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BERICHT/306: 20 Jahre Connection e.V. (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 39/40 - III-IV. Quartal 2013
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

20 Jahre Connection e.V.
Seit zwei Jahrzehnten internationale Arbeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Von Rudi Friedrich



(Red.) Vor zwanzig Jahren gründeten in Offenbach/Main Aktive aus der Friedensbewegung Connection e.V. und konsolidierten damit eine Arbeit, die ihren Schwerpunkt in der Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus Kriegsgebieten sieht. Rudi Friedrich, Mitbegründer des Vereins, beschreibt die Arbeit sowie das politische Anliegen und sieht auf Erfolge und Misserfolge zurück.

Vor wenigen Tagen, im September 2013, wurde das Asylverfahren des US-Deserteurs André Shepherd an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verwiesen. Damit wird nun ein Präzedenzfall über die Frage, wann ein Deserteur Schutz erwarten darf, vor dem höchsten europäischen Gericht verhandelt werden. Gemeinsam mit anderen Organisationen hatte Connection e.V. dieses Verfahren vorangetrieben. Ganz entscheidend dabei ist: Es geht nicht nur um die juristische Auseinandersetzung, es geht in der Arbeit von Connection e.V. immer um konkrete Personen, um Männer und Frauen, die sich in einer Kriegssituation dem Dienst verweigern oder desertieren.

Dieses Spannungsfeld umschreibt relativ gut den Ansatz. Für Connection e.V. ist die Entscheidung, sich in einem Kriegsfall zu verweigern, zu desertieren oder abzuhauen, mutig, angesichts drohender Konsequenzen. Dieser Schritt geht aber noch weiter, gerade auch gegenüber den jeweiligen Gesellschaften, die am Krieg beteiligt sind. Kriegsdienstverweigerer und Deserteure geben ein Beispiel für Handlungsmöglichkeiten außerhalb der Kriegslogik, die nur Verbündete und Feinde, nur die militärische Auseinandersetzung, den Kampf sieht. Sie zeigen auf, dass es zwar einen Zwang gibt, zum Militär zu gehen und dort zu bleiben, ihre Entscheidung sich aber nicht diesem Zwang unterordnet. Das Befehls- und Gehorsamsprinzip, ohne das das Militär mit seinen hierarchischen Strukturen nicht funktionieren würde, wird in Frage gestellt. Es ist ein Schritt der Emanzipation, bis hin zur Idee, den Krieg zu beenden. Auch wenn es nur wenige Fälle gab, bei denen allein die Zahl der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer zumindest eine Ursache dafür war, den Krieg wirklich zu beenden, so wirkt ihr Beispiel doch in die Gesellschaften hinein.

Darüber hinaus ist ein solcher Schritt für viele auch die einzig mögliche Alternative, sich nicht an den Verbrechen eines Krieges zu beteiligen oder nicht auf die eigenen Nachbarn schießen zu müssen. Die Motive sind vielfältig und entsprechen nur selten denen, die hier in Deutschland als Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen verstanden werden, also einer generellen Ablehnung jeden Kriegseinsatzes. Die Motive von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern beziehen sich viel stärker auf die konkrete Situation, den jeweils stattfindenden Krieg. Sie achten dabei nicht auf internationale Konventionen, sondern nur auf ihr eigenes Gewissen.

Schutzbedürfnis

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das in Deutschland, wenn auch in eingeschränkter Form, Eingang in die Verfassung fand, ist ein wesentliches Rechtsgut, das einzelne Personen zumindest vor dem Einsatz im Militär schützt. Seit Jahrzehnten wird durch verschiedene Organisationen dafür gestritten, dass dies auf internationaler Ebene auch als Menschenrecht anerkannt wird. Und über die beiden letzten Jahrzehnte wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch durch eine ganze Reihe von Ländern anerkannt, so in einigen lateinamerikanischen Ländern und vor allem in Osteuropa. Die Kriegsdienstverweigerer sehen sich allerdings immer dem Vorwurf ausgesetzt, sich vor der gesellschaftlichen Verantwortung zu drücken. Sie werden denunziert und aufgrund ihrer Entscheidung diffamiert und teilweise auch kriminalisiert, so z.B. ganz aktuell in Griechenland,(1) das vor einigen Jahren nach internationalem Druck ein äußerst restriktives Kriegsdienstverweigerungsgesetz verabschiedete.

