei zugleich stets unsichtbar gemacht werden und Krieg so gerade erst ermöglichen.

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, diese rassistischen und patriarchalen Grundlagen des Krieges zu untersuchen, zu thematisieren und unsere Fragen und (vorläufigen) Antworten auch für die antimilitaristische und pazifistische Praxis handhabbar zu machen. Dabei gehen wir von der These aus, dass es nicht möglich ist, Kriegsursachen zu bekämpfen, ohne die ihnen zugrundeliegenden rassistischen, klassistischen und patriarchalen Verhältnisse in die antimilitaristische und pazifistische Kritik und Praxis einzubeziehen.

Aus dieser Perspektive ist es ebenfalls notwendig, auch zu untersuchen, wie rassistische und antisemitische, patriarchale und sexistische Verhältnisse auch innerhalb unserer eigenen Verbandsarbeit häufig unbemerkt reproduziert werden und wirksam sind - nicht nur als "blinde Flecken" unserer Analysen und Praktiken, sondern auch als strukturell abgesicherte und selten eingestandene Diskriminierungen und Herrschaftsmechanismen.

Hieraus ergeben sich verschiedene Arbeitsfelder, die sowohl inhaltlich als auch strukturell zu verstehen sind:

1. Es gilt zu untersuchen, inwiefern Rassismus eine der zentralen Grundlagen von Krieg und Militarisierung ist und darin aktualisiert wird. Entsprechend der Definition von Noah Sow handelt es sich bei Rassismus um "die Verknüpfung von Vorurteil mit institutioneller Macht. Rassismus ist [...] ein institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weißen Alleinherrschaftserhalt wirken [...]." (nach: Arndt/Ofuatey-Alazard [Hrsg.]: Wie Rassismus aus Wörtern spricht. Münster 2011; S. 37) Kolonialismus und mit ihm verbundener Rassismus waren historisch zentral für die Rechtfertigung von Unterdrückung und von Kriegen. Heute werden Forderungen des Feminismus und der emanzipatorischen Schwulenbewegung hegemonial vereinnahmt, um Krieg über Frauenrechte und Homosexuellenrechte zu rechtfertigen. Die feministische Friedens- und Konfliktforschung spricht von "embedded feminism", in queeren Zusammenhängen wurde von Jasbir Puar der Begriff "Homonationalismus" geprägt. Welche Antworten findet die Friedensbewegung darauf?

2. Dass "Menschenrechte", "Frauenrechte", "Homosexuellenrechte" als angeführte Kriegsgründe nur vorgeschoben sind, um andere westliche Interessen zu verfolgen - etwa die Absicherung des Zugangs zu Ressourcen imperialer Einflusssphären, hegemoniale Absicherung -, ist klar. Wir wollen genauer in den Blick bekommen, wer welche Interessen verfolgt, und wie Kriege noch heute Geschlechterverhältnisse und auch den europäischen Rassismus prägen und sich ihrer bedienen. Die (post-)feministische Friedens- und Konfliktforschung gibt hier erste Ansatzpunkte.

3. Geschlecht und Sexualität spielt auch in den Kriegen selbst eine bedeutsame Rolle. So werden Vergewaltigungen als Mittel militärischer Auseinandersetzungen eingesetzt, um "den Gegner" zu schwächen, ziviles Leben zu verunmöglichen, soziale Strukturen zu zerstören und die eigene Überlegenheit an ungezählten Einzelnen zu demonstrieren. Insbesondere Frauen werden mit Vergewaltigungen bedroht, auf männliche Familienangehörige wird mit der Androhung von Vergewaltigung Druck ausgeübt. Mittlerweile gibt es aber auch erste Hinweise darauf, dass zunehmend auch männliche Kriegsgefangene Opfer von sexueller Gewalt werden. In einigen Kriegen berichteten mehr als 70 Prozent der männlichen Kriegsgefangenen von sexueller Gewalt gegen sie. Für die antimilitaristische und Friedensarbeit ist es erforderlich, sexuelle Gewalt zu thematisieren und die Bedeutung dieser Art der Machtausübung zu analysieren sowie sich deutlich gegen sie zu engagieren.