Einige Länder, wie Armenien, Aserbaidschan und die Türkei, sehen hingegen nach wie vor keinen Handlungsbedarf zur Legalisierung der Kriegsdienstverweigerung. Sie ignorieren damit Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der 2011 in einem Grundsatzurteil feststellte, dass die Kriegsdienstverweigerung als Ausfluss des Artikels 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verstehen ist und daher ein Menschenrecht darstellt.(2)

Häufig unbeachtet bleibt, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nur Personen zugestanden wird, die nicht im Militär sind. Anders gesagt: SoldatInnen haben in den meisten Ländern kein Recht, ihre Kriegsdienstverweigerung zu erklären. Andreas Speck von der War Resisters' International schrieb dazu: "In vielen EU-Ländern, in denen die Wehrpflicht ausgesetzt oder abgeschafft wurde, wurde zugleich das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aufgehoben. Wie EBCO(3) darstellt, gibt es gesetzliche Regelungen für die Kriegsdienstverweigerung von Berufssoldaten nur in den Niederlanden und Deutschland. In Großbritannien gibt es Regelungen im Militär, die eine Entlassung aufgrund einer Kriegsdienstverweigerung möglich machen."(4) Im Fall des britischen Kriegsdienstverweigerers Michael Lyons zeigt sich jedoch, dass diese völlig unzureichend sind. Er wurde am Ende des Verfahrens zu sieben Monaten Haft verurteilt.(5)

Gerade in einem Kriegsfall, also gerade dann, wenn eine Gewissensentscheidung gegen einen Kriegseinsatz unbedingten Schutz benötigt, wird von Militärs und Regierungen das Recht eingeschränkt, den VerweigerInnen Steine in den Weg gelegt oder sie werden, wenn sie ihre Verweigerung erklärt haben, ins Kriegsgebiet entsandt. Das ist ein unhaltbarer Zustand, denn jede Person hat selbstverständlich das Recht, andere Entscheidungen zu treffen. Eine Gewissensentscheidung ist eben nicht eine nur rationale Abwägung wie die Wahl einer Arbeitsstelle, sondern resultiert sehr stark auch aus den jeweiligen Zusammenhängen und Erfahrungen heraus. Angesichts der Gräuel, die SoldatInnen in einem Krieg sehen und erleben, ist die Entscheidung, dort nicht mehr mitmachen zu wollen und zu können, nur zu begrüßen.

Kriegsdienstverweigerung und Asyl

Etwa 300.000 sind in den 1990er Jahren allein im ehemaligen Jugoslawien desertiert. Zehntausende von ihnen kamen nach Deutschland. Im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan Anfang der 1990er Jahre sind in Teilen von Armenien über 90 Prozent der Rekruten nicht zum Militär gegangen. Tausende US-SoldatInnen entziehen sich jährlich dem Militär und sind damit unerlaubt abwesend. Tausende EritreerInnen verlassen jedes Jahr das Land, um der Rekrutierung zum Militär zu entgehen. Viele dieser DeserteurInnen suchen aufgrund der Verfolgung im Herkunftsland Schutz und Asyl. Nur wenige von ihnen schaffen es aufgrund der Grenzsicherungen einer Festung Europa und einer Asylpolitik, die über die Abkommen von Dublin die Verantwortung für Flüchtlinge von sich weist, nach Deutschland. Wer dennoch die Grenzen überwindet, hofft hier auf Schutz, muss sich aber mit hohen Hürden für eine Anerkennung auseinandersetzen.

Die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern gilt in der Regel nicht als Asylgrund. Deutsche Behörden und Gerichte billigen allen Staaten das Recht zu, die Wehrpflicht durchzusetzen, auch wenn es dort kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt oder wenn ihnen der Einsatz im Krieg droht. Das führt dazu, dass immer wieder VerweigerInnen abgeschoben und somit dem Militär in anderen Ländern ausgeliefert werden.

Erst seit 2008 wird durch eine Richtlinie der Europäischen Union die Verfolgung von Verweigerern, die sich Völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen entziehen, als asylrechtlich relevant angesehen. Das ist neu und müsste bedeuten, dass zumindest ein Teil der Verweigerer, wie z.B. der US-Deserteur André Shepherd, solch einen Schutz erhält. Aber immer noch ist offen, wie die deutschen Behörden mit dieser Situation tatsächlich umgehen. Die nun vom Verwaltungsgericht an den Europäischen Gerichtshof erfolgte Anfrage zum Fall Shepherd wird voraussichtlich die Grundlagen dafür klären.

Aufgrund verschiedener Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte(6) gilt die Kriegsdienstverweigerung im Gebiet des Europarates als Ausfluss der Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das bedeutet auch, dass sich Asylsuchende mit Verweis auf diese Urteile bei fehlender Gesetzgebung zur Kriegsdienstverweigerung darauf berufen können, da die Strafverfolgung eine Verletzung der Konvention darstellen würde. Sie hätten damit die Chance, zumindest einen Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG(7) zu erhalten. Die Behörden werden allerdings im Asylverfahren in jedem Einzelfall prüfen, ob solch eine Verfolgung tatsächlich in Betracht kommt. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass das Bundesamt für Migration und mit einem Asylantrag befasste Gerichte prüfen werden, ob eine glaubwürdige Kriegsdienstverweigerung vorliegt. Letztlich läuft das auf eine Gewissensprüfung hinaus, die wir gemeinsam mit vielen anderen Verbänden in den vergangenen Jahrzehnten bei deutschen Kriegsdienstverweigerern vehement bekämpft haben.

Auch wenn es inzwischen Regelungen gibt, die für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer einen asylrechtlichen Schutz oder zumindest ein Abschiebehindernis vorsehen: Das Asylverfahren ist unsicher und bietet nach wie vor keine Garantie dafür, nicht gegen seine Gewissensentscheidung erneut in den Kriegseinsatz geschickt zu werden. Das gilt umso mehr, da viele Deserteure und Kriegsdienstverweigerer keineswegs eine Entscheidung entlang der international gültigen Definitionen getroffen haben, sondern aus einer jeweils konkreten Situation heraus.

Praktische Umsetzung

Es ist im Kern eine Arbeit gegen Krieg, die sich die Aktiven von Connection e.V. vorgenommen haben. Aber wie wird dies in praktisches Handeln umgesetzt? Und wie kann dies unterstützt werden? Dazu an dieser Stelle eine Beschreibung verschiedener Arbeitsbereiche:

Information
Eine der wichtigsten Grundlagen der Arbeit von Connection e.V. ist es, zu verschiedenen Ländern und deren Gesetzgebung und Praxis gegenüber Kriegsdienstverweigerern auf dem Laufenden zu bleiben. Dankenswerterweise gibt es von anderen Organisationen, wie dem Europäischen Büro zur Kriegsdienstverweigerung, der War Resisterse International oder dem Quaker UN Office immer wieder Zusammenstellungen zu einer Reihe von Ländern. Dies wird von uns ergänzt insbesondere durch Berichte, Interviews, Beiträge und Artikel aus den Ländern selbst. All diese Informationen münden nicht nur im Rundbrief "KDV im Krieg", der fünf Mal im Jahr erscheint, sondern auch in Schwerpunktheften und in der ständig aktualisierten Website www.Connection-eV.org.

Natürlich ist dieser Fundus an Informationen nur so gut, wie er uns zugänglich und bekannt ist. Ein wichtiger Baustein unserer Arbeit ist es daher, in ständigem Kontakt mit Initiativen in anderen Ländern zu stehen, die gegen Wehrpflicht und Krieg arbeiten und sich für die Belange der Kriegsdienstverweigerer einsetzen. Falls dies nicht möglich ist, können wir in einigen Fällen auch auf Exilorganisationen zurückgreifen.

Dennoch sind wir immer wieder auf Hinweise und Recherchen angewiesen. Gerne nehmen wir hier Anregungen auf oder veröffentlichen Beiträge, die uns zugesandt oder auf die wir hingewiesen werden.

Beratung
Flüchtlinge werden im Asylverfahren auf die unterschiedlichsten Orte im Bundesgebiet verteilt. Soweit es uns möglich ist, bieten wir für sie Beratung und Unterstützung im Asylverfahren an. Neben grundlegenden Informationen können wir gemeinsam mit den Flüchtlingen ihre Schwerpunkte herausarbeiten und dokumentieren. Wir versuchen, Gruppen vor Ort zu finden, die den Betroffenen konkreter helfen können. Und wir vermitteln RechtsanwältInnen, damit Flüchtlinge im Asylverfahren die notwendige juristische Unterstützung erhalten.