4. Aktuell ist eine (teilweise) Veränderung einiger Armeen im Gang. Die Bundeswehr etwa versucht, sich zunehmend als offen für verschiedene Lebensentwürfe zu präsentieren. Damit werden einerseits gesellschaftlich längst vollzogene "Modernisierungen" nachgeholt, gleichzeitig soll ein vermeintlich "emanzipatorischeres" Bild des Militärs in der Gesellschaft gezeichnet werden. Ideologisch wird auf diese Weise als eine Art "ideologischer Kriegsführung im eigenen Land" die Argumentation der Zivilisierung in Richtung des "Außen" (andere Länder, rassistische Abwertung von Menschen etc.) geführt. Uns interessieren auch hier "embedded feminism" und "Homonationalismus" als strategische Mittel zur "Normalisierung" des Krieges und zur Unsichtbarmachung der ihm eingeschriebenen Machtverhältnisse. Uns interessieren aber auch die Veränderungen, die sich in der Bundeswehr ergeben: Welche Veränderungen ergeben sich bezüglich der dort herrschenden Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen? Wie verändert sich dadurch das Bild des Krieges? Inwieweit ergeben sich neue rassistische Grenzziehungen? Welche Strategien kann die Friedensbewegung entwickeln, wie soll sie reagieren?

5. Wie stellen sich die Arbeitsbedingungen von Menschen in der DFG-VK dar, die nicht weiß, männlich, heterosexuell sind, dies gleichzeitig aber tunlichst nicht "aufsässig" werden lassen sollen? Welche Forderungen an unsere eigene Arbeit und an eine mögliche Restrukturierung des Verbandes ergeben sich daraus? Durch die AG Geschlechterverhältnisse und Rassismus des Krieges - queere und antirassistische Perspektiven des Antimilitarismus sollen Impulse gegeben und Perspektiven in die Debatte eingebracht werden, die in anderen gesellschaftlichen Feldern - von politischen Strukturen bis hin zu akademischen Fakultäten - längst selbstverständlich einbezogen werden oder gar institutionalisiert sind. Wir sind der Meinung, dass sich so mögliche Fehler in den politischen Analysen, Forderungen und der Praxis der DFG-VK vermeiden lassen, die sich durch ein mangelnde Aufmerksamkeit bezüglich Geschlechterverhältnissen, Klassenverhältnissen und Rassismus und ihrer miteinander verwobenen Wirkungsweisen ergeben. Um noch einmal auf die Definition von Rassismus von Noah Sow zurückzukommen - "eine Abneigung oder Böswilligkeit gegen Menschen oder Menschengruppen" ist für Rassismus keine Voraussetzung, und diese wollen wir auch gar nicht unterstellen: "Rassismus ist keine persönliche oder politische Einstellung, sondern ein institutionalisiertes System", und es hängt vielfältig mit Geschlecht und Sexualität zusammen. Entsprechend geht es für weiße, mehrheitsdeutsche Menschen darum, die eigene Prägung zu thematisieren und an den eigenen, oft uneingestandenen Vorannahmen zu arbeiten.

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft werden sich mit den oben angerissenen Themen inhaltlich beschäftigen, die Fragen und Antworten für die Arbeit der DFG-VK zur Verfügung stellen und sie für unsere gemeinsame antimilitaristische und pazifistische Praxis handhabbar machen. Darüber hinaus sehen wir es jedoch als Querschnittsaufgabe und Zielsetzung an, dass die Dimensionen von Geschlechterverhältnissen und Rassismus von allen in der DFG-VK reflektiert werden, um uns Krieg und Militarisierung auch über den eigenen Verband hinaus gemeinsam entgegenzustellen.

Alle Mitglieder der DFG-VK sind dazu eingeladen, sich an der Arbeitsgemeinschaft zu beteiligen. Ein erstes Treffen ist in Planung. Weitere Informationen und Kontakt über Ralf Buchterkirchen (buchterkirchen@dfg-vk.de, 0177/459 28 48).


Ralf Buchterkirchen ist Mitglied im DFGVK-BundessprecherInnenkreis.

*

Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2014, S. 20-21
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart, Telefon 0711/5189 2626
Redaktion: ZivilCourage, Am Angelweiher 6, 77974 Meißenheim
Telefon: 07824/664 67 94, Telefax: 03212/102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2014