Da wir von Offenbach/Main aus arbeiten, sind wir immer dankbar, wenn es Menschen und Gruppen in anderen Orten gibt, die gemeinsam mit uns Flüchtlinge unterstützen wollen.

Dokumentation über die Situation im Herkunftsland
Sehr oft werden die Schilderungen der Flüchtlinge über die Situation im Herkunftsland von deutschen Behörden in Frage gestellt, womit den Betroffenen eine Ablehnung im Asylverfahren droht. Dies war auch bei Eritrea der Fall. Wir nutzten die Möglichkeit, mit mehreren der DeserteurInnen längere Interviews zu führen und nach einer erneuten Prüfung gemeinsam zu veröffentlichen. Wir ergänzten die persönlichen Schilderungen mit offiziellen Stellungnahmen von Amnesty International, Human Rights Watch, UNHCR und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.

Damit lag für die Asylverfahren eine Dokumentation vor, die klar aufzeigte, welcher Bedrohung die Betroffenen bei einer Rückkehr oder Abschiebung ausgesetzt sind. So gelang es gegenüber den deutschen Behörden, deutlich zu machen, dass die Schilderungen der Flüchtlinge sehr wohl glaubhaft sind. Alle Interviewten erhielten kurze Zeit später einen asylrechtlichen Schutz. Und darüber hinaus stiegen auch die Anerkennungszahlen zu Eritrea deutlich.

Es ist eine wichtige Erfahrung - sowohl für die Flüchtlinge, als auch für die Asylverfahren: Es lohnt sich, die Situation im Herkunftsland und die Fluchtgeschichte ausführlich zu dokumentieren. Viele der Flüchtlinge sind dankbar, wenn sie zum ersten Mal wirklich frei Auskunft geben können, was ihnen passiert ist. Yohannes Kidane aus Eritrea machte dies in seinem Interview deutlich: "Bei uns kann man noch nicht einmal darüber sprechen. Es gibt keine Möglichkeit, Widerstand zu leisten, nur abzuhauen. Hier habe ich erfahren, dass Widerstand möglich ist, dass es Leute gibt, die gegen die Regierung organisiert vorgehen. Das tut mir sehr gut."

Stärkung der Selbstorganisation
Zu einigen Ländern gelang es uns, Gruppen von Flüchtlingen zu finden, die sich selbst organisierten und gemeinsam für ihre Belange eintraten. Es waren Kriegsdienstverweigerer aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Russland, aus Griechenland, den USA, Angola, Eritrea oder der Türkei. Es sind sehr oft Gruppen, deren vorrangiges Ziel die gegenseitige Unterstützung ist, um nicht zum Militär gehen zu müssen und/oder um einen Aufenthaltsstatus in Deutschland zu erringen. Neben den Schwierigkeiten, denen sich asylsuchende KriegsdienstverweigererInnen gegenübersehen, betrifft dies noch eine zweite große Gruppe: Viele Migranten, die mit einem ausländischen Pass auf Dauer in Deutschland leben, sind in ihrem Herkunftsland wehrpflichtig. Können sie sich der Wehrpflicht entziehen? Gibt es dort das Recht zur Kriegsdienstverweigerung? Kriegsdienstverweigerer, die diese Fragen nicht klären können und keine befriedigende Antwort finden, sehen sich in einer ausweglosen Lage: Das Konsulat wird die Ausstellung eines neuen Passes verweigern - oder auch die Verlängerung. Ohne Ausweispapiere erlischt die Aufenthaltsberechtigung in Deutschland. Es droht die Abschiebung.

An all diesen Stellen ist Unterstützung und gegenseitige Solidarität nötig. Aufgrund der je nach Herkunftsstaat unterschiedlichen rechtlichen Situation und der Erfahrung, dass deutsche Behörden ihr Anliegen ablehnen, ist die gegenseitige Beratung eine der wichtigsten Schwerpunkte der Arbeit von selbstorganisierten Gruppen. Hier können sie in ihrer Sprache komprimiert erfahren, was nur schwer zugänglich ist. Hier können Erfahrungen ausgetauscht werden. Hier können informelle Zusammenhänge entstehen, die auch in prekärer Situation noch Schutz und Hilfe bieten können.

Darüber hinaus hatten sich die Gruppen immer dann zusammengefunden, wenn sie gemeinsam ein politisches Ziel nach außen tragen wollten. Sie wenden sich gegen den Krieg in ihrem Herkunftsland, sie wollen die dort möglicherweise aktiven Gruppen unterstützen, sie organisieren Aktionen, um auf die prekäre Situation im Herkunftsland hinzuweisen und die dortige Praxis anzuprangern, sie fordern gemeinsam Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure.

Neben all diesen politischen Aktivitäten hat ihr Zusammenschluss aber auch eine andere wichtige Bedeutung. DeserteurInnen, die aufgrund ihrer Flucht vor dem Militär in ihrem Herkunftsland verfemt werden und als "Verräter" gelten, erleben in der Gruppe, dass sie nicht alleine stehen. Gerade dadurch, dass sie mit ihrer Verweigerung an die Öffentlichkeit gehen, gewinnt ihre Entscheidung eine hohe Bedeutung sowie politischen Gehalt und kann so als etwas Positives erlebt werden. Sie gehören zur kleinen Gruppe derjenigen, die sich aktiv für die Durchsetzung der Menschenrechte, für ein Ende des jeweiligen Krieges in ihrem Herkunftsland einsetzen. Sie werden zum Sprachrohr von vielen, die sich bislang nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dabei sehen sie sich im Exil in Deutschland besonderen Schwierigkeiten gegenüber. Sie kennen die politischen Verhältnisse hier nicht, sie müssen sich in einer fremden Sprache mit unbekannten Gesetzen und Regelungen auseinandersetzen, Asylsuchenden wird mit der so genannten Residenzpflicht die Reisefreiheit in Deutschland beschränkt, der Krieg im Herkunftsland sorgt auch unter den Flüchtlingen für Polarisierungen oder Misstrauen. Hier sind die Initiativen dringend auf Begleitung und Unterstützung von deutschen Gruppen und Organisationen angewiesen.

Internationaler Austausch

Die internationale Arbeit lebt vom Austausch und persönlichen Begegnungen. Immer wieder besuchen wir daher Partnerorganisationen in anderen Ländern und nehmen an Seminaren und Tagungen teil oder organisieren diese. Zudem laden wir auch Aktive nach Deutschland ein, um hier bei Organisationen mitzuarbeiten oder sich austauschen zu können. Ein Beispiel dafür war ein einwöchiges Seminar, das wir im Januar 2013 in Berlin für die Bewegung No to Compulsory Military Service (Nein zum Kriegsdienstzwang) in Ägypten organisierten. Die Idee ging aus vom ägyptischen Kriegsdienstverweigerer und Militärkritiker Maikel Nabil Sanad, der aufgrund seiner fast einjährigen Haft bis Anfang 2012 international sehr bekannt geworden ist.

Auf dem Seminar sollte es um gewaltfreie Strategien des Widerstandes, um Kriegsdienstverweigerung und um Versöhnungsarbeit gehen. "Die Idee ist, dass ägyptische Friedensaktivisten Erfahrungen machen", so Maikel Nabil Sanad, "die sie in Ägypten nicht erhalten können. Sie müssen die Möglichkeit haben, Kriegsdienstverweigerer zu treffen, die vor Jahrzehnten verweigert haben sowie führende Personen deutscher antimilitaristischer Organisationen. Sie sollen deutsche Erinnerungsstätten zum Krieg sehen, um so ein tieferes Verständnis von Antimilitarismus zu erhalten."(8)

Schließlich kamen Ende Januar 2013 etwa 10 AktivistInnen aus Ägypten und weitere internationale Gäste für eine Woche zusammen: Studentinnen aus den Philippinen, Afghanistan und China, Aktive der Friedensbewegung aus Deutschland und ein Vertreter der israelischen Organisation New Profile.

Bei offiziellen Besuchen im Bundestag konnten die Aktiven aus Ägypten gegenüber dem Menschenrechtsbeauftragten der deutschen Bundesregierung und der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe deutlich machen, dass es in Ägypten kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Sie baten um Unterstützung, auch für Fälle wie den Verweigerer Emad el Dafrawi, der in einem praktisch illegalen Zustand leben muss, ohne Ausweis, ohne Reisemöglichkeit, ohne legalen Status zur Aufnahme eines Studiums oder einer Arbeit.

Die Aktiven der ägyptischen Gruppe sehen sehr klar die Rolle des Militärs und die umfassende Militarisierung in der Gesellschaft, bis weit in das zivile Leben hinein. Und sie suchen nach Möglichkeiten, hier gemeinsam als Gruppe Positionen und Handlungsmöglichkeiten zu finden, um gegen diese Militarisierung vorzugehen. Kriegsdienstverweigerung wird da nicht nur als Ablehnung des Militärdienstes verstanden, sondern richtet sich z.B. auch gegen die Militarisierung der Schulen, der Wirtschaft, des alltäglichen Lebens.

Dafür versuchten wir an den Tagen, verschiedene inhaltliche Anregungen zu geben. In das Thema gewaltfreie Aktionen führte Christine Schweitzer vom Bund für Soziale Verteidigung ein, Gernot Lennert von der DFG-VK Hessen stellte die verschiedenen politischen und juristischen Ansätze zur Kriegsdienstverweigerung vor. Beides wurde mit großem Interesse aufgenommen. In den weiteren Tagen gab es noch Einführungen zum Thema Übergangsrecht in nach-autoritären Gesellschaften und europäische Versöhnung.

In einem Bericht schreibt die Gruppe: "In den Diskussionen wurden weiterhin die Entwicklungen im Nahen Osten angesprochen, das Fehlen eines Friedensprozesses zwischen Israel und Palästina, wie auch die Rolle Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft, um ein gutes Klima für die Entwicklung eines Friedensprozesses herzustellen."(9)

Schließlich erarbeitete die Gruppe eine Analyse der Ressentiments gegen die Kriegsdienstverweigerung im Land und entwickelte einen Plan für weitere Aktivitäten. Sicher ist, dass weitere Aktive ihre Kriegsdienstverweigerung öffentlich machen werden. Die Gruppe wird versuchen, sich regional stärker zu verankern. Sie will gegen Militärschulen aktiv werden. Deutlich gestärkt werden soll nun die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen im Nahen Osten und die internationale Vernetzung - alles mit dem Ziel, den Militärdienstzwang abzuschaffen.

Veranstaltungsreihen

Seit vielen Jahren laden wir auch Aktive aus Organisationen aus anderen Ländern ein, um in Deutschland an verschiedenen Orten Veranstaltungen durchzuführen. Wir setzen damit inhaltliche Schwerpunkte und können über eine bundesweite Organisation größere Aufmerksamkeit und mehr Interessierte erreichen. Angewiesen sind wir dabei auf Gruppen und Organisationen vor Ort, die für jeweils einen Tag ein Programm planen. Unsere Gäste führen dann Pressegespräche durch, gehen an Schulen, werden vom Bürgermeister empfangen oder nehmen an größeren Veranstaltungen teil. So kamen in den letzten Jahren Gäste aus den USA, aus Israel, Russland, Eritrea, Kolumbien, Angola oder der Türkei zu uns. Beispielhaft beschreibt Vadim Damier aus Moskau seine Erfahrungen bei den Veranstaltungen 2009: "Ich kann sagen, dass es relativ großes Interesse gab. In aller Regel kamen zwischen 25 und 50 Personen zu den Veranstaltungen. Nur einmal waren es nur 15. Wir müssen ja in Betracht ziehen, dass der Krieg im Kaukasus im August 2008 stattfand, also schon einige Monate her ist. Inzwischen gibt es kaum noch Berichte darüber in den Medien und in der Öffentlichkeit. Dafür gab es von Seiten der Friedensöffentlichkeit in der Bundesrepublik ein relativ lebendiges Interesse am Thema und an den Hintergründen zum Krieg. Das hat für uns eine große Bedeutung. Zum einen ist uns, den antimilitaristischen Kräften in Russland, das Interesse in anderen Ländern wichtig. Es stellt auch eine gewisse Unterstützung und einen Schutz gegen Repressionen dar, die bei uns möglich sind. Zum anderen hat es große Bedeutung für uns, dass wir unser internationalistisches Bild, unsere Position gegen jeden Nationalismus, darstellen können. Und es haben sich erfreuliche neue Kontakte ergeben, so z.B. zur graswurzelrevolution. Ich habe schon immer mal die Zeitung gelesen, hatte aber nie einen umfassenden Eindruck dazu. Nun traf ich einige Aktiven und Redakteure. Wir sprachen sogar über die Möglichkeit, Reportagen für die Zeitung aus Moskau zu schreiben. Zudem war es für mich sehr interessant und wichtig, das Protestcamp gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens zu besuchen. In Russland habe ich schon an mehreren Protestcamps teilgenommen. Aber in Deutschland sah ich das jetzt zum ersten Mal. Das war wirklich schön. Ich konnte im Camp auch kurz über die anarchistische und ökologische Bewegung in Russland berichten und den Aktiven dort unsere moralische Unterstützung aussprechen."(10)

Internationale Solidarität

In vielen Ländern wird die Kriegsdienstverweigerung nach wie vor verfolgt und Kriegsdienstverweigerer inhaftiert. In der Türkei und Ägypten werden ihnen praktisch die bürgerlichen Rechte entzogen. Aufgrund unserer guten Kontakte in einige dieser Länder erhalten wir frühzeitig Informationen darüber, wo Kriegsdienstverweigerer inhaftiert werden und können dann mit Aktionen darauf reagieren. Mit Protestaktionen gegenüber den verantwortlichen Regierungen und Militärs z.B. vor Botschaften sowie mit der solidarischen und auch finanziellen Unterstützung der Verweigerer selbst Versuchen wir in diesen Situation zu helfen - zumeist mit Erfolg. Darüber hinaus sorgen wir dafür, dass die in dem jeweiligen Land aktiven Gruppen gestärkt und unterstützt werden.

Ein Beispiel dafür war die Kampagne für den US-Verweigerer Agustín Aguayo. Er war trotz seines Kriegsdienstverweigerungsantrages ins Kriegsgebiet in den Irak geschickt worden. Sein Antrag auf KDV wurde wiederholt abgelehnt. Vor einem erneuten Kriegseinsatz flüchtete er aus der Armee, die dies mit einer Haftstrafe von acht Monaten beantwortete. Bei der Verleihung des Stuttgarter Friedenspreises erklärte er: "Ich möchte mich bei verschiedenen Menschen bedanken. Sie haben nicht zugelassen, dass meine Geschichte verschwindet. Sie haben mich in den schwierigsten Momenten meines Lebens unterstützt. (...) Als ich im Gefängnis war, habe ich Hunderte von Briefen bekommen. Es waren die glücklichsten Momente meines Lebens im Gefängnis: die hoffnungsvolle Erwartung auf diese Briefe."(11)

Was Connection e.V. bislang erreicht hat

Ziehen wir nach zwanzig Jahren Arbeit ein Resümee, so müssen wir leider festhalten, dass weder das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung noch die Forderung auf Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in vollem Umfang umgesetzt ist. Noch immer werden Menschen abgeschoben, die sich dem Kriegsdienst in ihrem Herkunftsland entzogen haben. Immer wieder müssen wir über Fälle von Kriegsdienstverweigerern berichten, die in ihren Ländern zum Teil über Jahre inhaftiert werden.

Allerdings sehen wir auch: Gerade wenn wir konkret Personen unterstützten, sei es mit internationalen Kampagnen, sei es mit Beratung, Information und rechtlichem Beistand, konnten wir in Einzelfällen sehr viel erreichen. Hunderte von KriegsdienstverweigerInnen erhielten in Deutschland aufgrund dieser Arbeit asylrechtlichen Schutz. Für viele inhaftierte Verweigerer in anderen Ländern führte die internationale Solidarität zu einer Verbesserung ihrer Haftbedingung oder sogar zur Freilassung.

Auf der juristischen Ebene gibt es zwei oben ausgeführte bemerkenswerte Veränderungen. Zum einen wurde über die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union die Verfolgung von Desertion aus völkerrechtlich verurteilten Kriegen oder vor völkerrechtlich verurteilten Kriegshandlungen als Fluchtgrund anerkannt. Zum anderen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Kriegsdienstverweigerung als Ausfluss des Artikels 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention definiert. Das ist bedeutsam und stärkt die Position der Verweigerer, auch wenn es längst nicht alle erfasst, die sich dem Kriegsdienst entziehen.

Dies alles ist nicht allein auf die Arbeit von Connection e.V. zurückzuführen. Nur gemeinsam mit anderen Organisationen wie Amnesty International, Pro Asyl, der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, dem Bund für Soziale Verteidigung, dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung, dem Versöhnungsbund, der Zentralstelle KDV, War Resisterse International, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Quaker UN Office und vielen anderen konnten wir dies erreichen. Wir konnten in der Zusammenarbeit vor allem das Bewusstsein dafür stärken, dass es neben der Frage des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung eben auch um eine politische Frage geht, wie mit den Menschen umgegangen wird, die sich aus welchen Gründen auch immer dem Dienst im Militär und am Krieg entziehen.

Vor wenigen Tagen fragte mich ein Journalist, ob wir denn bei einem positiven Ausgang des Asyl-Verfahrens von André Shepherd damit rechnen würden, dass viele US-SoldatInnen desertieren und in Deutschland Schutz erhalten wollen. "Das würde ich sehr begrüßen", gab ich zur Antwort. "Leider wird das aber wohl nicht eintreffen. Derzeit gibt es nicht wirklich viele US-SoldatInnen, die dem Militär den Rücken kehren wollen. Die meisten Verweigerer wollen irgendwann auch in ihr Herkunftsland zurückreisen, womit ein Asylantrag für sie nicht in Frage kommt. Und schließlich würde ein Asylantrag immer aufgrund der persönlichen Geschichte, Motivation und Verfolgung beurteilt werden, ist also kaum vergleichbar mit der Situation von André Shepherd."

Es wäre ein bedeutsames friedenspolitisches Signal zu sagen: Wir geben ganz bewusst all denjenigen einen Schutz, die sich dem Einsatz im Krieg verweigern. Wir sind noch weit davon entfernt, dass dies Wirklichkeit wird. Aber jeder einzelne Fall, in dem es uns gelingt, einen Kriegsdienstverweigerer oder eine Deserteurin vor der Abschiebung zu schützen, ist ein Erfolg. Und in der Tat können wir dies oft erreichen, wenn wir politischen Druck von unten aufbauen und die Betroffenen ausreichende Unterstützung erhalten.


Rudi Friedrich ist Mitarbeiter von Connection e.V. Der Verein setzt sich weltweit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Kriegsgebieten ein. Weitere Informationen im Internet über www.Connection-eV.org



Anmerkungen

(1) siehe Rundbrief "KDV im Krieg" 4/2013.
www.Connection-eV.org/article-1865

(2) Einige dieser Urteile sind zu finden über
www.connection-ev.org/s.php?s=Internationale%20Resolutionen

(3) Europäisches Büro für Kriegsdienstverweigerung

(4) Andreas Speck: Kriegsdienstverweigerung nach der Wehrpflicht. Aus: Rundbrief "KDV im Krieg" 2/2015. www.connection-ev.org/article-1405

(5) WRI: Kriegsdienstverweigerer Michael Lyons zu sieben Monaten Haft verurteilt. Aus: Rundbrief "KDV im Krieg" 5/ 2011.
www.connection-ev.org/article-1405

(6) z.B. Bayatyan v. Armenia, Urteil vom 7. Juli 201l, Antrag Nr. 23459/05; Erçep v. Turkey, Urteil vom 22. November 2011, Antrag Nr. 43965/04. In Auszügen dokumentiert in Connection e.V.: Kriegsdienstverweigerung in der Türkei, Offenbach 2012

(7) "Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist."

(8) Maikel Nabil Sanad in: Rudi Friedrich: Ägyptische Kriegsdienstverweigerungsgruppe in Berlin. 15. Februar 2013.
www.Connection-eV.org/article-1780

(9) dito

(10) Interview mit Vadim Damier. 14. Februar 2009.
www.Connection-eV.org/article-567

(11) Agustín Aguayo: "Wir können unserem Gewissen nicht entkommen." 21. Dezember 2007.
www.connection-eV.org/article-61

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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit
Nr. 39/40 - III-IV. Quartal 2013, S. 12 - 18
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen)
mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK,
Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für Pazifismus,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2014